Für KulturStattBern zeichnet Ilona Steiger aka rauchfrei93 als Gastillustratorin wöchentlich Shortstorys aus dem urbanen Untergrund und von der Sandsteinoberfläche.
Archiv für die Kategorie ‘Rock & Pop’
Global Warning!
Roland Fischer am Mittwoch den 5. Dezember 2018Just in: Norient Filmfestival is back! Nach einem Jahr Pause macht man gleich ein wenig auf Shnit, mit bereits drei Austragungsorten, die hier nicht Playgrounds oder sowas heissen müssen: Bern, St. Gallen, Lausanne. Auch in Bern wird expandiert, neben der guten alten Homebase in der Reitschule geht es ins City Pub und ins Jugendzentrum newgraffiti. Mut zur urbanistischen Lücke!
Beim Programm setzt man auf den bewährten Spagat: Breitformat über Musik einerseits, breitformatige Musik andererseits. Am zweiten Januar-Wochenende gibt es neben tollen Filmen also auch jede Menge Live-Acts und DJs zwischen kroatischem Folk, Politperformance, Klangexperimenten, UK Funky House und Reggaetón. Zur Eröffnung wartet das kleine feine Festival gleich mit einem Knüller auf: «Matangi/Maya/M.I.A.» über das englisch-tamilische Pop-Chamäleon M.I.A. Ein Film, der seine Spannung «aus dem unauflöslichen Widerspruch zwischen Selbstinszenierung und Politik, zwischen dem buntgefiederten Popstar und der Aktivistin» hole, meinte die FAZ. Schaut man sich an.
джаз, 47.2121° N, 7.7906° E
Mirko Schwab am Mittwoch den 24. Oktober 2018Eigentlich wollte uns Redaktor Kuratle ja den Jazz erklären. Dann ist er nach Russland abgehauen deswegen.
So muss man wieder selber ran, so ist das eben mit diesen Jazzern. Fliegen auf der Weltkugel rum und pfeifen sich irgendwelche Psychedelika rein oder Slawische Ravioli. Und das alles, während sie sich am Mutterbusen von Pro Helvetia gütlich tun.
Drum kümmert sich halt Schwab um den Jazz. Schwab, der broke af die letzten Tage des Monats absitzt, mau und treu seiner Sandsteinstadt. Im Auftrag der Hochkultur selbstverständlich. Einer muss ja den Posten warmhalten, wenn sich die Künstler von Welt in der Tundra verlustieren …
À propos Randregionen. Oder falls Sie schon länger wiedermal zum Beispiel nach Langenthal reisen wollten. Oder eben Jazz: Drei von erstaunlich vielen, deren musikalische Laufbahn irgendwann in einem Langenthaler Luftschutzkeller begonnen hat, drei von ihnen kehren zurück. Laura und Luzius Schuler, Geige und Klavier sowie Nicola Habegger, Trompete – alle drei schon weitgereist, sie schenken ihrer alten Heimat ein kleines Jazzfestival zum Wiedersehen.
Am «Färbi Jazzfest» kuratieren sie sich mit offenem Geist durch einen jungen Schweizer Jazz, der nach allen Richtungen ausschert. Nach New York und Skandinavien, nach Pop und Anti-Folk, nach der grossen Freiheit ohne Metrum, nach dem kleinen Viermalvier für den Intello-Tanzboden.
Vielleicht kommt der Kuratle ja dann mit. Und vielleicht ist der Kuratle dann schon wieder irgendwo und schickt Postkarten. Wir werden sehen.
«Färbi Jazzfest», 1. – 4. November 2018 in der Langenthaler Färbi mit Konzerten von Vera Kappeler, Rea, Distric Five, Kali x Marie Jeger, Lolasister, Der White Rauschen, Pan Ton, Wän und dem Laura Schuler Quartet.
