Nichts ist besser als der Alltag

Das Kind ausprobieren lassen und ihm dabei unterstützend zur Seite stehen. Vater mit Tochter im Reka-Feriendorf Urnäsch. (Keystone Christian Beutler)
Was tut eine Schnecke, die sich in ihr Haus verkriecht? Wie geht Rüebli schälen? Wie fühlt sich ein Sprung in eine Pfütze an?
Kinder müssen ausprobieren, nur so lernen sie. Sie sollen im Alltag Erfahrungen sammeln. Was selbstverständlich klingt und ein wenig trivial, werden derzeit Pädagogen und Psychologen nicht müde zu betonen.
Denn es braucht keine spezielle Smartphone-App, um das Kind auf das Leben vorzubereiten. Genauso wenig wie es einen Förderkurs benötigt. Ein Kind braucht vielmehr aufmerksame Erwachsene, die sich Zeit nehmen, ihm Dinge zutrauen und es in seinen Entwicklungsschritten unterstützen. So wie die Betreuerin der zweijährigen Selina es tut. Sie beobachtet mit ihr in aller Ruhe die Schnecke mit Haus. Die beiden sehen, wie sie die Fühler einzieht und sich in ihr Haus verzieht – und warten bis die Schnecke wieder hervorkriecht.
Die zwei Schneckenbeobachterinnen sieht man in einem über zweiminütigen Film. Es ist einer von insgesamt 40 Kurzfilmen des Projekts «Lerngelegenheiten für Kinder bis 4», lanciert von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. Die Filme – zu sehen auf www.kinder-4.ch – zeigen alles Situationen, die frühkindliches Lernen im Alltag zum Thema haben. Man sieht ein Baby eine Holzfrucht ertasten, eine Vierjährige mit einer Pfütze spielen, ein Mädchen sich selbst die Socke anziehen – und Malon (3), die an ihr Plastikauto unbedingt einen Anhänger montieren will.
Schneckentheater, beobachtet von Selina (2 Jahre 10 Monate) und ihrer Tagesmutter.
Mit den Filmen möchten die Verantwortlichen auf alltägliche Lerngelegenheiten aufmerksam machen. «Lebt den Alltag» ist die einfache Botschaft. Die Filme sollen Eltern, Grosseltern und Betreuer jeglicher Art inspirieren. Sie sind in die vier Landessprachen übersetzt sowie in neun weitere Sprachen – unter anderem Tamilisch, Arabisch und Türkisch. Das im Frühjahr lancierte Projekt ist gemäss den Machern bereits ein Erfolg: über 60’000-mal wurden die Filme schon angeklickt.
Eis, eiskalt, nass? Für Anna (4 Jahre) kein Problem
Kofferpacken: Weniger ist mehr. Mit Nils und Tim (3,5 Jahre)
Die herausfordernde Socke. Mit Mara (3 Jahre)
Auto mit Anhänger: Malou (3 Jahre) versucht einiges, bis es so weit ist – und braucht bloss wenig Hilfe
Achtung scharf! Gemüse rüsten mit Livia (1 Jahr 6 Monate) und Mauro (3 Jahre 9 Monate)
24 Kommentare zu «Nichts ist besser als der Alltag»
Wunderbar, ab heute ist kein Beitrag mehr an Banalität zu übertreffen. 😉
Denken Sie erst an all die Leute, für die dies nicht ersichtlich ist oder sich dazu niemals Gedanken gemacht haben.
Manchmal ist die menschliche Angewohnheit das Offensichtliche zu sagen überflüssig, manchmal wirklich hilfreich.
Ausser vielleicht an Ihrem eigenen, dres?
Ich finde die Filme super – wer noch nicht weiss, wass man mit Kleinkindern tun sollte, der lernts, und wers schon weiss findet trotzdem Inputs und Anregungen. Was ich jedoch nicht verstehe sind viele Kommentare hier: Viele wettern gegen Smartphones & Co. Ich frag mich dann immer: Muss es entweder schwarz oder weiss sein? Man kann doch wirklich auch beides haben. Kein Kind sollte mit technischen Geraeten „ruhiggestellt“ werden. Aber dennoch sollten sie mit wachsendem Alter sinnvoll mit der modernen Technik umzugehen lernen. Das eine schliesst das andere ja nun wirklich nicht aus.
Sie sprechen mir aus der Seele. Auch wenn ich persönlich finde, mit dem Smartphone spielen ist für Dreijährige vielleicht noch etwas früh. Ich finde, Lesen sollten sie können, und auch verstehen, was sie da machen, von daher, digitale Spiele dürfen gerne ab Schulalter angegangen werden. Statt Bauklötzchen-App gibts bei mir davor halt noch Bauklötze.
Aber Bildschirme sind was für Regentage, meiner Meinung nach.
