Archiv für die Kategorie ‘Mode & Design’

Zwölf Mal völlig daneben fokussiert

Urs Rihs am Samstag den 11. November 2017

Wie der Sommer zum Lorrainebad, passt auf unserem Pflaster der Olmo zu Streetwear. Im November feiert der Laden seinen Vierzigsten und zelebriert eine Erfolgsgeschichte. Für seinen Kalender verdient er aber Rüge, denn da passt höchstens eine Brille, aufs hornhautverkrümmte Auge des Fotografen – ein Gedankengang.

Ich geh dort einmal jährlich für eine frische Trainerhose – der Olmo ist aber im Bewusstsein mindestens dreier Generationen und hat sein Image als Laden, der neben dem Verkauf von Mode auch am kulturellen Treiben der eigene Stadt Interesse zeigt, gehegt und gepflegt. Nicht selten sieht man an Veranstaltungen das Banner mit den dicken weissumrandeten Lettern und weiss dabei, Olmo steht eben auch für Subkultur – und gut so.

Erstaunt darum umso mehr, dass sich der Laden seit zwei Jahren einen exklusiven Kalender gönnt, welcher so gar nichts mit untergründigem Avantgardismus zu tun hat und einzig ein Prädikat verdient: U N T E R I R D I S C H !
In einem Werbeartikel der 20 Minuten feierte man den zwischen heteroterroristischen und machochauvinistischen Motiven pendelnden Bilderbogen als kleinen Bruder des Pirelli Kalenders und vergass dabei – die kunsthandwerkliche giga Diskrepanz dabei mal aussen vorgelassen – dass gar dieser Klassiker der, wie soll man sagen, «Garagen-Schmuddel-Ästhetik» den Schritt hin zum Zeitgeist vollzogen hat.

OLMO, Quo Vadis? Das ist nicht Hipster Chic, sondern ganz einfach ein Misstritt.

Auch beim Reifenhersteller wurde nämlich die Schablone der jungen, perfekt modellierten Frau, als zudienende Verführerin, getauscht. Getauscht gegen einen Graufilter, welcher die Verschlusszeit zugunsten der Persönlichkeiten der Abgebildeten verlängert. 2016 von Annie Leibovitz mit ihren Porträts starker Frauen und Peter Lindbergh dieses Jahr, mit seinen Bildern von Hollywoodschauspielerinnen jeder Altersklasse, mehrheitlich angezogen. Ein Quantensprung für das selbsternannte «Kunstwerk erotischer Fotografie», dass lange genug Schaufenster jenes Herrschaftsdiskurses war, welcher beispielsweise Eskapaden weinsteinschen Ausmasses erst überhaupt ermöglicht.

Natürlichkeit und Persönlichkeit statt Künstlichkeit und Oberfläche, das ist mittlerweile «State of the Art» und sollte es auch langsam bei uns im Dorf sein. Speziell für Akteure, welche massgeblich den Mode- und somit natürlich auch Geschlechterdiskurs prägen, gerade auch junger Menschen.
OLMO, dein Kalender fungiert doch auch als Visitenkarte der geschäftseigenen Corporate Identity. Und da sagst du 2017 zu deinem Vierzigsten: «Wir sind hart festgefahren in den Geschlechterrollen, haben keinen Sinn für Ästhetik und sind postpubertär» – das ist Scheisse!
Zumal es auch im kleinen Bern emanzipierte, selbstsichere, wirklich gute Fotografie gäbe (Beispiele gefällig? 1, 2 – Anklopfen dort übrigens immer gratis).
Lieber OLMO, auf die nächsten 40 Jahre wünsch ich dir was, dass du in der Szene engagiert bleibst und dabei lernst den Schärfepunkt richtig einzustellen. Bei deinem letzten Kalender war das nämlich zwölf Mal völlig daneben fokussiert.

PS @ Boy K. Lagerfield – Ich weiss, du würdest auch Hungertote in Kauf nehmen, damit auf dem Laufsteg nicht die Normalität Einzug hält, sondern weiterhin Illusion und «Körperkunst». Aber du sagst auch: «Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.» Was soll man da noch entgegnen – still a long way to wisdom old man?

