Die Monster-Puppe

Wenn sich das Gegenüber nicht bewegt, ist es für Kleinkinder oft schnell nicht mehr interessant. Doch woher kommt diese Wahrnehmung? (Bild: Flickr / Jonny Hughes)
Kürzlich hatte mein Sohn eine spezielle Begegnung. Er traf auf eine lebensgrosse Puppe. Noch nie hatte er so ein Ding gesehen. Kurz vorher begutachtete er noch ein Baby im Tragtuch einer Mutter. Da sitzt also eine Puppe in einem Stühlchen, und starrt vor sich hin. Der Kleine kriecht in einem Affenzahn rüber, um den neuen Spielkameraden kennen zu lernen. Spricht ihn erst mal an. Genau wie vorher. Diesmal kommt nichts zurück. Hm, auch ein Patscher ins Gesicht scheint das Gegenüber nicht aus der stoischen Ruhe zu bringen. Drum also wird an der Hand gezogen. Ziemlich heftig sogar. Rumms, fällt der seltsame Zeitgenosse auf den Boden. Kein Schrei verlässt seine Lippen, die Augen bleiben offen, die Frisur sitzt, als wär sie mit 3-Wetter-Taft fixiert.
Da steht er nun, der kleine Mann, vor der gefallenen Puppe und versteht die Welt nicht mehr. Richtig erschrocken ist er. Was hätte ich gerne seine Gedanken gelesen. Es muss wirklich ein eindrückliches Erlebnis für ihn gewesen sein. Dann realisiert er, dass die Puppe wirklich gar nichts Lebendiges an sich hat, nicht mal die Wimpern zucken. Wie langweilig. Sofort was Neues, Spannendes suchen.
Stellt sich mir natürlich die Frage, was für einen Einjährigen den Menschen zum Menschen macht. In erster Linie anscheinend das äussere Erscheinungsbild. Ich würde gerne mal eine Schaufensterpuppe in die Nähe des Kleinen setzen, und zuschauen, wie er auf sie reagiert. Wann hat eigentlich diese Wahrnehmung bei ihm gewechselt? Als Baby hat er die Welt über die Nase und die Ohren wahrgenommen. Ausschliesslich. Und plötzlich ist da nur noch das Visuelle wichtig? Wie erkennt ein Mensch etwas Lebendiges, und ab wann? Was macht für einen Einjährigen den Unterschied zwischen Lebend und Tod aus? Und ob er diesen Unterschied wohl bereits versteht?
Kürzlich lag eine tote Amsel in der Badi unter einem Baum. Viele Erwachsenen bemerkten den Vogel gar nicht. Die Kids aber, kaum konnten sie kriechen, wurden alle magisch von diesem unbeweglichen flauschigen Wesen angezogen. Da liegt etwas, das aussieht, als müsste es sich bewegen, tut es aber nicht. Also muss es in die Hände genommen werden, gekniffen, um ganz sicher zu gehen, dass es wirklich unbeweglich bleibt. Natürlich war das unhygienisch und gruselig, aber irgendwie verständlich. Bloss: Woher wussten denn die Kinder, dass dieser Vogel eigentlich lebendig sein sollte? Können sie bereits den Link zwischen einem Vogel im Baum und diesem starren Tierkörper machen? Und weshalb ist etwas «Totes» nur grad so lange Interessant, bis das Unbewegliche und Starre festgestellt wurde? Wäre eine tote Spinne genauso Interessant wie ein toter Vogel? Ich freu mich darauf, das mit dem Kleinen zusammen rauszufinden.
Susanne Taverna ist Dienstchefin beim «Bündner Tagblatt» und Mutter eines einjährigen Sohnes. Sie lebt mit ihrer Familie in Chur.
32 Kommentare zu «Die Monster-Puppe»
Kleine Kinder können schon sehr früh erkennen, dass etwas tot oder lebendig ist. Unser Sohn war gut 14 Mt., als wir ein Frühchen bekommen haben. Als er seine kleine Schwester (900g) auf der Neonatologie besucht hat, war er sehr beunruhigt, dass es dem Baby schlecht geht und man ihm helfen muss. Zwei Wochen später standen wir leider vor ihrem Sarg. Da war überhaupt keine Reaktion bei unserem Kleinen. Wir glauben, dass er sehr gut begriffen hat, dass dieses Baby gestorben ist, und dass es zu uns gehört hat.
Keine Ahnung wie lange das her ist: wünsche Ihnen trotzdem viel Kraft.
Was ist an diesem Text überraschend. Natürlich merken Kinder das. Oder denkt man sie sind doof? Eigentlich logisch, natürlich und selbstverständlich, dass ein Mensch ob klein oder gross merkt, wenn etwas tod ist. Das ist in uns drinn. Darüber braucht es keine Studien und tiefliegende Gedankengänge.
Die braucht es eigentlich für fast gar nichts. He, und generell: einen Blog „braucht“ es eigentlich auch nicht.
