Archiv für die Kategorie ‘Tanz & Theater’

Ode an das Absonderliche

Milena Krstic am Freitag den 10. Februar 2017

Es waren die Pressefotos, die mich auf die Theatervorstellung «Fallen – Believe The Unbelievable» neugierig gemacht haben. So informierte ich mich vor dem Besuch nicht mehr gross über das Stück. Ich hatte vor, mich berieseln zu lassen, schliesslich war das schon eine ziemlich aufregende Kulturwoche, mensch erträgt ja auch nur soviel Spektakel.

Gerieselt hat es dann tatsächlich, weisse Plastikstückchen nämlich, auf die Leiber des Kollektivs Lebensunterhalt, bestehend aus Karisa Lynn Meyer, Ladislaus Löliger und Annina Machaz. Gemeinsam haben sie unter der Regie von Johannes Mager Texte von Daniil Charms in theaterform gebracht.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie Charms auch nicht kennen, drum: Daniil Charms war ein russischer Schriftsteller, geboren 1905, der über Vodka, Kommunalkas und Frauen schrieb. Unter anderem jedenfalls. Die Themen wirken stereotyp, aber, wie Wikipedia mich wissen lässt, seien Charms’ Texte von anderer Qualität gewesen, als all das, was damals in der Sowjetunion gedruckt wurde. Kurzgeschichten und verwirrende Satzstrukturen waren sein Ding, so ganz anders, als die Üppigkeit eines «Krieg und Frieden» etwa. Jedenfalls war Charms ein Verfolgter, seine Texte aufgrund ihrer Undefinierbarkeit verboten, und im Jahr 1942 verhungerte der arme Teufel in politischer Gefangenschaft.

Auf der Bühne des Tojos jedenfalls wirkte die Inszenierung über weite Strecken mühsam, etwa dann, wenn Karisa Lynn Meyer eine ganze Textpassage schreiend rezitiert, oder wenn so ganz Godard-mässig Szenen auf absurde Weise wiederholt wurden. Und was machte eigentlich dieser süsse Hund auf der Bühne? Ich war ratlos.

Am Ende aber gab es aber eine versöhnliche Szene, ich sage nur: Ballett und wieder Plastikschnipsel-Geriesel.

Karisa Lynn Meyer, gestützt von Annina Machaz. Foto: zvg.

Und dann war da die Musik,  dargeboten von Marlon McNeill, der mitten auf der Bühne vom Stehpult aus elektronisches Gedröhne und epische Chöre einspielte. Das war alles irgenwie brutal, sinister poetisch und ab vom Schuss. Falls dieser Charms, dieser mir bis anhin unbekannte russische Autor, so ein absonderlich faszinierender Kerl war, dann war «Fallen» die perfekte Hommage an ihn.

Schauspielerisch gesehen ist das Stück sicher einen Besuch wert, aber nur für Menschen, die mit Verwirrung, Brutalität und dunkler Poesie etwas anfangen können. Den Trailer zum Stück gibts hier.

«Fallen – Believe The Unbelievable» wird noch heute und morgen, 20.30 Uhr, im Tojo gezeigt.

Räume sind Schäume

Roland Fischer am Samstag den 28. Januar 2017

Ist doch kein schlechtes Bild, so an einem Samstag Mittag: Zwischennutzungen sind der Cappucinoschaum auf dem ewig gleichen Milchkaffee. Manchmal hält er etwas länger, manchmal ist er viel zu schnell wieder weg.

Bern ist ja nicht gerade gesegnet mit solchen städtebaulichen Köstlichkeiten – aber für ein kurzes Wochenende gibt es wieder mal so einen Raum-Schaum, in der Nähe der Vidmar. Für drei Wochen konnten sich da in einem ehemaligen Fitnesscenter eine Schar Künstler um Annalena Fröhlich, Merz und Fhun Gao einnisten und an einem gemeinsamen Projekt werken. Was dabei herausgekommen ist kann man sich noch heute abend anschauen – und ein Besuch bei Dreams of Sleep and Wakes of Sound sei hiermit unbedingt empfohlen.

