Ich brauch gar nicht zu schreien
Er klingt genervt, fordernd, ja auch fragend, doch dabei ist oft irgendein Vorwurf rauszuhören. Hast du schon, warum machst du nicht, aber tu doch endlich!, sag ich oft zu meinem Sohn und merke dann, dass ich – bingo – schon wieder in die Falle getappt bin. Mit diesem Tonfall komme ich an meinen Teenager noch weniger ran. Zudem kann mich auf diese Weise selbst kaum leiden, hör dir nur zu, denk ich dann, wie du rumnörgelst und leierst, das hält ja auch wirklich niemand aus. Und ich frage mich, warum und wann genau ich wieder damit angefangen habe. Weshalb um alles in der Welt ich wieder zu wenig gelassen bin und so schrecklich unsouverän – und ja, auch verletzend.
«Jetzt leg aber mal die elektronischen Geräte weg! Hast du auch wirklich keine Hausaufgaben? Und wann räumst du endlich dein Zimmer auf?!» Bei keinem anderen Menschen verwende ich derart oft Suggestivfragen und rede in einem solchen Tonfall; in dieser tadelnden, gereizten, auch leicht misstrauischen Art. Es käme mir nicht in den Sinn, so mit meinem Mann oder Freunden zu reden; es wäre respektlos und kränkend. Weshalb dann also zum eigenen Kind, das einem so viel bedeutet? Weil man es sich als Eltern im Laufe der Zeit schleichend aneignet? Man genervt ist, dieselben Dinge schon tausendfach gesagt, gefragt und gefordert zu haben, und es irgendwann einfach leid ist, sie wieder und wieder runterzubeten? Weil man glaubt, das Kind höre einem nur so auch wirklich zu? Es trifft wohl alles ein wenig zu. Das legitimiert jedoch noch lange nicht diesen Ton.
Es geht nämlich auch anders. Das weiss ich allerspätestens seit zweieinhalb Monaten. Seit dem 23. Februar achte ich wieder vermehrt darauf, wie ich mit meinem Sohn rede. Er kam damals abends von den Bergen heim, er durfte mit einem Freund mit in die Skiferien. Zuvor hatten wir häufig Auseinandersetzungen gehabt, und ich nörgelte viel an ihm herum. Das sollte so nicht weitergehen, und ich beschloss, wieder vermehrt unvoreingenommen auf meinen Dreizehnjährigen zuzugehen, nicht immer alles so eng zu sehen und vor allem auch meine Tonalität zu ändern.
Seither stelle ich ihm bewusst offene Fragen, gehe auf seine Antworten ein, mache klare Ansagen und rede mit wohlwollender Stimme zu ihm. Und wissen Sie was? Es klappt viel besser so. Ich kann ihn auch auf diese Art daran erinnern, sein Zimmer zu putzen. Doch es kommt einfach anders rüber, wenn man sagt: «Du, vergiss nicht dein Zimmer zu putzen. Bis morgen Abend hast du das erledigt, o.k.?», statt einem ungehaltenen: «Gott, in deinem Zimmer siehts ja wieder aus! Jetzt räum endlich die Sachen weg, und putz mal dein Zimmer!»
Ich will nicht behaupten, es sei deshalb zwischen uns konfliktfrei. Ich erwarte von ihm noch immer dieselben Dinge, und einiges findet er in typischer Teenager-Manier selbstverständlich sinnlos und doof. Doch die Grundstimmung daheim ist eine andere geworden; liebevoller, heiterer, weniger festgefahren. Durch meine neue Art, mit dem Sohn zu kommunizieren, erhält auch er die Möglichkeit, in anderer Weise zu reagieren.
Witziger Perspektivenwechsel: So nehmen uns unsere Jugendlichen wahr. Sketch von der beliebten Schweizer Videobloggerin Noeliavidz:
23 Kommentare zu «Ich brauch gar nicht zu schreien»
Ich brauch gar nicht zu schreien
1. ) je leiser du sprichst umso aufmerksamen wird dir zugehört
2. ) meine Schwester war in ihrer Erziehung immer ein Negativvorbild für mich: gefühlte tausend Mal sagte sie z.B. zu ihren Kinder – das tut man nicht/das darfst du nicht und wiederholte es dann mind. noch einmal 10 mal – komischerweise praktisch immer ohne jegliche Wirkung.
