Ja, diese Fasnacht. Wildes Verkehrschaos, wilde Verkleidungen, wilde Musik. Das können imfall nicht nur diese Reitschüler! Ein wenig irritierend war es allerdings schon, dass ein paar Altstadt-Galerien (und das Grand Palais) gerade gestern zum Vernissagen- und Veranstaltungsreigen luden. Aber irgendwie ja auch amüsant, wie da Welten aufeinanderkrachten.
Im Milieu zum Beispiel, wo man sich auch einiger Zivilisationsbürden entledigte, an der Performance von Mala Kline. Draussen kamen immer mal wieder Fasnächtler vorbei, mal fragten sie sehr vernehmlich, was denn da drin bloss los sei, mal spielten sie Flöte und zum Schlussapplaus spielte dann rechtzeitig noch eine Steeldrumband auf. Die resultierende Mischung aus wild entschlossener Flirterei, Verzweiflung und Melancholie, untermalt mit allerlei Stromgitarren und dunklen elektronischen Sounds, brachte die Weltlage dann eigentlich ganz gut auf den Punkt. Zum Lachen, zum Schreien, zum Weinen.
Der Mann ist diese Woche ja gerade 90 geworden. Und hat nach wie vor so einiges zu sagen zur Lage der Welt. Was ganz unmittelbar mit seiner etwas seltsamen Rolle als einsamem Botschafter des Calypso zu tun hat, dem meistmissverstandenen Musikgenre weit und breit:
…blieb Calypso ein Kommunikationsmedium, so dass vor über 100 Jahren Nachrichten auf Trinidad meist so verbreitet wurden. Politiker, Journalisten und die Öffentlichkeit debattierten deren Inhalte, und viele der Bewohner sahen die Lieder als zuverlässigste Nachrichtenquelle an. Die Lieder schufen einen Raum für freie Meinungsäußerung, etwa das Aufdecken politischer Korruption. Die britischen Behörden versuchten dies durch Zensurmaßnahmen einzuschränken, was ihnen aber nicht vollständig gelang.
Telepolishat noch mehr tolle Stories zur Entwicklung des Calypso, unter anderem wie uns ein Trommelverbot die Steel Drum bescherte. Und eine verquere Etymologie. Apropos: vielleicht könnte man ja eine Renaissance als Apocalypso versuchen? Würde doch gut zur Krisenkonjunktur, zu Fake News (auch sehr missverstanden, übrigens) und so weiter und so fort passen.
Und wo wir schon dabei sind: Man darf sich jetzt schon auf die neue Sonderausstellungim Naturhistorischen Museum freuen, die sich ab November auch mit allerlei Weltenden beschäftigen wird, in einer
attraktiven Mischung von Fantasien, Fakten und Deutungen. Mit dem Ziel, all die Projektionen deutlich zu machen, die hinter den Erzählungen und Prognosen vom Weltuntergang stecken.
Zunächst gibt es heute abend aber noch eine Reise zurück in der Zeit, zu Emil August Göldi und anderen Forschern der Kolonialzeit, in einer Spezialführungmit szenischen Interventionen im Rahmen des Themenmonats Amazonas in Bern.
Nach Zwischenstationen im ZKM Karlsruhe, am CTM Festival Berlin, im Castelgrande Bellinzona und im BASE Mailand ist die Ausstellung Seismographic Sounds des Norient-Kollektivs nun endlich in Bern angekommen, gewissermassen im Schoss der Kuratoren. Wir hatten von der Premiere in Aarau berichtet, und wer es dahin nicht geschafft hat, der hat nun keine Ausrede mehr – bequemer als im Kornhausforumbekommt man die spannendsten aktuellen Tendenzen aus der ganzen weiten Musikwelt nie mehr serviert. 30’000 Besucherinnen und Besuchern hat die Ausstellungs-Tournee angezogen – in Bern dürfen es gern noch ein paar Ungrade mehr werden. Und dann ist Schluss, weitere Stationen sind nicht geplant. Also letzte Chance, sich diese auch vom Ausstellungskonzept her sehr weltläufige (will heissen unschweizerisch-mutige) Schau anzusehen.
Die Ausstellung läuft noch bis am 11. Februar. Am 4. Februar wird die Multimedia-DVD MATTER OF FACT getauft: Die serbische Soundkünstlerin Svetlana Maras hat das Sound- und Interview-Material von Seismographic Sounds zu einer Cut-Up-Komposition gesampelt, geremixt und weiterverarbeitet.