Rosinen: Instant-Stuhl

Roland Fischer am Mittwoch den 19. April 2017

Design muss nicht unbedingt sehr aufwendig sein. Die diesjährigen Preisträger des Berner Design Preises, das Künstlerpaar Ueli + Susi Berger, zeigen das mit einem ungewöhnlichen Exponat in einer Reihe von Möbelstücken, die ihre gut 40jährige Zusammenarbeit Revue passieren lässt. Ein unprätentiöses Drahtgeflecht, das aber doch eindeutig zum Sitzen einlädt. Innerhalb einiger Minuten verfertigt, wie der Saalzettel verrät, aus der Not und einem Missverhältnis heraus, von Gästen und Sitzgelegenheiten an einer Gartenparty.

Die Bestform-Schau der Berner Design Stiftung versammelt darüber hinaus acht junge und arrivierte Berner Designer, die ausgezeichnete Projekte aus den Bereichen Produktdesign, Keramik-, Mode- und Grafikdesign präsentieren. Ein sehr anregendes Sammelsurium, noch bis Ende Monat im grossen Kornhausforum-Saal zu sehen.

Von Tieren und von unberühmten Menschen

Mirko Schwab am Donnerstag den 6. April 2017

Die sublimsten Dinge begegnen einem manchmal am Urinal. Eine Hymne auf das Rössliplakat.

Sie ist nötig. Sie muss gesungen werden. Die sublimsten Dinge, sie gehen auch gerne vergessen. Gerade wenn sie über der Pissrinne hängen. Flankiert von den gesprühten Zeugnissen hündischer Markierungstriebe im Manne nebst unzähligen Klebern, einer Open-Source-Bibliothek subkultureller Gestaltungsmarotten und Codes – aber mittendrin: ein durchs Sieb gedrucktes Meisterwerk im Harndampf. Dem Feuilleton entgeht gerne, was nicht schreit «sieh mich an, ich bin Kunst!».

Die Jungs vom Grafik- und Illustrationsbüro opak haben die Meisterwerke zu verantworten. Seit Jahren begleiten Sie das stoisch im popmusikalischen Untergrund mäandrierende Programm der Rösslibar mit ihrer leichtfüssigen Bildsprache. Ihre Ästhetik variieren sie dabei derart facettenreich und gleichzeitig verbindlich, dass jeder noch so verschrobene Gedankenblitz schliesslich ganz intuitiv auf sein Mutterrössli zurückweist: Selten ging Corporate Identity derart unverkrampft. Diese ästhetische Verbindlichkeit speist sich aus dem Repertoire der Themen und Techniken, die zur Anwendung kommen. Der zweifarbige Siebdruck prägt die Serie ebenso wie die Lust an der Impferfektion auch der grafischsten und strengsten Entwürfe, die sich so den Charme der Handarbeit erhalten. Und nicht zuletzt das konsequent ausgesparte Rändchen; eine Abgrenzung vielleicht gegen die ordinäre Nachbarschaft, in der die Plakate angebracht sind – und eine würdige Rahmung ganz sicher für die detailverliebten Geschichten, die einem da beim Schiffen erzählt werden.

Geschichten erzählen, wenn die Köpfe fehlen. Die grossen Namen sucht man im Programm des Rössli bekanntlich umsonst. Und also dürfen sich die Plakate um anderes kümmern als die geschickte Einbettung des ikonischen Bandfotos oder die möglichst schreihalsige Lesbarkeit des Headliners, der die Vorverkäufe abheben lässt. Nein, das Rössliplakat leistet ungleich mehr: Es erschliesst hintersinnige bis im originärsten Sinn plakative Interpretationen der zahlreichen Band- und Künstlernamen, die Woche für Woche auf dem Programm stehen – Karikaturen, Wortspiele, Hommagen und Referenzen. Die Motivik weist dabei oft in die Welt der Pflanzen und Tiere, die, ins Absurde oder gar Morbide abgekantet, den schrägen und aufwühlenden Darbietungen aus der Subkultur in grafischen Kürzestgeschichten die Ehre erweist.

Ein Hoch darum auf das Rössliplakat. Die poetische Antithese zu den Mechanismen der Werbeindustrie; nur sehr spärlich aufgehängt, als solle es den Selbstzweck geradezu zelebrieren, wild, ausufernd und bisweilen fast kryptisch verschwiegen in seiner Gestaltung und in dieser Unverfrorenheit letztlich mehr als jedes andere Konzertplakat der Stadt: Kunst.

