Kinder sind die ehrlichsten Kritiker
Ein Gastbeitrag von Marius Tschirky*
Ich spiele zusammen mit meiner Kinderband Marius & die Jagdkapelle Musik für Kinder. Fast jedes Wochenende stehe ich also auf Bühnen als Kinderlieder singender Jäger. Jagdkapellen-Konzerte sind inszenierte Konzerte, wir behaupten, wir seien Jäger, die nicht jagen wollen und darum Musik machen. Also sehen wir aus wie Jäger, einzig unser Pianist Tombär hat sich damals entschieden, ein Ganzkörper-Pandakostüm zu tragen. Es ginge zu lange, hier zu erklären, warum.
Nach dem Konzert schreiben wir jeweils am CD-Verkaufstisch Autogramme für Kinder. Da stehen dann alle an, weil da noch andere Kinder anstehen, denn Kinder wissen: Wo Kinder anstehen, da gibts was. Mit ein wenig Glück sogar gratis. Oder anders gesagt: Auch wenn ich als neuer Curling-Weltmeister Autogramme mit einem Chläber dazu verteilen würde, stünden sie an.
So sieht es aus, wenn die Jagdkappe aufspielt: Konzertausschnitt aus dem Palace in St. Gallen. Video: www.jagdkapelle.ch (Youtube)
Kinder wissen nicht recht, wozu das gut sein soll, dass ich meinen Namen auf eine Postkarte mit einem Bild der Jagdkapelle draufschreibe. Darum gibt es von mir meist ein glattes Sprüchlein auf die Karte, welches sich wenn möglich auf den Namen des Kindes reimt: «Für d Alva, wo alles cha» oder «Waidmanns olé – das isch für de Roger» zum Beispiel.
Ich frage dann meist noch, wie es gehe, warum das Kind eine Beule am Kopf habe und ob die Kindergärtnerin oder der Lehrer auch brav sei und recht tue. Dann macht das Ganze für mich und für die Kinder irgendwie auch Sinn. Wenn ich Glück habe, erzählen mir die kurzen Freunde von sich aus etwas. Oder sie haben eine Frage, schenken mir eine Zeichnung, einen Brief – ich habe auch schon Nuggis bekommen –, spätestens dann komme ich mir jeweils vor wie der Samichlaus.
Samichlausmässig ist die Situation auch immer dann, wenn das Kind nichts sagen will und scheu ist, wenn ich nach dem Namen frage. «Also, komm – wie heisst du?!», sagt dann meist die Mutter, das Kind von hinten an den Schultern haltend, und dann noch: «Gell, dir hats gefallen?!» Und: «Was hast du ihm noch sagen wollen? Hm? Du hast ihm doch noch sagen wollen, dass wir alle CDs daheim haben und uu Fan sind!» Die Kinder nicken dann meist ein wenig irritiert, und ich merke, dass es vor allem der Mutter wichtig ist, mir solch Schmeichelhaftes zu sagen, und dass ihr das Konzert gefallen hat, was auch schön ist, denn als Künstler lebe ich von solchen Komplimenten irgendwie. Für die meisten Kinder aber würde es durchaus absolut reichen, unsere CDs zu hören oder das Konzert zu sehen. Und dann einfach wieder nach Hause zu gehen.
Oder auch auf der Strasse. Der Vater: «Guck, das ist Marius!» Kind: «Hmhm…» Vater: «Weisst, der von der Jagdkapelle, willst ihm nicht Hallo sagen?!» (Vater und Mutter winken mir fest zu.) Kind: «Hmhm…» im Sinne von «Können wir jetzt bitte einfach weitergehen?». Und dann: «Willst du ein Foto mit ihm machen?!» Kind: Schaut den Vater fragend an. Dann schiebt die Mutter das Kind neben mich. «Komm, wir machen ein Foto, hä?!» Das Kind und ich schauen uns an und denken: «Lass es uns durchziehen, dann haben wir es hinter uns.» Wir machen dann mit und bemühen uns, lustige Grimassen zu machen. Dann haben das Mami und der Papi Freude, und dann ist auch mal gut.