Anatolische Anachronismen
Mirko Schwab am Dienstag den 16. Oktober 2018Mit Altin Gün war vorgestern wiedermal der Zeitgeist zu Gast im alten Progymnasium. Ein Balanceakt in Vorwärts-Rückwärts.
Ein brav durchmischtes Publikum hat sich den Sonntagabend reserviert. Abfalltrenner und Velofahrerinnen, wohlig rot-grün-mittig. Alt und jung – so würde wohl der Dorfanzeiger melden. Am etwas weniger hüftsteifen Tanzstil geben sich indes die vielen Türken zu erkennen, die den Weg in die Turnhalle angetreten haben. Denn wahrlich: Die niederländisch-türkische Gruppe Altin Gün ist eine der Bands der Stunde.
Das Konzert kommt dann auch rasch ins Rollen. Das Sextett spielt aus den raffinierteren Stücken im Repertoire, die merklich eingetourte Rhythmusabteilung aus Holland braucht kaum Anlaufzeit. Darüber feuert Saz-Virtuoso und Keyboarder Erdinc Yildiz Ecevit seine halsbrecherischen anatolische Linien ab, darunter, eingehüllt in psychoaktive Echoschwaden, Sängerin Merve Dasdemir. Der zunächst warm vorgeschossene Applaus ist bald frenetisch.
Leider sackt die Sache im Mitteldrittel des Konzerts dann merklich ein, was eher an den dünneren Kompositionen liegt als am abgeklärten Bühnenspiel. Wer sich nicht komplett aufs Tanzen verlegt hat, langweilt sich bald an den Bandwurm-Soli und Psych-Rock-Klischees aus der Plattenkiste der LSD-Jahre. Es ist die Story dieser Band: Bassmann und Chef-Digger Jasper Verhulst selbst hat aus seiner Liebe zu türkischer Popmusik der Siebziger eine Band zusammengestellt, per Inserat, die den Sound auf diesen staubigen, halb amerikanisichen, halb orientalischen Verführungen ins 21. Jahrhundert katapultieren sollte.
Und das klappt dann eben halb und immer dann am Besten, wenn die Arrangements wendig, das Gedudel von der Langhals-Laute knappdosiert und die musikalische Perspektivik auch mal vorwärtsgerichtet ist – was gegen Ende des Abends wieder gut gelingt, kurz vor der Zugabe blitzt die anfängliche Idealmischung aus Retro und Futur wieder auf, dass es eine Freude ist. Eben, der Zeitgeist, der zurzeit ganz innig in die Siebziger verknallt ist, er geht um im alten Progymnasium. Und ganz allgemein im Plattenladen. Zwischen Stilkopie als uninspiriertes «in the style of anything nostalgic» und aufregenden Befruchtungen wird zurzeit allerlei veröffentlicht (und als der neu-alte Hot Shit verschrien.)
Wie es sich mit dem Verliebtsein so verhält, ists dann manchmal schön, manchmal peinlich, manchmal langweilig. Altin Gün gehören da doch, soviel war gestern Abend schliesslich klar, zu den Schönheiten.
Das Langspiel «On» ist 2017 auf dem Genfer Label Les Disques Bongo Joe erschienen.
Bitte sing mir ein Volkslied
Mirko Schwab am Donnerstag den 27. September 2018Aufwachen im 21. Jahrundert. Waaghausgasse 4. 6 Tabletten. 2 Rossstärken.
Das Zimmerfenster ist immer offen, auch bei Nacht. Sonst hätte ich Angst vor dem Versticken. Am Morgen bricht die Sonne rein, die gelbe Fratze, heisskalt im Frühherbst. Der Giftschweiss sinkt ins Leintuch ab. Von draussen Alphorngebläs. Bravo, Musik! Ich schleife mich 32 Treppenstufen runter in die Küche, Bialetti eindrehen und den Tabak. Auf dem Küchentisch liegt die Wochenzeitung mit Musikbeilage. Lil Peep selig grinst vom Recycling-Papier.
