«Papa, wie funktioniert eine Rakete?»
Ein Papablog von Nils Pickert*

Fragen über Fragen: Ein Mann präpariert eine Spielzeugrakete mit Fallschirm. (Foto: Andy Aldridge/Flickr)
Kurz bevor Kinder in die Schule kommen, machen die meisten noch mal einen richtigen Entwicklungssprung. Sie entwickeln einen noch kräftigeren, eigenen Willen, den sie überall und immer durchsetzen wollen, sie erkennen, dass man Rechtfertigungsstrukturen auch auf Erwachsene anwenden kann («Das hast du als Kind bestimmt auch gemacht, so!») und vor allem: Aus dem gelegentlich ausgesprochen nervigen, dankenswerterweise aber zumeist recht eindimensionalen «Warum?» werden komplexe Frageketten, die mit solchem Nachdruck gestellt werden, dass man sich als Erwachsener schon manchmal fragt, wer zum Kuckuck den Kindern erklärt hat, was das Recht auf Information ist. Da ist man erst einmal aufgeschmissen und weiss nicht so ganz, wie man reagieren soll.
«Frag doch mal die Maus!» klappt nicht immer, schliesslich will man Kinder nicht für jede Kleinigkeit vor der Glotze parken. Ausserdem werden klackernde Augen und trötende Rüssel gar nicht so oft gezeigt. Stattdessen sind Mama und Papa auf Sendung. Und was da für Fragen kommen. Hier ein paar Beispiele aus meiner gerade sehr vorschulkindgeprägten Welt.
Was bedeuten folgende Worte: saftig, spärlich, blitzblank, Teegesellschaft, Pfeffernase, Strahlkraft und Wunschkind? Gibt es auch Nichtwunschkinder, und was macht man mit denen? Was sind Steuererhöhungen? Wie funktioniert eine Rakete? Warum gibt es die Jahreszeiten? Dürfen kleine Kinder deshalb keine Erde in den Mund nehmen, weil das das Zeug ist, zu dem tote Leute zerfallen? Weshalb hassen Menschen? Was ist der Horizont? Und natürlich meine momentane Lieblingsfrage: Kann Gott auch einen anderen Gott machen, der mehr kann als er?
Selbst wenn man alle diese Fragen beantworten kann (und ich verbringe meinen Samstagmorgen regelmässig damit, genau das zu versuchen), gibt es doch immer welche, die man nicht zu beantworten vermag. Auch in einer Gesellschaft, in der die richtige Information nur ein paar Klicks entfernt ist, muss man dazu eben die richtigen Klicks tätigen und die Informationen dann noch verstehen.
So weiss ich zwar faktisch, dass mein Computer kabellos eine Musikdatei durch die Luft zum WLAN-Router überträgt und von dort auf mein Handy, wenn ich es möchte – aber wirklich begreifen, wie, kann ich nicht. Hinzu kommt noch das Problem der kindgerechten Vermittlung: Sexualität, Religion, Terroranschläge – überall schnappen aufgeweckte Vorschulkinder Informationsfetzen auf, die sie von ihren Eltern erklärt und in einen Zusammenhang gestellt bekommen haben wollen. Wie portioniert man solche thematischen Riesenbrocken für Kinderköpfe? Zumal solche, mit denen auch Erwachsene sich schwertun. Macht das überhaupt Sinn, oder sollte man nicht warten, bis ein Kind die «notwendige geistige Reife» für entsprechende Erklärungen hat?
Gerade die letzte Frage zeigt, wo oft das eigentliche Problem liegt. Gewiss gibt es Dinge, die so umfassend in der Erwachsenenwelt verhaftet oder so unerklärlich sind, dass sie Kindern nicht zugemutet werden sollten, auch wenn sie es wissen wollen. Darüber hinaus gilt jedoch der Grundsatz: Wenn ein Kind in der Lage ist, die Frage zu formulieren, sollte man sich bemühen, ihm eine Antwort zu geben. Das bedeutet nichts anderes, als dass es, wenn die Frage erst einmal im Raum steht, mehr um die geistige Reife der Eltern geht als um diejenige der Kinder.
Ist man beispielsweise willens und in der Lage, dem Kind kontinuierlich reifende Antworten auf die Frage, was genau eigentlich Sex ist, zu geben, oder verschliesst man davor thematisch die Augen und macht sie erst wieder auf, wenn der oder die Kleine plötzlich in der Pubertät ist und die ganze Sache auf einmal sehr dringend wird.
