Dinge hinter sich lassen

Umziehen bedeutet nicht nur ausmisten, sondern auch Zeit zum Reflektieren. Unser Autor setzt sich zwischen gepackten Kisten sogar mit seiner eigenen Sterblichkeit auseinander.

Beim Umzug sortiert man nicht nur seine Sachen, sondern ein Stück weit auch sich selbst. Foto: iStock

Ich weiss nicht, wann Sie das letzte Mal umgezogen sind und ob Sie daran im Vorfeld eher mit gestresster Besorgnis oder mit anschwellender Begeisterung gedacht haben. In meinem Fall steht in den nächsten Monaten mal wieder ein Umzug an, und dieser Umstand macht mich ziemlich glücklich. Klar wird das auch anstrengend, kostspielig und überhaupt, aber zum einen hat die ganze Familie Lust darauf, und zum anderen bietet es mir wieder einmal Anlass und Gelegenheit, mich von Dingen zu trennen. Von Möbeln, Kleidungsstücken, Geschirr, Spielen und Zimmerpflanzen. Aber auch von Unterlagen, Skizzen, Kontoauszügen und Kinderzeichnungen. Ja, ich gestehe hier und heute, dass ich mich gerne alsbald von den meisten der zahllosen Werke aus der lila Kritzelphase meiner jüngsten Tochter trenne. Eins, zwei Belegexemplare können bleiben, aber der Rest kommt weg. So wie viele andere Dinge auch.

Angepeilt ist ein Drittel des Hausstands. Was vor Jahren eher als Kompromisslösung mit einer Wohnungsverkleinerung begann, ist mittlerweile ein Standard, der auch dann Anwendung findet, wenn nach dem Umzug deutlich mehr Quadratmeter zur Verfügung stehen. Das hat viele Gründe. Einer ist sicherlich der, dass sich in einer sechsköpfigen Mittelstandsfamilie vieles scheinbar wie von selbst ansammelt. Ob nun die vielen Verwandten, die Kitafreunde oder der eigene Geldbeutel dafür verantwortlich sind: So viel Lebenszeit, wie ich bräuchte, um alle Brettspiele zu spielen, die «irgendwie» in unserem Schrank gelandet sind, hab ich nicht zur Verfügung.

Sich von Herzensdingen lösen

Ein anderer Grund ist seltsamerweise unsere Vorliebe für gebrauchte Sachen. Die Lebenskomplizin und ich geben keine Dinge weg, weil wir neue wollen. Wir verkaufen und verschenken neuere Sachen, weil wir ältere und gebrauchte mögen oder selber etwas bauen möchten. Und dann ist da noch ein sehr persönlicher Grund, den nicht viele in meinem Umfeld nachvollziehen können: Gelegentlich trenne ich mich von Sachen, die mir viel bedeuten. Damit bin ich jemand, den es nach der Vorstellung des Schweizer Schriftstellers Martin R. Dean eigentlich nicht geben dürfte. Dean hat kürzlich nämlich in der NZZ einen Text darüber veröffentlicht, dass wir immer mehr zu einer Wegwerfgesellschaft verkommen, die inmitten einer «beschleunigten Verramschung» über immer weniger «Herzensdinge» verfügt.

Ich würde ihm darin sogar grösstenteils zustimmen: Weil wir über immer mehr austauschbare Gebrauchsgegenstände verfügen, verlieren die Dinge an immateriellem Wert. Statt zu reparieren und zu tauschen, konsumieren wir, werfen weg und konsumieren erneut. Dean schreibt aber auch: «Wenn es nichts mehr gibt, das uns von der Wiege bis zum Grab begleitet, sind wir auch die Angst vor der eigenen Sterblichkeit los.» In meinen Augen könnte er damit nicht falscher liegen. Denn gerade indem wir Dinge mit der Bedeutsamkeit aufladen, die eigentlich Lebewesen zukommt, versuchen wir uns der Angst vor der (eigenen) Sterblichkeit zu entledigen. Erst wenn die Uhr des Vaters weg ist, wird er gänzlich fort sein. Erst wenn wir uns von den Schätzen unserer Kindheit getrennt haben, sind wir unwiederbringlich alt und können nicht länger darauf hoffen, dass diese ganze elende Sterblichkeit für ausgerechnet uns eine Ausnahme macht. Immerhin ist Sterben Zeit unseres Lebens ausschliesslich das Sterben der anderen.