«Pop grotesk» steht drunter. Versuche, die Kontemporärmusik zu verstehen. Haiyti, XXXTentacion, Lil Peep, Lil Xan, Lil Skies, Yung Lean und Trippie Redd – Hyperemotionalität und Sinnesleere, Hyperkapitalismus, Politik zwischen den Zeilen, vielleicht, Generation X.2 auf Autotune und Benzos. Aufwachen im 21. Jahrundert. Oder wegdösen.
Sechs Tabletten Xanax mit Fentanyl liessen den kleinen Peep für immer schlafen.
Frau Bialetti faucht mich an. Manchmal fauche ich zurück. Gsssssshhhhchchch! Selber Gsssssshhhhchchch! Ich male einen Kaffeefleck auf die schöne WOZ-Beilage, die von Arztneimitteln handelt, lesen Sie die WOZ-Beilage. Was ist mit der Popmusik nur los fragt man sich, durchaus genüsslich. You know something’s happening but you don’t know what it is.
Tobias Jundt sagt: Punk ist tot. Reggae ist tot. Jazz ist tot. Hiphop ist tot. Funk ist tot. Schlager ist tot. Klassik auch tot – merkt aber keiner. Und möchte sein Lied zurück, sein existenzielles. Bitte sing mir ein Volkslied.
Es gibt viel zu tun für die Musikjournaille im semiotischen Wald des 21. Jahrhunderts. Dann kommen mir die drei Studentenbuben wieder in den Sinn, drei Milchgesichter aus Bern und Biellle / Bien. Wie sie im Döschwo-Cabriolet durch den Zeitgeist fahren, «sprachlicher Gurkensalat» wie bei Hayiti, Capri Soleil als Lebensgefühl. Die Dekonstruktion des Sommerhits, schon manche haben sich daran versucht. Zweitausendundjetzt klingt das so:
Am Ende ist alles Illusion, ein Trick, ein Code. Aber gestorben wird weiterhin in echt. Was ist zwischen Liebesleid und Leere, Narrativ und Dadaismus?
Greenscreen, Purpledrank, Mountain Dew, Capri Sonne, San Pellegrino, Sophie Hunger und die Ballade vom dünnen Mann, die Ballade vom müden Mann, vom lebensmüden, das Lied vom Tod. Young gun, yung gone.
XXXTentacion ist auch tot. Haiyti spielt am 19. Oktober im ISC. Chic ist eine ziemlich fiktive Boyband von David Bregenzer, Samuel Rauber und Jonas Weber. Die WOZ gibts für 6 Franken inkl. MwSt. am Kiosk.
Das Versagen der Nacht
Roland Fischer am Samstag den 15. September 2018Remarque hat mal diesen wirklich remarkablen Satz geschrieben, im Arc de Triomphe: «Die Nacht übertreibt.» Der Protagonist versucht da in der Pariser Nacht eine einigermassen verlorene (und natürlich sehr schöne) Seele zu trösten, mit Schnaps vor allem. Und mit den Worten, dass wenig lange wichtig bleibt. Vor allem nachts.
Ja, sie nimmt sich gern ein wenig zu wichtig, die Nacht. Von ihrem Versagen, spätestens am nächsten Morgen, erzählt eine kleine feine Ausstellung von Nina Rieben im Grand Palais. Eine Serie von «Einschlafwerken» gibt es da, aber es sind wohl eher Nichteinschlafenkönnenwerke. Oder geht es Rieben um diesen Übergang vom Wachen zum Schlafen, um diese Halbwelt? Da werden Bewegungsmelder aufgeweckt und Leerstellen lächerlich gemacht. Und es werden sentimentale Notizen zu Zigaretten gedreht, halb aufgeraucht und achtlos weggeworfen. So dass Unsicherheiten auf einmal in Rauch aufgehen. Sie sind aber natürlich immer noch genauso präsent, man kann sogar sagen: sie bekommen erst so die ihnen gemässe Materialität.