Ich fühle mich danach die nächsten 10 Meter geschmeichelt und bin etwas stolz, und das Kind hat bestenfalls dann daheim doch noch Freude an dem Foto auf Papas Gerät.
Es gibt keine besseren Fans als Kinder! Weil Kinder als Fans immer extrem entspannt sind. Und bedingungslos ehrlich.
38 Kommentare zu «Kinder sind die ehrlichsten Kritiker»
Die Kinder sind mittlerweile pubertär, und finden Deine Musik heute eher peinlich, ( wie viele andere Sachen auch ).
Aber In 20 Jahren werden Sie dann mit Ihren Kindern an Deine Konzerte gehen und sich freuen, und die Mundwinkel zwei stundenlang ganz oben haben.
Macht Ihr wirklich super !!!!!!!!
Vielen Dank
Enrico
@alam Natürlich! Mach ich ständig! Li-Li-Li-Li-Li-Li-Li-Li-See! Oder den Backstage-Specht auf Youtube! So laut wie’s geht, ob mit oder ohne Tochter! Danke, Marius, für die gute Laune die Du auch bei Erwachsenen – zumindest bei mir – auslöst! ‚Never the nose full‘ von der Jagdkapelle…
Bei uns waren es damals die Stärneföifi. Und ich bekenne: ja ich war (bin) auch so ein peinliches Mami. Ich hatte ein Déjà-vue nach dem anderen beim Lesen der Zeilen.
Kind ist mittlerweile bald 23 Jahre alt. Aber am Konzert von den Span war ich ähnlich peinlich vorletztes Jahr. Nur Föteli habe ich nie gemacht (finde selbst ich peinlich).
Und: ich gelobe Besserung (soweit möglich) und hoffe, dass ich es mit den Enkel besser hin bekomme.
Schade, wenn die Kinder langsam aus dem Alter raus sind. Ich habe die Jagdkapelle auch immer gerne mitgehört. Darf man eigentlich auch ohne Kinder ganz laut Jagdkapelle hören und mitsingen?
Marius, Marius
vom mir kriegst du einen dicken Kuss!
Seichhörnli olé!
Geradezu HEILsam , denn Kinder ist`s egal ob olé oder heil,
wir finden dich geil.
Vater 50, Tochter 5, wir haben einen Höllenspass an deinem Konzert
Mit feiner Klinge führst du das subversive Schwert
Text und Sound sind ehrlich, schön, frech und heiter
Mach weiter!
Beste Grüsse
foll vett!
Wenn du wissen willst, was die Verwandten von dir halten, sprich mit deren Kindern. Es gibt nichts ehrlicheres.
Jemand muss ja der komische Onkel in der Familie sein 😉
Marius bringt auch mich etwas in Verlegenheit und ich fühle mich ein bitzeli ertappt. Aber als Papi weisst Du bestimmt auch, dass Kinder manchmal etwas möchten, aber sich eigentlich nicht trauen. Vielleicht sollte man sie auch einfach nicht trauen lassen. Ist ja eigentlich nichts Schlimmes. Aber wenn sie etwas erhalten müssen sie Merci sagen – da bin ich ganz alte Schule (wie der Oberjägermeister Brünzli).
Ich erinnere mich an einen Zirkusbesuch an meinem Geburtstag, wo alle Geburtstagskinder von einem Delphin durch den Pool gezogen wurden. Alle bis auf mich, denn ich war zu schüchtern und hätte vieles darum gegeben, mein Vater hätte mich „zu meinem Glück gezwungen“.
Haha – und mein Vater animierte mich dazu, zu flunkern und vorzutreten, obwohl ich gar nicht Geburtstag hatte 😉 So sind sie verschieden…
@Jasi: Und heute würden Sie dann immer noch hier stehen und nichts sagen, bis Ihr Vater kommt und Ihnen aus der Kommuniktionspatsche hilft? 🙂
Das ist wie in der Politik und immer mehr auch in der Presse. Erst der Zielgruppe (Kinder, Wähler, Leser) gewünschte Bedürfnisse einreden und sich dann genau auf die zu beziehen, in der Art, das Volk, das Kind wünscht sich dies (was ich erfolgreich implementiert habe) …
Da fragt man sich, wie lange ist ein Kind noch Kind und ab wann nur noch gezielte Projektion der Eltern? Ich schätze mal, das Kindsein immer kürzer wird und heutzutage spätestens mit der 1. Klasse beendet ist. Schade.
