Archiv für die Kategorie ‘Zukünfte’

Frau Feuz hat fertig

Gisela Feuz am Mittwoch den 3. Oktober 2018

Liebes KSB-Blog, wir beide haben uns ziemlich exakt vor 10 Jahre aufeinander eingelassen, gell. Läck bobi war ich nervös, als ich im September 2008 den ersten Text für dich abfeuern durfte. Es ging um das Konzert von Unhold im Dachstock, weisst du noch? STUN-DEN hab ich daran rumgebastelt. Wenn ich den Text heute lese, schäm ich mich ein bisschen. Weil gut ist anders. Aber item.

Es folgten wilde Zeiten, oh boy, und wenn ich wild schreibe, dann mein ich auch wild. Wie oft bin ich nach einem feuchtfröhlichen Konzert nach Hause gewankt, um dir noch davon zu berichten. Im Notfall bediente ich die Tastatur mit einem Zeigefinger, weil ich mir mit der anderen Hand ein Auge zuhalten musste. Und wenns gar nicht mehr ging, dann klemmte man sich am nächsten Tag mit Brummschädel hinter den Computer, um von irgendeiner Hundsverlochete des Vorabends zu erzählen. Der gestrenge Herr Gnos machte einem damals noch die Hölle heiss, wenn nicht anständig verlinkt wurde und der nicht minder gestrenge Herr Sartorius knallte gnadenlos mit der Peitsche, wenn man sich denn mal in der eigenen Kater-Fäule suhlen wollte.

Geduldig und nachsichtig hast du so einige feuzsche Text-Experimente, Stilblüten, Unwahrheiten und sprachliche Unflatiche über dich ergehen lassen, gell liebes KSB. Entschuldigen mag ich mich nicht dafür, weil ich weiss, dass meine blühende Fantasie dir insgeheim genau gleich viel Freude bereitet hat wie mir. Vielmehr möchte ich mich bei dir bedanken, dass ich mich all die Jahre dermassen hemmungslos austoben durfte.

Gemeinerweise hat alles ein Ende. Nein, komm mir jetzt nicht mit der Wurst. Du hast dich verändert, Frau Feuz hat sich verändert. Erwachsen wäre das falsche Wort. Aber die zeitlichen Ressourcen müssen definitiv besser eingeteilt werden und das geht leider Gottes auf deine Kosten. Ja, mir blutet auch das Herz. Aber weinen tun wir trotzdem nicht, gell liebes KSB. Ganz vom Kulturacker* mach ich mich ja nicht und du hast doch neue junge Wilde am Start, mit denen du zukünftig bestimmt allerlei lustigen Unfug und Schabernack erleben wirst. In diesem Sinn: go KSB-Crew, gooooo!

Auf immer und ewig deine,
Frau Feuz

*Frau Feuz bleibt dem Kulturkuchen als Kulturredaktorin bei Radio RaBe erhalten und schreibt weiterhin als freie Journalistin für den Bund. 

Bitte sing mir ein Volkslied

Mirko Schwab am Donnerstag den 27. September 2018

Aufwachen im 21. Jahrundert. Waaghausgasse 4. 6 Tabletten. 2 Rossstärken.

Das Zimmerfenster ist immer offen, auch bei Nacht. Sonst hätte ich Angst vor dem Versticken. Am Morgen bricht die Sonne rein, die gelbe Fratze, heisskalt im Frühherbst. Der Giftschweiss sinkt ins Leintuch ab. Von draussen Alphorngebläs. Bravo, Musik! Ich schleife mich 32 Treppenstufen runter in die Küche, Bialetti eindrehen und den Tabak. Auf dem Küchentisch liegt die Wochenzeitung mit Musikbeilage. Lil Peep selig grinst vom Recycling-Papier.

«Pop grotesk» steht drunter. Versuche, die Kontemporärmusik zu verstehen. Haiyti, XXXTentacion, Lil Peep, Lil Xan, Lil Skies, Yung Lean und Trippie Redd – Hyperemotionalität und Sinnesleere, Hyperkapitalismus, Politik zwischen den Zeilen, vielleicht, Generation X.2 auf Autotune und Benzos. Aufwachen im 21. Jahrundert. Oder wegdösen.

Sechs Tabletten Xanax mit Fentanyl liessen den kleinen Peep für immer schlafen.