Schlüsselerlebnis um mir das Schreien bei Auseinandersetzungen mit meinen Sohn abzugewöhnen. Wenn unser Streit jeweils laut wurde verzog er sich in Richtung seines Zimmers – was mich natürlich noch wütender und lauter werden liess- da hab ich Mal zufällig im Spiegel der neben seinem Zimmer hing, geschaut. Das war wie ein „Klapf vor den Kopf“ – ich hab dann das schreien ziemlich schnell aufgegeben!
also aber ich habe gestern aus dem Auto geschrien ?eine Familie fuhr gegen Luzern Mutter mit Kind das auch angehängt beim Velo ar also ein halbes RAd !dann kam Vater mit angehngtem Bubi 3-4 Jahre alt und der war eingeschlafen er schlnkerte den Kopf hin und her und Vater merkte nichts ????gottseidank hielt er sich noch fest am Lenker !so Unverantwortlich ?Die müssen doch Fixiert werden mit einem Sitzli ?
Das nennt sich Respekt, und den haben auch Teenager verdient.
Bingo Rabe. Die Augenhöhe und der Respekt zu den Kindern ist immer das Ziel. Es ist aber im Alltag nicht zu 100% realistisch. Geht nicht. Bockige kleine Trotzköpfe gepaart mit Stress oder Schlafmangel…. Hui! Am Ende des Tages ist man halt auch nur ein Mensch.
Vollkommen richtig. Und bitte den Humor nicht vergessen, mit Humor kriege ich fast jede Kurve mit den Kindern (beide noch unter 10). Gelassenheit ist aber manchmal soo schwierig: Hat man’s einmal hingekriegt, klappt’s beim nächsten Mal nicht unbedingt… Eine Nacht mit wenig Schlaf reicht manchmal, dass man die Nerven nicht hat, die guten Vorsätze leben zu können.
da wir unseren Jungen zu Selbstbewusstsein erzogen haben kommt dies nun mit seinen 14 Jahren voll zum Tragen und er lässt mich sofort auflaufen wenn ichs mit dem Ton nicht hinkriege. Gutes Traninig in Gelassenheit!
Super Artikel!!! Vor allem auch, weil er selbstkritisch ist und nicht nach dem beliebten Muster funktioniert, eine Freundin hat mir erzählt oder ich habe im Supermarkt gesehen – und so mache ich es (besser). Auch inhaltlich finde ich, ist das genau das, was wir anstreben sollten. Das Verhältnis zwischen Kinder und Erwachsenen ist kein symmetrisches, da hat Muttis Liebling recht, aber es gibt mir weder das Recht, noch ist es zielführend, den Feldwebel rauszuhängen. Was den Ton und den Umgang betrifft, muss man sich auf Augenhöhe mit den Kindern begegnen. Ich kann von ihnen also wohl verlangen, dass sie ihr Zimmer aufräumen (von Freunden kann ich das nicht), das ist die Asymmetrie. Ich muss es aber so anständig machen, wie ich meine Freunde bitten würde, nicht mit dem Schuhen durch
meine Wohnung zu gehen. Was den Ton und die Würde betrifft, sind alle gleich. Ich möchte mir das immer wieder bewusst machen und ich finde es eine Herausforderung.
Oha, eine Frau wird erwachsen? Diese Fragen nerven nicht nur Teenager, sondern auch Erwachsene. Viele „Frauen“ meinen, sie müssten so mit ihrem Freund reden. Selbst wenn man in der selben Art zurück giftelt, kapieren sie es nicht. Immerhin eine.
Ach, das ist keineswegs frauenspezifisch. Nur die – zugegeben eher weibliche Spielart – von Besserwisserei, Überheblichkeitsgetue und ständigem Gockelgehabe, die manche Männer vor sich hertragen, die die Beziehung zu Frau und Familie nachhaltig vergiften kann.
Immerhin zeigt hier jemand Einsicht – das ist ein erster Schritt.
Was mich oft wundert; es gibt, leider viel zu viele, Frauen die wollen immer das letzte Wort haben, oder können stundenlang über das kleinste „Problem-“ zu diskutieren versuchen. Und wenn dann irgendwann das Echo verstummt, dann fangen sie an zu schreien.
Das hat mit Gesprächsverweigerung nichts zu tun – sondern irgendwann ist einfach mal alles gesagt!
Ich habe irgendwann gar nicht mehr genörgelt, sondern die normative Kraft des Faktischen für sich sprechen lassen: Schmutzwäsche z.B., die nur auf den schon bestehenden Haufen hinter die Kinderzimmertür gekickt wurde, habe ich schlicht dort liegen lassen und nicht mehr gewaschen. Irgendwann gab es keine Sportklamotten mehr. Das Geschrei war groß – ich musste nur mit den Schultern zucken. Das war’s!
Weigerten sich die Kids hartnäckig, mal die Spülmaschine auszuräumen oder Ähnliches zu tun, „vergaß“ ich mal wortlos die nächste Mahlzeit.