Analog natürlich auch politisch eigenständige Erwachsene, dürften auch eine aussterbende Fraktion sein mit europaweit noch ein paar Handvoll Exemplaren.
Auf unserer Autogrammkarte steht „Für dä krass Nicolas“ und er findet den Spruch suuuuuper. Macht weiter so, wir freuen uns auf die nächste Openair Saison mit dir und deiner Jagdkapelle!
Ich vergesse nie den Moment als das Mami von meinem Gottimeitli beim Autogrammtisch zu ebendiesem Meitli sagte: „und – was seisch no?“ und Marius dann mit total zerknirschter Miene antwortete: „au ja – sorry – fascht vergässe – DANKE!!“. Ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich daran zurückdenke.
hahahaha made my day!
tolle einstellung! ja wir hatten auch zwei cd’s von ihnen und die kinder fandens toll (nur damit sie etwas geschmeichelt sind 🙂
Lieber Marius, wir haben waren im Sommer am Konzert auf dem Pfannenstiel und nun kann ich endlich die Frage stellen, die mir seither auf der Zunge brennt: Haben Sie keine seltsamen Assoziationen, wenn Sie auf der Bühne „Waidmanns!“ rufen und die paar Hundert Kinder im Saal dazu animieren, Ihnen im Chor mit „Heil!!!“ zu antworten? Ich war ein ganz kleines Bisschen befremdet…
Ansonsten hat mir der Anlass gut gefallen, insbesondere die Nummer mit dem Zauberstab, mit dem ein Kind auf der Bühne die Musiker ein- und ausschalten durfte!
Wo genau ist das Problem?
„Wo genau ist das Problem?“
Vermutlich, dass eine Mehrzweckhalle oder ein Sportpalast voller „Heil!“ brüllender Kinder für empfindsamere Gemüter – solche, die nicht zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl sind – etwas unheimlich wirken könnten.
Aber wenn man das totale Konzert will, so ist das halt so…
@Franz:
*slow clap* Das war wunderschön.
Mit einem Saal voller Kinder, die lauthals und begeistert Waidmanns Heil rufen (oder olé), habe ich null Problem. Das Problem entsteht erst mit Menschen, die selbst nicht richtig zuhören und dann meinen, sie hörten Heil Hitler oder sonst wie etwas hinein assoziieren. Und dann obendrein das Gefühl haben, sie müssten andere davor schützen, etwas nicht hören zu müssen, was nur in ihrem eigenen Kopf stattfand, aber nie wirklich geschah. Irr, nicht? Oder kurz: Oft gibt es gar kein Problem, sondern man macht ein Problem, indem man vorauseilend political correct sein will.
Susi. Da hast Du nicht richtig hingehört. Sie rufen nicht „Heil“, sie rufen „olé“. Komm doch wieder einmal ein Konzert – und hör genau hin, „Waidmann’s olé“, liebe Susi.
Und selbst wenn – gerade darauf wollte Marius in seinem Blog ja hinweisen: Es sind die Eltern, die da dauernd etwas hineininterpretieren müssen und möchten, dass die Kinderli das sagen, was Mami und Papi gerne hören.
Marius: 2013 war das; dann auch schon „olé“? Nun, da „olé“ und „heil“ ja praktisch gleich tönen, habe ich mich wohl verhört. Mein Gehör nahm in meiner Teenie-Zeit etwas Schaden.