Frau Bialetti faucht mich an. Manchmal fauche ich zurück. Gsssssshhhhchchch! Selber Gsssssshhhhchchch! Ich male einen Kaffeefleck auf die schöne WOZ-Beilage, die von Arztneimitteln handelt, lesen Sie die WOZ-Beilage. Was ist mit der Popmusik nur los fragt man sich, durchaus genüsslich. You know something’s happening but you don’t know what it is.

Tobias Jundt sagt: Punk ist tot. Reggae ist tot. Jazz ist tot. Hiphop ist tot. Funk ist tot. Schlager ist tot. Klassik auch tot – merkt aber keiner. Und möchte sein Lied zurück, sein existenzielles. Bitte sing mir ein Volkslied.

Es gibt viel zu tun für die Musikjournaille im semiotischen Wald des 21. Jahrhunderts. Dann kommen mir die drei Studentenbuben wieder in den Sinn, drei Milchgesichter aus Bern und Biellle / Bien. Wie sie im Döschwo-Cabriolet durch den Zeitgeist fahren, «sprachlicher Gurkensalat» wie bei Hayiti, Capri Soleil als Lebensgefühl. Die Dekonstruktion des Sommerhits, schon manche haben sich daran versucht. Zweitausendundjetzt klingt das so:

Am Ende ist alles Illusion, ein Trick, ein Code. Aber gestorben wird weiterhin in echt. Was ist zwischen Liebesleid und Leere, Narrativ und Dadaismus?

Greenscreen, Purpledrank, Mountain Dew, Capri Sonne, San Pellegrino, Sophie Hunger und die Ballade vom dünnen Mann, die Ballade vom müden Mann, vom lebensmüden, das Lied vom Tod. Young gun, yung gone.

XXXTentacion ist auch tot. Haiyti spielt am 19. Oktober im ISC. Chic ist eine ziemlich fiktive Boyband von David Bregenzer, Samuel Rauber und Jonas Weber. Die WOZ gibts für 6 Franken inkl. MwSt. am Kiosk.

Krumme Geschäfte

Roland Fischer am Freitag den 10. August 2018

Buskers all over. Vor allem auf dem Münsterplatz, wo das überalle All sich ausbreitet für ein paar Tage, mit allerlei Inner-, Aufder- und Ausserirdischem. Zum Beispiel Essen aus abartigem Gemüse, mit dem Food Fest.

Oder mit dem ehemaligen KSB-Alien Miko Hucko, die ja mit der Social Space Agency schon einige Erfahrung in Sachen Wel/t/raum-Erkundung hat. Am Buskers entführt sie als Utopian Witness auf eine zeitreisende Stadtführung.

Wir nehmen euch mit auf eine Reise zurück in die dunklen Zeiten des Spätkapitalismus. Damals, als die Welt von Krisen gebeutelt schien und viele Menschen keine Zukunft näher sahen als den Weltuntergang.

Bitches, we’re hiring

Mirko Schwab am Donnerstag den 31. Mai 2018

Die KSB-Gang sucht Kanonenfutter. Are you willing to play?

Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Aber wir sind wenigstens ehrlich: Für knapp zweihundert Stutz im Monat (herzliche Grüsse nach Zureich) wird hier ganz schön geballert.

Wer wir sind, was wir wollen
(KSB is not dead. It just smells funny.)

KSB will streiten und streicheln. Wir wollen guter Kultur Nährboden sein, uns an der mal aufregenden, bald provinziellen Sandsteinstadt aufreiben und den abgeranzten Routinen des Lokaljournalismus ein Schnippchen schlagen. Wir wollen berichten, worüber im Print kein Tropfen Tinte verloren wird und werden dabei gerne auch politisch, literarisch oder satirisch. An der Peripherie, im Hinter- und im Untergrund, an der Oberfläche zwischen Abo+ und fucking Mamablog leisten wir uns eine Meinung.

Du so?
(Zeitgirl, Zeitboy)

Lust auf Kritik und Kontrapunkt? Wir suchen einen neuen Querkopf, der sich in Berns Kulturdebatten einmischen will. Jemand, der Bock hat, auf der Matte zu stehen, wann immer eine Platte getauft, aus einem Buch gelesen, sich im Performativen verrenkt oder ein Spiel gespielt wird. Jemand, der sprachliches Feingefühl (und / oder Kompromisslosigkeit) mitbringt und das alte Affenhaus KSB still rolling lebendig hält, schöngeistig auch und manchmal mühsam. Und im Idealfall mehr von Interpunktion versteht als Jessica Jurassica.

