Familie, trotz allem.

Ein Gastbeitrag von Claudia Marinka*

SCHWEIZ SEE GRILL

Kinder, umgeben von der Familie: Gemeinsames Grillieren am See (Keystone/Eddy Risch)

Ferien bei Verwandten sind schön – und strapazieren zuweilen ganz schön die Nerven. Gerade wenn die Familie aus osteuropäischen Ländern stammt. Dort gibt es keine Privatsphäre, es gibt eine einzige flächendeckende Sphäre. Und die heisst eben: Familie. Bei mehr als einer Tante, einer Cousine und einem Schwager bedeutet dies nonstop auf der zu Hut sein, um in etwa zu wissen, was die liebe Verwandtschaft so alles ausheckt. Widerstand zwecklos. Die Kinder sind nun sozusagen öffentliches Gut.

Und wenn das so wie bei uns ist, ein Mix aus Schweizerisch-Slowakisch-Ungarischer Herkunft, dann werden die Kleinsten vom Haus in den Garten, vom Garten an den See, von der einen Wohnung in die andere herumgetragen, ohne dass die Eltern immer so ganz genau im Bilde sind, wo jetzt eigentlich das eigene Kind so genau ist. Sicher ist lediglich: Es ist nie allein, immer umgeben von Scharen, die sich um das Wohl des Kindes sorgen und kümmern. Und weil ihre grösste Sorge meist jene ist, dass das Kind auch genug isst, wird gekocht, was das Zeug hält, werden Essenstipps zum Besten gegeben (auch von Kinderlosen) und die Kinder den ganzen Tag vollgefüttert. Die Krönung davon sind die Erziehungsratschläge der Tanten (ein Teil bleibt leider nicht bei Ratschlägen, sehr zur Freude der Kinder), welche natürlich genau in die gegensätzliche Richtung zielen, die man gerade so praktiziert.

Und weil das alles so unerbittlich nah und einer Soap gleich abläuft, hat es eben auch seine guten Seiten – wenn man sie denn zulässt: Man kann sich dem hingeben. Man ist sowieso schachmatt gesetzt und sollte sich daher völlig treiben lassen. Wenn man das schafft, hat man das Schlimmste hinter sich: Dann wird alles gut und dann, ja dann gesteht man sich mal wieder ein: Es gibt nichts Schöneres als die Familie. Nichts Besseres. Nichts Standhafteres.

Das fängt schon mit dem geliebten Menschen an, mit dem man sein Leben verbringt. Da fängt Familie an. Wahlweise kommen Kinder hinzu, im besten Fall sind da auch engste Freunde, die auch zur Familie gezählt werden dürfen. Sie alle geben uns den Rückhalt, die Energie, die Zuversicht, dass man ein Team ist. Kinder lernen, dass jedes Einzelne einem grossen Ganzen vorausgeht. Sie verstehen, dass man sich auf andere Menschen verlassen darf. Bezugspersonen geben ihnen Vertrauen und Stabilität.

In unserem Fall gibt es nicht nur eine grosse familiäre Gemeinschaft im Ausland, auch zu Hause ist die Familie im Alltag präsent, zum Glück aller. Omi, Opi, Tata, Erzsi, Tanti, Onkel Stebi, Klein-Cousine Lili – sie alle geben uns das, was uns erfüllt: ein liebevolles Gefüge von Bindungen, die nichts und niemand ersetzen kann. Familienfeste sind keine Pflichtübungen, sondern freudige Ereignisse. Dies, obwohl sie mehr als einmal im Jahr stattfinden (mein Mann sagt: dauernd…). Dies, obwohl ein Teil der Grosseltern im selben Haus wohnen – und dies nicht erst, seitdem die Enkel auf der Welt sind.

