Archiv für die Kategorie ‘Tanz & Theater’

Gute Aussichten auf den Tanz

Oliver Roth am Freitag den 23. Oktober 2015

Gestern startete das Tanz In. Bern 2015 in der Dampfzentrale.

IMG_4442

Installation im Foyer

Neue Perspektiven werden von Georg Weinand geboten, der als Künstlerischer Leiter trittfest auf dem im Foyer installierten Gerüst herumgeht. Über den Gästen fängt er seine Ansprache an, auf der Installation, die von dem Künstlerduo «Umschichten» ins Foyer der Dampfzentrale gebaut wurde. Dort oben gibt es zur Eröffnung für alle Gäste Muscheln in Vodkashots. Weinand begibt sich dann wieder auf Augenhöhe und berichtet von einem Programm, das sowohl Alte Hasen wie Anne Teresa De Keersmaeker als auch Junge Füxe präsentiert wie Marlene Monteira Freitas. Zu den jüngeren gehört auch Jan Martens, dessen Hüpfstück letztes Jahr für Jubelschreie sorgte. Dieses Jahr zeigt er sein Solo «Ode to the attempt», das sich ganz um ihn selber dreht – ein Choreograf, sein Körper und sein Computer. Auch zur neuen Generation gehörend aber bereits etablierter sind Cecilia Bengolea & François Chaignaud, die über Dub-Beats von DJ High Element und neben Boxentürmen in Spitzenschuhen tanzen.

Das Eröffnungsstück «Plateau Effect» des Cullberg Ballet und Jefta van Dinther erzeugte dann gestern Abend im wahrsten Sinne des Wortes Spannung auf mehr. Denn die Tänzer und Tänzerinnen sind während des ganzen Stücks damit beschäftigt ein riesiges Tuch zu bespannen, darin zu tanzen und es um- und abzubauen. Das Stück zieht rein und macht Lust auf mehr! Für neue Aussichten auf zeitgenössischen Tanz sollte man in den nächsten zwei Wochen immer mal wieder runter an die Aare balancieren und sich schwindelfrei und ohne Angstzustände in die verschiedenen Tanzstücke werfen.

Das internationale Tanzfestival Tanz In. Bern läuft bis am 7. November in der Dampfzentrale. 

der eisige Wind der Bürokratie

Miko Hucko am Sonntag den 18. Oktober 2015

Eins vorweg: ich bin wahrlich keine Tanzexpertin, habe mich auch während meines Studiums in Theatre and Dance Studies wo immer möglich um letzteren gedrückt. Jetzt bin ich aber gestern Abend in die Vidmar, um eine Choreographie zu (aus?) Kafkas Schloss zu sehen.

Die grobe Handlung: K. taucht in einem Dorf auf, das von einem Schloss regiert wird, alles ist ziemlich undurchsichtig, der Strukturen und Verwicklungen zwischen Dorfbewohner_innen und Schlossbeamtenden sind viele. Auch K.s Identität ist nie so ganz klar: Ist er wirklich Landvermesser, wie er behauptet zu sein? Und warum will er unbedingt in dieses Schloss?

Estefania Miranda, KTB- Tanzdirektorin, hat diese vielen Unklarheiten auf emotional packende Weise choreographisch übersetzt. Wirklich ein Gesicht hat nur K. selbst, alle anderen Figuren implodieren immer wieder und werden Teil einer schwarzen Masse, schwarz wie das Bühnenbild selbst. Tatsächlich ist es dem Ensemble – allen voran dem grossartigen Winston Ricardo Arnon als K. – gelungen, eine Umheimlichkeit zu erzeugen, die einen nicht mehr loslässt.

Mitglieder des Tanzensembles bei den Proben zur Tanzproduktion "Das Schloss". Choreografie: Estefania Miranda. Premiere: 17. Oktober 2015. Foto: © Philipp Zinniker/KonzertTheater Bern

Die scharze Masse ist mal Schatten, mal Feind von K. Die pulsierende Musik hält mich als Zuschauerin gefangen, ich bin gebannt und gehe die volle Stunde mit, und immer wieder erkenne ich vor allem eines: Wie gruselig so eine vermeintlich objektive Bürokratie sein kann. Und wie sie den Menschen in viele kleine Einzelteile fragmentiert, die alle ins Raster passen. Ein Raster, an dem das ganze, das Menschliche, nur zerschellen kann.

Das Schoss läuft noch bis im Dezember an verschiedenen Terminen in der Vidmar:1, Informationen dazu hier.