Macht Laune? Deinen Liebesbrief mitsamt einer kurzen Erklärung, wieso es dich hier braucht, deponierst Du hier.

Viel Liebe.
Die Gang

Da grinst er dann, der Gränni

Mirko Schwab am Freitag den 24. November 2017

Il y jaja: Zuwachs am Bollwerk. Heute wird der erste Schaumwein geköpft im Gränni – und die halbe Stadt stellt sich W-Fragen. Wir haben uns deshalb noch rechtzeitig vor der Eröffnung mit einem der Drahtzieher verabredet auf ein Glas.

Storen hoch am Bollwerk 39, Auftritt Gränni.

Inventur: Eine F***book-Seite. Ein hipstoresk verzettelter Schriftzug. Eine Adresse, alles vornehm zurückhaltend in Schwarzweiss. Und ein etwas selbstgefällig windiger Kunstschul-Promotext, der mit brauchbaren Informationen geizt …

Nicht wenigen ist in den letzten Tagen und Wochen der «Gränni» untergekommen als sozialmediales Treibgut – und nicht wenige haben sich gewundert ob der zelebrierten Geheimnistuerei. Als eine bekanntere Band kürzlich ihre Spieldaten veröffentlicht hat und also dieser ominöse Gränni auf dem Tourtableau figurierte, da monierte drunter jemand einigermassen vehement: «WTF is Gränni?»

Ja, what the fuck denn nun? Ich treffe meinen hombre Valentin Hehl an besagter Adresse, Bollwerk 39, an der Hauptschlagader des hauptstädtischen Nachtlebens, schön vis-à-vis des Schandflecks of our hearts. Zwischen Diskothek und Omelettenbar versteckt sich da ein kleines Lokal hinter heruntergelassenen Storen. Hehl, ein schneidiger Mittzwanziger mit unverbrauchtem Gesicht, er geleitet mich herein. Umgeben von mattschwarz gestrichenen Wänden stehen wir dann am Tresen. Eine gleichermassen lieblich und säuberlich selbstgezimmerte Ausschenke, die programmatisch die gesamte Stirnseite des Raums beansprucht.

«Also eine Bar wird das geben» setze ich an. «Auch» hält Hehl dagegen, um dann gleich einen wesentlich fülligeren Ideenkatalog aufzufächern: Kleine Konzerte und kleine Raves, komödiantische Theaterabende und geselliges Kartenspiel, Karaoke und üppige «Tavolate» – überhaupt gastrokultureller Experimentiergeist sei es, der sie hier antreibe an der Hausnummer 39. In der improvisierten Kleinküche hinter der Bar rüsten sich derweil zwei Köche für ein Testessen. Im Publikumsraum steht schon grosszügig Beschallungstechnik bereit. Ja, denke ich bei mir, die haben einiges vor mit diesem Zimmerchen.

Schon am Anfang des Gesprächs stellt Hehl klar, dass nicht er alleine diesen Ort repräsentieren will. Und dass er schon gar nicht für alles verantwortlich zeichne, was es hier bald zu erleben gebe. Ganz generell gehe es nicht darum, die einzelnen Kulturköpfe hinter dem Projekt zu fokussieren. Ein bunter Haufen seien sie, die benachbarte «Chouette» sei zu Teilen involviert, daneben andere, befreundete Köpfe, einige davon aus Hehls angestammtem Veranstalterkollektiv «Fester», andere aus dem Dunstkreis eines weitverästelten Umfelds. Lieber aber weist er mich auf die schrullige Plastik im Eingangsbereich hin. Eine unförmige Herrennatur mit verzogenem Gesicht begrüsst jeden, der das Lokal betritt. Das sei jetzt eben der Gränni. Ein grummliger Schutzpatron und die Gallionsfigur, die im Team sonst keiner sein mag.

