Die Kunst, Glück zu erkennen
Ein Gastbeitrag von Ingrid Eva Liedtke*
Kann ich meinem Kind erklären, was Glück ist? Gibt es Bedingungen zum Glücklichsein? Eine Gebrauchsanweisung? Was uns im Volksmund sicher scheint: Das ist ein Glückspilz und ein anderer ein Pechvogel. Wird das der Sache gerecht? Dem schnellen Urteilen kommt es allemal entgegen. Es gibt glückliche Menschen und zutiefst unglückliche – das ist klar.
Es bleibt die Frage: Wie gross ist unser Einfluss als Eltern? Man sagt auch: Jeder ist seines Glückes Schmied. Das hat schon etwas und wäre wohl ein guter Ansatz, meinem Kind zu erklären, woher das Glück kommt. Es wird einem auf jeden Fall nicht einfach zugeteilt, obschon man in eher glückliche Umstände geboren werden kann, wo es dann leichter fällt, das eigene Glück zu schmieden und zu entfalten.
Ein grosses Thema. Oft begegnet mir der Einwand, dass Glück eher etwas für einzelne Momente sei, kein Dauerzustand, auf den man sicher zählen könne. Etwas in mir rebelliert dann immer, will das so nicht wahrhaben. Schliesslich träumen wir ja immer vom grossen Glück und von Prinzen und Prinzessinnen, die es verwalten. Alles ein Märchen?
Ich auf jeden Fall schwebe nicht immer auf Wolke sieben, und so einiges in meinem Leben ist manchmal ziemlich schwer zu bewältigen. Und doch: Ich kenne viele Momente, die ich als sehr glücklich empfinde und die mich auch über Schweres hinwegtragen und -trösten können. Zum Beispiel dieser allmorgendliche Moment, wenn ich aus meinem Schlafzimmerfenster über die wunderschöne Landschaft bis zum See hinunterblicke. Sie zeigt mir täglich ein neues Kleid, und dann freue ich mich auf den Spaziergang mit meinem treu ergebenen Hund. Wir streifen durch den nahen Wald, scheuchen ein paar Rehe auf, hören den Specht und sonst nur Stille – und ich atme Natur ein, Glück pur.
Ich platze vor Glück und Liebe, wenn ich meinen Mann lachen sehe und sich um seine Augen ein Kranz kleiner Fältchen bildet oder wenn mich eines meiner Kinder anruft und mir sagt: «Hab dich lieb, Mami.» Meine Tochter mit Downsyndrom fügt dann noch hinzu: «Du bist so hübsch.» Braucht man mehr zum Glücklichsein?
Da gibt es auch Dinge, die mich glücklich machen, die nur mit mir zu tun haben und nicht von anderen Menschen abhängen, zum Beispiel wenn ich einen Text geschrieben habe, der mir gefällt, der so schön aus mir herausfloss. Dann bin ich zufrieden mit mir und meistens auch mit der Welt und eben – glücklich!
Es gibt vieles, das ich aufzählen könnte. Welch ein Glück! Und ja, wirklich, es stimmt, das sind alles Momente! Dazwischen findet auch Leben statt, das wehtut und traurig macht, das mühsam ist und aufreibt. Grosse Gefühle schlagen auf beide Seiten aus. Doch ich möchte sie nicht missen. Sie bereichern unser Leben, und sie helfen uns, daraus zu lernen und daran zu wachsen.
Trotzdem wünsche ich meinen Kindern, dass sie immer glücklich sind! Und wenn es nicht so ist, verfalle ich schnell in diesen mütterlichen Aktionismus, um zu helfen und möglichst schnell alles Böse abzuwenden.
Wenn sie klein sind, ist die Welt schnell in Ordnung und das Glück leicht gemacht. Ich erinnere mich: Lange wach bleiben dürfen war toll. Vor dem Fernseher Znacht essen oder mit dem Besuch «apérölen» war cool, mit mir zusammen baden oder in meinem Bett schlafen, Skiferien in den Bergen, laut Bardill-Lieder im Auto singen und bei den Grosseltern im Pool baden, picknicken und Feuer machen, klettern, herumtoben, Hütten bauen und fischen.
Dann gehen sie in die Welt hinaus, finden Freunde, andere Menschen und Erlebnisse, unabhängig von uns, die sie glücklich machen und manchmal auch unglücklich. Sie hängen mit Kollegen ab und hören Hip-Hop, finden zusammen alle Eltern doof und klönen über die Lehrer. Sie freuen sich über die bestandene Prüfung oder über die gefundene Lehrstelle, über einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss und sportliche Erfolge. Und dann verlieben sie sich das erste Mal und sind wahnsinnig glücklich mit jemand anderem. Dazwischen gibts Misserfolge, Enttäuschungen, Abschiede, Krisen und Liebeskummer. Das Leben hält so einiges bereit, wovor wir sie nicht beschützen können.
