Archiv für die Kategorie ‘Wüsten & Oasen’

Transforming Christmas

Roland Fischer am Donnerstag den 24. Dezember 2015

Merci für das Weihnachtsgeschenk, transform! Gestern haben die Macher endlich erste Infos zur nächsten Versuchsanordnung ausgeplaudert:

Das Experiment geht weiter. Während der Versuchsanordnung 5 vom 1. Februar bis zum 13. März 2016 transformieren um die 30 Kunstschaffende ein ganzes Quartier: Bern-Holligen

Aber das Quartier wurde schon gefragt, oder? Nicht dass die Bewohner nicht mehr nach hause finden, weil die Künstler kurzerhand alles umgestellt haben. Ich finde sonst, man könnte beim Europaplatz mal anfangen mit transformieren.

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Und wer noch ein Last-Minute-Geschenk braucht: transform gibt es auch als Buch, frisch herausgekommen. Man es dann ganz bewusst zwischen die anderen Bände im Regal stellen.

transform begibt sich damit auf ungewohntes Terrain: Das Projekt hinterfragt mit seinen Versuchsanordnungen nicht nur starre Abgrenzungen zwischen den Gattungen, sondern stellt sich bewusst ins Dazwischen und wird dadurch schwer fassbar. Diese Publikation versucht es trotzdem: Sie erzählt die verschiedenen Prozesse als eine Art Zwischenbericht nach und vertieft in sechs Beiträgen ausgewählte kunsttheoretische Ansätze.

Vergessen am Kaukasus

Miko Hucko am Mittwoch den 9. Dezember 2015

Was passiert eigentlich, wenn Geflüchtete nicht integriert werden, sondern immer nur vertröstet? Wie entwickelt sich die Geschichte von Menschen weiter, wenn ihnen kein neues Zuhause geboten wird, sondern ein Provisorium nach dem anderen?

Antworten, intime Bilder und Geschichten liefert Jenseits der Grenzen – Erkundungen bei den vergessenen Flüchtlingen des Süd-Kaukasus. Der Berner Fotograf Jan Zychlinski bereiste die Region bei Armenien, Georgien und Aserbaidschan (hier ungefähr) für ein halbes Jahr und dokumentierte Schicksale und Lebensbedingungen von Menschen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in diese Region geflohen sind.

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Zychlinski liefert mit seinen sehr nahen Art der Fotografie einen fragmentierten Blick, der auf Subjektivität setzt und dabei auch offen zu erkennen gibt, dass einige Bilder gestellt sind. Sowohl den Bildern als auch dem gesamten Narrativ kommt dieser Blick zu Gute. Und doch fühlt sich diese Welt dort an wie aus der Zeit gefallen und erhält etwas Mystisches, ohne dabei seine Ernsthaftigkeit zu verlieren.

Die Fotoausstellung und das zugehörige Buch beleuchten nicht nur eine zu wenig beobachtete Historie, sondern auch eine erschreckend aktuelle Frage, jetzt, da in Zentraleuropa überall Provisorien eröffnet werden, um Menschen aufzunehmen. Auf dass wir aus der Geschichte lernen.

 

Die Ausstellung läuft bis zum 9. Januar 2016 im Kornhausforum, 2. Stock. Das Buch ist ebenfalls dort zu erwerben.

Kuba Caliente vs. Zürcher Hardcore

Gisela Feuz am Freitag den 20. November 2015

Es ist eine seltsame Mischung, die zur Zeit aus Johannes Hartmanns Wirkungsstätte gleich neben Frau Feuz’ Schreibwerkstatt erklingt: mal tuten lebensfrohe Cumbia-Bläser in ihre Trompeten, dann wieder dröhnen verzerrte Gitarren und Urschreie aus der Schnittkammer des Berner Filmemachers. Die Affiche lautet Caliente vs. Hardcore oder Kuba vs. Vale Tudo.

Bereits vor zwei Jahren haben sich die vier Hardcore Heavyweights aus Züri eine ungewöhnliche Destination für eine Konzertournee ausgesucht: Marokko. Mit im Gepäck hatten sie damals den Berner Filmemacher Johannes Hartmann, der über das Abenteuer in Nordafrika einen Dokumentarfilm drehte (KSB hat hier darüber berichtet). Nun hat sich Hartmann wieder mit der illusteren Truppe in einen Flieger gesetzt, dieses mal mit Destination Kuba, wo die Mannen acht Shows zu spielen gedachten.