Ein kahler Industrieraum und darin ein paar wenige Möbel, einiges musikalisches Instrumentarium und jede Menge von Yannick Mosimann bespielte Bildschirme, Projektoren und andere leuchtende Gerätschaften – mehr braucht es ja gar nicht für eine tolle Bühne. Während Merz also immer neue Klangschichten in den Raum legt, erproben die beiden Tänzerinnen Werden und Vergehen in mal skurrilen, mal abgründigen Szenen, während da und dort ein zusätzliches Narrativ über die Wände flimmert. Traumversponnen ist das, verdüstert und verloren. Und dann wieder von einer fragilen, bangen Schönheit. Am Schluss brennen sogar die Kleider am Leib – aber auch das irgendwie zaghaft, mit kleinen kalten blauen Flammen, die rasch wieder weggewischt sind. Nichts bleibt. Ausser ein paar wunderbare Eindrücke.

#BernNotBrooklyn

Gisela Feuz am Sonntag den 25. Dezember 2016

Bern ist zwar nicht Brooklyn, aber hey, auch in der Hauptstadt ist mächtig was los. So werden in unseren Theatern nicht einfach einzelne Stücke aufgeführt, sondern dreiteilige Soaps, wobei  die Protagonisten auch mal ins Innere einer Luxus-Limousine verfrachtet werden.

Der dritten Teil der multikulti Saga «Heimat Cosmos» von Club 111 startet nächsten Donnerstag im Schlachthaus Theater, wo an Silvester denn auch alle drei Teile am Stück aufgeführt werden.

Butoh: surreal voll frontal

Gisela Feuz am Donnerstag den 22. Dezember 2016

«Das macht mir Angst», sagte der kleine Bub auf der benachbarten Sitzgelegenheit. Es ist fürwahr Düster-Seltsames, was die Butoh Tanzkompanie rund um Tänzerin und Musikerin Zoë Binetti im Tramdepot im Burgernziel momentan zeigt. Zum zweiten Mal hat die Crew ein Sinnestheater entwickelt; zu den Rauhnächten, also der dunkelsten Zeit des Jahres, soll tief in die eigene Innenwelt getaucht werden. «Eine Odysee in eine andere Welt» wird einem an der Kasse versprochen, wobei diese Welt vorerst eine polarkalte ist, findet der Start des Sinnestheaters doch draussen statt. Wie froh ist man da um das wärmende Feuer. Mit verbundenen Augen wird man im Anschluss in diese andere Welt geleitet, eine überladene, kaleidoskopartige Brockenstuben-Welt, die im schummrigen Licht surreal anmutet.

Um es vorwegzunehmen: Nach einer Stunde wusste Frau Feuz nicht genau, was sie da gerade gesehen hatte. Aber die Eindrücke waren stark. Grotesk überzeichnete Figuren in raschelnden Papier-Kleidern waren da über die Bühne gestakst, gewankt und gezuckt, ein Paar, welches durch eine lange Haarwurst am Kopf verbunden war, hatte sich aus hängenden Stoff-Kokons geschält, um eine Choreographie aus Anziehung und Abstossung zu tanzen und eine Dame im weissen Sommerkleid hatte mit erotisch aufgeladener Hingabe einen roten Ballon bezirzt, trug dabei allerdings ein Lächeln im Gesicht, das an Jack Nicholson in «Shining» erinnerte.

