So kinderfreundlich, dass es wehtut

Wohlhabende New Yorker vertrauen ihre Kinder während der Arbeitswoche gerne Nannys an. Foto: Federico Lukkini (flickr)
Wer mit Kindern reist, korrigiert seine früheren Ansprüche nach oben. Das schäbige Kämmerchen im Zentrum der Weltstadt tut es nicht mehr, es soll bitte möglich sein, dass die Erwachsenen sich eine Dosis Kultur und abenteuerliches Essen einverleiben und die Kleinen in Fussdistanz im Park ihren Spass haben können. Wer das in New York sucht, landet zum Beispiel in Park Slope, Brooklyn. Das Quartier ist schon seit Jahren die Top-Destination für professionelle Kreative mit Kindern, Spät-Hipster mit sehr fettem Portemonnaie, die mit Kind und Hund in ein altes Brownstone ziehen, statt wie die anderen in die Suburbs.
Dank Airbnb kann man sich davon auch mit dünnem Portmonnaie ein Bild machen. Wir treffen am Wochenende ein, spazieren durch die Strassen und können es kaum fassen – Kinder, so weit das Auge reicht. Wer sich nicht ein Baby umgeschnallt hat, schiebt einen Kinderwagen. In der Bar gibt es handgeschnittene belgische Fritten mit vierzehn Saucen zur Auswahl, und dazu Duplosteine, im zweistöckigen Ice Cream Parlor auf jedem Stock eine grosse Spielecke.
Am Montag beginnt die Arbeitswoche, und das ist hier auf den ersten Blick unmissverständlich erkennbar – es sind nämlich jetzt andere Personen, die die Kinderwagen schieben. Die Nannys sind da, und sie sind in der Mehrzahl! Sie sind es, die im Krabbel-Gym oder auf dem Spielplatz auftauchen. Ich spreche mit einigen von ihnen, eine hat selber sechs Kinder grossgezogen, eine andere empfiehlt mir begeistert, mit dem Bus zum Brooklyn Bridge Park zu fahren, sie verbringe dort im Sommer jeden Tag mit den Kids.

Wer es sich leisten kann, lebt in einem dieser schicken Reihenhäuser in Park Slope. Foto: Jay Lazarin (iStock)
Alle, die ich frage, sind fünf Tage die Woche von morgens bis abends bei der gleichen Familie. Ich sehe einige, die offensichtlich innige Beziehungen aufgebaut haben. Sie sind stolz, wenn den Kindern etwas gelingt, erzählen Geschichten und beglückwünschen, wenn eine Kletterpartie gelingt. Sie sind sehr streng und werden offensichtlich respektiert. Einige begnügen sich auch damit, die Kinder in die Babyschaukel zu setzen, diese in Schwung zu halten und (sehr lange) mit den Stöpseln in den Ohren zu telefonieren.
Und am Wochenende nehmen sich dann die bärtigen, tätowierten oder schick-schlanken Väter und Mütter wieder Zeit und strömen auf die Spielplätze. Oder sie gehen zum Champagner-Brunch im Club, in dem ein Liedermacher ein Kinderprogramm vorträgt.
«What kind of hell is this», höre ich jemanden, offensichtlich kinderlos, auf dem Spielplatz sagen, in einer Geräuschkulisse von Erwachsenen, die in überdrehter Begeisterung die Aktivitäten ihres Nachwuchses kommentieren. Letzteres tue ich natürlich wohl auch, nicke aber trotzdem.
Es ist so kinderfreundlich hier, dass es wehtut. Gleichzeitig vermute ich, dass man nicht zu stark an der Oberfläche kratzen darf. Ein seltsames Paradies, dessen Vorteile sich besuchsweise gut ausnutzen lassen. Und das man nachher auch gern wieder verlässt – umso besser, weil man es sich sowieso nicht leisten könnte …
17 Kommentare zu «So kinderfreundlich, dass es wehtut»
wir wohnen nun schon seit 20-jahren in Brooklyn (geborene Zuercher mit 800jaehriger familien geschichte) wahrscheinlich ist der autor oder die autorin des artikels ein totales landei und hat keine ahnung was es heisst eine familie in NYC ueber die runde zu bringen. speziell als mittelklasse und dies meistens ohne mutterschaftsurlaub. ausserdem ist das wort „hipster‘ so was von fehlplatziert, ich lache mich krumm, was fuer ein „clickbait“ ha, ha. es gibt wohl keine besseren news im august als ueber das leben anderer herzuziehen… purer wohlstand & provinz neid. oh well, typisch.
dazu, das titelbild ist von einer daycare in manhattan, an der 22th strasse, also weit weg von den slopes, das sind keine nannies, sondern ausgebildete kleinkinderzieherInnen. fact check anyone?
