Im Land der Missen

mbKo2

Eine Miss Colombia muss nicht nur schön sein, sondern auch reich.

Gestärkt und cool kehrten wir heute um zwei Strassenecken vom frostigen Hotel in die drastisch weniger kühle Wohnung zurück. Und das war gut. Unser Hotel war wie eine hermetische Kugel aus gutem Geschmack, Dienstfertigkeit und frischer Luft, aber dafür Welten entfernt vom Cartagena, das da drei Meter unter dem Fenster stattfand. So ganz anders, als die heisse Wohnung mit ihrem Balkon, der Teil ist dieses geordneten Chaos aus Strassenständen, Polizei-Patrouillen, Touristenkutschen und all den Menschen, die sich dazwischen bewegen.

Also rollten wir unser Köfferchen zurück über die Plaza Bolívar, die – ich pflege mich zu wiederholen, unvermeidlich in Cartagena – aus einem Márquez-Roman entstammen könnte. Hier unter den Arkaden gibt es einen Walk of Fame der ganz besonderen Art, und zwar nicht etwa für Unabhängigkeitskämpfer und Nationalhelden. Er besteht vielmehr aus schwarzen Schieferplatten, in die Frauengesichter eingraviert sind. Ausnahmslos wunderschöne. Denn das zweidimensionale Monument ist niemand Geringerem gewidmet, als den Miss Colombias.

Zugegeben, man käme sich etwas blöd vor, wie in einer PR-Aktion von Lancia oder so, wenn man am Paradeplatz über die Gesichter von Anita Buri, Nadine Vinzens, Melanie und all die andern, deren Namen so schwer zu behalten sind, aufs Tram rennen müsste. Aber sie sind auch in keiner Weise zu vergleichen mit den Missen in Kolumbien. Und das ist nicht ästhetisch gemeint. Das wäre unfair.

Jeweils im November fällt Kolumbien in ein Fieber: den Wahlkampf zur Miss Colombia. Ich bereue zutieftst, dass mein Schwager seine Hochzeit nicht in jene Zeit verlegt hat, damit wir da mitglühen könnten. Andererseits: Welche Braut duldet neben sich schon weitere Schönheiten, die ihr die Schau stehlen…

In Kolumbien DIE Miss zu sein, ist weit mehr, als für die «Schweizer Illustrierte» in die Wanne zu sitzen, Vögele-Schuhe zu tragen, sich an kleinen und grossen Hundsverlocheten ablichten zu lassen und zu sagen, dass man schon mal gern Moderatorin werden möchte. Das Missen ist hier eine ernste Sache mit ernsten Verpflichtungen, wunderbar beschrieben in «Kolumbien heisst Leidenschaft» von Carolina Araujo-Lopez.

Eine Miss Colombia muss aus der Oberschicht stammen, denn der Wahlkampf inklusive Kleidern, eventuellen Schönheitsoperationen und Medientraining verschlingt Unsummen. (Blonde und Schwarze haben übrigens kaum Chancen.) Dafür wird von ihr erwartet, dass sie schillernde Ablenkung bietet von den noch immer grossen Problemen dieses Landes und sich über Spenden für die Armen engagiert. Kritiker gibt es natürlich dennoch eine ganze Menge, aber auch das gehört zu einer anständigen Misswahl.

Wo die guten Damen ihre Roben kaufen, ist mir übrigens schleierhaft. Ich suche noch immer ein Kleid für die Hochzeit vom 3. August. (Dresscode: Weder schwarz noch weiss; lang, sehr festlich). Bis jetzt habe ich nicht mehr zu Stande gebracht, als mich verschwitzt in Miniumkleidekabinen zu winden und mir von einem niederen Decken-Ventilator die Haare zu einem sonnenblumenähnlichen Deckel niederpusten zu lassen. Fazit: Kleid zu eng, Verkäuferin zu hartnäckig. Aber auch das wird noch werden. Jetzt gehen wir erst mal chic essen mit unseren neuen Verwandten und ich lasse mich beraten.