Das olle Internet bot dann Hilfestellung beim Einordnen des Gesehenen:
Butoh ist eine Ausdrucksform, welche in den 60er-Jahren in Japan entstanden ist, und zwar als Gegenstück zur amerikanischen Kultur von glitzerndem Showbusiness und Musicals. In Butoh wird mit Elementen aus dem modernen Ausdruckstanz gearbeitet, der Körper dient als Werkzeug der Verfremdung und Entfremdung, wobei das Dargebotene sich explizit gegen Biederkeit und Harmlosigkeit wenden will und deswegen Absurdes und Groteskes im Zentrum stehen. (zusammengefasst nach Wikidoof)

Wäre es hilfreich gewesen, das Sinnestheater mit diesem Vorwissen zu besuchen? Ja und nein. Ja, denn man hätte sich so früher von der Vorstellung lösen können, dem Gezeigten einen Sinn und Zusammenhang abtrotzen zu müssen und hätte sich ganz den poetischen Bildern hingeben können. Nein, weil einem das Surreale und Groteske so natürlich voll frontal erwischte. Und Theatererlebnisse, bei denen man auf der Nachhausefahrt mit dem Velo denkt «Was zum Teufel …..?!», sind ja eigentlich immer die besten, nicht?

Das Sinnestheater der Butoh Tanzkompanie zu den Rauhnächten wird noch bis und mit Freitag 30. Dezember im Tramdepot Burgernziel gezeigt – Plätze sind rar, sputen Sie sich.

Dada, Afrika, Ultraschall

Milena Krstic am Samstag den 3. Dezember 2016

Das Bone Festival für Aktionskunst findet dieses Jahr zum 19. Mal statt. Dabei geht es um Dadaismus, Afrika und Ultraschall. Kleiner Bericht aus dem Festival-Bauch heraus, wo die Krstic als Mensch für alles unterwegs war.

«Isch das öppen en Aemmitaler?», fragt einer der Herren im Funktions-Gilet. Er und seine Kollegen treten gerade aus dem Rathaus heraus. Und während sie über die Bemerkung des Gilet-Mannes lachen, werfen sie noch einmal einen Blick auf Performance-Künstler Va-Bene Elikem Fiatsi, der gerade – in Olivenöl eingesalbt, mit Ketten behängt und in roten Schuhen – über die Berner Altstadt Pflastersteine stöckelt und einen Stuhl hinter sich herschleppt. Es ist ein wunderbar obskures Bild für einen Mittwochnachmittag, verstörend, und die vorbeieilenden Eltern mit Kindern gucken, dass sie sich schnellstmöglich aus dem Staub machen.

Bone ist aber auch, wenn Frieder Butzmann im Strobolicht zu tanzen beginnt und seiner Powerpoint-Präsentation damit eine neue Dimension verleiht.

 

Und Bone ist, wenn 23 Menschen mit Megafonen bestückt durch die Altstadt wandeln, ganz sachte für Rückkoppelungen sorgen und so ein veritables Neue-Musik-Ensemble zustande kommt.

Nachdem ich an diesem Tag zwei Schaufeln und ein Ultraschall-Gerät auftreiben musste (gar nicht so einfach), bin ich abends Teil dieser Megaphon-Performance namens Setting #3 des Berner Künstlers Marcel Zaes und verschwinde in der Anonymität von dunkler Kleidung, Nacht und den Klackgeräuschen, die so ein Megaphon macht, wenn man nur kurz auf den Knopf drückt.

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Foto: Corinne Futterlieb für Bone.

Falls Sie die Sache mit dem Ultraschall näher interessiert: Künstlerin Makita zeigt heute Samstag um 19 Uhr eine Arbeit beim Kindlifresser-Brunnen und wird, ultrabeschallend, das Thema «Massive Menopause» verhandeln. Bone läuft noch bis am Montag. Zum Programm.

Lesen Sie auch den Bericht der Kulturredaktorin unseres Mutterschiffes.