Das schönste für uns und unseren Kleinen sind ausgedehnte Spaziergänge durch Wald und Wiesen. Keine Autos weit und breit, keine Leute die sich an irgendetwas stören. Er ist frei und wir sind (haben) frei.
Ist das alles nicht völlig normal, wenn man Kinder hat? Was machen den Eltern, Grosseltern und Geschwister sonst mit den Kindern?
Was zum…? Schicken Sie Ihre Kinder raus! Nein, nicht auf den Spielplatz, in den Wald, auf die Wiesen. Bis sie in der Schule sind, können Sie ja noch mitgehen (Ihr Kind wird wissen wollen, wie all die Pflanzen und Tiere heissen. Kaufen Sie sich so ein Büchlein), danach können die gut alleine spielen. Hütten bauen, Bäche stauen, im Dreck wühlen… macht Spass und regt die Fantasie an. Ja das gibt schmutzige Klamotten, und nein, das Kind kann dann wahrscheinlich nicht „Diesen Vertrag sollten wir noch einmal besprechen“ auf Chinesisch sagen, dafür hat es Spass.
Ich bin immer wieder erstaunt: ich wohne zwar in der Stadt, aber genau hinter der nächsten Gasse ist ein Wald. Sogar mit Bach. Doch dort sind nur Hündeler und Jogger, wenn ich die Kinder frage, warum sie nur auf dem Platz und im Park rumhängen, sagen sie, dass sie nicht in den Wald dürfen. Immerhin hat meine Tochter jetzt ein Gspänli, das mit in den Wald darf, und keine Schimpfe kriegt, wenn die Hosen ein Loch haben.
Als Lehrerin werde ich oft von Eltern gefragt, wie sie ihr Kind fördern könnten. Dann fragen sie gerne nach „zusätzlichem Übungsmaterial“. Meine Antwort ist dann, was ich in diesem Artikel lese. Super. Auch die Filme.Zwei Dinge fallen mir darin auf:Im frühen Alter werden die entscheidenden Weichen gestellt. Tragisch für alle Kinder, die keine oder nur wenig solche Förderung erleben. Wenn sie nicht überdurchschnittlich intelligent sind, werden sie ein Leben lang handikapiert sein.Und:Diese Eltern haben Zeit.Da ist keine Hektik (mach, susch chum i zspat.Ich bind der sälber gschwind d schue…)
Als Lehrerin hatte ich auch schon die Idee, diese Filme den Eltern schmackhaft zu machen. Leider sprechen die Filme mit ihrem Design und künstlerischem Anspruch nur jene an, die die Filme selber produziert haben: die engagierte Bildungsschicht. Diese gehobene Bildungsschicht ist dermassen engagiert, dass man die Filme sogar in viele Sprachen übersetzt hat. Eine somalische Mutter schaute den Film verdutzt an…what the fuck soll dieses Schnecken-Gegucke?!?! Die schaute mich an als sei ich eine Ausserirdische…und irgendwie konnte ich sie verstehen.
Alles beginnt mit der inneren ruhe. Zeit haben, nichts gar nichts planen. Das MUSS aufs Minimum reduzieren und einfach sein. Faszinierend was man dann erlebt und in Momenten von so genannter Langeweile entfaltet sich unglaubliche Kreativität.
Ich habe lange darauf gewartet, dass das Pendel zurückschlägt: von einem Alltag der Kinder mit Top-Manager-Agenda scheint jetzt auf einmal das Gegenteil wieder im Trend zu liegen. Die Wahrheit liegt natürlich, wie immer, irgendwo in der Mitte. Warum kann ich nicht auf dem Dorf wohnen, Natur geniessen, aber mich in der Stadt wohlfühlen. Für mich ist das das Perfekte in der Schweiz: wir leben auf dem Land, sind voll integriert und in allen möglichen Vereinen tätig, man kennt sich eben. Gleichzeitig orientieren wir uns aber auch stark nach ZH. Und weil es jetzt plötzlich ‚back to nature‘ heisst,
/2 möchte ich ganz sicher nicht mein Smartphone und Tablet gegen eine Schreibmaschine eintauschen. Zur Ruhe kommen heisst eben auch dankbar zu sein für die vielen, vielen Vorteile, die wir hier in der Schweiz haben – und aufzuhören, sich künstliche Probleme zu schaffen, in dem man z.B. den Kindern oder sich selbst ein non-stop-Beschäftigungsprogramm bietet.