@Stefan: „und selbst wenn“. Nun, ich hatte den Kindern gegenüber auch keine Bedenken. Aber wissen Sie, ich bin auch ein eigenständiges Individuum, als welches ich dann an solchen Anlässen bin. Losgelöst von den Kindern. Und mache mir Gedanken, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Kindern stehen müssen. Liegt wohl daran, dass ich eine eher „alte“ Mutter bin, deren Identität wahrscheinlich mehr von anderen Dingen als von Muttersein geprägt ist.
@marius: „Sie rufen nicht „Heil“, sie rufen „olé“. “
2013, an der beef.ch: natürlich war das „heil“. ich fand es auch schräg.
@moser: „Es sind die Eltern, die da dauernd etwas hineininterpretieren müssen.“
in „heil!“-rufe etwas hineininterpretieren? lässt nicht so viel interpretationsspielraum, eigentlich…
das war schon 2008, susi:
Marius und die Jagdkapelle :: Stall 6, 21.12.2008 – usgang.ch
zuerich.usgang.ch/eventdetail.php?eventid=289660
21.12.2008 – Waidmanns Olé! Marius & die Jagdkapelle entdeckten den Rehbockrock!
jules: sie riefen eben nicht heil. jedenfalls geht der text vom lied nicht so. den reflex, „waidmanns….“ mit „heil“ zu beenden, haben jedenfalls kindergartenkinder kaum schon eingebaut.
@tina: „den reflex, „waidmanns….“ mit „heil“ zu beenden, haben jedenfalls kindergartenkinder kaum schon eingebaut.“
Nein, aber sie haben auch nicht den olé-Reflex. Das war ein von der Bühne her initiierter Chorus, die Kinder machten da einfach mit.
Ich habe vorher noch meinen Mann gefragt: „Du, was haben die Kinder damals an jenem Konzert auf ‚Waidmanns…‘ geantwortet?“ Er hat auch „Heil“ in Erinnerung. Seltsam, dass man „olé“ als „heil“ verstehen kann.
Offenbar Schüblig in den Ohren, alle. Whatever.
Pff.
natürlich haben sie nicht den olé-reflex sondern werden animiert :). für kinder völlig harmlos, und dass erwachsene sich den einen oder anderen gedanken machen finde ich nicht auch nicht schädlich. im gegenteil, das ist ja richtig tiefschürfend
„Whatever.
Pff.“
Haha, Susi, ich sehe sie gerade als angenervt die Augen verdrehenden, Kaugummi kauenden Ami-Teenie vor mir…
https://www.youtube.com/watch?v=MGXSPf9b-xI
Jules, Du müsstest sofort zum Blick gehen und die Story schreiben: „HEIL-Rufe an Kinderkonzert“. Es heisst nun mal Waidmanns Heil – ohne Hintergedanken.
FRANZ!!! Sind Sie etwa auch für Euthanasie in einem solchen Fall?!? But trying on clothes is proof of life!!!
Uahaha, hab mich grad sowas von weggeschmissen…
P.S. Ich habe auch eine corallfarbene Handyhülle, wie Caitlin!
Sowas nennt sich „Social Justice Warriors“ wie hier auf einer Bagatelle herumgehackt wird. Dr. Phillip Tingler ist auch krank in diesem Spital…
Susi, „coral“? – So, wie Apples pinkes iPhone „rose gold“ ist?
(Apple: „The iPhone 6 comes in a new color! It’s rose gold, it’s awesome!“ – John Oliver: „No. It’s not.“)
@Franz: Genau!!!
Ich so im Apple-Tempel zum Verkäufer: „Also, eigentlich gefällt mir keine dieser Hüllen, das sind alles total hässliche Farben. Am wenigsten grusig ist diese hier, aber ich hätte gerne eine pinkigere. Haben Sie das denn nicht?“
Und der (natürlich charmante, junge, trendige) Apple-Verkäufer so: „Die ist doch überhaupt nicht grusig! Die Farbe nennt sich Coral, es ist eine Mischung aus Pink und Orange! Ich finde die wahnsinnig schön!“
Susi: „Stimmt eigentlich, wenn man es so anschaut!! Wo kann ich bezahlen?“
@Rüdiger: Dafür sieht Tingler gut aus, das ist auch was.