ML, fast beneide ich sie darum, wie ‚einfach‘ Ihre Welt zu sein scheint: bei Ihnen scheint es immer nur die Möglichkeiten Nein/Ja, Positiv/Negativ zu geben. Ich denke, dass es keine auf jedes Kind zutreffende Antwort gibt auf Ihre Frage. Eines meiner Kinder hat geradezu traumatisiert auf die Leiche des Grossvaters reagiert, das andere war fasziniert. Was die Katzen nach Hause bringen, stösst das eine ab, das andere neigt zur Analyse. Mir scheint, das hängt von Alter, Charakter, Umständen und Disposition ab – ich wäre vorsichtig, alle Kinder einer Familie über denselben Kamm zu scheren.
Es ist in fast allen real vorkommenden Fällen so, dass es immer nur eine vernünftige Lösung gibt. Wäre das nicht so, gäbe es keine Strategieplanung, keine Möglichkeit z.B., militärische Einsätze zu planen.Es gibt genügend Beispiele, in denen man nur einmal und das in sehr kurzer Zeit die Möglichkeit hat, zu entscheiden. Das Denkgebäude des Pluralismus hingegen ist eine Entscheidungsverhinderungsmaschine. Das wurde erfunden, um Denken zu erden.
Um es prosaisch zu sagen: Wenn Du die apokalytischen Reiter am Horizont siehst, besteht wenig Hoffnung, dass Du sie ein zweites Mal vorbeireiten siehst.
…und selbst auf apokalyptische Reiter werden Menschen unterschiedlich reagieren,
wer dann mit welcher Reaktion am richtigsten lag
lässt sich sowieso erst sagen wenn die Apokalypse vorbei ist…
Nicht jede Alltagssituation, Lebensbegegnung oder real vokrommender Fall
ist einem Notfallszenario, in welchem es nur das eine richtig oder falsch gibt
gleichzusetzen.
Das Leben ist, Vernunft sei dank, ein bisschen vielseitiger als das.
Schade, das kaum jemand inhaltlich auf diesen wirklich mal guten Beitrag eingeht. Mal ein anderes Beispiel: Ich habe mit meinen beiden Kindern nach dem Abholen aus dem Kindergarten in einem Park eine männliche Leiche gefunden und die Kinder die natürlich auch gesehen. Die Polizei veständigt, was im Zeitalter vor Mobiltelefon mit Wegen hin und zurück verbunden war. Die erste eintreffende Streife, bat mich zu bleiben, bis die Mordkommision kommt. Der dann eintreffende Notarzt hat die Polizisten dafür beschimpft. Kinder sollten nicht neben Leichen rumstehen müssen. Hat er recht? Ich meine, nein.
Denken Sie, dass nach dem Igel Post irgendwer Lust hat, das Thema ernsthafter zu diskutieren? Oder nach Ihrem Einwurf, der in einigen oberflächlichen Aspekten des Themas eins drauf haut? sorry, but no thanks.
Ich denke, dass es im Umgang mit dem Tod vor allem auf die Reaktion der Eltern ankommt, wie Kinder reagieren. Natürlich sollte man ihnen den Anblick von entstellten Leichen ersparen. Je normaler die Eltern aber auf einen Todesfall reagieren, desto einfacher ist es für die Kinder. Tickt ein Vater z.B. vollkommen aus und beginnt hysterisch zu schreien, bekommen die Kinder grosse Angst. Wenn jemand nahes gestorben ist, darf ja soll man auch Trauer zeigen. Gleichzeitig soll man ihnen auch den respektvollen Umgang mit dem Toten zeigen und ihnen erklären was jetzt passiert.
Volle Zustimmung, AK!
Meine vierjährige Tochter hat erst begriffen, dass ihr Grosvater/mein Vater gestorben war, als sie ihn vor der Beerdigung in der Aufbahrungshalle des Friedhofs liegen sah. Bei ihr war also der Anblick der Leiche hilfreich, dass ganze richtig zu kappieren, da sie vorher immer meinte, wir sprechen von anderen Kindern die ihren Grossvater verloren hatten.
Wieso soll ein einjähriges Kind den Unterschied zwischen lebendig und tot nicht verstehen, wenn dies schon ein 4 monatiges Kätzchen tut? Mit einer lebendigen Maus kann sie spielen, eine tote nur noch fressen. Eine Spielzugmaus ist solange interessant, wie sie von einem Menschen gelenkt wird.
Sehen kleine Katzen zum ersten Mal einen Rasenroboter, merken sie sofort, dass es sich nicht um ein Tier handelt. Gegenüber einem Hund sind sie zuerst misstrauisch, aber wenn er lieb und anständig ist, wollen mit ihm spielen und dann Freundschaft schliessen.
Freuen uns auch jeweils, wenn wieder die Aufmerksamkeit auf einen plattgewaltzten, toten Igel gelenkt ist. Nun gut wir nehmen den dann mit und schauen ihn zu Hause gemeinsam genauer an.