@Carolina: „Die Wahrheit liegt natürlich, wie immer, irgendwo in der Mitte.“ Dem möchte ich vollumfänglich zustimmen, das Eine tun und das Andere nicht lassen. Was so einfach klingt, ist manchmal schwer zu relisieren. Ich habe auch etwas Mühe, wenn mir jemand erzählt, dass sie keinen Fernseher hätten und jeweils unverholener Stolz in der Stimme mitschwingt. Ich denke, die neuen Medien einfach vollständig abzulehnen ist der falsche Weg. Die Steigerung von „mit Alkohol umgehen können“ ist auch nicht „Abstinenzler“
2. Als ich noch, vor „langer Zeit“ mit dem OeV zur Arbeit fuhr traffen sichjeden Morgen ünktlich dieselben Leute im selben Abteil, man begrüsste sich, fragte nach Neuigkeiten, sprach über Ferienpläne, manchmal sogar über Prbleme am Arbeitsort oder gar in der Familie – wünschte sich vor dem Aussteigen einen erfolgreichen/schönen Tag und am Freitagabend auf der Rückfahrt ein gutes Wochenende oder genehmigte sich noch schnell etwas zu trinken am Ein- oder Aussteigebahnhof.
In der Vergangenheit war vieles nicht gut, aber heute ebenfalls nicht!
Flo, seien Sie mir nicht böse, aber diese Romantik hat es auch ‚früher‘ nur selten gegeben. Als wir in die CH kamen, war ich lange Zeit fassungslos darüber, dass man Tag für Tag mit denselben Menschen Bus/Zug/Tram fuhr, sich nach etwa einem halben Jahr mal ‚Gruezi‘ sagte (ich trat da mehrmals ins Fettnäpfchen, weil ich einfach beharrlich blieb), ansonsten aber der Versuch eines Gesprächs entweder mit einem Grunzen hinter der Zeitung oder gar nicht quittiert wurde. Und das war auf dem Dorf!
Liebe Carolina, Sie missverstehen! Auf dem Dorf ist man auch in zweiter Generation noch „Zugezogen“ selbst wenn man CH-Bürger ist. Je unbekannter der Dialekt oder Sprache und Aussehen, desto mehr werden Sie geschnitten. Bestenfalls ist man Ihnen gegenüber gleichgültig, schlimmstenfalls werden Sie angefeindet. Hat meine Famile aus SG (damals in ein Dorf in GR gezogen), ebenso erlebt wie unsere Nachbarn aus dem Kosovo.
1.) Weg mit Förderkursen und speziellen Smartphone-Apps. Der Alltag, die Natur und soziale Kontakte bereiten Kinder viel besser auf das Leben vor!
Ja das hätten/sollten sich viele Erwachsene in’s Aufgabenbüchlein schreiben!
Wenn ich im OeV die Menschen so beobachte, wenn ich sehe womit sie sich beschäftigen, wenn ich sie beim Essen im Restaurant beobachte und wenn ich das stumme nebeneinander herleben oder vegetieren – dann muss ich feststellen das wir trotzt oder wegen der vielen technischem Möglichkeiten verarmen und vereinsamen – leider!
irgendwie komisch, dass man Schnecken filmen muss damit Kinder sie überhaupt anschauen. Das andere Extrem sind Familien, die aufs Land ziehen um den Kindern eine Idylle zu bieten, und dann ständig am Autofahren sind, da den Kindern nichts vorenthalten werden soll. Irgendwo zwischen Film und Idylle liegt der gesunde Menschenverstand.
Aha. Aufklärung, Französische Revolution, Menschenrechte, Industrialisierung, Demokratisierung …….. Newton, Kant, Darwin, Einstein……. nein, nichts und niemand, der unsere Kultur nachhaltig bereichert hat.
Der Gedanken lässt sich verallgemeinern: Es ist in den letzten 500 Jahren (nach Luther und Buchdruck) nichts passiert, was unsere Kultur nachhaltig bereichert hat. Politisch ist sogar seit 2.500 Jahren, seit Platons ‚Politea‘ kein wirklich interessanter Gedanke mehr aufgekommen.
Bezüglich Kindererziehung und der Begleitung Jugendlicher ins Erwachsenenalter kann man getrost auf alles verzichten, was seit der Renaissance so alles unseren Kulturraum zugemüllt hat.
Erst als Erwachsener, Kritikfähigkeit voraussetzend, macht es Sinn, sich mit der Moderne (in einem weitem Sinn) zu beschäftigen.
Ich fürchte, nicht alle Leser hier werden Ihren Sarkasmus verstehen….
Aber ich finde es toll, dass Sie Ihre Kinder im Sommer in Altgriechisch Förderkurse schicken, mit ihnen Trebuchets basteln und ihnen als Gute-Nacht-Geschichte Confessiones vorlesen.
Muttis Liebling in Berlin!
und wo her, Muttis Liebling, sind ihre Kinder dann zur Kritikfähigkeit in der Lage?
Ach ja ich hab ganz vergessen, als Freiberufler in Berlin, fällt den sowas vermutlich vom Himmel in den Schoss – so ja ein ganz fruchtbare „Insel“ sein – i h r Berlin! Und alles v i e l b e s s e r als hier in der bünzligen Schweiz – gell!