Nachher noch ins Schlachthaus, wo es weiterging mit Schall und Rauch. Saisoneröffnung, zuerst mit Dorit Chrysler, dann mit Fhun Gao am Theremin (REA zum Auftakt leider verpasst). Klänge, aus der Luft gegriffen. Warmer Campari Soda dazu und Nachtgeschichten jenseits von Gut und Böse. Manchmal tut sie allerdings ziemlich grossartig und hat ja sogar recht damit.
MFB-Lieblingsscherben: Sommer
Mirko Schwab am Samstag den 8. September 2018Schwab porträtiert im Auftrag der Musikförderung MFB die liebsten Neuerscheinungen straight outta Bern. Die Kategorie «Hype» ehrt das Langjährige, Brillante, Ausgefeilte und Vielgehörte, das den Berner Pop über die Kantonsgrenzen hinausträgt und im Feuilleton Wellen schlägt. Die Kategorie «Hope» gräbt in den Tiefen des Untergrunds und verstärkt, worüber noch geflüstert wird – Erstlinge, Fundstücke, Demos.
Hype:
Baze – «Gott»
Der Meister der Schwerblütigkeit ist zurück. Weg war er nie. Zu tief die Furchen, die sein letztes Werk «Bruchstück» ins Sandsteingemäuer geschrissen und es zu einem Schlüsselwerk der Popgeschichte dieser kleinen Stadt gemacht haben. Nun bietet auch der neue Silberling reichlich Anlass zum Verdacht, dass wir es mit einem Künstler in der besten Phase seines Schaffens zu tun haben dürften. In dunklen Schwänken erzählt uns Baze von Nebel, Rost und Staub – und zwischen den bald futuristischen, bald postapokalyptischen Beats, zwischen den grossen Fragen und den kleinen Versäumnissen, bei all der schlechten Laune über gutgemeinte Ratschläge und bei all der vergeudeten Zeit – es keimt sowas wie Hoffnung auf.
Hype:
Aeiou – «You Won’t EP»
Willkommen in der Diskothek des Oli Kuster. Der stille Schaffer mit der Vorliebe für körnig synthetisierte Tastensounds und einem Talent zur gleichermassen verführerischen wie cleveren Popschreibe, er lädt zum Tanz again. An seiner Seite: Die in Basel beheimatete Liechtensteiner Sängerin Karin Ospelt. Sie schenkt dem wandelbaren Unterfangen Aeiou ihre wohltemperierte Stimme und ein unwiderstehliches Melodiegespür. Und also sind wir den Hits des im Mai erschienenen Extended Plays unlängst erlegen.
Hype:
Migo & Buzz – «Partys im Blauliecht 3»
Wer vereint Untergrund und Hitparade denn sonst so unkompromittierbar und kredibil? Die dritte Episode aus der Serie «Partys im Blauliecht» liefert womöglich auch die Blaupause des Erfolgs um die beiden brothers in krime Migo und Buzz: Letzterer glänzt mit von den Verlockungen des Zeitgeists unbeeindruckten, bittersüssen Backbeat-Riddims, schnörkellos und stilsicher. Und darüber: die offenherzig politisch engagierten und doch immer wieder angenehm schulterzuckenden Zeilen Migos – mal Vorplatzpoet, mal Vorstadtprolet, dazwischen viel Grauschattiertes. Und darüberhinaus: Fein platzierte Featurings von Geistesgenossen wie Tommy V. Chefmetaphoriker und schliesslich Bruderküsse unter Chaoten, Theo Äro, Iroas – Platz 4 in der Hitparade, who gives a fuck. Es ist gar nicht so schwer, real zu sein.