Abgemacht hatten wir übrigens vor etwa drei Stunden. Aber was ist hier schon Zeit? Eine wunderbare Gelegenheit, auf dem Balkon einen Blog zu schreiben.

Am Montag: Interview mit dem Cartagener Journalisten, Autor und Kolumnisten Oscar Collazos zu Alltag und Politik in Kolumbien.

30 Kommentare zu «Im Land der Missen»

  • just me sagt:

    @ alien…, ja also dann…, Bogotà…, haha

  • Cartagena sagt:

    Auf der Suche nach einem Kleid waren sie hoffentlich schon bei Silvia Tcherassi oder Ketty Tinoco, dort sollten sie was finden…

  • plop sagt:

    Schön, diese Berichte… Da ich nachwuchstechnisch selber grad nicht Reisen kann bin ich froh um bloggende – lese als geografischen Kontrast zu Ihnen noch Berichte über eine Balkanreise mit Bus und Kleinkindern. Auch spannend.
    Geniessen Sies weiter!

  • E.H.Roth. sagt:

    hm, Ehrlich, würde jemand auf dem Paradeplatz eine der vielen „Missen“ erkennen? Die Ex von Stress ist letzten Herbst bei einem Event vor mir gestanden, wir grüssten uns nett und wandte mich ab. Als sich eine kleine Traube um die besagte Frau bildete meinte ich so zu meinem Nachbar wer den diese Frau sein und ich dann aha.. Aber soll Erwachsene Männer geben die mögen die Jungen Dinger…

    • gabi sagt:

      „Dinger“ ?

      Ich vermisse das massive Feuer, dass nach der ersten, leuchtspurmunitionmarkierten Garbe, eigentlich auf Sie einprasseln müsste, Roth!

      Ist irgendwie kleinlauter geworden, die Simme der grossen Befreierinnen?!

      🙂

      – Naja: Wohl einfach Ferienzeit!

      (und Pippi ist mittlerweile tatsächlich schon etwas wund)

      • gabi sagt:

        Oh… Hätte natürlich heissen sollen: „waidwund“!

        Guschti?!

        Was macht eigentlich Ihre „Troll“-Jagd? Inzwischen endlich mal einen (echten) vors Visier gekriegt?

        🙂

  • Deshalb Matze sagt:

    Lokalkolorit. Braucht es für die Identität. Aber so mit Missen und so? Völlig sexistisch, ziemlich daneben, vielleicht für Voyeure oder Frauen, die anders nicht weiterkommen. Nicht für mich, zu hinterwäldlerisch. Reiner Kommerz.

  • Pierre Gassmann sagt:

    Just eine kleine Korrektur: Nationaler Feiertag, -Unabhängikeit von Spanien, ist in Kolumbian am 20sten Juli. Am 14 November wird die Unabhängigkeit von Cartagena gefeiert, ab und zu fallen die Miss-Wahlen auch auf das Datum. Item, freuet Euch. PS: für das Kleid empfehle ich in die Calle de las Damas zu schlendern, ist nicht weit, und die Läden sind gerüstet. Wenn’s nicht anders geht, ab nach Boca Grande, oder in die Shopping Mall Caribe Plaza.

  • just me sagt:

    Frau Fischer…,

    als ein touristischer Vorschlag…, fals Sie Zeit dazu haben, besuchen Sie doch, vor Ihrer Rückreise, die Salt-Cathedral (ca. 50Km nördlich von Bogota oder zumindest das Gold Museum, in Boigota. Es ist die Zeit wert und ein Erlebnis eigener Art.

    Und so send ich Ihnen einen Strauss von Blumen für all Ihr Berichten.

    Buen provecho, denn, ich wohne in der gleichen Zeitzone wie Sie Ihre Ferien verbringen, wodurch es „bei uns“ eben auch 14:45 ist. Der Kommentar mit den Links (Salt Cathedral & Gold Museum) warted auf Freischaltung…, es ist zum heulen..!!!