Lieber kinderfreundliches Ambiente überall als kinderfeindlicher Griesgram. Wir haben unsere Nanny überaus geschätzt und wir konnten uns zu 100% auf sie verlassen. Schwer zu verstehen, dass dies in der Schweiz nicht schon längst zum Alltag gehört. Überall in wohlhabenden Gesellschaften ist dies Usus und die Familien kommen gut damit klar. Die Kinder lernen automatisch täglich, sich auf Neues einzustellen und wir Eltern konnten die Kinder überall mitnehmen wie Kirchgang, Ausstellungen, Events etc. Es gibt weniger Streitigkeiten, weil ja immer noch jemand ausserhalb der Familie anwesend ist und das Ambiente ist so einfach harmonischer. Ich habe es genossen wie oben beschrieben 😀
@Widerspenstige
“ Überall in wohlhabenden Gesellschaften ist dies Usus “
aber vermutlich ist nicht überall in diesen Gesellschaften Usus diese Nannies entsprechend gerecht (existenzsichernd) zu entlöhnen- gerade USA gegenüber mit vielen Zweit/Drittjobs zur Existenzsicherung sind da Vorbehalte wohl angebracht.
Gilt auch fürs Kitapersonal in der Schweiz, respektive das dort praktizierte Praktikawesen.
Die Rolle der kindheitsbegleitenden Kinderfrau, eine Tätigkeit über einen Zeitraum von 10 und mehr Jahren, ist relativ früh entstanden. Hinweise finden sich schon im AT. Im Mittelalter war es der Standard in adligen Familien, insbesondere die Knaben wurden bewusst der Mutter entfremdet.
Die Kehrseite ist, dass es sich immer um Frauen ohne eigene Kinder handelt. Das natürliche Reservoir für die Rolle ist also relativ gering und man sollte nicht wünschen, dass es grösser wird.
Ich verstehe nicht, wieso die Autorin mit einer solchen Überzeugung behaupten kann, dass VERMUTLICH alles nur oberflächlich sei. Wenn sie es vermutet, kann sie es nicht behaupten und wenn sie es nicht weiss, finde ich es daneben, das einfach mal so anzunehmen. Entweder müsste man jetzt recherchieren oder das Vorurteil für sich behaupten. Würde man sich die Mühe machen, hinter die Fassade zu schauen, könnte dabei ja noch herauskommen, dass es wirklich einfach nur toll ist, dort zu wohnen. Das wäre dann wirklich dumm gelaufen, denn dann könnte sich die Autorin nicht mehr so (selbst-)zufrieden zurücklehnen und froh sein, das alles nicht zu haben. Aber dass mir niemand vorwirft, ich würde jetzt auch spekulieren. Das will ich nicht – den letzten Abschnitt hätte man einfach weglassen können.
Stimme ihrem Kommentar bei. Ich kenne mehrere Eltern die in Brooklyn/Park Slope wohnen, einige arbeiten teilzeit, von Oberflächlichkeit keine Spur. Hat sich da ein stereotyper Gedanke zur amerikanischen Lebensweise eingeschlichen? Bitte mit Fakten begründen.
Und was bitte ist nun kinderfreundlich? Dass man mit Geld alles kaufen kann ist hinlänglich bekannt, eine gewisse Portion Neid als monetär unterprivilegierte Person geht auch in Ordnung. Ob post-feudale Fremderziehung mit Wochenendaufenthalten bei den biologischen Eltern für die Kind/Eltern-Beziehung vorteilhaft für die Kinder ist, darf in Frage gestellt werden. Andererseits wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich diese wohlstandsverwahrlosten Kinder zumindest bei ihren Betreuungspersonen aufgehoben fühlen. Aus meiner Sicht eine kranke Welt, in der Kinder zum Zwecke der Selbstdarstellung, als Stammhalter oder durch Faulheit bei der Verhütung auf die Welt gestellt werden.
Man kann mit Geld nicht alles kaufen, sondern nur das kaufen, was auf dem Markt angeboten wird: die Dienste einer Nanny zB.
Es gibt für jede Familie bestimmt das eigene richtige und passende Verhältnis zwischen selbst- und fremd Betreuung.
