Zwischenbilanz in Sachen Kinderzucht

Ein Papablog von Markus Tschannen*

Father with baby boy

Kein Wunder fühlt man sich nach monatelangem Duplo-Spiel als Vater nicht sonderlich erwachsen. Foto: Susan Chiang, iStock

Liebe Leserinnen und Leser, heute wird mein Baby ein Jahr alt. Wie feiert man so was? Dem Trend folgend müsste ich das Kind mit seinen Freunden auf den Indoorspielplatz schicken. Aber mit eins können die Biester kaum laufen. Sie würden da nur rumbrüllen und ihre Getränke verschütten. Das sähe aus wie ein Polterabend in Kleidergrösse 74.

Alles nicht schlimm. Das Baby hat sich bisher noch nicht mit dem Konzept Geburtstag befasst und nutzt den Tag vermutlich, um tief liegende Küchenschränke auszuräumen und die dabei erbeutete Tupperware einzuspeicheln. Die Erwachsenen laben sich derweil an saisonalem Gebäck und singen ab und zu ein Lied auf den wohlgediehenen Nachwuchs.

Welch ein glorioser Zeitpunkt für eine erste Zwischenbilanz in Sachen Kinderzucht.

Der Rückblick
Ich habe also vor bereits längerer Zeit ein Kind gezeugt. Am 1. August 2013, wie ein Patriot. Zum Glück ist das Kind zum Ausgleich auch EU-Bürger. Jaja, die Zeugung war wohldurchdacht. Während der darauffolgenden neun Monate dominierte dann eine einzige Frage: «Wie wird das Leben mit Kind?»

girlfriend_kmc

Konzept Geburtstagskuchen verstanden. Foto: girlfriend_kmc, Flickr

Antwort: Es ist überraschend unspektakulär. Ich dachte, es fühle sich anders an, Vater zu sein. Erwachsen zum Beispiel. Doch ich fühle wenig. Die oft gepriesene Verantwortung ist keine Last, und wollte ich ein seriöses Verhalten an den Tag legen, das Baby würde es mir übel nehmen. So führt die Vaterschaft nicht zu einem sonderlich erwachsenen Verhalten. Ich spiele jetzt gar wieder täglich mit Duplo.

«Aber der Auuuufwand, was ist mit dem Auuuufwand?» Ja, so ein Baby will umsorgt sein. In der Seniorenresidenz Röslimatte würden sie für diese Pflegestufe im Monat 10’000 Fräichli nehmen, mindestens. Aber das mit dem Aufwand sagen einem vor der Geburt ja rund 50 Freunde, 12 Ratgeber, die eigenen Eltern und der Drogistenstern. Die Überraschung hält sich entsprechend in Grenzen, wenn das Baby nach der Geburt nicht selber in die Windel schlüpft.

Das vergangene erste Babyjahr verging gefühlt schnell, aber welcher Zeitabschnitt tat das rückblickend nicht? (Abgesehen von der RS, versteht sich.) Trotzdem habe ich den Eindruck, das Baby sei schon ewig da. Schnell ist eine neue Normalität eingekehrt, und ich kann mich kaum noch zurückerinnern, wie mein Leben vor zwei Jahren aussah.

Bis jetzt verlief diese Vaterschaft also im güldenen Rahmen des Erwarteten. Doch was bringt die Zukunft?

Der Ausblick
So selbstverständlich wie die Vergangenheit, so unsicher ist die Zukunft – sogar in kleinen Fragen: Wann beginnt das schwere Baby endlich zu laufen? Kriegt es meine angenehm bescheidene Persönlichkeit? Schaffen wir es diesen Sommer endlich, ihm die Fussnägel zu schneiden?

Wir nehmen es, wie es kommt. Das klingt abgedroschen, und etwas Selbsttäuschung schwingt bei diesem Satz ja immer mit: Natürlich machen wir uns dann doch ein paar Gedanken. Die Fragen drehen sich plötzlich nicht mehr um den nächsten Urlaub, sondern um die grossen Leitplanken der Lebensgestaltung: Wo werden wir die nächsten Jahre leben? Wer wird wie viel arbeiten und in welchem Job überhaupt?