Denn das wäre die Alternative: Warten, bis es eigentlich schon zu spät ist, um dann in aller Peinlichkeit gegen das Halbwissen anzuerklären, welches das Kind hier und da aufgeschnappt hat, weil die Eltern nicht drüber reden wollten. Die Fragen verschwinden ja nicht, wenn sie nicht beantwortet werden, im Gegenteil. Deshalb ist es neben der Bereitschaft, offen für die Fragen seines Kindes zu bleiben, auch so wichtig, zugeben zu können, wenn man etwas nicht weiss und dass es Menschen gibt, die es besser wissen.
Eltern müssen nicht alles wissen, aber Kinder sollten alles fragen dürfen und ihre Fragen sollten mit Respekt behandelt werden. Manchmal allerdings nutzen sie die grammatische Form der Frage, um sich von ihren Eltern unterhalten zu lassen. Nicht etwa weil sie etwas wissen wollen, sondern weil es so schön ist, Mama und Papa über etwas reden zu hören und nicht selber die Langeweile zerstreuen zu müssen.
In meiner Familie haben wir uns angewöhnt, auf solche Scheinfragen möglichst unsinnige Antworten zu geben. Wenn mein Vorschulsohn also mal wieder unmotiviert in die Küche geschlurft kommt und mich fragt, was ich da mache, während ich am Herd stehe und ganz offensichtlich koche, sage ich Sachen wie: «Ich pflanze einen Baum!» Dann lache ich ansteckend. Allerdings nur so lange, bis mein Kleiner mich scharf anblickt und fragt: «Jetzt im Ernst Papa, wie schlachtet man eigentlich Tiere?»
Oha!
*Nils Pickert lebt mit seiner Familie in Süddeutschland. Er hat eine monatliche Kolumne auf Standard.at, in der er sich mit den männlichen Seiten der weiblichen Emanzipation beschäftigt.
19 Kommentare zu ««Papa, wie funktioniert eine Rakete?»»
Cooler Beitrag. Mein Vater war dafür bekannt, dass er mir oftmals nicht einfach bequem die Antwort zugesteckt hat, sondern dass er mich mit Gegenfragen auf die richtige Spur geführt hat. Das konnte manchmal recht anstrengend sein, vor allem wenn ich dann merkte dass ich etwas vergessen hatte, obwohl er mir das schon mal erklärt hatte und wir dann auch ältere Dinge durchkauen mussten. Mein Gott, bin ich froh dass es Wikipedia gibt. ;o) Die meist gehasste Antwort war: Das verstehst du erst wenn du älter bist! PS: Leider manchmal auch zu Recht gesagt.
Meine Tochter meinte neulich, in der Schule hätten sie Pi behandelt. Aber sie habe das schon seit der dritten Klasse gekannt. „So!“ sagte ich. „Woher denn?“ „Du hast mir es erzählt.“
Wusste ich überhaupt nicht mehr.
Unser 17 Jähriger Sohn kommt immer noch mit fragen, wie funktioniert ….. Auch dank meiner technischer Ausbildung hat er mein Wissen doch schon überflügelt. Das darf ich dann auch mit Stolz ihm sagen. Da fällt mir kein Zacken aus der Krone. Doch bei nicht so technischen Fragen entstehen spannende Diskussionen. Diese möchte ich nicht missen.
Man kann ja auch das Kind fragen was es denkt die Antwort ist. Mit unserer Tochter (4 Jahre alt) haben wir es oft erlebt, dass sie sich bereits eine Antwort sich ausgedacht hat. Manchmal ist es sogar richtig…wenn nicht kann es man immer noch korrigieren. Damit lernen Kinder selber an Antworten zu kommen. Auch bin ich mit Herrn Baumann einverstanden, dass man nicht alles wissen muss. Finde auch die Eltern sollte eine Antwort nicht einfach erfinden.
„Kann G.tt auch einen anderen G.tt machen, der mehr kann als er?“
Haha, das Allmachtsparadoxon!
Aber Vorsicht! Philosophieren mit Kindern kann dazu führen, dass man plötzlich liebgewonnene Standpunkte neu überdenken muss… 😉
Naja, mehr können als alles können kann man nicht. Ja aber, wenn man etwas nicht kann, dann gibt es doch sicher jemanden, der das kann, oder? Eeeeh, naja….
Mathematisch argumentieren: Unendlich ist zwar schon unendlich. Es gibt aber unendlichere Mengen als andere unendliche Mengen… Z und N sind beide unendlich. Aber N ist eine Teilmenge von Z.
Allmachtsparadoxon, nie gehört?
Klassische Variante: Kann G.tt einen Felsen erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn nicht aufheben kann?
Ist die Antwort ja, so ist G.tt nicht allmächtig.
Ist die Antwort nein, so ist G.tt nicht allmächtig.