Dadurch haben wir natürlich eine Art ZusammenKratzen-Werkzeuge im Auto mehr, aber die Kinder haben Spass daran und zeigen Interesse und sind neugierig.
Was ich aber nicht verstehe sind, die Versuche der Kinder, das dann mit den lebenden Tieren auch zu machen – also sie wollen diese einfangen und dann auch plattwalzen. Kann mir da jemand erklären warum Kinder das machen? Uns geht es da gleich wie der Frau
Dienstchefin die ja fragt:
Was macht für einen Einjährigen den Unterschied zwischen Lebend und Tod aus? Und ob er diesen Unterschied wohl bereits versteht?
…bei Kindern geht es nicht mehr um Tod oder Lebend…mehr 2D oder 3D 😉
Danke Fistik. Werde den Tipp mal ausprobieren – könnte mir vorstellen, dass es für heutige Kinder schon wichtig ist, dass sie den Unterschied vom Stier im Büchlein und auf der Weide unterscheiden können. Also ich werde diese dann mal am Muni kraulen lassen, wenn wir einen bei der nächsten Wanderung nach dem Ausstieg aus dem SUV sehen können. so richtig 3D-mässig halt…
Cool die Tipps hier, gibts nicht einmal bei wir eltern, solch geniale Themen zum Austauschen.
Danke nochmals Fistik.
Pa, was betreiben Sie hier? Satire? Sie kratzen tote Igel von der Strasse mit speziellem Werkzeug? Aha. Und Ihre Kinder wollen dann andere Igel plattwalzen? Wenn es denn Satire ist, ist sie mehr als makaber. Irgendwie kein Wunder, dass dieses Thema bei Wir Eltern nicht behandelt wird.
Ehrlich gesagt, Carolina, den Igel möchte ich dann doch gern mal sehen den Pa’s Kinder, in diesem „Alter- noch jenseits von Tod/Leben-Erkenntnissen“ wirklich eingefangen haben… .
@BS
..möglich waere Pa’s Frau bastelt mit den Resten eine Winterkappe fuer den kleinsten Spross…?
hmm…, mit der auffassungsgabe von kindern ist das so eine sache – unterschätzen sollte man sie aber definitiv nicht…
youtube: tammy wynette – too many daddies
unser Kleiner hat IMMER interesse an unseren lebendigen Kaninchen, an einem aufziehbaren Hasen war er 3 Minuten interessiert…jetzt kann man sich auf den Kopf stellen, damit winken, so tun als ob er hoppeln würde. nix da, der kleine lächelt schelmisch und krabbelt weiter. bitte zu den lebendigen hasen!
Das sind schöne Überlegungen! Und auch schön dran ist, dass es für so manches gar keine klaren Antworten gibt…
Meine Tochter – das ist lange her, sehr lange – war gut 20 Monate alt, als ich notfallmässig ein neuntägiges Kind hütend übernehmen musste. Sie kam offensichtlich nicht ganz draus, was das war. Um die dennoch keimende Eifersucht zu verringern, setzte ich sie beim Wickeln auf den Tisch, gleich neben das Baby. Als dieses entblösst dalag, bereit für die frische Windel, entrann ihm ein Bächlein. In diesem Moment erhellte sich der Gesichtsausdruck meiner Tochter, als ob die Sonne plötzlich darauf schiene. Für sie war der Pipi das offensichtliche Lebenszeichen des Babies.
jööööö! 😀
Sie werden zusammen bestimmt viel Spass haben auf der Entdeckungstour und bitte stecken Sie doch möglichst viele Eltern mit dieser Haltung an.
Ihr habt ja ganz schöne Probleme und keinen Bezug mehr zur Natur. Solltet einmal nach Thailand kommen und auf dem Land sehen, wie Mütter ihre Kinder erziehen. Ach ihr Armen!!!
statt motzen, lieber ein zwei beispiele bringen.
Gut geschriebener Text, da mach ich mal einen tiefen Hofknicks. Kinder sind offensichtlich schlau genug, die beiden Seiten des Seins, Prozess und Struktur zu erfassen. Der toten Spinne werden sie das ehemals Lebende wahrscheinlich nicht ansehen können und einem 3 Tage toten Vogel auch nicht mehr.
Achten Sie darauf, dass Ihr Sohn diese Fähigkeit nicht verliert und eines Tages über dem Schein der allgegenwärtigen Schaufensterpuppen, auch wenn die aus Fleisch und Blut sind, das Vitale, Veränderliche in seiner Veränderlichkeit nicht mehr erkennt.
kann mich dem votum ml nur anschliessen.
fr t! ich mag es sehr, wie sie ihren kleinen sohn beobachten. sehr schön, sehr anregender text. wir erwachsene sprechen viel zuwenig über solche themen.
Als alleinerziehender Vater dreier kleiner Kinder muss ich ihnen sagen: Wir Erwachsenen sprechen viel zu viel über solche Themen. Dieses ewige Gedöns nervt. Es fehtl vor allem der unverkrampfte – sehr wohl liebevolle – Umgang mit dem Elternsein.