We Are Losers, Baby, So Why Don’t You…

Roland Fischer am Donnerstag den 15. Oktober 2015

Leonie? Nein, es geht im ersten grossen Tanzstück der neuen, vom Berner Ballett losgelösten Gruppe Unplush nicht um eine Liebesgeschichte, Losing Leonie erzählt im tollen Heitere-Fahne-Saal nicht von der Leere, nachdem die geliebte Frau nicht mehr da ist, es geht da um Leerstellen räumlicherer und dabei viel existentiellerer Art: Leonie, das ist eine Stadt, aus Italo Calvinos «Unsichtbaren Städten». Marion Zurbach hat sie sich zum Ausgangspunkt für eine düstere Parabel übers Fremdsein genommen, zu einer imaginären – und reichlich unzuverlässigen, weil sehr fragilen und immer wieder umgeschichteten – Geografie. Fester Boden ist hier nicht.

unplush

Fünf Figuren versuchen in dem einfach gehaltenen Bühnenbild – dunkle, um ein Schachbrett gruppierte Luftkissen – irgendwie heimisch zu werden, in wechselnden Konstellationen. Gelingen will das nicht, immer neue Anläufe enden in immer neuen Verlorenheiten, und so fühlt man sich auch als Zuschauer zuweilen ein wenig als Ausgestossener, findet keine gemütliche Ecke, keinen ruhigen Moment. Und auf dem Schachbrett werden immer neue Massaker durchgespielt. Das hat einige Konsequenz, der Abend will es einem absichtlich nicht leicht machen, und das Lachen, das man von Zurbachs Arbeiten kennt, bleibt hier irgendwo stecken, tief im Bauchgrund eher als schon im Halse. Die Welt: eine Groteske, die nur Verlierer kennt. Und: Es geht da nicht zuletzt auch um verlorene Utopien. Die man gerade in diesen Tagen wieder mal auf allen Kanälen vorgeführt bekommt.

Gold! Gold!

Roland Fischer am Freitag den 9. Oktober 2015

Was für eine Geschichte! Bigger than life pflegt man sowas in Hollywood zu nennen. Ein Schweizer macht sich Mitte des 19. Jahrhunderts auf nach Amerika, hört in New York von sagenhaften Reichtümern drüben im Westen, erlebt tausend Abenteuer (via Aleuten und Hawaii) bis er da endlich ankommt, reüssiert ohne weiteres in diesem noch ganz wilden Westen, so dass er rasch ungeheuer reich, womöglich sogar der reichste Mann der Welt wird – und verliert alle Reichtümer postwendend wieder. Und was bringt seinen Ruin? Ausgerechnet das Gold, das auf seinem Land – New Helvetia – gefunden wird, der Rausch, die Gier und die folgende kapitale Anarchie.

Johann August Suter heisst der Mann, und ja, er hat tatsächlich gelebt. In Basel aufgewachsen, in Burgdorf verheiratet und in einem Hotel in Washington gestorben, 1880, verbittert und ohne dass ihm je Gerechtigkeit widerfahren wäre. Und niemand weiss von der tollen Geschichte? Auf die Bühne damit, haben sich ein paar Berner Theaterleute um Michael Oberer, Julia Monte, Andreas Debatin und Marcus Signer gedacht. Sie erzählen das Drama noch heute und morgen abend im Tojo, mit einigem Furor und viel musikalischem Einsatz – und ein paar Längen auch, aber das ist schon in Ordnung, bei einer Story, die für all ihre Aufs und Abs nun einmal fast zweieinhalb Stunden braucht.

gold

Man wird also ganz gut unterhalten von diesen allerdings unglaublichen Wendungen eines Schicksals und fragt sich bloss leise immer öfter, je unglaublicher es wird: Hat sich dieses Leben tatsächlich so abgespielt? Was ist hier Fakt, was ist Fiktion? Und genau über die Frage stolpert der Abend: Denn die Gruppe ist nicht angetreten, um Suters Geschichte nachzuerzählen, sie bringt vielmehr einen Romanstoff auf die Bühne – Blaise Cendrars’ L’Or von 1925, 1:1 nacherzählt (oder etwa plagiiert?) übrigens von Stefan Zweig in seinen Sternstunden der Menschheit, Die Entdeckung Eldorados.