Facebook, Zizek und Künstliche Intelligenzen

Roland Fischer am Dienstag den 29. November 2016

Es war allerdings ziemlich grell gestern im Schlachthaus-Keller. Die Try-Out-Bühne lud zu einer wieder einmal so unsinnigen wie überraschenden Revue, von Facebook-Slam-Poetry über (Un)Glücksschrei-Therapie bis zu Maschinen-Empathie. Zwei FacebookFreunde liessen uns an ihrem (sich etwas sehr an Befindlichkeiten abarbeitenden) Online-Briefwechsel teilhaben und Steven Schoch versuchte sich in Stand-Up Philosophy II als (zumindest im Akzent sehr überzeugenden) Zizek-Imitator und nahm Stand-Up am Ende sehr wörtlich. Die richtigen Knalleffekte waren dann der Lokalmatadorin Ernestyna Orlowska und ihren Fruits-Mitstreitern Daniel Klingen Borg und Tanja Turpeinen vorbehalten, die ihre Entertainment-Androiden mehr und mehr aus dem Ruder laufen liessen, dass es eine Freude und ein Fürchten war.

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Man war amüsiert, man war momentweise gelangweilt, man war berührt. Und man merkte wieder mal, wie viel Bühnentalent da unter dem Radar der institutionellen Kulturförderung unterwegs ist. Und wie wichtig also solche Auftrittsmöglichkeiten sind, um Dinge auszuprobieren und einem Publikum zuzumuten, das sich auf solche Zumutungen auch einlassen mag – oder gerade solcher Zumutungen wegen kommt. Und das Mut und Chaos mehr schätzt als dramaturgische Politur und Stringenz.

 

Beschwörungs- und andere Tänze

Gisela Feuz am Mittwoch den 23. November 2016

KSB gratuliert Dichterfürst Jürg Halter und den Damen und Herren von MDME SPKR herzlichst zum erfolgreichen Ausbildungsabschluss an der Akademie für angewandten Ausdruckstanz!

Herr Halter hat sich zur musikalischen Untermalung seiner Kür seiner eigenen Version des Mani Matter Klassikers «Us emene lääre Gygechaschte» bedient und legt dazu einen schmucken, spastischen Lampenbeschwörungstanz hin. Wir sind angetan.

Die Damen und Herren von MDME SPKR aus England tanzen derweilen steifes Ballett beziehungweise halbnackig Bauchtanz zu schrummeligen Stormgitarren und sind im Übrigen diesen Freitag 25. November live zu sehen in der Playground Lounge. Wie die Combos aus dem Vorprogramm, Occam’s Razor und The Return of Bigton, ihre musikalischen Darbietungen tänzerisch umzusetzen gedenken, konnte bis Redaktionsschluss nicht in Erfahrung gebracht werden. Favorit im internen Redaktions-Wettspiel ist zur Zeit Line Dance. Was glauben Sie?

Würden Sie Ihre Lebensgeschichte lesen wollen?

Gisela Feuz am Dienstag den 15. November 2016

Zu recht dürfen Sie die Frage stellen, was die olle Feuz gestern im Kunst- und Kulturhaus visavis zu suchen hatte, denn dieses richtet sich explizit an die junge Generation. Der schmucke Altstadt-Keller steht 0-30jährigen als mehrspartige Produktions-, Probe- und Aufführstätte zur Verfügung. Das heisst, dass im visavis zum Beispiel Musikaufnahmen gemacht oder Tanz- und Theaterproduktionen eingeübt und aufgeführt werden könnten, erklärt Vereinspräsidentin Carol Rosa. Ausserdem verfüge das visavis über eine sogenanntes Programmlabor, welchem 20 Kulturschaffende aus allen Sparten und in jedem Alter angehörten. So könnten Laien mit Profis an Projekten tüfteln und von deren Erfahrung profitieren, sagt Rosa.