Trennungsschmerz lohnt sich

Ich will Ihnen damit nicht Besitz- und Bedürfnislosigkeit predigen. Das wäre in meiner Situation nicht nur übertrieben, sondern auch geheuchelt. Denn ich besitze Herzensdinge, die mir sehr kostbar sind. Weil ich alle meine Kinder darin getragen habe. Weil jemand sie extra für mich angefertigt hat. Weil sie eines der wenigen Fotos von mir als Kind sind. Weil ich sie Hunderte Male gelesen habe.

Aber manchmal tut es mir gut, mich von solchen Dingen zu trennen und sie hinter mir zu lassen. Also nicht nur von dem ersetzbaren Alltagskram, für dessen Transport man der Umzugsfirma sowieso nur mehr Geld bezahlen müsste. Sondern von Dingen, deren Verlust schmerzt, weil sie einen so verlässlich durch das Leben tragen. Manchmal lohnt es sich, herauszufinden, wie es sich anfühlt, von diesen Dingen nicht mehr getragen zu werden. Höchste Zeit für einen Umzug.

14 Kommentare zu «Dinge hinter sich lassen»

  • Reincarnation of XY sagt:

    Herr Pickert, was wollen sie uns sagen? Soll ich meine Kinderzeichnung fortwerfen, um genau was zu lernen….?
    Unsere Angst vor der Sterblichkeit korreliert weder darin, ob ich etwas aufbewahre, noch ob ich es wegwerfe. Und wie gross sie wirklich ist (oder eben nicht) kann sowieso keiner von uns wirklich beurteilen, bevor er nicht unmittelbar vor dem Tod steht.

    Ausmisten hat nur etwas mit dem praktischen Leben zu tun. Fühlen wir uns frischer und freier mit leichtem Gepäck oder geben uns Erinnerungsgegenstände Halt und Sicherheit? Hat man zu viele degradieren sie sich zu Ramsch. Das ist wohl allen klar.
    Ob man sich jung oder alt fühlt, hat aber rein gar nichts damit zu tun, ob ich Dinge aus der Kindheit habe oder nicht, das ist inneres Gefühl.

  • Anh Toàn sagt:

    Umziehen ist wie Abschied nehmen und Ankommen. Als ich drei Jahre auf einem Segelboot lebte, ist bei mir der Satz eines anderen Seglers hängen geblieben: „Ich hasse abreisen, Abschied nehmen, aber ich liebe ankommen an einem neuen Ort noch mehr.“ Oder noch poetischer von Tom Waits: „If you want to go, where the rainbow ends, you will have to say good-bye.“

  • Michèle Pine sagt:

    Der Vergleich mit der eigenen Sterblichkeit ist nicht schlecht.
    Am Tag unseres Sterbens werden wir umziehen, ohne auch nur einen Menschen mitnehmen zu können. Und was wir von unserem Wesen mitnehmen können, ist so klar auch nicht. Wo das neue Zuhause liegt, wenn überhaupt vorhanden, total unsicher. Wir werden gehen wie Flüchtlinge, jeder, und das verbindet uns mit allen Wesen.

  • Röschu sagt:

    @Maike
    Wenn Sie die Sache mal nüchtern und nicht emotional-hysterisch betrachten könnten, würden Sie feststellen, dass sich Spott in dieser Art überhaupt nicht auf Greta selbst bezieht.
    .
    Der Spott richtet sich vielmehr gegen jene Klimajünger und -jüngerinnen, die einerseits blind Gretas Weisheiten/Meinungen glauben und weitergeben, sich dann aber andererseits in der Praxis völlig gegensätzlich dazu verhalten.

    • Thomas sagt:

      Wenn Sie Die Sache mal nicht sexistisch betrachten, sehen Sie, dass gerade Herren älteren Semesters einfach über die Jugend lästern müssen – war aber schon immer so. Frauen „emotionale“ oder „hysterische“ Reaktionen vorzuwerfen, wurde von Sexisten immer schon getan, um sie mundtot zu machen bzw. ihre Argumente ins Lächerliche zu ziehen. Versuchen Sie doch mal in Zukunft, sachlich zu diskutieren.

    • tststs sagt:

      DAS Greta soll kein Spott an/über Greta sein???

      @Thomas: Dies war auch mein Gedanke, aber ich schätze RoXY zu sehr, als dass ich ihm solches unterstellen würde (und ML bereitet mir zu grosses Vergnügen)

  • maike sagt:

    Umzug ist immer eine gute Situation, um sich über die Notwendigkeit seiner besitztümer Gedanken zu machen. Muss man ja alles einzeln anpacken und verstauen. Solange man diesen Umzug aus freien Stücken macht, in eine selbstgewählte neue Freiheit.
    Anders sieht es dann im Alter aus, wenn der Umzug nicht mehr freiwillig stattfindet und sein ganzes restliche Leben dann auf 15qm stattfinden muss.
    Aber dieser Zeitpunkt ist bei Ihnen glücklicherweise noch weit in der Zukunft; geniessen Sie das hier und jetzt mit allen seinen ups and downs. Genau diese Zeit kommt nie wieder.