Wir haben es da mit einer sehr freien Nacherzählung zu tun, schamlos ausgeschmückt und aufgeblasen. So wird Suters Leben zum griechischen Drama, zu einer Parabel zwischen Hiob und Sisyphus. Das ist zwar beeindruckend, aber leider nicht sehr erhellend, gerade heute, wo die wirtschaftshistorischen Bezüge doch mehr interessieren würden. Wie hat es Suter angestellt, ein Vermögen zu machen? Wie ist er mit seinen Angestellten (bzw. Sklaven) umgegangen? Warum genau ist er überhaupt emigriert? Und hatte der grosse Opportunist Suter je etwas mit Politik am Hut? Das alles interessierte Cendrars wenig, und eben deshalb ist er in dieser Sache ein sehr zwiespältiger Biograf. Man hätte diesen Mythos Suter doch lieber ein wenig hinterfragt bekommen:

S. blieb eine kontrovers diskutierte Persönlichkeit. Für die einen galt er als wirtschaftl. Versager, der seine Fam. lange im Elend zurück liess. Für andere war er ein Pionier des Frontiermythos, was zahlreiche Strassennamen, andere Toponyme, das Museum Sutter’s Fort in Sacramento, Gemälde, Filme sowie eine reichhaltige Literatur belegen. In der Schweiz wurde dieser Mythos v.a. aber 1925 durch Blaise Cendrars Erfolgsroman “L’or” verbreitet.

Tanzgeschichte mit HK oder Misere einer Vorschau

Oliver Roth am Donnerstag den 17. September 2015

Es ist nicht leicht, eine Ankündigung über ein Tanzstück zu schreiben, das man schon gesehen hat, das aber noch Premiere feiern wird.

Bildschirmfoto 2015-09-17 um 11.35.02

Ich war gestern in der Hauptprobe von Kreutzberg. Ein Stück über den weltbekannten Choreografen, Ausdruckstänzer und Tanzpädagogen Harald Kreutzberg, der 1955 in Bern eine Tanzschule gründete (jetzt musste ich die Infos doch auf der Webseite nachschauen). Aber ich habe in dem Stück erfahren, dass Kreutzberg von seinen SchülerInnen liebevoll «HK» genannt wurde.

Nun, ich will ja nicht zu viel verraten. Aber auch nicht zu wenig, sonst könnte ich den Beitrag direkt seinlassen. Es ist ein äusserst zugängliches Stück, auch ein lustiges, es gibt einen (älteren!) Star in dem Stück, ja, es wird getanzt und nein, anstrengend ist es nicht. Das Stück ist nicht nur wegen seinem Thema ein Schatz für die Tanzgeschichte, sondern auch, weil ebendiese auf der Bühne aktiv demonstriert wird. Ich möchte ihnen aber nicht einen Filter überstülpen, den sie dann die ganze Vorführung über nicht wieder vergessen. Zum Beispiel: «Schauen sie sich das Bühnenbild unbedingt sehr genau an!»

Nein, am Besten ist es, wenn sie heute Abend einfach selber in die DZ zu HK gehen.

Das vom BAK mit dem Tanzpreis «Kulturerbe Tanz» ausgezeichnete Stück «Kreutzberg» von Chris Leuenberger & Marcel Schwald läuft heute 20:30 Uhr und morgen Freitag 20:15 Uhr in der Dampfzentrale Bern

Zukünfte: Mai 2026

Miko Hucko am Dienstag den 15. September 2015

Die Schlachtdampfhalle, unser grosses Flaggschiff in Avantgardekultur, erhält eine neue Leiterin: Zahira Yahya. Erst vor etwas mehr als zehn Jahren – mit der legendären Flüchtlingswelle von 2015 – ist die mittlerweile stadtbekannte Dramaturgin in Zentraleuropa angekommen. Damals noch als bildende Künstlerin: Ihre Liebe zum Theater hat die 35-Jährige erst hier in Bern entdeckt.

Studiert hat Yahya Fine Arts an der Universität Damaskus, der ältesten und grössten ihres Heimatlandes Syrien. Bei ihrer Ankunft war sie erstaunt, wie aufgeräumt und still es hier sei. Einzig die Reitschule habe sie davon abgehalten, von der damaligen Stadt zu glauben, sie sei tot. Yahya zwinkert – und ich verstehe das Dürrenmattzitat. “Mittlerweile sieht es zum Glück etwas anders aus hier. Und hört sich anders an.”

Das ist nicht zuletzt Yahya selbst zu verdanken, die vor allem ab 2020 als Teil des transdisziplinären, multikulturellen und aktivistisch gepolten Kollektivs mobAmoba die Stadt auf den Kopf stellte. Besonders geblieben ist mir die Aktion POLITIK JETZT, bei der mehrere Wochen lang immer wieder Teile des Kollektivs andere Veranstaltungen störten und gemeinsam mit den Schauspielenden, Tänzerinnen und Musikern, ja sogar bei Filmvorführungen zu Streiks aufriefen und so das Publikum in Gespräche zur aktuellen Neuropäischen Situation zwang.

Mit der Ernennung von Zahira Yahya setzt die Stadt Bern ein Zeichen – eines, das schon längst nötig gewesen wäre. Vielleicht sehen wir bald nicht mehr ein Haus unter einer Künstlerinnenhandschrift, sondern eigenständige Räume, Philosophien, Künste.