Gestern Abend stand die Generalprobe genau eines solchen Projektes an: «Würdest du sie dann lesen?» ist das erste Theaterstück von Naomi Frei, welches in Zusammenarbeit mit der Jungen Theaterfabrik enstanden ist. Gerade mal 18-jährig schrieb Frei ihr Bühnenstück, welches Fragen rund um den Tod verhandelt. Sie sei selber mit einem Todesfall einer nahestehenden Person konfrontiert worden und hätte eine Unmenge an Fragen gehabt, sagt Frei. Die Fragen seien auch nach der Niederschrift des Stückes geblieben, aber immerhin habe ihr die Arbeit doch einen Weg aufgezeigt, mit dem Erlebten einigermassen umgehen zu können. Und ganz nebenbei hat Frei mit «Würdest du sie dann lesen?» auch ein durchaus sehenswertes Theater geschafffen, das dank schmucken Einfällen und schauspielerischen Einzelleistungen Freude bereitet.

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Lucien: Mit gerade mal 8 Jahren in einer Zwischenwelt voller Lebensgeschichten hängen geblieben (Bühne: Timon Andeer und Christof Bühler)

Ja was passiert, wenn wir denn mal nicht mehr sind? Und merken wir überhaupt, dass wir nicht mehr sind? André (Samuel von Dach), der Protagonist von «Würdest du sie dann lesen?», tut es anfänglich nicht. Nach einem Motorradunfall findet sich André in einer seltsamen Stadt wieder, eigenartige Figuren wie etwa der 8-jährige Lucien (Silas Lio Glanzmann), oder zwei bizarre weisse Gestalten (Sibel Silvana Kaya und Cöcu André Weyermann) rücken ihm auf die Pelle und unerklärliche Ereignisse häufen sich. Erst allmählich dämmert André, dass er in einer Art Zwischenwelt festhängt, denn Himmel- oder Höllenpforte bleiben ihm momentan noch verschlossen, weil sein Körper im künstlichen Koma am Leben erhalten wird. Was folgt ist eine Odysee bei der allerlei philosophische Fragen rund um Leben und Tod angegangen werden. Dabei stösst André auf einen Mann (Stefan Hugi), welcher die Lebensgeschichten jedes Menschen schreibt. Wie steht’s mit Ihnen, werte Leserschaft? Würden Sie Ihre eigene Lebensgeschichte lesen wollen, falls sie in einer Bibliothek darauf stossen würden?

«Würdes du sie dann lesen?» eignet sich bestens für Kinder, junge Erwachsene und Erwachsene. Aufführdaten im Kunst- und Kulturhaus visavis: 18. – 20., 25 – 27. und 30. November sowie 2. – 4. Dezember. Die dreiteilige Hörspielfassung zum Stück wird am 15., 22. und 29. November auf Radio RaBe ausgestrahlt.

Die lustige Unterhaltungshölle

Milena Krstic am Freitag den 4. November 2016

Gestern zeigte Johannes Dullin sein Einmann-Stück Komm und bring einen Freund mit. Darin demontiert er Showbusiness-Mechanismen. Das war einerseits tragisch, andererseits verdammt witzig.

Er heisst uns willkommen, er schreit uns zusammen. Er ist ein liebenswürdiger Gastgeber und dann plötzlich ein albern tanzender Polizist mit Schnauz. Johannes Dullin hat gestern Abend auf der Bühne des Tojo die ganze Bandbreite seines schauspielerischen Könnens gezeigt: Komm und bring einen Freund mit heisst sein Stück. Es veräppelt einerseits die Klischees des Rampenlichts, bleibt aber nicht im Dümmlichen stecken, sondern tastet sich mittels Absurdität in die Abgründe der Unterhaltungshölle.

Dullin hat auch lange als Videokünstler und Regisseur gearbeitet und macht jetzt den Master an der Hochschule der Künste Bern. Als wir nach seiner Aufführung noch gemütlich auf den Tojo-Sesseln herumgefläzt sind, erzählte er mir von seiner persönlichen Mission. «Banalität und Tiefe», das seien so seine Themen. Und warum sein Stück so heisse, wie es heisst, fragte ich ihn.

«Wenn jede und jeder einen Freund oder eine Freundin mitbringen würde, wäre ja die ganze Welt hier»,

sagt Dullin und hat natürlich Recht.