«Ein Gränni nur auf Zeit.» Die Sache ist befristet auf runde drei Monate genau, die am 24. Februar zu Ende gehen werden. Ich frage Hehl nach einer Zutat, die man dem Berner Nachtleben mit diesem Ort mitgeben wolle, nach einem Mehrwert, der die blosse Erweiterung vom Angebot übersteigt. Da spielten ihnen sicher die Rahmenbedingungen einer Zwischennutzung in die Karten, die das Experimentieren zulassen würden, die Spontaneität, das Ungeplante. So seien zwar die Wochenenden bis weit ins neue Jahr hinein bereits verplant, unter der Woche aber gäbs noch reichlich Platz – Platz auch für alle, die eine gescheite Idee haben und im Projekt mitmischen wollen. (So drop them Grännis a nice line.)

Wie sich der neue Schuppen im Downtown Bollwerk einleben wird, ob sich daraus eine fruchtbare Perspektivik fürs hauptstädtische Nachtleben erschliesst oder Bewährtes lediglich einen aufgerfrischten Anstrich erhält – es wird sich zeigen. Etwas Mut zur Schräglage wäre dem Projekt sicherlich zu wünschen. Eines ersten schelmischen Erfolgs jedenfalls dürfen sich Hehl und die Grännis schonmal rühmen: Studiert man nämlich das eingangs erwähnte Tourplänchen der Zürcher Band Wolfman etwas genauer, behauptet sich die kleine Kulturbar ganz schön selbstsicher neben der stolzen Luzerner Schüür, dem traditionsreichen Aarauer Kiff und dem weltgewandten Zürcher Exil.

Und da grinst er dann, der Gränni.

Vom 24. November bis zum 24. Februar. Grand opening today. Ab 17 Uhr werden die Wände vor Publikum bepinselt, danach Baile alter Schule mit der Secret Golden Pyramid Raidin’ Boom Bap Clique.

Letzte Runde №1: Albert Einstein

Mirko Schwab am Freitag den 18. August 2017

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade …
Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Letzte Runde!
Heute mit Albert Einstein
.

«Und deshalb ist es gut, dass du einmal stirbst» hat er ihm gesagt und ein selbstgerechtes Lächeln hinterhergereicht. Der andere, schon deutlich ältere der beiden Feisten, die sie da sassen und Stangen tranken und Stangen rauchten, sagte darauf nichts. Auch ich fand es recht frech. «Doch, lueg», setzte er nach, «du hast jetzt vielleicht noch deine Ressentiments gegenüber den Neuen, genauso, wie deine Eltern damals, als die Tschinggen raufgekommen sind.» Vom Gesprächsthema verdrossen bemühte ich mich um schnelles Rauchen. «Aber deine Eltern, die sind jetzt tot» raunte er schnörkellos «und den Ernesto, weisst, der von Bethlehem, den findest du ja auch einen Geraden.» Und genauso gehe es dann der nächsten Generation mit den Neuen. Und eben deshalb sei es gut, sagte er, «dass du einmal stirbst.» Also doch: Ein Satz von kühner Weisheit.

Diesen Beitrag weiterlesen »

Sohn des Zweifels

Mirko Schwab am Donnerstag den 11. Mai 2017

Es ist ein Geschenk unserer Zeit, dass wir über DJ-Sets schreiben dürfen in der Erscheinung als kleine Kunstwerke. Zum Beispiel letzthin dank Sképson.

Sképson, Produzent und DJ. Photo: Nicu Strobo (www.nschmid.ch)

Tobias Jakob ist ein stiller Mann und Schaffer. Keiner, der aus unsauberen Motiven hinter dem Pult stehen würde. Wegen den Girls oder den Gratisgetränken. Oder den geckenhaften Moves, mit denen Einfallslosigkeit an den Reglern gerne kompensiert wird: Kopfhörer lässig eingeklemmt zwischen Schulter und Ohr, der tätowierte Arm nach dem einen Potie ausgestreckt, als gälte es, eine Heldenstatue der eigenen Männlichkeit zu werden, bevor mit gymnastischer Verve der Bass gedroppt, gedienstleistet wird, an jener Stelle, da der Saal ihn nach sechzehn Takten verlangt hat, das Controlpad am Glühen, der Scheiss ist lit, schnell wieder hochziehen und sich dann laben in der Dusche verzückten Gekreisches aus der ersten Reihe. Nein, so einer ist er nicht.