Hope:
Dean Wake – «The Mountaineer»
Tief unter dem frivolen Treiben der Aarbergergasse verschanzt sich eine Band im Proberaum. Vier Seelenbrüder im Luftschutzbunker. Und so klassisch das Narrativ der vom Tageslicht verschonten, in schlechter Luft gegärten Gitarrenmusik, so gültig ist diese Version davon: «The Mountaineer» kündigt den auf Mitte September terminierten Zweitling an. Und es sieht nach Aufbruch aus, gut gereift verhelfen Dean Wake dem kanonisch todgesagten Independent-Rock vielleicht zu einer Renaissance. Erlesene Gitarrensounds, findiges Songwriting, gehörig Drive unterm Arsch und eine elegische Baritonstimme liefern Argumente. Doch überhaupt gilt am Schluss nur das Lied – diese erste Single, sie ist ein gutes.
Die MFB hat sich das Fördern junger Berner Popkultur auf die Fahne geschrieben. Die interessantesten Neuentdeckungen finden Sie in der Spotify-Playlist «Sounds Like Bern».
Von Studeyeah nach fern
Urs Rihs am Samstag den 1. September 2018Ein kleiner Exkurs gewagt mit einer Band –
und vom Balkon aus,
vom Vorgarten, vom Schiff aus?
Mindestens in der Phantasie – in die weite Welt hinaus.
Abflug ist vom Lorrainepärkli oder genauer war, denn am letzten Samstagnachmittag an der Quartierchilbi passiert.
Auf der Bühne stehen vier wohlverlumpte Spitzbuben aus dem Seeland und spielen Synth-Reggae, singen Mundart, erzählen Geschichten, lachen und rauchen Hase dabei. Studeyeah,
öffnen das hermeneutische Fenster, einige Zeichen lassen sich deuten.
«Fründlechkeit kennt keni Gränze, im Migros Restaurant ds Gränche.»
Schertenlaib & Jegerlehner als Vorboten – Reggae aus dem Emmental – haben’s mit dem «Sämi» vorgemacht. Das Heimatliche lässt sich bestens löchern. Dazu genügt tatsächlich auch schon etwas Off-Beat, dabei das lokale Idiom beibehalten, und schon reicht der Horizont von der Stammbeiz bis an den Strand, vom Bären bis nach Kingston. Mundart-Exotica?
«Zum Heue het mi Vater ä Chappe a, är stosst siner Dreadlocks unger d Wulle.»
Exotica, das ist in der Musik Ausdruck einer Sehnsucht, vom kleinen «Andern», aber unter Beibehaltung eines eigen Genuinen, echt Hiesigen. Dem Dialekt beispielsweise. Triebgefedert von der Lust und Neugierde auf das Fremde.
Schliesslich schlummert in jedem und jeder – mindestens unterbewusst – die Ahnung der eigenen Unvollständigkeit.
In Garagen hängen Poster von Thailand, im Atelier ein Schwarzweissfoto von Patagonien, im Coiffeur Salon die Postkarte aus Ascona.
Alle wir brauchen das Fremde, um nicht gottjämmerlich vor die Hunde zu gehen.
Wer das verneint, verdrängt, vergisst, vergiftet sich nach und nach mit dem schlimmsten Sozial-Toxin: Der Ignoranz.
Das Antidot das Phantasma, das Spiel, der Nonsens – die Kunst.
«No man, I want no island man, i wott uf ds Feschtland, do you understand?
If you like the alps, go there for your holidays, dunge am Louenesee.»
Studeyeah, die Anti-Boygroup aus der rausten Hippiesiedlung der Schweiz, aus Biel aka BNC, betoniert mit ihrem Sound eine Startbahn, um Ideen fliegen zu lassen. Und weil das nicht an der Hochschule für irgendwelche Künste seinen Anfang nahm, sondern auf dem Basketballplatz, dem Migros Restaurant und zwischendurch auch vor dem Altersheim zum Stehen kommt, hat es das Potential alle zu erreichen.