Auch schon über zehn Jahre her: 2005 sorgte das ETH Studio Basel (unter anderem Jacques Herzog und Pierre de Meuron) für einige Aufregung mit ihrem grossangelegten «städtebaulichen Portrait» der Schweiz. Vor allem mit der unverhohlenen Bezeichnung von «alpinen Brachen» machten sich die Stararchitekten keine Freunde und zementierten das Bild des hochnäsigen, auf urbane Räume gebuchten Architekten.
Und heute? Sind wir offenbar im postalpinen Zeitalter angekommen. Das suggeriert jedenfalls eine Ausstellung, die von der Berner Designerin Valerie Notter de Rabanal mitgestaltet worden ist. Derzeit in Samedan zu Gast, portraitiert PostAlpin Handwerksbetriebe, die in wirtschaftlichen Randregionen – vor allem in Graubünden, aber auch Bern ist vertreten – dem Abschwung trotzen.
Brachen? Potential! scheinen sich diese Betriebe zu sagen. Die raumplanerische Diskussion um Stadt und Land ist jedenfalls noch lange nicht vorbei.
Eine scharfe Beobachtungsgabe und ein Interesse an Menschen und Klischees ist unabdingbar, will man ein erfolgreicher Karikaturist werden. Das macht die diesjährige Ausgabe von «Gezeichnet» einmal mehr klar, also diejenige Ausstellung im Museum für Kommunikation, welche alljährlich die besten Schweizer Pressezeichnungen zeigt. Von rund 50 Karikaturisten (wovon gerade mal sechs weiblich sind) werden dieses Jahr insgesamt 200 Werke gezeigt, welche die wichtigsten Debatten und Ereignisse des vergangenen Jahres aufgreifen.
Sarkastisch, bitterbös und teilweise grotesk oder zumindest humorvoll überzeichnet wird da mit scharfer Feder den nationalen und internationalen Grössen aus Politik und Gesellschaft zu Leibe gerückt. Daneben spielen Themen wie Brexit, Burka-Verbot, (fehlende) Willkommenskultur, die Flüchtlingskrise oder die Kommerzialisierung von Kunst und Religion genau so eine Rolle wie etwa der Tod von Fidel Castro oder Bud Spencer. Und ja: Sie ist omnipräsent, die blonde Tolle des neuen amerikanischen Präsidenten. Das viereckige Schrankgesicht und die blonde Föhnwelle des Polteres sind ja aber auch ein Traum jedes Karikaturisten und manch einer dieser Gilde dürfte vor lauter Freude innerlich gejauchzt haben ob der Wahl des Herrn Trump. Aus beruflichen Gründen, versteht sich.
Tom Künzlis alias TOMZ Kommentar zur Föhnwelle der amerikanischen Nation
Die Ausstellung «Gezeichnet 2016» ist noch bis am 29. Januar im Museum für Kommunikation zu sehen. In der kleinen aber feinen Ausstellung gibt es unter anderem Zeichnungen von Felix Schaad (Tages-Anzeiger), Patrick Chappate (NZZ am Sonntag/Le Temps) und Orlando (Der Bund) zu sehen.
Kleines Leckerli aus der Stadtgalerie, da fliegt seit gestern ein Hund sehr sinnfrei – und ewig vergebens – herum. Man sollte das nun nicht unbedingt als Stimmungsbild für den aktuellen Zustand der zeitgenössischen Kunst sehen, aber immerhin darf man feststellen, dass Albernheit sehr wohl zu einer kritischen Kategorie geworden ist.
Und feststellen darf man auch, dass die Cantonale, in dessen Rahmen das Werk des Künstlerduos Pause ohne Ende präsentiert wird, einen schönen Publikumszuspruch erfährt. Gestern an der Vernissage im Progr und dann noch drüben in der Kunsthalle war es jedenfalls rappelvoll. Die Kritik zu den (malerischen) Kategorien hat das Mutterschiff heute schon sehr schön übernommen, dem ist nicht viel anzufügen.
In «Rosinen» picken wir einzelne Werke, Konzerte, Darbietungen oder was auch immer aus einem grösseren Ganzen heraus. Und lassen den Rest einfach mal ganz bewusst beiseite.
Mal wieder nach Biel fahren! Des späten Herbsts (oder frühen Winters) im Jura wegen – am einfachsten mit dem Bus 70 ins erste und beste verlorene Tal nach Prés-d’Orvin, kaum mehr als eine Viertelstunde vom Bahnhof Biel.
Und dann auf dem Rückweg noch ein wenig in der Stadt bleiben, die gerade «reloaded» wird, wie der Bund heute schreibt.