Vor Ort wurden Vale Tudo von den befreundeten Überyou in Empfang genommen, einer Punk-Truppe aus Zürich, welche das ganze Kuba-Abenteuer angezettelt hatte, bei dem drei weitere Combos mit von Partie waren: The Strapones aus Thun, Joliette aus Mexiko und die kanadischen Polit-Punker Get The Shot. Eine muntere Männer-Schnaps-Riege hatte sich da also zusammengetan, die fortan mit dem Tourbus quer durchs heisse Kuba bretterte – mittendrin Hartmann mit seiner Kamera. Aus unzähligen Stunden Filmmaterial schneidet dieser nun 4 Episoden zusammen, die vergnüglich dokumentieren, mit welchen Widrigkeiten die Hardcore und Punk-Helden zu kämpfen hatten. Da kann ein Regenschauer schon mal das «Diktatoren-Set» verhindern und ein angezapfter Telefonmast muss als Stromlieferant herhalten. Eben alles ein bisschen anders in diesem Kuba. Aber schauen Sie doch selber:

VT Tour Diaries Cuba 2015 – Episode 2 from Decoy Collective on Vimeo.

In jeder der vier Episoden stellt Hartmann eine beteiligte Band genauer vor. In der ersten Episode waren dies Überyou, in der obigen Folge die jungen Wilden Joliette aus Mexiko. Folge Drei wird The Strapones gewidmet sein, Folge Vier dann den kanadischen Get The Shot. Geplant ist, dass die nächsten Episoden im Abstand von jeweils 10 Tagen herauskommen. Und dann ist dann auch mal wieder gut mit Caliente aus der Schnittkammer, findet Frau Feuz!

Wechselwarmer Sonntag

Saskia Winkelmann am Montag den 9. November 2015

Besser als Tatort: Motorama (RU) und Boogarins (BR) lieferten, wenn auch beide auf ihre Art, in sich geschlossene Shows am Sonntag im Rössli der Reitschule.

Eine durchaus längere Diskussion wert ist, ob Vorbands einem Abend eine Schattierung oder eher die Komplementärfarbe hinzufügen sollen. Gestern wurde im Rössli nicht unbedingt auf ein stringentes Booking gesetzt. Gitarrenmusik ist eben nicht gleich Gitarrenmusik; die beiden Bands kommen nicht nur geographisch, sondern auch in ihrer Ästhetik aus völlig entgegengesetzten Richtungen.

Motorama

Die fotografische Konzertdokumentation ist der Bloggerins Leid. Doch immerhin: Auf diesem Bild erkennt der aufmerksame Betrachter die Akteure des Abends. Vorne im Foto die Boogarins (mit guter Laune), auf der Bühne Motorama (ohne Laune). Der Abend war eher körnig schwarzweiss, wir tranken Rotwein. Synästhetisch wird hier zumindest die zweite Hälfte des Abends wiedergegeben. Die Bildqualität sei hiermit entschuldigt.

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Frau Manns Fotoalbum #1: Der Schreibtisch

Saskia Winkelmann am Sonntag den 8. November 2015

KulturStattBern hat zuwachs bekommen. Frau Mann, die neue Schreiberin, bekannt aus Nacht und Nebel, fällt gleich mit der Tür ins Haus und zeigt uns ein Bild aus ihrem ganz privaten Fotoalbum.

Lieber KulturStattBern-LeserInnen

Ich bin die Neue. Das ist mein erster Post.
Und gleich folgen intime Einblicke in mein Leben.
Heute: Der Schreibtisch.

Liebe Grüsse
Frau (Winkel-)Mann
©SaskiaWinkelmann

Das ist mein Schreibtisch im August 2015, irgendwo in Bern 3008. Was ihr nicht seht: Von da sehe ich auf den Zwetschgenbaum vor dem Haus. Was ihr auch nicht seht: Hier verbringe ich 30% meiner (wachen) Zeit.

Zukünfte: 21. Oktober 2015

Miko Hucko am Mittwoch den 21. Oktober 2015

Als ich Back To The Future zum ersten Mal gesehen habe, also vor etwa 20 Jahren, da war für mich klar: Unsere Zukunft wird grossartig. Aber wie sie dann genau werden wurde, das war für mich natürlich nicht klar. Ich konnte mir einiges vorstellen, aber nicht das, was wir jetzt haben.

Seit die Highways wirklich in den Wolken hängen
ist in den Strassen wieder Platz für Menschenmengen

singen Ja, Panik – und sie haben völlig Recht. Seit 2001, quasi parallel zur Einführung des Euro, der Hoverantrieb für die breite Masse erschwinglich wurde, hat sich unser Stadtbild, ja, das Bild von ganz Europa, massgeblich verändert und mit ihm unser Verständnis von öffentlichem Raum und von Grenzen. Letzere sind zu aufwändig und schwerig erhaltbar geworden, und seit drei Jahren am Zerfallen (oder, haha, Zerfliegen).

