Archiv für die Kategorie ‘Tanz & Theater’

Parzival im Oberland

Gisela Feuz am Samstag den 6. August 2016

Eine Geschichte für alle, für wîp und man, hatte er mit seinem «Parzival» im Sinn, der Minnesänger und lyrische Dichter Wolfram von Eschenbach. Und wie er im Prolog seines 25’000 Verse umfassenden mittelhochdeutschen Versromans festhielt, solle in seinem Epos die richtig grossen Fragen abgehandelt werden: was tump und was wîse ist, was guot und was valsch. Entstanden ist von Eschenbachs «Parzival» zu Beginn des 13. Jahrhunderts, wobei der Stoff seitdem vielfach aufgegriffen, adaptiert und umgesetzt wurde. Sie ist ja aber auch zu verlocken, die Geschichte rund um den tumben Köhnigssohn Parzival, der von seiner Mutter Herzeloyde fernab jeglicher Zivilisation im Wald grossgezogen wird. Als Parzival zufälligerweise auf zwei Ritter trifft, wächst in ihm der Wunsch, ebenfalls dieser Berufsgattung anzugehören und an König Arthus’ Tafelrunde aufgenommen zu werden. Mama Herzeloyde will aber keinesfalls, dass ihr Zögling sich in die grosse weite Welt hinausbegibt und sich in Abenteuer verstrickt, setzt ihm deswegen eine Narrenkappe auf und gibt ihm allerlei unnützen Rat mit auf den Weg in der Hoffnung, der Bub werde so bald einmal zu ihr zurückkehren. Bei der darauffolgenden Reise bis zur sagenumwobenen Gralsburg durchlebt Parzival eine Läuterung vom selbstbezogenen, empathielosen Haudrauf zu einer mitfühlenden Erlösergestalt.

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Auch der gebürtige Thuner Schriftsteller Lukas Bärfuss hat sich dem Parzival-Stoff angenommen und daraus ein Theaterstück geschmiedet, welches 2010 am Schauspielhaus Hannover uraufgeführt wurde. Eine berndeutsche Version (Mundartbearbeitung Melanie Arnold) gibt es seit Mittwoch in Bärfuss’ alter Heimat zu sehen, genauer: im Kultur Garten Schadau. Inmitten traumhaft schöner Kulisse – der Verein Ärdele betreibt in der ehemaligen historischen Schaugärtnerei ein Urban Gardening Zwischennutzungsprojekt – zeigt der Theaterverein Schlossspiele Thun unter der Regie von Luzius Engel die Geschichte rund um Parzivals Identitätsfindung. Mit den hölzernen, irrgartenhaften Palisaden hat Bühnenbildner Andreas Stettler ein durchaus stimmiges Setting geschaffen, für die Irrungen und Wirrungen, denen der Naivling auf seiner Odysee zu trotzen hat.
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«Eis id Fritte tätsche»

Gisela Feuz am Freitag den 1. Juli 2016

Frelichttheater sind in der Regel nicht gerade für Abenteuerlust bekannt, wenn es um Wahl der Stücke geht. Ganz im Gegenteil sind es meist sehr traditionelle Jeremias-Gotthelf-Stoffe, die da einem Publikum zugemutet kredenzt werden. Das Gurten Theater weicht nun aber mit löblicher Experimentierfreude von Gängigem ab und führt ein Vorzeigestück des absurden Theaters auf: «Die Nashörner» des rumänisch-französischen Dramatikers Eugène Ionesco aus dem Jahre 1957.

Der Plot von Ionescos Nashörnern ist schnell erzählt: Die Bewohner eines Städtchen verwandeln sich nach und nach alle in Nashörner, alle ausser einem, dem alkoholaffinen und hochsensiblen Behringer, der damit zum Resistance-Kämpfer wider Willen wird. Ionescos Stück habe nichts von seiner Aktualität verloren, sagt Regisseurin Livia Anne Richard im Interview. Es gebe ihr zu denken, wie viele Menschen einfach dem nachgaloppiern würden, der am lautesten brülle und genau deswegen habe sie sich «Die Nashörner» vorgeknöpft: «Um de Lüt es id Fritte ds Tätsche».