Hat man Kinder, ändern sich sowieso Wahrnehmungen. Man wird milder, was das Betreuungsumfeld angeht, sieht nicht mehr alles sofort so eng, schätzt das Miteinander mehr als vielleicht noch in seinen «wilden Jahren». Kleine Fehlbarkeiten, die wir alle mit uns bringen, übersieht man grosszügig. Naja, meistens.

marinka*Claudia Marinka ist Journalistin mit Schwerpunkt Gesellschaftsfragen. Die zweifache Mutter hat zuletzt beim «Der Sonntag» gearbeitet und verfolgt jetzt eigene Projekte. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich.

8 Kommentare zu «Familie, trotz allem.»

  • Una sagt:

    Familie, brrr, nein danke. Das war mir schon immer unheimlich. Da bleib ich lieber alleine. „Liebevolles Gefüge an Bindungen“, naja, man kennt es auch anders: manipulatives Gezerre und geflissentliches Ignorieren. Oder wie wärs mit subtile Schuldzuweisungen und damit einhergehende Kontaktverweigerung? Vernachlässigung und Überforderung?

    Unsere Erfahrungen sind sehr verschieden. Für mich ist Familie eine Horrorvorstellung.

  • Auguste sagt:

    hmm…, ode? habe ich natürlich immer eine auf lager, sogar brandneu. so beginnt der ganze familien-wahnsinn für gewöhnlich…

    youtube: kelly clarkson – tie it up

    …wie es ausgeht, lesen sie bitte weiter oben bei carolina sagt:….

    • alien sagt:

      Auguste, mir sind die Angstschudder den Rücken rauf und runtergefahren beim Hören des Songs. Schrecklich… Nicht die Musik, nicht die Sängerin, aber der Text ist prototypisch reaktionär. Es geht ums Heiraten. Familie funktioniert aber auch ohne.

  • Albert Baer sagt:

    Die Familie ist ein zweischneidiges Schwert. Neben Support, Zugehörigkeit/Sicherheit ist sie auch verantwortlich für Zwang gegen innen und Krieg gegen aussen. Die million Jahre alte evolutionäre Struktur der Familie wird unsere Probleme nicht lösen.
    Ich sehe eher Wahlgemeinschaften in die man eintreten und auch wieder austreten kann als Zukunft. Das sind „kühlere“ Gemeinschaften mit Rechtssicherheit und Rechtsmitteln, wo ein Menschen Individuum und Teil der Wahlgemeinschaft sein kann.
    Also Wahlfreiheit und Recht statt Zwang und Blut.

    • Reto B. sagt:

      Och die Wahlgemeinschaft gibt es jetzt schon. Man kann für alles Leute anstellen. Und denen Lohn zahlen. Die Familie ist in etwa der einzige Ort, wo kein „Quid pro quo“ gilt. Sofern die jeweilige Familie so funktioniert. Weil man sich ihr bedingungslos verschreibt. Weglaufen gibts nicht.

      • Carolina sagt:

        Ich glaube, genau das hat AB gemeint mit dem zweischneidigen Schwert. Ideal wäre der bedingungslose Familienzusammenhalt, aber in der Realität sind es halt doch Menschen mit ihren ureigenen Bedürfnissen, Eigenschaften und Macken. In meiner Erfahrung funktioniert das Modell Ganze-Familie-unter-einem-Dach nur bei klaren Absprachen, grosser Rücksicht und offener Kommunikation – merkwürdigerweise ist es oft viel schwieriger, Konflikte mit der Blutsverwandtschaft zu lösen als mit Menschen, an die man emotional nicht gebunden ist.

      • Carolina sagt:

        Als ich jung war (und nur weg wollte von der Familie), empfand ich den Satz ‚Blut ist dicker als Wasser‘ als total nervend. Mit zunehmendem Alter sieht das anders aus – ich beobachte z.B. in meiner weitverstreuten Familie, dass man auch nach langer Pause nicht fremdelt, sich sofort wieder nah ist. Dann sehe ich aber auch, dass oft eine gewisse Entfernung die Würze ausmachen kann – die, die zusammenleben oder sehr nah beieinander sind oder sich laufend sehen, haben oft nicht das beste Verhältnis.

  • neni sagt:

    genial….und extrem fördernd!!!! grossfamilie ahoi!!!

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.