Jeweils am ersten Freitag im Monat verwandelt sich die Bieler Altstadt in ein fröhlich-farbig-kreativ-lebendiges Universum, das von Massen von Besucherinnen und Besuchern heimgesucht wird. Was man vor ein paar Monaten noch für unmöglich gehalten hat, ist heute Realität: Während des «First Friday» pulsiert das Leben in den ansonsten verschlafenen Gassen, und die Altstadt wird zum Treffpunkt für ganz Biel.
Aber Biel ist eben auch eine dezidierte Neu-Stadt, und die feiert derzeit ein besonderes Jubiläum: Vor fünzig Jahren wurde das Kongresshaus gebaut, eines der kühnsten Häuser weit und breit. Dazu läuft im Neuen Museum eine kleine feine Ausstellung, die
dem zwiespältigen Verhältnis der Hassliebe nach[geht], mit dem die Bielerinnen und Bieler ihrem Wahrzeichen begegnen.
Der Bieler Max Schlup hat auch noch andernorts in der Stadt gewirkt, auf weniger spektakuläre aber deswegen nicht weniger nachhaltige Art. Vor gut einem Monat ist das Farelhaus neueröffnet worden, mit einem Bistro und einem architektonisch wie akustisch sehr schönen Saal, in dem es auch regelmässig kulturelle Veranstaltungen gibt.
Roland Fischer am Donnerstag den 17. November 2016
Ist das nun die ominöse politische Kunst? Seit ein paar Jahren gibt es ein «Kunstkonzept Parlamentsgebäude», eine fünfköpfige Kommission kümmert sich seither um dessen Umsetzung. Und da ist schon einiges passiert: Zum Beispiel eine Vitrine für Geschenke an das Parlament – also all den Krempel, mit dem man bis dahin nicht recht wusste wohin. Werke aus der Eidgenössischen Kunstsammlung wurden in einzelnen Räumen verteilt (man erinnert sich – ah nein, der brachte ja seine eigenen Schätze mit) und auf den Informationsstelen sind elektronische Kurzanimationen zu sehen.
Aber vor allem ging es darum, ein grösseres Werk eines zeitgenössischen Künstlers in Auftrag zu geben. Der Wettbewerb lief auf Einladung, unlängst haben die Parlamentsdienste die Gewinnerin bekannt gegeben: Annaïk Lou Pitteloud, die an der HKB lehrt, wird das Parlamentsgebäude mit einer feinen Rohstoff-Kritik mit dem ebenso fein-ironischen Titel «Consensus» versehen. Die Medienmitteilung erklärt die Rolle der Schweiz als (manche meinen: durchaus zweifelhafte) weltweite Rohstoffdrehscheibe wunderbar diplomatisch:
Die Textelemente bestehen aus fünf verschiedenen Metallen aus den fünf Kontinenten die das wechselnde Tageslicht unterschiedlich reflektieren. Sie verweisen durch ihre Herkunft auf den Austausch der Schweiz mit der Welt, ein Element, das in der Bildsprache des Parlamentsgebäudes bis heute fehlt.
Eingeweiht wird das Projekt am 12. September 2018 anlässlich der Feierlichkeiten zum 170. Jahrestag des Schweizer Bundesstaates. Ein runderes Jubiläum gefällig? Zum Thema Austausch der Schweiz mit der Welt? Man könnte auch an einen Berner mit klingendem Namen erinnern, der 1818 in einer einflussreichen Schrift den Nährboden des Erfolgsmodells Rohstoffhandel rechtfertigte (Schweizer Profiteuregab es auch damals schon genug):
… bestätigt, dass Schweizer am Dreieckshandel beteiligt gewesen waren, zu welcher Zeit auch immer. Was an dieser Debatte erstaunt, ist die Tatsache, dass just jener unerwähnt blieb, der möglicherweise am kräftigsten ins Feuer geblasen hatte: Karl Ludwig von Haller, Enkel des grossen Albrecht. […] Sklaverei war für Haller eine «beständige Dienstbarkeit» gegen «beständigen Lebensunterhalt», «und in diesem Begriff liegt an und für sich nichts allzu Hartes oder Unmenschliches.»
«Umbruch, Tod, Erotik» stand da in grossen Lettern und ich dachte mir: Doch, das sind meine Themen. Da will ich hin.
Es ist das Bernische Historische Museum, das mit diesen Worten für die neue Wechselausstellung «Söldner, Bilderstürmer, Totentänzer – Mit Niklaus Manuel durch die Zeit der Reformation» wirbt.