Franz, darf ich mal fragen, warum Sie „G.tt“ schreiben? Geht’s hier um ein Scan-System? (Reine Neugierde einer Unwissenden…)
Susi, meine Antwort hängt… was ziemlich ironisch ist… 😀
Sie spannen mich auf die Folter…
Ich kann ja mal raten: Man soll ihn nicht beim Namen nennen? (Schon gar nicht in einem Blog, wo es um Wissenschaftliches geht?) Oder: Sie nennen ihn nicht beim Namen, aber es ist Ironie? (Das wäre aber ein bitzeli pfui!) Oder: Da die nsa ev. solche Wörter erkennt und Sie sich dann in irgendeiner Form verdächtig machen könnten, umgehen sie dieses Risiko lieber.
Meine anderen Spekulationen sind grad etwas fantasielos. Oder widerlegen sich von selbst: Die o-Taste fehlt auf jeden Fall nicht in Ihrem Keyboard.
Viel einfacher – schreiben Sie mal in einem Post das Wort „G.tt“ aus, und dann warten Sie, wie lange es dauert bis Ihr Beitrag veröffentlicht wird…
Ja, das hab ich mir auch überlegt, darum hab ich es oben grad auch nie ausgeschrieben. Wenn man Wörter wie Br.ste oder B.llshi.t schreibt, dann geht’s auch ewig oder es wird gar nicht gepostet.
(Also, nicht dass ich von Erfahrung spreche, aber ich stelle es mir so vor…)
😉
Welche Beschäftigung könnte für Kinder wohl besser sein, um die Langeweile zu vertreiben, als ihren Kopf mit Wissen zu füllen? Ok, „Was machst du?“ Ist vielleicht nicht die beste Frage dafür, aber jede andere sollte man schon möglichst wahrheitsgetreu zu beantworten versuchen, finde ich. Ich erinnere mich nach über 30 Jahren noch an Fragen, auf die mir meine Eltern nur Ausflüchte oder gar Lügen aufgetischt haben. Und das ärgert mich noch heute, deshalb will ich es besser machen. Mal schauen ob es immer klappt.
Ich mache es so:
Die Fragen, die ich einfach so beantworten kann, beantworte ich richtig.
Interessante Fragen, deren Antworten ich auch nicht kenne, ersurfen wir, Wikipedia und Youtube.
Fragen, die nur der Frage willen gestellt werden, beantworte ich ganz langweillig und sachlich, wenn es sein muss, dann auch in aller Ausführlichkeit.
Wenn ich etwas gar nicht weiss, dann sage ich das.
Tabus gibt es bei mir nicht, die Verpackung machts.
Genau. Was einer nicht weiss, nicht wissen kann, muss er nicht erklären, etwa die Dinge mit Gott. Weshalb ich den gar nie erst einführte. Die Antwort „weiss ich auch nicht“ darf auch bei Kindern sein, sie lernen so, dass man nicht alles wissen muss. Sexualität ist so wichtig wie essen und schlafen. Keine Antwort geben nur weil man selber verklemmt ist, geht gar nicht, ist unfair. Aber klar: altersgerecht. Tiere töten gehört zum Leben, Kinder nehmen das viel natürlicher und pragmatischer, als Erwachsene, man denke an Lion King, Tarzan und all die andern brutalen Filme.
Warum sollte man Gott nicht erklären können und darum das Thema umgehen? Es ist eine Glaubensfrage und genau das bringe ich meinen Kindern bei. Ich kann ihnen nicht sagen, ob Gott existiert, nur dass es Menschen gibt, die an ihn (oder andere übersinnliche Wesen) glauben und solche, die es eben nicht tun und ich kann ihnen sagen, zu welchem Teil ich gehöre und warum. Der Entscheid liegt bei ihnen. Für die Religion und den Glauben bei Gesprächen auszublenden und vielleicht zu tabuisieren, besteht kein Grund, mehr für einen lockeren Umgang damit.
@13, genau, so meinte ich das.
Ist bei uns auch so. Nicht selten musste und muss ich bei Fragen der Kinder tatsächlich passen mit einem „keine Ahnung, schauen wir mal im Internet nach“. Dies führte zwar vor einiger Zeit dazu, dass mich mein damals ca. 5jähriger Sohn total entgeistert ansah mit den Worten „Mami, aber Du weisch ja überhoupt nüt!“;). Ich finde es aber auch wichtig, dass die Kinder wissen, dass wir Eltern weder allwissende Übermenschen noch perfekt sind und schlichtweg nichts alles wissen können. Fragen dürfen und sollen sie ohne Tabus alles. Zum Nachschlagen gibts ja das Internet, insbesondere „Onkel Google“.