Kleinstadt im Weltformat

Mirko Schwab am Samstag den 4. Februar 2017

Vor bald einundzwanzig Jahren hat der Storch uns einen Raben beschert. Einen quengligen, lauten, bunten, manchmal fahrigen, oft beflissenen und immer nötigen Glücksvogel. Alles Drucke zum Geburtstag!

Zum Zwanzigsten haben zwanzig Kulturleute dem Rebellenradio RaBe ein grafisches Kränzchen gewindet. Jetzt ist der alte Störenfried also schon bald einundzwanzig – und die besagten Geburtstagsgrüsse sind in Druckform erhältlich. Für an die Wand oder den Kühlschrank und auch besser, als immer eine Fahne haben … Lasch kommentiert, eine Auswahl der schönsten und wüstesten. (Und wie im Radioprogramm ist es eben auch das schönste, manchmal auf dem falschen Fuss erwischt zu werden. In diesem Sinne: Einmal Mittelfinger an die marktanalysierenden Nichtsnutze vom Hitradio, die das Wasser aus jenem Tümpelchen preisen, in das sie reinpinkeln.)

And now for the good things:

Alles Raben: Erst im Schwarm wird aus schrägen Vögeln eine Idee.

Laut und wüst wie der Reverend himslef: Des Beatmans Entwurf.

In jedem Vogel steckt ein Rabe. Die gelebte kulturelle Vielfalt aufs Plakat gebracht.

Ein echter Claude Kuhn: lakonisch und auf den Punkt. Die Erweiterung der Pupillen beim Einschalten des Radiogeräts.

Mit dem «Unknown Pleasures»-Cover wurde allerhand Blödsinn getrieben in den letzten Jahren – und so mancher Oberschenkel wäre besser dran ohne Joy-Divison-Tattoo «weil einem diese tiefgründigen Texte halt so unter die Haut gehen …» Item, ist jedenfalls eine der sinnvolleren Bemühungen des Motivs. Und RaBe fraglos eine zu unbekannte Freude.

Der weit aufgerissene Schnabel wirft Licht ins Dunkel. Lautstärke ist Licht. Diversität ist Licht. Dilettantismus ist Licht. Ein Schmuckstück in beherzter und einleuchtender Symbolik.

Wer schon immer mal wissen wollte, wie es in diesem herrlichhässlichen Block am Randweg 21 so zugeht: Xsändus Einwurf zeigt die ganze Wahrheit.

Ein eher missglücktes Beispiel zum Schluss. Da sind wir uns vom renommierten Plakatgestalter Stephan Bundi aber höhere Flüge gewohnt. Ein Regenbogen-Arien kotzender Rabe auf weissem Hintergrund … Gut, so besehen machts schon wieder Spass.

Sämtliche Plakate gibts zu fairem Preis als Weltformat, A2 oder in Form einer Postkartenserie. Am besten mal am Randweg 21 vorbeischauen oder ein Mail machen an: rabe(ät)rabe(punkt)ch

Wär isch hässig?

Milena Krstic am Freitag den 27. Januar 2017

Zuerst waren da diese Sticker, irgendwie überall in dieser Stadt: an Ampelmasten, Häuserfassaden und auf Telefonhörern. Wer ist hässig und warum?

Diesen Beitrag weiterlesen »

Rosinen: Ein Designstück aus dem Jahr 1891

Roland Fischer am Mittwoch den 4. Mai 2016

Schöne Formen – das ist natürlich eine subjektive und zeitgeschmackliche Sache. Beste Formen umso mehr. Wenn also die Berner Designstiftung das aktuelle Best-Of der Berner Designszene zum Anlass nimmt, auch eine kleine Retrospektive durch die eigene Sammlung (die bis zurück ins Jahr 1869 reicht) in den Kornhaussaal zu stellen, dann darf man sich auf einige Überraschungen einstellen.

Lieblingsfund ist dieses seltsame Objekt hier (aus einer Zeit vor Form follows function, denn eine Funktion hatten Designobjekte damals üblicherweise noch gar nicht):

Berner Jubiläumsschild

Der Berner Jubiläumsschild aus unserer Sammlung ist nicht nur ein wichtiges Zeitzeugnis für den aufkommenden Patriotismus, sondern zugleich repräsentativ für den damaligen Handwerkstil.

Oder soll man Patriotismus vielleicht hier eine Funktion nennen? Man kommt da wunderbar ins Grübeln.