Als ich noch kein Vater mit Brei am T-Shirt, sondern ein schneidiger Jungmanager mit Personalverantwortung war, habe ich nie restlos begriffen, weshalb gewordene Mütter und Väter plötzlich so hart um ihr Gehalt verhandeln. Heute verstehe ich: Es geht nicht um Geld, sondern um Zeit. Je besser das Gehalt, desto mehr Zeit mit meinem Kind kann ich mir leisten.

Das ist denn auch mein Wunsch für die Zukunft: Unanständig viel verd… ich meine viel Zeit mit meinem Kind verbringen. Sein erster Satz soll sein: «Ey Papa, lass mich doch EINMAL in Ruhe spielen.»

Als Zweites wünsche ich mir noch mehr Gelassenheit. Das ist meine Haupterkenntnis des vergangenen Jahres: Gelassenheit kann man als Eltern nie genug haben. Das Kind weint nachts und will nicht mehr schlafen. Beim Rumtragen schlägt plötzlich die Windel leck, und zwei Meter vor dem Wickeltisch – wenn man gerade sieht, dass keine frischen Windeln mehr da sind – tritt man auf einen Legostein. Da hilft nur noch Gelassenheit™.

Neues Babyjahr, neue Papablogs
Mit dem Baby kam auch meine neue Rolle als Papablogger. Sie befinden sich gerade in meinem vierten Beitrag und … Was? … Meine Redezeit ist um? … Aber … nur ganz kurz … Liebe Leserinnen und Leser, herzlichen Dank für all die Kommentare und Ihr Herzblut in den darin entstehenden Diskussionen. *Musik setzt ein* Es bereitet mir viel Vergnügen, mit Ihnen zu diskutieren *Mikrofon wird leiser* und ich hoffe *brüllt* DASS SIE AUCH WEITERHIN … Themen … gerne … chrrz%&£%$;


Lucy zeigt die einzig richtige Art, eine Torte zu essen. Video: Youtube.

tschannen*Markus Tschannen lebt mit Frau und Baby wochenweise in Bern und Bochum. Unter dem Pseudonym @souslik nötigt er auf Twitter rund 8000 Follower, an seinem Leben teilzuhaben.

33 Kommentare zu «Zwischenbilanz in Sachen Kinderzucht»

  • Fan der ersten Stunde sagt:

    … seit dem ersten Erscheinen ein Riiiiesenfan von Ihrem Blog !! Weiter so 🙂 !!

    & Happy Birthday der kleinen Maus <3

  • mamivo4 sagt:

    Ich persönlich bin ja der Ansicht, dass die Evolution das so vorgesehen hat…das erste Jahr, was noch nicht soooo anstrengend ist/war (können mir alle auf den Kopp hauen, die anderer Meinung sind!). Sonst wäre die Menschheit ausgestorben ;0) Der happigere Teil kommt erst noch…warten Sie ab Herr Tschannen ;0)

  • Muttis Liebling sagt:

    Nicht nur frauenverstehend, sogar frauenunterhaltend. Nur leider ohne jedes Diskussionspotential. Ein lauer Regen ging nieder …vergessen, wenn die Sonne wieder scheint.

    • ina müller sagt:

      Ach kommen Sie ML! Ihnen und der geschätzten Stammkundschaft hier fiel doch noch zu jedem lauen Regen etwas ein. Da braucht es weder Gegenstand noch Anlass, um einen Meinungs-, Lebensführungs- oder (immer wieder gerne, hähä) Genderkrieg anzuzetteln.

      • Muttis Liebling sagt:

        Die Stammkundschaft ist schon ganz schön geschrumpft, nachdem die Themen immer mehr weichgespült daher kommen. Damit sinken auch die Längen der Diskussionsfäden um den Faktor 5-10.

        Zu den Genderkriegern gehöre ich nicht, schon weil ich konsequenter Anhänger der 3- Geschlechter- Theorie bin. Besser gesagt, ich habe die zu akzeptieren gelernt, auch mit Hilfe des MamaBlogs. Wenige Frauen, noch viel weniger Männer. Das zahlenmässig umfangreichste Geschlecht ist das Unisex.