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Behringer (Freddi Stettler), hochsensible Schnapsnase und als einziger resistent gegen Rhinozerositis

Körperlich versehrt oder gar komplett niedergeschlagen ist man dann aber nach einer Aufführung von «Die Nashörner» trotzdem nicht, keine Sorge. Ganz im Gegenteil fährt man in bester Stimmung im Gurten-Bähnli Richtung Talstation, denn einerseits ist Ionescos Stück über weite Strecken ja auch richtig lustig und andererseits hat man eine Aufführung gesehen, welche durch schauspielerische Einzelleistungen besticht und die dank der muskalischen Untermalung von Hank Shizzoe und Simon Baumann kurzweilig rhytmisiert ist. Nashorn will man ja dann trotzdem nicht werden. Also alles richtig gemacht.

Das Freilichttheater «Die Nashörner» wird noch bis am 18. August auf dem Güsche gezeigt. Sie möchten gerne gratis hin? Nichts einfach als das, KSB verlost Tickets! Schicken Sie uns einfach eine Mail, Teilnahmeschluss ist morgen Samstag  15 Uhr.

Schlagzeuger In A Box

Milena Krstic am Donnerstag den 9. Juni 2016

Da schnappt sich einer der erfolgreichsten Theatermacher der Schweiz (Dimitri de Perrot) einen der erfolgreichsten Schlagzeuger der Schweiz (Julian Sartorius) und entstanden ist das Stück «Myousic», das gestern im Südpol Luzern Premiere gefeiert hat. KSB war dort.

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Ja, und jetzt? Dunkel ist es im Saal und vorerst passiert einmal nichts. «Ein Lapsus?», fragt jemand im Publikum, aber da ertönt es auch schon wieder aus dieser Box, in der Julian Sartorius sitzt und von dort aus Klänge in den Saal schickt.

Es ist schon eine grosse Kiste, wenn der in Neuchâtel geborene Dimitri de Perrot, der einst als DJ angefangen und später gemeinsam mit dem Regisseuren und Choreografen Martin Zimmermann die Theaterbühnen dieser Welt erobert hat (unter anderem mit «Gaff Aff» und «Chouf Ouchouf»), ein eigenes Stück realisiert und sich mit Julian Sartorius kurzschliesst.

Jetzt ist aber De Perrot nicht bekannt dafür, klassisches Stücke auf die Bühne zu bringen, «Theater» kann man die sicher nicht nennen, so wie die lustvoll am Schnittpunkt von Tanz, Clownerei und Musik mäandrieren. Drum ist bei mir die Frage aufgetaucht: Ehm, also, wird der Julian da jetzt schauspielern, vielleicht sogar tanzen?

Aber nichts da: Julian Sartorius tat das, was er am besten kann, trug Alltagskleider und spielte das Publikum mit Schlagzeug und einem Maschine-Soundpad an die Wand, währenddem die pilzartigen Lautsprecher rotierten und man die verschiedenen Sound-Schnipseleien, die da durch den Raum geschickt wurden, nicht mehr einordnen konnte: Woher kam dieses Räuspern? Und schleift da jemand einen Baumstrunk durch den Raum?

Ja. So war das. Und mehr verrate ich nicht.

Gehen Sie am 2. September 2016  am besten selbst schauen, da gastiert «Myousic» nämlich in der Dampfzentrale in Bern. 

Tentakel und Tombola

Roland Fischer am Dienstag den 31. Mai 2016

Das wollte ich schon lang mal teilen, aber ehrlich gesagt hätte ich nicht erwartet, dass sich hier mal eine Gelegenheit bieten würde:

demandt gaoAber wo wenn nicht in einem Beitrag zum Grellen Keller? Sie ist und bleibt der unberechenbarste Gemischtwarenladen im Berner Kulturleben, die offene Bühne im Schlachthaus. Zum Saisonschluss gestern taten sich die Macherinnen zusammen mit dem Endroit Perdu, dem anderen offenen Schlachthaus-Format. Und starteten mit einer Musik-Tanz-Performance von Maria Demandt und Fhun Gao in den Abend, wo es um Körper und Ängste und Anemonen ging. Und eben am Rand auch mal um den diskret metaphorischen Charme der Tentakel.

Weiter ging’s auf ziemlich chaotische Weise mit Galgenhumor in Sachen Selbstoptimierung und Suizid, mit einem Vortrag voller künstlerischer Seltsamkeiten, mit einem verlosten Preisreigen und schliesslich mit bittersweeten und in tolle Songs gegossenen Erinnerungen aus Langenthal von unserer Milena Patagônia. Schön nach dem Motto: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt (ausser er hat Glück im Spiel).

Tanz die Menschenrechte

Milena Krstic am Sonntag den 29. Mai 2016

Die Grosse Halle der Reitschule wird momentan von Karin Hermes und ihrer Kompanie hermesdance genutzt. Sie sieht Kultur als eine Art Waffe. Ein Augenschein vor Ort zeigt aber: Es geht alles ganz friedlich zu und her.