  • just me sagt:

    Frau Fischer…,

    als ein touristischer Vorschlag…, fals Sie Zeit dazu haben, besuchen Sie doch, vor Ihrer Rückreise, die Salt-Cathedral (ca. 50Km nördlich von Bogota oder zumindest das Gold Museum, in Boigota. Es ist die Zeit wert und ein Erlebnis eigener Art.

    Und so send ich Ihnen einen Strauss von Blumen für all Ihr Berichten. Buen provecho.

    http://en.wikipedia.org/wiki/Salt_Cathedral_of_Zipaquirá
    http://en.wikipedia.org/wiki/Gold_Museum,_Bogota

  • marie sagt:

    die missen lassen sich die kleider nähen – schade dass es schon am 3. august ist, aber vllt kennt jemand von der familie eine gute schneiderin, die ihnen das kleid in rekordzeit näht. sie finden schon was. einfach dran bleiben und mutig sein.
    schwarz trägt man an beerdigungen und weiss wäre konkurrenz zur braut – beides ein no go!
    ich freue mich schon auf das interview.

    • alien sagt:

      In der letzten Zeit musste ich mich einige Male zurückhalten, Leuten von ihren Heiratsplänen abzuraten. Klar, ich heirate nie mehr, aber wer das halt erlebt haben muss…

  • sunflyer sagt:

    wunderbar anders und erfrischend….. viel glück beim kleiderkauf! und wenn es am schluss halt etwas zu eng und zu sexy sein wird – no problem!

    • alien sagt:

      ZU sexy? Naja, gibt’s das?

    • Urs Wagner sagt:

      Vorsicht mit zu engen Kleidern – schnell sieht man dann so aus wie gewisse weibliche C-Promis aus der Schweiz: wie Presswürste

      • Pippi Langstrumpf sagt:

        Zwischen schmal geschnitten und Presswurst-like ist zuweilen ein schmaler Grat, ersteres wirkt elegant, das Zweite nur billig. Ich hab mir vor einigen Monaten mal ein massgeschneidertes Cocktailkleid geleistet, von einer Haute-Couture Schneiderin, es ist halt schon ein gewaltiger Unterschied zur Massenware! Lieber 2 solche als 10 Fähnchen, ausgabenmässig ungefähr ähnlich. Auch teure Fummel ab Stange wirken manchmal wie billige Fähnchen.

    • Urs Vollenweider sagt:

      Und wenn mann dann den Frauen hinterherguckt, ist’s auch wieder nicht recht.

      • Pippi Langstrumpf sagt:

        Es gibt halt gucken und gucken….. 😉

      • gabi sagt:

        Verwirrend, das mit dem Gucken und Gucken, nicht wahr?!

        Falls Sie sich noch mehr in die Richtung amüsieren wollen:

        http://blog.tagesanzeiger.ch/mamablog/index.php/24540/einheitsgeschlecht-eltern/comment-page-1/#comments

        Da geht´s ab rund ums Thema.

        Kann´s Ihnen aber auch kurz zusammenfassen:

        Wenn ein Grüssel guckt ist es eklig und wenn ein „Netter“ guckt (bei Pippi jetzt z.B. ein Maori) dann ist es höchst willkommen.

        …Also eigentlich ganz einfach.

        😉

        Hey, Pippi: Ein echter Fortschritt! Dieses Mal haben Sie gar kein Sätzchen EMMA zittiert, sondern Sportpapi!

        Weiter so!

      • E.H.Roth. sagt:

        hm und der/die Grüssel ist/sind Schweizer nehme ich mal an…. schon mal CH-Frauen an Urlaubsorten erlebt? Was die sich dort von Einheimischen Typen alles gefallen aber wehe dem Schweizer der es wagt eine Schweizerin anzuschauen…

      • gabi sagt:

        Gefallen lassen?

        – Gefallen lassen ist gut!

        Ich war schon an Urlaubsorten, wo ich erlebt habe, weshalb die Frauen genau dort hin wollten (also, was Sie sich gefallen haben lassen mochten).

        Seit dann seh ich das mit den „Bumsbomern“ Richtung Fernost, mit den bösen, bösen Männern drin, etwas entspannter…

        😉

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