Die Rechnung ist eine umgekehrte: Jakobs Bühnen-Ich Sképson steht da in recht unspektakulärer Konzentration. Wenn es einen gäbe, der seine Steuererklärung im Stehen ausfüllte, sähe das vielleicht ganz ähnlich aus. Der Witz kommt aus den Boxen. Verträumte Synthesizergewebe im Donnergrollen. Grollen, das über einen hereinbricht, wenn man sich gerade die Zigarette anzuzünden im Begriff ist. Das Unerwartete und Schelmische reitet immer mit auf Sképsons dringlichem Ritt durch wohlkuratierten Techno und Eigenkompositionen hie und da. Und der Zweifel: Jeder draufgängerischen Wendung scheint auch ein Rest Unsicherheit anzuhaften, die eben dort entsteht, wo die gängigen Regeln der eigenen intuitiven Kraft entgegenlaufen. Kunst halt.

Zuerst war das DJ-Set nicht mehr als die Summe seiner Bestandteile. Im besten Fall gut erlesene Stücke, so aneinandergereiht, dass niemand am Schwofen gehindert ward. Das Set aber als eigene Grösse, in der das Ausgelesene aufgeht in einer selbständigen Geschichte, es ist ein Geschenk unserer Zeit. Und Sképson, der ewige Zweifler, stille Draufgänger; ein wahrer Held derjenigen, die zum Tanzen auch die Ohren spitzen.

Aus dem Rössli, 27. April:

Sképson ist nur einer vom Label «Tiefgang Recordings», das die lebendige Berner Technoszene seit Jahren um eine bittersüsse Note bereichert.

#BernNotBrooklyn

Mirko Schwab am Sonntag den 19. Februar 2017

Bern ist zwar nicht Brooklyn, aber hey, auch in der Hauptstadt ist mächtig was los.

Photokredit: Rôgn H.

Es lag in der Luft und dann ist es explodiert.
Leute flogen durch den Raum, Bier, ein Stuhl. Einer hing am Lichtgebälk.
Scheinwerfer ein für den Bassderwisch Bit, Scheinwerfer ein für den göldenen Chronisten.
Liebe in Zeiten vom kommenden Alltag.

Posten Sie Ihr Foto/Video auf irgendeiner digitalen sozialen Plattform mit dem Zusatz #BernNotBrooklyn. KSB wählt unter den Fotos das leckerste aus und veröffentlicht es manchmal sogar pünktlich zum Katerfrühstück. Kommt halt auch drauf an, wann man wieder essen kann.

Berner Beben (2)

Urs Rihs am Sonntag den 29. Januar 2017

Bern Zweitausendundbald. Ein Erdbeben hat die Sandsteinstadt aus den Angeln gehoben und mit ihr Recht und Ordnung. In den Trümmern gedeihts. Eine Fantasie in Fortsetzungen. Szenen in der neuen Stadt.

Berner Beben (1)…In der Kuppelhalle schneit es kleine Papierschnipsel als du eintrittst. Der Boden ist übersät mit Glassplitter und Marmorbruch. Die drei Eidgenossen stehen schief auf ihrem Sockel, Arnold von Melchtals Kopf liegt am Boden. Du folgst der Treppe hoch, geleitet von einem Geruch. Mittelmeer liegt in der Luft: Salz, Fisch, Gewürze.

Im Nationalratssaal rühren Menschen in grossen Pfannen Eintöpfe an, eine Gruppe Secondos aus Spanien und Portugal debattiert über Ingredienzen. Die Stimmung ist ausgelassen.
Du isst den besten Teller Paella deines Lebens und hörst, wie sich Kinder über den Westen der Stadt unterhalten: «Bethlehem hat es nicht ganz so heftig erwischt, dort stehen gar noch ein paar Hochhäuser! Die versuchen da einen Radiosender aufzubauen.» «Ja, ich habs auch gesehen, die haben eine riesige Antenne auf den Wohnturm gehievt!»
Es stimmt also, die Dreieckskooperative scheint sich zu organisieren, bis anhin war nur gerüchteweise davon zu hören. Durch einen alten Polizeifunk am Waisenhausplatz hatte wer das Kredo der Kooperative mitgeschnitten: Eine direkte Aktion mit der Utopie Neu-Bern kulturell zu resetten: Kein Subventionsfilz mehr, keine Grabenkämpfe in der freien Szene, alles multidisziplinär und synergetisch. Mit einem gemeinsamen Organ, einem freien Radio, an drei Orten stationiert.