Der öffentliche Raum wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts mehr und mehr zu einem Ort des Verkehrs, des Transits, der schnellsmöglichen Verschiebung von A nach B umstrukturiert. Flächen zum sein, hängen, spielen, treffen, tanzen waren wenige da im Verhältnis zu den Strassen, Autobahnen, Bahngeleisen, Fussgängerstreifen, Trottoirs, Parkplätzen, Velostreifen und Kreiseln.

Nach neusten Statistiken hat sich dieses Verhältnis im Laufe der letzten 14 Jahre verkehrt – auch wenn es mir selbst nicht so bewusst aufgefallen ist. Aber klar, wer käme heute noch auf die Idee, mitten durch eine Stadt, die nun mal zum Leben da ist, eine Hauptverkehrsachse zu bauen? Wahnsinn.

Am prägendsten in Erinnerung geblieben ist mir der Tag, als wir in ganz Europa die Autobahnnen schlossen. Ein Freudenfest, manche Partyumzüge dauerten mehrere Tage und einer dauert immer nocht an, quasi. Was eignet sich besser als Partymeile denn die lärmisolierte A1 Bern-Zürich?

Auch interessant ist, wie sich das Verständnis vom öffentlichem und individuellen Verkehr geändert hat. Es gibt einfach Gefährte in verschiedenen Grössen, von Einzeln bis zu Hunderten. Und alle, die einen entsprechenden Verkehrschip haben (und seien wir ehrlich, der ist ja billiger als anno dazual das Halbtax – wer hat schon keinen?), leihen sich ein Gefährt aus oder steigen mit ein. Weil Besitz nur Platz verschwendet.

 

Marty McFly und der Delorean. Kompostbetrieben, wie heute auch.

Heute ist der Tag, an dem Marty MacFly in der Zukunft landet – aus dem Jahr 1989. Die Zukunft ist also fast gleich alt wie ich.

 

Flimmern #20

Oliver Roth am Mittwoch den 21. Oktober 2015

In dieser Serie präsentiert Ihnen KSB das Flimmern zur Wochenmitte.

Der zweite Teil der Video-Reihe führt fort, was der erste Teil angefangen hat, und verkettet kurze Videos. In den wöchentlich, seriell geschalteten Aufnahmen schimmert oft ein Ausschnitt aus dem grossen Ganzen durch: Das Flimmern. Es kann ein flüchtiges Lichtspiel schummriger Stunden sein, ein klares Signal oder Zeichen aber auch ein zittriges, verschwommenes Unbekanntes. Schauen sie gut hin, hören sie genau zu.

Die Videos dieser Reihe stammen aus dem Archiv unseres Autoren und sind an unterschiedlichen Orten vor allem auf Reisen und unterwegs gesammelt worden. Für Urheberrechte wird nicht gehaftet, Vorsicht vor Strobo-Licht und Schwindel.

Zukünfte: August 2016

Miko Hucko am Dienstag den 29. September 2015

Endlich wird die Idee des Stadtlabors auf der Schützenmatte ernst genommen: Die Bevölkerung hat die Erlaubnis, während der kommenden Monate auf dem Platz zu tun und zu lassen, wie es uns gefällt. Ziemlich progressiv! Wahrscheinlich hört Tschäppät schon die wohlverdiente AltStapiZeit rufen und lässt einfach mal zu, statt durchzuorganisieren und mittels Kunst zu ordnen.

Perfekt herausgeputzte Parkfelder auf der Schützenmatt? Sicher nicht dieses Jahr.

Perfekt herausgeputzte Parkfelder auf der Schütz? Sicher nicht dieses Jahr.

Schon jetzt, nach diesem ersten Wochenende, ist da einiges gegangen. Eine Gruppe Mittzwanziger hat allen Ernstes einen alten, ausgebrannten Eisenbahnwaggon angeschleppt. Keine Ahnung, wie die das geschafft haben, aber seit Sonntag früh steht er da und wird besetzt, benutzt, bekocht. Das Holzgerüst der letzten beiden Jahre hat die Stadtverwaltung selbst auch aufgestellt. Zwei junge Mädchen grüssen mich und bieten mir von ihrem veganen Eintopf an.

Natürlich gab es schon erste Streits und Diskussionen, aber die werden nicht aufhören. Und das ist gut so. Denn wenn wir ernsthaft ausprobieren, wie wir leben wollen, geht das nicht ohne Konflikte, Gespräche und Emotionen.

Überhaupt ist es ein fleissiges stürmen, basteln, trinken, lachen, leben; alles scheint Hand in Hand zu gehen. So einfach ist es in dieser sonst zersplitterten Stadt gelungen, eine Bewegung entstehen zu lassen, eine vielfältige, lebendige. Alles, was es brauchte, war dieses kleine bisschen echter Freiraum.