«Chunsch ines Heim s geit nümm Daheim was isch das für nes truurigs Game?»
Quer durchs gesellschaftliche Spektrum. Studeyeah reicht sanfte Hände, über perfekt gestutzte Gartenhecken, über Wagenburgen, über Stammtische und überhaupt. Alle schmunzeln zusammen – von Stdeyeah nach fern – aber ironisch ist das nicht, sondern immer auch scharf, mitunter kritisch und vor allem,
vor allem versöhnlich.
Die rauchende Schildkröte, Insigne der Verweigerung, gibt’s von Studeyeah auch auf T-shirt …
Loveletter to a festival: No Borders, No Nations!
Mirko Schwab am Donnerstag den 26. Juli 2018Liebes, aber schön bist Du nicht. Nein – und du willst schön nicht sein. Eine grosse Bühne auf laut gebaut, eine lange Bar der Kante wegen, Asphalt. Und ein Anliegen.
Bevor nämlich wieder grilliert wird, bis das Zeug hält, bis dass die Nachbarschaftskonflikte der Vorstadt bei dreivier 1291 und einem Zuckerstock besänftigt werden dürfen, bis dahin machst Du erstmal Gegenprogramm. Nie war das nötiger in den letzten Jahren und vielleicht Jahrzehnten (– aber früher war eh alles besser und wahrscheinlich nicht.)
Aber schön, nein, schön bist nicht. Laut und dirty sollst Du sein, ein Gegenentwurf auch zur silent Diskothek der allgemeinen Palettenromantik, in deren Hohlräumen sich die politische Genügsamkeit gerne einnistet. Oder der Neuliberalismus at the bitter end. Also bleibst Du mir wüst und spartanisch und baust für die zwei Tage ein wildes, lautes, chaotisches Sodom auf die Schütz. Welcome to hell!
Und was geht? Die Grenzenlosigkeit bleibt vornehmlich ein politisches Anliegen. Musikalisch bedient dein Programm die tradierten Sehnsüchte eines vermischten linksalternativen Publikums ohne Spex-Abonnement. Pogo geht vor Meta – Ja, Du magst es geradeaus, auch das hebt dich schliesslich ab in diesen Zeiten. Bald mit klopfendem Herz (Idles), mal mit zugedrücktem Ästhetik-Auge (ZSK) werde ich mich in deinen Tanzkreis versenken. Und am Schluss singt stolz der Arbeiter*innenchor.
«No Borders, No Nations»: Musikalisches Programm Freitag und Samstag ab Vorabend. Seit Montag bereits und laufend Führungen, Workshops und Vorträge.
Bild mit Ton: Infinite Jest
Clemens Kuratle am Donnerstag den 19. Juli 2018KSB stellt dank «Bild mit Ton» wöchentlich ein audiovisuelles Ausrufezeichen aus dem Berner Untergrund ins Zentrum seiner Berichterstattung. (Bei rückläufigem Merkur sind Abweichungen vorbehalten, ebenso bei schlechter Laune oder gutem Wetter.)
Diese Woche mit: Lolasister «Infinite Jest»
Pessimist-Pop oder Songs für Tagträumer machen Lolasister laut eigenen Angaben. Die Band um die Sängerin Leonie Altherr hat ihre Debüt-EP im Juni dieses Jahres veröffentlicht.
Der hier vorgestellte Titeltrack (Video: Yannick Mosimann) ist den Verkrüppelten, Langsamen gewidmet und sorgt ziemlich zügig für Eiseskälte. Im Verlaufe des Stücks aber schaukelt sich die Musik, in Einklang mit dem Bild, zu einem (t)rotzigen, beinahe feurigen Bekenntnis hoch.
Ein starkes Stück. Für alle Sonderlinge, Verletzten oder Verletzlichen und ganz ohne selbstverleugnenden Zweckoptimismus.
Lolasister ist am 3. August am BeJazzSommer zu hören.