Und ja, manchmal sind die Kinder bei einer guten Nanny viel besser aufgehoben, das wissen deren Eltern auch. Ich wünsche solchen Kindern sehr dass die Beziehung zu der Nanny lange dauern darf. Die Nanny kann man ja nach belieben wechseln, rein theoretisch.
Ich bin immer wieder überrascht, dass der Vorwurf, solche reichen Hipster-Eltern seien egoistisch und selbstbezogen im gleichen Satz mit der Überzeugung, die Eltern-Kind-Beziehung sei das A und O und die Eltern könnten das Kind besser grossziehen als sonst irgendjemand auf dieser Welt, einhergeht. Offenbar kann man Egoismus und Selbstbezogenheit verschieden definieren. Dass enge Beziehungen zu den Betreuungspersonen bestehen, wird bereits im Text erwähnt. Diese Nannys sind tatsächlich lange eine wichtige Bezugsperson. Im Gegensatz zu so manchen Schweizer Familien mit Aupairs, wo die Kinder jedes Jahr oder alle paar Monate ein neues vorgesetzt bekommen.
@13
Applaus.
Im 1. Teil meiner Kindheit hatte ich auch eine Nanny bzw. wir hätten 2. Das war auch der beste Teil. Meine Mutter war damals eine glückliche, entspannte, gepflegte Frau. Sie kümmerte sich liebevoll, kreativ und geduldig um uns, sobald sie zu hause war.
Dann war die Zeit als Auslandsschweizer und das schöne Leben vorbei. Meine Mutter wurde gestresst, übermüdet, dünnhäutig, pflegte sich nicht mehr so, schrie uns regelmässig an, hatte kaum noch ein soziales Leben.
Lieber eine tolle und glückliche Mutter, die weniger da ist, als umgekehrt.
Aber irgendwie typische Neidkultur.
„arm = gute, fürsorgliche Eltern, reich = schlechte, egoistische Eltern“? Wenn es so einfach wäre…
Guter Punkt. Es entbehrt wirklich nicht einer gewissen Ironie, dass diese Egoismus-Vorwürfe primär von jenen Eltern kommen, die ihr Kind für keinen Augenblick mal loslassen können und meinen, ohne ihre ständige Präsenz würde das Kind unweigerlich vor die Hunde gehen..
@ Lucrecia, besser hätten sie es nicht Beschreiben können, Danke! War bei mir ähnlich und habe daraus gelernt. Unsere Kinder gehen in die Kita und wir haben Nanny und versuchen in der CH weiterhin das schöne Auslandsschweizer Leben zu führen 🙂
Eine Nanny ist praktisch, und auch Kitas sind eine gute Sache. Doch Kinder müssen auch die „Schattenseiten“ ihrer Eltern kennen bzw. kennenlernen. Ansonsten kann man schlichtweg nicht von einer engen Beziehung sprechen. Schönwettereltern machen ihrem Nachwuchs etwas vor, lügen diesen geradezu an. Kinder dürfen und müssen erleben, dass ihre Eltern auch nur Menschen – und keine stets glücklichen, fröhlichen und gut aussehenden Halbgötter – sind.
@ reto, Kitas aber vor allem Nannies machen uns (Eltern und Kindern) das Leben einfacher/schöner, man kann trotz Kleinkinder mal ausschlafen, länger auf dem Spielplatz bleiben, oder mit dem Kleinkind am Strand spielen und das Baby wird von der Nanny betreut, spontan an ein Konzert gehen oder die ganze Familie kann ein Fest geniessen usw. Schönwettereltern sind wir aber deshalb nicht, schon nur das Sie diesen Begriff aufbringen bestätigt wieder die Neidkultur „arm=gute, echte Eltern, reich = schlechte, unechte Eltern“.
Eltern sollen sich gut fühlen und ein reines Gewissen den Kindern gegenüber haben, ob mit oder ohne Nanny oder Kita! Die wichtigste Nahrung ist sowieso die Liebe, wenn die Kinder die Liebe spüren, dann ist alles im Grünen.
Ui, irgendwie tönt das verdächtigt nach einem Familienhotel in Grossformat. Absolut nicht mein Fall, nicht einmal ferienhalber. Da ginge es mir wohl ähnlich wie der Autorin. Spannend mal davon zu hören ist es aber durchaus.
Sicher interessant, mal in diese Szene einzutauchen. But it’s not my world…