Vor 75 Jahren bekam die Berner Kunst einen grossen Auftritt im Kunsthaus Zürich. Elf aktuelle Künstler profitierten von den geschlossenen Grenzen und durften ihre aktuellen Arbeiten da zeigen wo sonst vornehmlich grosse ausländische Namen zu sehen waren. Die NZZ rezensierte freundlich und allmählich verschwanden die Berner Namen wieder aus dem Kunstgedächtnis. Oder sagen irgendjemandem diese Namen noch etwas? Tonio Ciolina, Max Fueter, Herold Howald, Max von Mühlenen, Alexander Müllegg, Fernand Riard, Victor Surbek.
Fällt sonst noch was auf? Ja, alles Männer. Tatsächlich waren alle elf eingeladenen Künstler Männer, und tatsächlich war das alles andere als ungewöhnlich, im Jahr 1940. Eine repräsentative Auswahl der aktuellen Berner Kunstszene: Es dürfte kaum für Skandal gesorgt haben, dass da keine Frauen mitberücksichtigt wurden. Das Kunstmuseum Thun nimmt das kleine Jubiläum zum Anlass, um einige der damals gezeigten Bilder aus den Katakomben der eigenen Sammlung zu holen – und das Experiment sozusagen zu wiederholen: Elf Positionen aus dem aktuellen Kunstschaffen werden den «alten Schinken» gegenübergestellt. Die Liste heute: Franziska Bieri, Anja Braun, Livia Di Giovanna, Maia Gusberti, Mohéna Kühni, Karin Lehmann, Karen Amanda Moser, Annaïk Lou Pitteloud, Rebecca Rebekka, Miriam Sturzenegger, Maria Tackmann.

Und, fällt was auf? Ja, alles Frauen. Das wäre nun allerdings eine interessante kuratorische Volte, wenn sie bloss nicht so heruntergespielt würde. Irgendwo in den Ausstellungstexten heisst es, heute sei nichts Besonderes daran, wenn man bei einem relevanten Überblick aktueller Berner Kunst nur Frauen auswähle. Ein Zufallsresultat, sozusagen. Aber das stimmt natürlich nicht – eine reine Frauenrunde ist immer noch sehr viel mehr Ausnahme als Regel, auch wenn es heute natürlich nicht mehr anginge, nur Männer nach Zürich zu schicken. Ist das nun eine Quotenausstellung? Oder funktionieren Kunstwerke von Frauen besser, wenn sie nicht von «lauten», männlichen Positionen gestört werden? Man kommt auf interessante Gedanken, wenn man durch die übrigens sehr sehenswerte Ausstellung schlendert. Man hätte sich bloss von der Ausstellungsmacherin ein wenig mehr Auseiandersetzung mit der Frage gewünscht, was in den letzten 75 Jahren in Sachen Kunst und Geschlecht so alles passiert ist.