Eine Familie ist ein lebendiger Organismus, in dem alle Respekt verdient und alle ihre Rechten und Pflichten haben. Ich habe nie die Familiensklavenrolle eingenommen und ständig gemeckert, was bei allen ja eh‘ nur links rein und rechts raus läuft.
Wer gegenüber Jugendlichen und Kindern rumschreit, hat eh schon verloren. Das ist meine ganz persönliche Erfahrung. Ich versuche immer, auf Augenhöhe zu agieren. Ja, das ist mühsam, weil man stichhaltige Argumente braucht und auch mal Kompromisse eingehen muss. Aber dieses „solange Du deine Füsse unter meinen Tisch setzt“ ist so falsch wie auch nicht zielführend. Nur wenn Kinder und Jugendliche ernst genommen werden, entwickeln diese auch Verantwortungsbewusstsein und räumen ihr Zimmer auf oder helfen bei der Hausarbeit.
«Du, vergiss nicht dein Zimmer zu putzen. Bis morgen Abend hast du das erledigt, o.k.?»
Putzen und Kochen nehmen hierzulande einen kulturell einmaligen Spitzenplatz ein. Ich kann mich nicht erinnern, als Kind/ Jugendlicher jemals geputzt zu haben. Meine Kinder auch nicht. Grobes Aufräumen war das höchste und das reicht ja auch.
Zum Text: Kinder sind keine Freunde, sondern Schutzbefohlene. Das Verhältnis zu Freunden ist symmetrisch, zu Schutzbefohlenen hierarchisch. Das impliziert die gelegentliche Nutzung des Befehlstons. Das Pendant zur Mutter ist der Hauptfeldwebel bei der Armee. Da darf es auch mal laut und harsch werden.
kein Wunder nannten wir den Feldi immer die Mutter der Kompanie.
Aber der Feldi sorgt doch dafür, dass die Sackmesserklinge sauber geputzt ist und das Schweizerkreuz schön mittig auf der glattgestrichenen Decke liegt: Also doch putzen und aufräumen?
Suggestivfragen und tadelnder Ton ist bei Frauen in Beziehungen leider weitverbreitet: Gegenüber Kindern, gegenüber Ehemännern.
Schön Sabine
Musste auch schmunzeln bei der Passage, dass Sie das bei Ihrem Partner ja sicher nicht tun würde.
Erlebe das genau wie Sie.
Aber wer Recht hat , hat ja Recht, und drum wohl auch das Recht es dem Partner zu sagen, was Sache ist.
Und schon ist man statt Täter das Opfer.
Wenn Sie das Thema schon auf Lokales herunterbrechen wollen, ML, dann erklären Sie mir doch mal folgendes: warum scheinen Deutsche im Ausland nur zwei Umgangsformen mit ihren Kindern zu kennen – entweder laut und im Befehlston oder säuselnd á la: Christopher-Kevin, magst (!) Du mir mal sagen, was Du heute essen möchtest? Und auch im Land selber hat man oft das Gefühl, deutsche Eltern kennen nur zwei Aggregatszustände: feldwebelhaft oder windelweich….
Dass Sie nicht mitbekommen haben, dass Ihre Kinder zum Putzen aufgefordert wurden,, wundert mich jetzt nicht: geniale Geister belästigt man natürlich nicht mit solch banalen Dingen 🙂
Das ist das Prinzip der klemmenden Hebel. Wenn man von dem einem Extrem weg will, muss man wegen der Festgefahrenheit soviel Kraft aufwenden, dass man gleich im anderen landet. Zwischentöne gibt es nicht.
Im Wesen ist der Deutsche Untertan, Radfahrertyp, wie Tucholsky es nannte: Buckeln nach oben und Treten nach unten. Wenn der nächste Führer kommt, stehen auch die Butterweichen sofort wieder stramm.
Muttis Liebling 5. Mai 2016 um 11:23
Na, na ML, ist das nicht ein bisschen zuuu voreingenommen?
Guter Ansatz, viel Glück bei der weiteren Umsetzung! In meiner Erfahrung ist Nörgeln aber meist nicht nur ein Tonfall, den man ein- und ausschalten kann, sondern hat viel mit Gewohnheit und z.T. auch Grundhaltungen zu tun. Wer herausfindet, dass man das Gegenüber mit einem gereiztem Tonfall effizient manipulieren kann, wird versucht sein, dieses Verhalten z.B. auch gegenüber dem Partner, den Mitarbeitern, oder den Schülern (als LehrerIn) anzuwenden. Bei Freunden geht das zum Glück kaum, es widerspricht quasi der Definition von Freundschaft.
Bei Freunden geht das zum Glück kaum, es widerspricht quasi der Definition von Freundschaft – vielleicht aber auch weil sich die Freunde einfach nicht mehr melden?