Da rascheln sie davon, die jungen Tänzerinnen der hermesdance Kompanie.

Da rascheln sie davon, die jungen Tänzerinnen der hermesdance Kompanie.

Nach dem Attentat in Paris verspürte sie das dringende Bedürfnis, «irgendetwas» zu tun. Das ist die Antwort der Wahlberner Choreografin und Tänzerin Karin Hermes, fragt man sie, wie sie auf die Idee gekommen ist, eine Veranstaltung ganz den Menschenrechten zu widmen.

Herausgekommen ist ein Hybrid aus Musik (Leitung: Ali Salvioni), Tanz und Literatur. Und als ich gestern am frühen Abend vor Ort war, bin ich gerade in eine Performance hineingeplatzt, in der Hermes’ junges Ensemble in Papier eingewickelt durch den Raum gerauscht ist, Tänzerin Alina Jaggi wie ein Schmetterling über den Steinboden schwebte und Sopranistin Tina Brcic von der Empore aus ein Ständchen sang. Im Hintergrund waren Transparente zu sehen, auf denen Parolen standen wie «Trinkwasser ist ein Menschenrecht».

Überhaupt erübrigt sich die Frage, weshalb jemand eine Veranstaltung den Menschenrechten widmen will, oder? Es schadet ja nichts, da immer mal wieder darauf aufmerksam zu machen, dass es die eigentlich noch gäbe.

Die Veranstaltung «Culture is a Weapon / Kultur ist eine Waffe» findet auch heute Sonntag statt. Ab 11 Uhr bis 16 Uhr in der Grossen Halle. Das Programm finden Sie hier. Eintritt: Erwachsene 20 Franken, Kinder 10 bis 16 Jahre 8 Franken.

Fast wie in Cannes

Roland Fischer am Freitag den 20. Mai 2016

Zickenkrieg gestern im Rex: Da hatte es ein Regisseur mit zwei Diven zu tun, und zwei Diven auf einer Bühne, das ist eine Diva zu viel (oder eine Bühne zu wenig, je nachdem). Schöne Variante von Tanztheater: Einen Ort zu okkupieren, wo normalerweise nichts von der Sorte vorgesehen ist. Die Berner Compagnie T42 hat so ein lustig gemischtes Publikum gefunden – ein geladenes, das dem Geschehen sozusagen routiniert folgte (vom Foyer hinein in den grossen Kinosaal) sowie ein zufälliges, das staunend wartete, bis es die Sitzreihen beziehen konnte. Diese dienten dem wilden Vierergespann nämlich zunächst als sehr viel interessantere Bühne als die leere Tribüne vorne, als inspierender Hindernisparcours.

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Und die Diven? Jagten sich bis zuletzt. Und zerfleischten sich dann, sehr handfest.

Wo man noch nie war: Theater Remise

Roland Fischer am Mittwoch den 11. Mai 2016

Kleine Stadt – aber doch voller Kulturorte, an denen man noch nie war. Wir stellen in loser Folge einige davon vor – und sind gespannt auf Feldforschungen und Augenzeugenberichte.

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Das Theater Remise Bern zählt zu den renommiertesten Theatern des deutschsprachigen Raums? Hat man gar nicht mitbekommen. Auf der Webseite klingt das dann tatsächlich ein wenig bescheidener:

Das Theater Remise ist ein originelles Kleintheater mit sehr viel Charme und Ausstrahlung. Es bietet für 60 Besucher Platz (Theaterbestuhlung). Sei es für Gesangs-, Theater- oder Tanzproduktionen, das Theater Remise bietet das Kleintheaterambiente für jeden Anlass.

Natürlich sind auch freischaffende Künstler oder auch andere Theatervereine jederzeit herzlich willkommen (zu einem moderaten Mietpreis) ihre Produktionen im Theater Remise zu zeigen.
Vor der Aufführung, in der Pause und vor allem nach dem letzten Applaus bietet unsere Theaterbar Anlass, bei einem Gläschen Wein oder anderen Getränken den Abend stimmungsvoll zu geniessen und das Gesehene nochmals herzhaft zu diskutieren.