Was uns bleibt, ist, sie vorzubereiten. Auf das Unglück? Nicht unbedingt. Auf das Glück! Es liegt überall, in all diesen kleinen Momenten, die wir täglich durchleben. Wir können unseren Kindern helfen, ihren Blick dafür zu schärfen, und ihnen das Sammeln ebendieser Glücksmomente vorleben. Gleichzeitig können wir ihnen die Entscheidung überlassen, was sie glücklich macht und wie sie sich solches beschaffen. Damit stärken wir ihre Kraft und Selbstwirksamkeit und lassen den Raum weit offen, damit sie sich darin ihr Leben und ihr Glück ausbreiten können. Das Vertrauen, das daraus entsteht, stärkt auch für die härteren Zeiten.
Und während wir unseren Liebsten zuschauen, wie sie sich zur Blüte bringen, erinnern wir uns daran, dass Glück hier ist und überall, wo wir es sehen wollen, meist ganz nah.
*Ingrid Eva Liedtke ist Autorin, psychologische Beraterin und Coach. Sie schreibt den Blog Herzenblühen.
21 Kommentare zu «Die Kunst, Glück zu erkennen»
Wie groß ist unser Einfluss als Eltern auf das Glück ?
Diese Frage kann ich als Paartherapeutin, zumindest im Hinblick auf das Thema Liebesbeziehung, wie folgt beantworten:
Als Eltern haben wir unter anderem großen Einfluss auf das Glück unserer Kinder, wenn sie durch uns die Erfahrung einer sicheren Bindung
machen, indem wir zuverlässig und einfühlsam sind. Nicht nur, weil wir Ihnen damit ein Grundbedürfnis erfüllen, sondern auch, weil diese
sichere Bindungserfahrung eine wichtige Voraussetzung ist, um eine gute und vertrauensvolle Liebesbeziehung zu führen. Darüber hinaus sollten wir Ihnen natürlich auch eine gute Liebesbeziehung bzw. Partnerschaft vorleben, damit dem Liebesglück unserer Kinder nichts im Wege steht. Danke dafür an Natali (http://www.natali-huntenburg.de)
Ein treu ergebener Hund? – armes Tier!!!
Hier in Misr (= richtiger Name des wunderschönen Landes, das fälschlicherweise Agypten genannt wird) laufen Hunde in kleinen und grossen Gruppen völlig frei herum, ohne sogenannten Besitzer, ohne Leine und ähnliche Freiheitsrauber. Diese freien Hunde fühlen sich bestimmt auch glücklich.
Glück hängt vor allem vom eigenen Glück ab. Alles andere ist die Illusion, ein Recht auf Glücklich-sein zu haben.
Simon, 6 Jahre, sagte letzthin: „Wir haben einfach ein sooo tolles Zuhause, es ist warm und regnet nicht rein, er fände das sooo schön.“
Grund: wir waren im Herbst zelten und es war kalt und regnete rein….
Auch Alltag kann Glück bedeuten.
das zeigt genau, was ich vorhin ungefähr schreiben wollte:
wir haben so grosses glück, dass wir in sicherheit und wohlstand leben hier. aber weil das ständig da ist, nimmt man es nicht als glück wahr. es ist neutral. das zeigt, dass glück kein dauerzustand sein kann, sondern glück sind momente.
wenn man sich aber gerade auf einem tiefen level befindet, dann kann man sich trotzdem über kleine sachen freuen.
in strengen und unschönen zeiten kann man nach diesen kleinen dingen ausschau halten und sich darauf freuen. das hilft einem enorm. das ist es, was ich noch wichtig finde, den kindern auzuzeigen.
Man kann nicht immer glücklich sein, denn dann wäre man nicht mehr glücklich. Ausserdem würde man sich wie in einem nimmer endenden Rauschzustand befinden, was auf die Dauer nicht gesund ist für den Menschen. Ja, jeder will glücklich sein, aber Glück ist ein Windhauch, welcher sehr rasch davon zieht. Entweder spürt man ihn oder man spürt ihn nicht, weil man so extrem auf das grosse, ewige Glück fixiert ist, dass man das Glück vor seiner Nase nicht sehen kann. Irgendwann ist man frustriert, depressiv und total unglücklich…Glück hält nun mal nicht ewig.