 

 

Starke Mädchen und Loopmaschinen

Milena Krstic am Samstag den 12. September 2015

Die Grosse Halle der Reitschule ist momentan Gastgeberin verschiedener Veranstaltungen, wie etwa dem vergangenen UNA, den Stummfilm-Vertonungen (Frau Feuz hat berichtet) und letzten Mittwoch war die Premiere von Choreographin Karin Hermes und ihrem teenage-jungen Ensemble hermesdance mit dem tollen Stück «Beyond».

Während Musiker Ali Salvioni Klatschgeräusche, Trommelschläge und Hang-Klänge durch seine Loopmaschine speiste, tanzten die jungen Frauen in ihren Overalls, wirbelten Staub auf, wanden sich am Boden und erinnerten, umgeben von diesem Industriecharme, an De Keersmaekers Kultstück «Rosas danst Rosas». So stark und schön wirkten die Mädchen, dieses Selbstverständnis für den eigenen Körper, diese Vertrautheit … Man wünschte das allen Pubertierenden, so mindestens ein paar Lektionen in Zeitgenössischem Tanz.

beyond_hermesdance

«Beyond» wird noch heute Abend, morgen 13. und am 17. September gezeigt. Heute und am 17.  im Anschluss mit Hermes‘ ebenfalls sehenswertem Stück «J’ai dit oui mais c’est non». Mehr Hintergrund zum Thema hier.

«Es git itz o beides aus Gmisch»

Milena Krstic am Donnerstag den 10. September 2015

Sowohl mit Mundartchanson wie auch mit Stepptanz werden Sie wahrscheinlich schon in Berührung gekommen sein, liebe Lesenden. Jetzt aber haben der Berner Chansonnier Mischa Wyss und der Profistepper Nicolas Egger die Idee gehabt, beide Unterhaltungskünste zu kombinieren.

Dazu haben Egger/Wyss ein hübsches Video herausgegeben, das promotionstechnisch keine Wünsche offen lässt: kurzweilig, knackig geschnitten und mitgemacht hat Prominenz aus Funk und Fernsehen: Nils Althaus, Lisa Catena und Christoph Trummer himself.

Mundartstepp ab:

Live zu sehen

18.9. LaCappella Bern (ohne Nicolas Egger, dafür mit Nils Althaus!)
19.9. Openair Oberburg
16.10. Capramontes Rüfenacht (BE)

27.11. Düdingen
27.12. La Cappella Bern

Alle weiteren Infos gibt es hier.

Planimetrisch? Nicht so wirklich.

Roland Fischer am Donnerstag den 6. August 2015

Es entsteht etwas vor und in der grossen Halle, es wird gesägt und geschraubt:

una

una

Derweil gab es gestern abend im halbfertigen Dekor schon den ersten Programmpunkt des UNA-Festivals, in noch sehr gemütlicher Atmosphäre. Das Tanzkollektiv Unplush zeichnete einen Wohnungsgrundriss auf den nackten Boden der Halle und improvisierte in und quer über diese Räumlichkeiten überaus munter drauflos. Ein Bühnengeschehen wider die Wände in unseren Köpfen – und wider das Gärtchendenken im Kulturbetrieb, ganz im Sinne der Festivalmacher. Übermorgen geht’s dann so richtig los, man darf sich nach der Lektüre der Festivalzeitung auf einen schönen und kunterbunten August freuen.

planimetrie

Raw Summer Hit

Oliver Roth am Mittwoch den 15. Juli 2015

Julian Sartorius veröffentlicht als Rou Puckt eine 7″ Vinyl Single.

Der Song «Brom» wird, wie es sich für einen Sommerhit gehört, mit einem erfrischenden Video geliefert. Treibende Körper in der Aare, gleitende Gummiboote. Alle kennen und lieben das Gefühl. Songs wie «Brom» kennen wir noch nicht so viele. Der verspielte Rap-Song ohne Worte erfrischt anders. Immer wieder hinkt die Spielzeug-Stimme dem Schlagzeug-Beat hinterher und bleibt dann ganz stehen, um den schwebenden Sounds Platz zu lassen. In den Rhythmen von «Brom» lässt sich auch nach 10 Mal hören noch etwas entdecken, ganz und gar nicht, wie es sich für einem Sommerhit gehört.

Exklusiv gibt es hier auf KSB das Video zur Instrumental-Version des Tracks, die sich ebenfalls auf der Vinyl-Single befindet. Die Tänzerin Cosima Grand gibt dem Track durch ihre Bewegungen quasi eine neue Stimme! Und wer genau hinschaut findet auch den «besten Schlagzeuger von Europa» (Zitat Iggy Malmborg) im Video wieder.

Die limitierte 7 inch Single kann man auf Hum Records bestellen. Mehr Infos auf juliansartorius.ch.