Gestern habe ich mir mit einer einer ganzen Teenager-Schulklasse das Stück «Das beste aller möglichen Leben» in der Vidmar angeguckt. Die Kids waren verstört. Und ich auch. Wenn auch nicht unbedingt aus denselben Gründen.

Die Mittelstandstragik in grau und ein überdimensionaler Säugling. Foto: Annette Boutellier
Die Medienfrau des KTB ist mittlerweile zu einer mir lieb gewordenen Bekannten avanciert, die mich immer motiviert auf neue Stücke aufmerksam macht. Bei «Das beste aller möglichen Leben» hatte sie mich nicht gleich im Sack, weil mich das Thema etwas anödete: Ein Paar mit Kinderwunsch bekommt mitten in der Nacht einen Korb mitsamt Säugling drin vor die Tür gestellt. Laaangweilig, gähnt es da aus mir heraus, aber der Zusatz im Medientext, dass der amerikanische Autor Noah Haidle mit einem anderen Stück («Alles muss glänzen») im Jahr 2015 einen Preis gewonnen hat und auch die Tatsache, dass die Premiere ausverkauft war, liessen mich aufhorchen. Ich ging also hin.
Was dann geschah, konnte ich nicht erwarten, niemand konnte das. Dieser Säugling nämlich (gespielt von David Berger und Jürg Wisbach) fängt an zu quatschen, tanzt einen wunderbar grotesken Tanz und durchlebt innerhalb von zwei Stunden ein ganzes verdammtes Leben. Und mit «verdammt» meine ich das wörtlich, weil da kommen alle menschlichen Abgründe darin vor, die so ein Leben mit sich bringen kann: Drogen, Vergewaltigung, Betrug, Lug und hässlich verzweifelte Versöhnung. Was für ein Reigen, was für ein Grauen.
Die Eltern (Kornelia Lüdorff und Jonathan Loosli) schweben zwischen Entzücken, Verwantwortungsbewusstsein, Ekel und Abscheu angesichts dieses Säuglings, der sich rasant zum predigenden Greis wandelt.
Regisseur Mario Matthias inszeniert die Hässlichkeit eines Paares im Mittelstands-Dasein mit Witz und Schalk (diese Choreographien!) und lässt keine unnötigen Längen zu.
Der Text trägt unendlich viel Kopfnick-Material in sich: Da fragt sich dieser überdimensionale Säugling so Existentielles wie:
«Und das ist das Leben? Etwas, das man erträgt?»
«Wie oft kann es brechen?» (mit «es» meint er das Herz) und «Grundlos aus Enttäuschungen besteht es» (er meint das Leben) und schliesst mit den Worten:
«Ich brauche dringend einen Drink.»
Als das Stück fertig ist, bin ich es irgendwie auch. Die Teens raunen sich «Shit, ds isch huere schräg gsi» zu und ich denke nur so: «Shiiit, so chas ga».
Fazit: Das Stück ist ganz klar sehenswert. Aber seien Sie darauf gefasst, mit eigenen Gruseligkeiten konfrontiert zu werden. Entweder, Sie wollen sich danach besaufen, oder ihre Beziehung beenden. Oder Ihren Job kündigen. Oder gleich alles zusammen.
«Das beste aller möglichen Leben» läuft noch bis am 20. Juni. Alle Daten gebündelt finden Sie hier. Und hier noch die seriös tolle Besprechung aus dem Mutterschiff.