Glueck halt nun mal nicht ewig…. kommt aber immer wieder 🙂
Danke für diesen schönen Artikel, habe ich sehr gerne gelesen und wenn Sie mögen, schauen Sie auch einmal bei einer Bekannten rein…ein toller Artikel zum Thema Valentin….
http://lieblingichbloggejetzt.com/das-fest-der-liebe-happy-valentines-day/
@Meike
ich kann ja verstehen dass man als Bl0ggende jede Möglichkeit zum bekannter-werden nutzt, aber die Werbung kennen wir nun allmählich, schön wär, wenn Sie sich neben der Werbeplatzierung auch ein bisschen einlassen würden…
Glück und Glücklichsein sind für mich nicht dasselbe. Ein Glückspilz kann todunglücklich sein und ein Pechvogel mehr als glücklich. Das Englische ist hier präziser und unterscheidet zwischen „luck“ und „happiness“ bzw. „lucky“ und „happy“. Glück/luck (oder Pech) ist etwas, das einem widerfährt. Glücklichsein/happiness ist ein Seinszustand und hat meines Erachtens viel damit zu tun, wie man mit dem, was einem widerfährt, umgeht. Anders gesagt: ob ich im Lotto gewinne oder nicht, hat mit Glück zu tun. Wenn ich mit meinen Liebsten lachen, den Sonnenaufgang oder die Schneeflocken geniessen kann, unabhängig davon, ob ich gewinne oder verliere, dann bin ich ein glücklicher Mensch.
@Nadja Rashad
gehe ziemlich einig, letztendes versteht wohl auch jeder unter „Glück“ und was es dazu unbedingt braucht, verschiedenes.
Allerdings, auch die deutsche Sprache kennt dafür mehrere Begriffe! Siehe Duden Sinn-und sachverwandte Wörter, so armselig dran sind wir nun auch wieder nicht… 🙂
Danke Frau Liedtke für diese Gedanken, ein sehr schön geschriebener Text.
wunderbarer artikel… herzlichen dank!
kleine anmerkung zu ihrer passage: ….“Oft begegnet mir der Einwand, dass Glück eher etwas für einzelne Momente sei, kein Dauerzustand, auf den man sicher zählen könne…“
man kann nur wissen was gluecklichsein heisst, wenn man auch mal ungluecklich ist. es braucht den regen wie die sonne und so hoch der berg, so tief das tal.
wuerde man das unglueck meiden, wuerde man auch das pure glueck verpassen!
Mhhh… mit dem Hund zusammen im Wald Rehe aufscheuchen … genau aus diesem Grund lehne ich das blöde „Natur geniessen“ ab; für die Rehe war wohl der „treu ergebene Hund“ (auch so was Natürliches) kein besonderer Glücksmoment.
Sie haben vorweggenommen was ich auch schreiben wollte. Immer diese angebliche Tierliebe, die sich jedoch nur auf den eigenen Hund bezieht, der (unerzogen) tun und lassen darf, was ihm gefällt. Z.B. angebunden vor einem Geschäft die ganze Nachbarschaft einbellen, im Restaurant auf Stühle sitzen oder eben im Wald Rehe jagen … Gedankenlos ist das Glück wohl am grössten. Wie schon Gottfried Benn bemerkte: «Dumm sein und Arbeit haben, das ist das grösste Glück.»
Sehe ich auch so. Wie kann man nur Glück und Ruhe empfinden, wenn man dafür verantwortlich ist, dass andere Lebewesen in ihrer Ruhe gestört werden?! Muss man ganz schön Egoist sein dafür. Macht Egoismus am Ende gar glücklich? Wahrscheinlich ja.
Darum lasst euch nicht stören, ab und zu unglücklich zu sein, wenn dieses Unglück von der gefühlten Einengung abhängt, die im sozialen Zusammenleben entsteht. Eure Mitmenschen und Mittiere sind euch dankbar.
Ach! Ein, Zwei Rehe wurden aufgeschreckt!
Eine Katastrofe!
Macht mal halblang, die werden das überlebt haben.
Das werden nicht die letzten sein.
Sind halt schreckhafte Tiere.
Das nennt man Überlebensinstinkt.
Und deshalb darf sich niemand mehr erlauben am
Morgen in der Früh mit seinem Hund zu laufen.
@Thomas F
nicht richtig, es sind zwar schreckhafte Tiere- aber ihre natürliches Erschrecken plus folgendem Energiebedarf durchs wegrennen-müssen- nicht inbegriffen für Hunde uä Wald-Fremdkörpermässiges (Wildjogger/biker etc). Für unsere immer mehr durcherschlossenen Waldgebiete ist das tatsächlich ein Problem.
Und nicht für Rehe übrigens, boden/bodennahe brütende Vögel finden das auch nicht so der ultimative Kick…
… nicht NUR für Rehe übrigens, sollte das heissen.
„Das Glück Deines Lebens hängt von der Beschaffenheit Deiner Gedanken ab.“
-Marc Aurel-.
Dieser wichtige Gedanke wird zurzeit in der modernen Psychologie in der Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Theorie) von Julius Kuhl wieder aufgegriffen. Man kann nicht immer glücklich sein, man kann jedoch Ressourcen entwickeln, um besser mit negativen Gefühlszuständen umgehen zu können (bei Depressionen, die eine physiologische Grundlage/Neurotransmitter haben, genügt dies evtl. jedoch nicht).
@HH: Sie kennen sich in der PSI-Theorie aus? Haben Sie die Kurse besucht?