Die sublimsten Dinge begegnen einem manchmal am Urinal. Eine Hymne auf das Rössliplakat.
Sie ist nötig. Sie muss gesungen werden. Die sublimsten Dinge, sie gehen auch gerne vergessen. Gerade wenn sie über der Pissrinne hängen. Flankiert von den gesprühten Zeugnissen hündischer Markierungstriebe im Manne nebst unzähligen Klebern, einer Open-Source-Bibliothek subkultureller Gestaltungsmarotten und Codes – aber mittendrin: ein durchs Sieb gedrucktes Meisterwerk im Harndampf. Dem Feuilleton entgeht gerne, was nicht schreit «sieh mich an, ich bin Kunst!».
Die Jungs vom Grafik- und Illustrationsbüro opak haben die Meisterwerke zu verantworten. Seit Jahren begleiten Sie das stoisch im popmusikalischen Untergrund mäandrierende Programm der Rösslibar mit ihrer leichtfüssigen Bildsprache. Ihre Ästhetik variieren sie dabei derart facettenreich und gleichzeitig verbindlich, dass jeder noch so verschrobene Gedankenblitz schliesslich ganz intuitiv auf sein Mutterrössli zurückweist: Selten ging Corporate Identity derart unverkrampft. Diese ästhetische Verbindlichkeit speist sich aus dem Repertoire der Themen und Techniken, die zur Anwendung kommen. Der zweifarbige Siebdruck prägt die Serie ebenso wie die Lust an der Impferfektion auch der grafischsten und strengsten Entwürfe, die sich so den Charme der Handarbeit erhalten. Und nicht zuletzt das konsequent ausgesparte Rändchen; eine Abgrenzung vielleicht gegen die ordinäre Nachbarschaft, in der die Plakate angebracht sind – und eine würdige Rahmung ganz sicher für die detailverliebten Geschichten, die einem da beim Schiffen erzählt werden.
Geschichten erzählen, wenn die Köpfe fehlen. Die grossen Namen sucht man im Programm des Rössli bekanntlich umsonst. Und also dürfen sich die Plakate um anderes kümmern als die geschickte Einbettung des ikonischen Bandfotos oder die möglichst schreihalsige Lesbarkeit des Headliners, der die Vorverkäufe abheben lässt. Nein, das Rössliplakat leistet ungleich mehr: Es erschliesst hintersinnige bis im originärsten Sinn plakative Interpretationen der zahlreichen Band- und Künstlernamen, die Woche für Woche auf dem Programm stehen – Karikaturen, Wortspiele, Hommagen und Referenzen. Die Motivik weist dabei oft in die Welt der Pflanzen und Tiere, die, ins Absurde oder gar Morbide abgekantet, den schrägen und aufwühlenden Darbietungen aus der Subkultur in grafischen Kürzestgeschichten die Ehre erweist.
Ein Hoch darum auf das Rössliplakat. Die poetische Antithese zu den Mechanismen der Werbeindustrie; nur sehr spärlich aufgehängt, als solle es den Selbstzweck geradezu zelebrieren, wild, ausufernd und bisweilen fast kryptisch verschwiegen in seiner Gestaltung und in dieser Unverfrorenheit letztlich mehr als jedes andere Konzertplakat der Stadt: Kunst.