  • Muttis Liebling sagt:

    Was sagt man im Gretazon über Umzug? Richtig – unbedingt vermeiden. Einmal im Erwachsenenleben erlaubt, aber nur, um in eine kleinere Wohnung in einem Minergie- Haus zu ziehen.

    • Colisa sagt:

      Am besten sollte man schon gar nicht erst leben, und wenn, dann nicht noch 4 Kinder auf die Welt stellen.

    • Maike sagt:

      Sie können nicht aufhören über Greta zu lästern, oder ? Ob sie denn auch sagen können, warum ? Aber damit machen sie nur deutlich, das sie zu den ewig Gestrigen gehören. Der Klimazug für Sie ist längst abgefahren. Und solche wie Sie verkraftet das Klima allemahle.

      • Muttis Liebling sagt:

        ‚Ob sie denn auch sagen können, warum?‘

        Klar, es ist nutzlose Symbolik, wie alles Demonstrative. Sie erkennen es deutlich am medialen Echo. Man soll ab solcher konsequenzfreier Veräusserungen in asketische Begeisterung verfallen, eine Rubrik weiter wirbt es ungeniert für Kreuzfahrschiffe, Ferntouristik und weiterer völlig nutzloser Energie- Dissipation. Demonstrieren ja, aber bei allem, was uns wert ist, bloss keine praktischen Folgerungen.

        Am Ende des Tages zählt nur das Geld und das Greta macht den Kulturteil, die Clownerie, dazu. An Symbolik mit Konsequenzen würde ich mich anschliessen, aber die gibt es seit 30 Jahren nicht mehr. Es gibt nur noch politikimitierende Inszenierungen.

      • Reincarnation of XY sagt:

        Ich stimme ML in allem zu.
        Kinderpropheten tauchen immer in Zeiten grosser Verwirrung auf.
        Natürlich ist das, was sie sagen und tun, nicht wirklich relevant, aber ein emotionales Ventil, für die orientierungslose Masse.

        Verzichtskultur bringt objektiv wenig bis gar nichts, ausser eben einer religiösen Befriedigung.
        Beachtet man 2. den Lebensstil der Greta-Freunde erkennt man darin eine Bigotterie, die das Ganze ad absurdum führen.
        Die Senkung/Neutralisierung des Co2 Ausstosses, erfordert neue Technologien in Energiegewinnung, Bau und Schwerindustrie, und nicht zu letzt der Landwirtschaft.

      • tststs sagt:

        Sorry, meine Herren, aber Sie entlarven hier mehr Ihre eigene Denke, als dass Sie irgendjemand irgendeiner Bigotterie oder sonst was überführen könnten.
        „An Symbolik mit Konsequenzen würde ich mich anschliessen, aber die gibt es seit 30 Jahren nicht mehr“ Sie meinen so was wie übers Meer segeln, anstatt den Flieger zu benutzen?

        Ich mein, MLs eigene Logik kennen wir mittlerweile, aber RoXY: „Verzichtskultur bringt objektiv wenig bis gar nichts,“ Jetzt ernsthaft? Es ist sonnenklar, dass wir zu viel (an was auch immer) verbrauchen. Weniger verbrauchen geht jetzt weissgott nur mit Verzicht. (Wäre schön, wenn die von Ihnen genannten Technologien morgen kämen, dann müssten wir evtl. wirklich nicht verzichten….)

      • Anh Toàn sagt:

        Die Technologien welche zum Klimawandel führten, waren mal neue Technologien, Wunder wurden von denen erwartet. Und jetzt haben wir den Schlamassel. Vielleicht brauchen wir keine neue Technologien, sondern neue Denkansätze. Vielleicht immer mehr und immer besser und immer höher nicht immer besser. Vielleicht wäre es besser, wir wären etwas fauler, hätten weniger Ambitionen. Vielleicht brauchen wir andere Wirtschaftsansätze (alles ist gratis, aber was man sich anschafft, muss man unterhalten und wegwerfen ist kostet teuer.) Wir sind wie die Elche, die sich riesige Geweihe wachsen lassen, mit denen sie kaum mehr durch die Wälder kommen, nur damit sie Sex bekommen. Die Höhlenbewohner hätten so 28 Stunden pro Woche gearbeitet, wir haben Maschinen und Software und schuften 42!

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.