So sieht’s drinnen aus. Bretter die die Welt bedeuten:

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Mensch- und Maschinenstadt

Roland Fischer am Samstag den 16. April 2016

Noch kein Programm für das Wochenende? Dann würde sich ein Ausflug nach Biel empfehlen, zu einem Roboterballett am Sonntagabend, und vorher vielleicht noch ins Maschinenmuseum Müller. Biel ist die perfekte Stadt für diesen Steps-Programmpunkt

Zärtlich, melancholisch, sorgsam – keine Adjektive, die man normalerweise mit Mechanik in Zusammenhang bringen würde. Aber was der koreanische Tänzer und Choreograph Huang Yi mit seinem etwa lebensgrossen Industrieroboter anstellt, ist tatsächlich in vielerlei Hinsicht staunenswert. Die Maschine wird zum Gegenüber, oder zum Partner sogar, mit dem eine Beziehung möglich wird? Für ein paar Minuten jedenfalls verwischt sich die Mensch-Maschine-Grenze. Man hatte sagen hören, dass die Roboterfirma strikt verboten hatte, dass sich Mensch und Gerät in Bewegung berühren. Da hat Huang Yi schon mal einen kleinen Sieg davongetragen. Und man fragt sich, was da noch möglich wird, wenn die Sicherheit nicht mehr oberstes Gebot ist und statt der Poesie mit der rohen Körperlichkeit der Maschine gespielt wird.

Rosinen: Keine Angst!

Roland Fischer am Mittwoch den 13. April 2016

Vier Wochen noch, dann startet unser aller liebstes Theaterfestival. Und wir picken schon mal ein besonderes Highlight heraus, nämlich das Eröffnungskonzert von Dewey Dell am 11. Mai in der Dampfzentrale.

Choreographie und Musik werden da eins, indem die Bewegungen der Tänzer selbst zur Generierung des elektronischen Sounds beitragen. Apropos Einswerden: Fear less love heisst das Festivalmotto – als ob wir je die Liebe gefürchtet hätten trotz allem Aua, das zeitgenössisches Theater halt auch immer mal wieder bedeutet. Bindungsunfähigkeit kann man Bern jedenfalls nicht vorwerfen, was seine langjährigen Festivals angeht. Das loyale Publikum wird hoffentlich wieder für die eine oder andere ausverkaufte Vorstellung sorgen.

Dewey Dell hat übrigens auch die Musik zum krachenden Festivaltrailer beigesteuert:

Rechtsnationales Theater für ein Theater

Christian Zellweger am Mittwoch den 30. März 2016

ksb

Ein ansehliches Grüppchen Journalisten versammelte sich heute Nachmittag im Käfigturm. Eine rechts-nationale Gruppierung, die analog zur Operation Libero funktionieren wolle, hatte eingeladen. Es kam ein bisschen anders. Wir bedanken uns bei unserem Korrespondenten und «Bund»-Redaktor Simon Wälti:

Eine neue Organisation der extremen Rechte wollte heute im Käfigturm den Schleier über das Geheimnis ihrer Geburt lüften, die JNVP, die Junge Neue Volkspartei. Das jedenfalls ging aus einer Medieneinladung hervor. Als Koordinator der Gründungsgruppe trat im Politforum Käfigturm in Bern ein gewisser Dario Käser auf. Versprochen wurden auch «prominente Köpfe». Diese blieben jedoch aus, ebenso fiel die Gründung der rechtsradikalen Partei ins Wasser. Die Einladung entpuppte sich schon nach wenigen Sätzen als Jux, Dario Käser als Schauspieler der Berner Theatertruppe Projekt210.

Vorgestellt wurde in rund sieben Minuten nicht eine Jungpartei, sondern das neuste Stück von Projekt210 und der Compagnie Majaac mit dem Titel «Ich mehte putzen», in dem es um Migrationsströme und die katastrophale wirtschaftliche Situation in den Ländern auf dem Balkan geht. Es handle sich um ein «provokatives Gedankenexperiment», hiess es.

In der Schweiz lebe man im Paradies. In Bosnien dagegen gebe es keine Perspektiven. Eine bosnische Sans-Papier-Frau, die dem schwierigen Alltag in ihrer Heimat in einer Kiste verpackt entflieht, gerät in der Schweiz in das radikalisierte Milieu einer rechtsgerichteten Jungpartei, die schwarze Schafe ausweisen will. Versprochen wird in dem Stück, das morgen in der Aula im Progr Bern Premiere feiert, ein Zusammenprall der Kulturen in tragikomischen Szenen.

Warum der ganze Zauber mit der Jungpartei im Geiste von AfD, Fidesz und Front National? Politik sei heute von einer satirischen Kunstaktion kaum noch zu unterscheiden, sagte der fiktive Koordinator Dario Käser in seinem Statement.

Aufführungen vom 31. März bis zum 9. April in der Progr-Aula.