Dein Plan ist klar, du willst da hin und mittun, diese Chance gibt es nur genau jetzt. Und den Reaktionären muss Paroli geboten werden. Die sind nicht untätig. Kurz nach dem Beben hat sich im Stadttheater die Rebellengruppe «DHP» eingenistet: «Die hochkulturellen Puristen», mit dem Ziel ihre Burg bis aufs blaue Blut zu verteidigen. Ihre markige Losung – Nach dem Zaster, bleibt der Stand! – kursiert auf den wertlosen Geldscheinen, als Mahnmal quasi. Einige riechen schon den Bürgerkrieg zwischen den Rebellen und schwadronierenden K-Kollektiven. Diese versuchen ihrerseits in den Gassen postrevolutionäre Theorien rigoros durchzusetzen und provozieren dabei üble Strassenschlachten. Transparente an Ruinenmauern in der Lorraine mit der Aufschrift «Das Beben zerrüttet seine eigenen Kinder!» zeugen von den Auseinandersetzungen.

Nun denn, du holst dir noch eine Portion Paella zur Stärkung, bedankst dich bei der Vokü-Gruppe und machst dich auf den Weg. An den offenen Adern der Stadt entlang Richtung Bümpliz. Es ist Nacht und bitterkalt, aber du trägst Hoffnung in dir, Hoffnung auf die Versprechen der Dreieckskooperative.

Einer der noch stehenden Wohntürme in Berns Westen, Base der Dreieckskooperative.

Redaktorin die Krstic übernimmt und macht aus der angebrochenen Fantasie eine eigene.
Der Film «Berner Beben» aus dem Jahr 1990 dokumentiert die metaphorischen Erdbeben der Achtzigerjahre und zeigt, dass lebendige Stadtkultur eben Beben braucht. Hier in voller Läng

Berner Beben (1)

Mirko Schwab am Samstag den 21. Januar 2017

Bern Zweitausendundbald. Ein Erdbeben hat die Sandsteinstadt aus den Angeln gehoben und mit ihr Recht und Ordnung. In den Trümmern gedeihts. Eine Fantasie in Fortsetzungen. Szenen in der neuen Stadt.

Als es zu rumoren beginnt und der Gassenboden sich auftut und das Geläut der zitternden Kirchen, als die Leuchtreklamen sich aus den Halterungen lösen, als die Welle gegen den Bahnhof brandet und das Senkeltram in der Waagrechten liegt, als oben und unten durcheinanderkommen in ein paar entrückten Augenblicken – da greift Frau Mülller noch zum Hörer, um sich über den Lärm zu beschweren.

Und da streichst du durch den Staub. Rasch war das Nötigste eingerichtet worden in Zelten und Baracken. Dir gefällt, wie der ganze Wohlstand dafür eingesetzt wurde, das Nötige zu bezeichnen, herzuschaffen und ausnahmslos allen zur Verfügung zu stellen. In der Suppenküche interessiert es niemand, wer du warst vor dem Beben, seit welcher Generation du hier warst, ob du Pfarrer warst oder Hure oder von der Polizei.

Also gehst du furchtlos durch den Staub. Auf der Suche nach deinen Leuten und nach den Plätzen. All die Orte, die du im Schlaf gefunden hättest, die im Schlaf standen seit du dich erinnern kannst, sind jetzt faszinierende Wimmelbilder. In den Zwischenräumen versammeln sich die Bebenskinder und am offenen Thorax der Strassen entsteht, was du zuvor nicht kanntest: echte Öffentlichkeit als Raum für alle. Zu erkunden ziehst du weiter mit den offensten Augen. Die Dämmerung legt sich langsam über die Wimmelbilder, die Bebenskinder entzünden Feuerstellen. Dein Blick folgt den Rauchsäulen und du entdeckst, wie Lichter leuchten in den glaslosen Fenstern des eingefallenen Kuppelbaus, der einst Bundeshaus hiess und noch keinen neuen Namen hat, weil noch nichts einen neuen Namen hat. Du gehst hin und die Tür steht offen.

Redaktor der Urs übernimmt und macht aus der angebrochenen Fantasie eine eigene.
Der Film «Berner Beben» aus dem Jahr 1990 dokumentiert die metaphorischen Erdbeben der Achtzigerjahre und zeigt, dass lebendige Stadtkultur eben Beben braucht. Hier in voller Länge.