Die Reformation Handgelenk mal Pi: Das ist die Zeit, als die Hoheit des westlichen Christentums zu wackeln begonnen hat und mittels Mord und Todschlag die heute bekannten Konfessionen katholisch und reformiert erzwungen wurden. Hier in der Schweiz waren dafür Huldrych Zwingli und Johannes Calvin hauptverantwortlich, im weiten deutschsprachigen Raum ist vor allem Martin Luther für sein Wirken bekannt.
Niklaus Manuel war der Sohn deutscher Einwanderer, die sich in Bern niedergelassen haben. Er ist quasi der Posterboy der Ausstellung. Um 1500 herum bis zu seinem Tod im Jahr 1530 hat er die Irrungen und Wirrungen der Reformationszeit als Politiker, Künstler und Diplomat begleitet und mittels Pinsel und Schreibfeder das Geschehen dokumentiert. Von ihm stammt «Der Berner Totentanz», ein Gemälde, das farbenprächtig so schön illustriert, was der Lauf des Lebens ist: Der Tod nämlich, der sich nicht geniert, alles zu umtänzeln, was eines Tages komplett biologisch abgebaut sein wird.
So ist es die Totensymbolik, die in der ausgewogen konzipierten Ausstellung (kuratiert von Dr. Susan Marti) besondere Wertschätzung erhält: Unter anderem gibt es erstaunlich gut erhaltene Skelett-Kostüme zu sehen, die im Jahr 1638 für ein Theaterstück verwendet wurden.
Es muss eine lustvolle, brutale und ungnädige Zeit gewesen sein, leidenschaftlich und abgründig zugleich. Der perfekte Stoff für eine gute Geschichte, nicht? Und plötzlich stand ich vor diesem «Tod in Mönchskutte», einer aus Lindenholz geschnitzten Schönheit. «Ja, auch du», flüsterte sie mir zu.
Der Tod trägt Mönchskutte und steht hinter Glas. Foto: Christine Moor
Die Ausstellung eröffnet morgen Freitag und dauert bis am 17. April 2017. Es lohnt sich, eine der Führungen zu besuchen (jeden Sonntag um 13 Uhr). Ausserdem gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Musik, Illustration und einer Vortragsreihe.
Der Titel ist schon sehr gross: Die Kräfte hinter den Formen. Erdgeschichte, Materie, Prozess in der zeitgenössischen Kunst
Also schaut man sich das mit einiger Neugier an, im Kunstmuseum Thun. Man denkt an Ablagerungen und langsame Verschiebungen, an Schichten und Aufbrüche. Und an ganz andere Zeitskalen – an ein geduldig malmendes Uhrwerk, dem wir Menschen letztlich ziemlich egal sind. Was die Kunst (dieser Seismograph, wie es ja oft heisst) mit der Geologie und ihren Metaphern anzufangen weiss nimmt allerdings Wunder.
Julian Charrière, The Blue Fossil Entropic Stories (1)
Man hätte allerdings gewarnt sein können, hätte man auf der Webseite ein wenig weiter gelesen:
Zudem beschäftigen sie [die Künstler] sich mit den Folgen unseres Umgangs mit Natur, Materie und damit letztlich mit uns selbst.
Aha. Das könnte nun allerdings im Begleittext zu fast jeder Gruppenausstellung stehen. Dabei sind Natur und Erdgeschichte doch zwei sehr verschiedene Themen. Die eine (ist) bedroht, ein ständiger Balanceakt zwischen uns und ihr, die andere einigermassen unbeteiligt – und nach wie vor eher unbeeindruckt von der Tatsache, dass auf dieser Kruste auch noch Leben entstanden ist. Dann: Materie – ja, darum geht es derzeit sehr oft, wenn Künstler installativ arbeiten und sie ihre Arbeitsweise mit reflektieren. Und «mit uns selbst» – damit hat es Kunst ja hoffentlich meistens zu tun.
Leider ist das nicht einfach ein Ausrutscher bei der Kommunikation und also dem Versuch, die Ausstellung publikumswirksamer zu machen als das die Künstler vielleicht vorhatten, das Problem liegt beim kuratorischen Ansatz. Geologie? spannend, scheint man sich da gesagt zu haben, aber ist Natur nicht viel mehr als das? Und müssten wir nicht noch über das Anthropozän sprechen, das doch in aller Munde ist derzeit? Also «über uns selbst»? Und wo wir schon dabei sind: über das Prozesshafte der künstlerischen Arbeit vielleicht auch noch. Heraus kommt ein thematischer Flickenteppich, der zwar schön anzusehen aber am Schluss leider nicht sehr erhellend ist. Schade – aber den Bergen und Moränenhügeln draussen ist’s natürlich egal.