Es gibt in seinem Stück so viele so dermassen absurde Momente (Stichwort Schlagrahm und Plastik-Hummer), bei denen man sich fragt: WTF? Aber es gibt ebenso viele liebevoll inszenierte Momente und sezierten Sprachwitz (oft spricht er irgendein Kauderwelsch und sagt wenig später so tolle Sachen wie «Kommt, wir feiern die Fiktion») dass es einem warm wird ums Herz und ganz heiss vor Lachkrampf.

Und sorry, wenn man (in diesem Fall ich) eine so tolle Einladung bekommt, geht man hin, oder? Und ich habe Küre mitgebracht. Wen würden Sie mitnehmen?

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Morgen Samstag, 5.11.,  findet im Tojo Johannes Dullins ultimative Millenium sweet Sixteen super Show statt. Mit dabei sind Gäste (u. a. Grazia Pergoletti und die Band Electric Blanket) und es geht um … also, ja, es wird sicher nicht langweilig. Ich empfehle, hinzugehen. Ab 20.30 Uhr. 

Das kleinkarierte Elend

Milena Krstic am Samstag den 29. Oktober 2016

Kommt ein Ausländer ins Dorf und wird verprügelt: In eine Nussschale gequetscht ist das der Inhalt von «Katzlmacher», Fassbinders Theaterstück aus dem Jahr 1968. Gestern wurde es am Stadttheater Bern in einer aufregenden Version von Claudia Meyer aufgeführt.

Möchtegern heil ist diese Welt, in die Jorgos (Nico Delpy) geholt wird. Hier soll er arbeiten und … na ja, arbeiten halt. Was soll er denn sonst von seinem Leben erwarten? Hat er doch schon das Privileg, nach Deutschland kommen zu dürfen.

Unverhofft wird ihm die Rolle des Unterhalters zugewiesen; denn alle im Dorf wollen etwas von diesem Ausländer, der aber irgendwie doch faszinierend ist – und halt einfach «besser gebaut ist, besser wie wir», wie die Ingrid (Nina M. Kohler) so schön bemerkt.

Rainer Werner Fassbinder ist vor allem bekannt als Filmemacher, hat aber auch Theaterstücke geschrieben. «Katzlmacher» ist eines davon und stammt aus dem Jahr 1968. Es ist ein kleinkariertes Elend, das Fassbinder in einer fantastischen, kleinbürgerlichen Sprache wiedergibt. Regisseurin Claudia Meyer hat den 70er-Jahre-Muff weggelassen und das Dörflein kaugummirosa gestrichen und die BewohnerInnen in Samt, Pailletten und satt sitzende Anzüge gepackt (Bühne und Kostüme: Aurel Lenfert). Das sieht dann ein wenig aus wie in einem Beyoncé-Videoclip (ist auch mindestens so gut choreografiert) und kommt so richtig schön daher für das Auge.

Irgendwie habe ich es noch nicht geschafft, mich eingehend mit Fassbinders Werk zu beschäftigen. «Katzlmacher» hat mich motiviert, dies nachzuholen, auch der fantastischen schauspielerischen Leistungen wegen. Noch im gruseligsten menschlichen Abgrund bewahrt die Geschichte den Witz und nie, wirklich nie wird da sozialromantische Verklärung betrieben: Niemand ist gut, auch der Ausländer nicht. Es gibt nur hässlich und schön, gut und böse. Wobei «Gut»  … Nein, eigentlich gibts nur Böse.

Fassbinder ist übrigens bereits mit 37 Jahren gestorben. Ich bringe hier jetzt absichtlich kein Foto aus dem Theaterstück (das kommt dann am Montag in der Printausgabe des «Bund» mit ausführlicher Kritik), sondern eines von Fassbinder himself, diesem coolen Hund (Still aus dem Film «Kamikaze» von 1989).

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Weitere Vorstellungen bis am 22. März 2017 in der Vidmarhalle 1.