  • plop sagt:

    Ein schöner Text, danke – und danke auch für das Wort „Fräichli“ und die Erinnerung, dass es den Drogistenstern auch noch gibt… Haha! Und „Kinderzucht“ triffts manchmal einfach auch ganz genau. Immerhin sind wir Frauen, wenn stillend auch sozusagen Kühe (hab ich heut grad meinem 6-Jährigen erklärt, im Kontext der Frage warum ich ein BH trage, jaja, freuen Sie sich, es kann sehr unterhaltsam sein wenn die dann noch reden und denken können…)

  • Daniel Müller sagt:

    Herrlicher Artikel, genüsslich gelesen aber die Titelauswahl……“Kinderzucht“…???….wieviel Mal wurde denn „gekreuzt“ vorher….

  • Sportkrücke sagt:

    Warten Sie nur, jetzt kommt dann eine richtig spannende Zeit: die Entdeckung der Welt auf zwei Beinen, die Entwicklung der Sprache, das Herauskristallisieren einer Persönlichkeit.

    Ganz ehrlich: wenn ich zurückblicke, dann war das erste Jahr: anstrengend, süss und, ja: laaaaangweilig

  • Sarah123 sagt:

    Bei Ihnen tönt das total easy. Wir sind im ersten Jahr oft an unsere Grenzen gekommen, nicht wegen dem Kind an sich sondern wegen dem einhergehenden Schlafmangel.

    Schneiden Sie die Zehennägel doch, wenn Ihr Kind schläft.

    • Deshalb haben Sie so wenig geschlafen, weil Sie nachts ihrem Kind immer die Zehennägel geschnitten haben. Aber ernsthaft: An meine Grenzen kam ich auch ab und an, das ist (hoffe ich) normal. Schlafmangel ertrage ich zum Glück gut, ein heulendes Baby dafür umso weniger. Und wegen den Zehennägeln: Unser Kind wacht auf, wenn man ihm an die Füsse fasst.

      • Carla sagt:

        Ihr Artikel klingt nach Mainstream “ alles ist so toll, wenn man(n) ein Kind kriegt und man muss auch alles so toll finden, da man sonst völlig daneben ist“.

        Schön, wenn Sie tatsächlich so denken, wie Sie schreiben.:-)

      • Zwischen alles ist toll und #regrettingmotherhood gibt es ein Spektrum und nicht jeder befindet sich darin an derselben Stelle. Ich habe wohl einfach Glück, meine Familie gibt mir wenig Grund zur Klage. Dabei behaupte ich ja gar nicht, dass jede Minute goldig ist, aber die anstrengenden Momente bewegen sich schlicht im Rahmen des Erwarteten.

  • Eveline sagt:

    Bitte mehr davon! 🙂 Sehr unterhaltsam.

  • Laurence sagt:

    Also, schreiben kann der Papa auf jeden Fall wunderbar. Danke für diesen guten Text!

  • mamo sagt:

    moinzen souslik, habe mich gerade köstlich amüsiert 😉 alles gute zum geburtstag dem nachwuchs!

  • Richiger sagt:

    Dieses Video ist moderne Folder, dies sollte vom Netz genommen werden. Das Kind zeigt sichtlich sehr grosse Scham und Unbehagen. Die Erwachsenen sind brutal mit ihrem anhaltenden Gelächter.

    • Verena S sagt:

      Dachte ich gerade auch. Das Kind ist total überfordert und weiss nicht weshalb gelacht wird. Hier amüsieren sich die Erwachsenen auf Kosten des Kindes. Der Beitrag ist sehr lebensnah. Das servieren der Torte, nein danke. Wir essen ja auch Stückweise, wie soll das ein Kind sonst erfahren.

      • So ein Video hätte ich von meinem Kind auch nicht gedreht aber dennoch: Scham und Unbehagen kann ich beim besten Willen nicht erkennen und die mir bekannten Einjährigen freuen sich, wenn man über sie lacht.

  • Frau Sommer sagt:

    Wunderbar. Sie motivieren mich, mein Dasein als Mutter weiterhin möglichst pragmatisch, unkomliziert und humorvoll zu gestalten. Merci!

  • so ist es sagt:

    sehr cooler Artikel!

  • Marianne sagt:

    Gerne mehr davon.
    Der Kleinen alles Gute zum Geburtstag.

  • Randy Andy sagt:

    In diesem Sinne: Happy Birthday.

  • Ria Eugster sagt:

    schön zu lesen 🙂

  • Mascha sagt:

    super, vielen Dank für diesen Start in den Tag 🙂

  • Heidi Happy sagt:

    Tschannen rulez!

  • Sandra sagt:

    Köstlich, ich will mehr davon lesen.

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