Einmaliges Kunst-Haus in Bern

Oliver Roth am Freitag den 28. August 2015

Eine exklusive Foto-Homestory aus dem Susanne-Schwob-Haus.

In der Küche im 1. Stock wird Kaffee gemahlen

In der Küche im 1. Stock wird Kaffee gemahlen

Als ich ankomme, bereitet Aldir Polymeris gerade Kaffee zu. Selber gemahlen. Der Video- und Performancekünstler wohnt als Zwischennutzer zusammen mit den bildenden Künstlerinnen Giorgia Piffaretti und Nicolle Bussien in dem Susanne Schwob-Haus am Falkehöheweg. Die Stadt wollte das Haus gegen den Willen der Erblasserin verkaufen. Dank einer Einsprache der Nachbarin Frau Kohler ist dieser Plan gescheitert (Der Bund berichtete). Zum Glück. Von einem neuen Besitzer würde ich wohl keinen Kaffee serviert bekommen.

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Aldir erledigt noch ein Telefonat, Fiona geniesst die Sonne

Gemeinsam mit Aldir und Fiona Rafferty sitze ich im Garten der Villa. Fiona hat wie Aldir soeben die HKB abgeschlossen. Sie arbeitet neben anderen bildenden Künstlern, Grafikern und Illustratoren, an einem von 11 Atelierplätzen im grosszügigen Haus. Wir reden darüber, was das Haus neben Privatbesitz sein kann, Fiona sagt: «Konzerte und Lesungen sind geplant, im Keller entsteht in der Nasszelle ein Töpferraum, in der alten Vorratskammer ein Fotolabor.» Aldir: «Wir möchten uns mit anderen Galerien und Institutionen in Bern verbinden und neue Formate, wie Diskussionsrunden und Werkstattbesuche organisieren.» Das Einweihungsfest am 15. August war mit vielen Besuchern und ganz ohne Beschwerde bereits ein Erfolg und fand bei der Nachbarschaft Anklang.

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Arbeiten in froher Atmosphäre

Wir sind uns einig: Das Haus soll ein Zentrum für Kunst sein. Eine so zentrale Arbeits- und Wohnstätte für bernisches Kunstschaffen ist vermutlich in der Stadt einmalig. In den Räumen im obersten Stock herrschen durch das direkt einströmende Sonnenlicht perfekte Bedingungen für Maler.

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Ein lichtdurchfluteter Raum für Kunst

Dann klingelt es an der Tür, jemand kommt zu Besuch. In dem Haus herrscht ein produktives Treiben – ganz wie Frau Schwob es sich in ihrem Testament gewünscht hat.

Postkarte aus Island

Oliver Roth am Samstag den 8. August 2015

Mit meiner Postkarte aus Island schicke ich ein Flimmern mit. Wie in der Serie auf diesem Blog, zeigt das Video etwas leuchtendes, schummriges.

Erkennbar auf dem Video: Chicken Tikka innen, Kebap und Pizza aussen; Leute gehen vorbei. Gerichte aus aller Welt, Menschen aus aller Welt. Das Video beleuchtet wie immer beim Flimmern, einen kleinen, verschwommenen Teil aus dem grossen Ganzen. 

Eine Isländerin sagt, seit fünf Jahren werden sie geradezu von Touristen überrant. Auch in der Schweiz scheint die Faszination für das Inseldasein zu wachsen. Gefühlt haben mir vor meiner Abreise mehr Freunde bestätigt, hier gewesen zu sein, als in Spanien. 1946 ordnet der Schweizer Diplomat Jean Frédéric Wagnière in seinem Brief an den Bundesrat das Interesse an Island noch den Spezialisten zu: „Cette île volcanique, deux fois et demi grande comme la Suisse, a tojours attiré la couriosité des voygeur et des homme de science.“ 

Heute sind alle neugierig auf Naturerfahrungen der besonderen Art. Im Sommer soll es 1 Mio. Touristen auf Island haben. Drei Mal so viele Menschen in Outdoor-Bekleidung wie Einheimische in Schafspullis. In dem pakistanischen Restaurant auf dem Video werde ich von einer osteuropäischen Kellnerin bedient. Auch auf dem Zeltplatz und im Café begrüssen mich Saisonniers.  

Aber wer will denn gleich den Troll an die Wand malen. Als Insulaner fallen Veränderungen halt etwas ärger auf. So müssen sich die Isländer neben den bunt-blinkenden Lichtern aus aller Welt auch mit der Lupine abfinden. Die Pflanze wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Erosion gepflanzt, nun überwuchert sie violett-blühend das halbe Land und verändert massiv die Landschaftserfahrung. Das sieht man aber auf dem Video nicht.