Aber natürlich war man da vor allem hingegangen, um die besten Formen von jetzt zu sehen: Sabine Affolter & Katja Rüfenacht, «Dolografie. Eine Kommunikationshilfe für die Schmerztherapie», Tobias Gutmann & Kathrin Grossenbacher, «Schmetterlinge auf dem Bauch», Christian Spiess, «schräg – ein Regalsystem» (persönliches Lieblingsstück!), Judith Zaugg & Bettina Wegenast, Motion-Comic «Trollen für Anfänger», Hanno Schwab, Earlybird Skis (Eco Freeride Skis).

Die gezeichnete Stadt zum Klicken

Christian Zellweger am Freitag den 23. Oktober 2015

karte

Es sind ja patente Typen, Nikolaj Vejlstrup, Rodja Galli und Basil Anliker vom Grafik-Atelier a259.ch und in Bern kennen sie sich natürlich aus.

Das persönliche Bern – von Kultur bis Kulinarik – der drei Gestalter ist nun auf einer interaktiven, handgezeichneten Karte festgehalten. Diese stammt Lea Schneider, welche das Werk während ihrem Praktikum bei a259 für ihre Ausbildung an der Grafikfachklasse in Biel gezeichnet hat.

Wo Anliker einst Burger gewendet hat, warum Galli früher Müllmann werden wollte und wo Vejlstrup in unbezahlbaren Büchern stöbert, lässt sich auf ihrer Webseite entdecken.

Mühsam? Ach was.

Roland Fischer am Freitag den 3. Juli 2015

Bisschen heiss? Vielleicht würde sowas helfen – anziehen, nicht ausziehen:

japan-air-conditioner-jacket-3

Aber man kann sich Abkühlung natürlich auch auf die gute alte Aareart holen. Der Blick hat gestern dankenswerterweise ein kleines Forschungsprojekt im Marzili durchgeführt, mit einer Wärmebildkamera. Ergebnis: ein Aareschwumm = 15 Grad weniger, zumindest an der Körperoberfläche.

vorher

nachher

Und ansonsten empfiehlt sich passend zum Wetter den ganzen Juli über ein Abstecher in die Mühsam-Bar in der Sattelkammer oben, einer Installation von Zora B. Weil:

Es ist sehr heiss. Die ältere Dame von nebenan mag es lieber sehr heiss als sehr kalt. Ich mag lieber sehr kalt und zuhause bleiben aber sage nichts. Unser Breitengrad verlangt Heizungen und Ventilatoren. Dieses Klima ist eine reine Energieverschwendung. Kann das bitte jemand ändern! Ha ha!
Die Mail-Adresse auf den Flyern, und am Schaufenster ist falsch. Zora hat einen Wutausbruch und schreit mich an. Ich versuche durch schweigen zu beruhigen, es geht nicht. Ich sage: Wir korrigieren nichts. Es passt fast ins Konzept, dass die Mail nicht geht.

Alles sehr oberflächlich?

Roland Fischer am Samstag den 11. April 2015

Design ist überall, und Designkritik in jüngster Zeit auch, zum Beispiel in der Süddeutschen:

Der notwendige Richtungswechsel stellt das Design nicht nur vor ganz neue Aufgaben, es stellt das Design, wie wir es kennen – als Formensprache der Konsumwirtschaft, als Styling von Produkten –, im Kern infrage. Es kommt nämlich nicht darauf an, grundsätzlich falschen Produkten wie einem SUV ein gutes oder gar grünes Design zu verpassen. Sondern es geht um das Re-Design des Verhältnisses zwischen Rohstoff und Erzeugnis. Denn die heutigen Designs verbergen ja perfekt, welche Wertschöpfungsketten, welcher Ressourcen- und Transportaufwand, welche Arbeit und Energie in allem steckt, was man konsumiert.

Das heute und morgen im Progr stattfindende Design Festival Bern gibt sich da nicht so kritisch. Und weiss offenbar um die ungebrochene Anziehungskraft von Design – das Publikum bezahlt sogar Eintritt, um aktuelles Berner Kreativschaffen zu sehen. Gratis gibt es dagegen Konzerte im Hof und besondere oberflächliche Spielereien mit dem Towerbus von Manuel Berner und Marc-André Gasser. Die beiden nutzen das ehemalige Militärflugübewachungs-Gefährt als Projektionswagen für 3D-Projektionen auf Fassaden – und haben es eigenhändig mit Wandtafelfarbe bemalt, so dass auch die automobile Oberfläche immer wieder anders bespielt werden kann. Heute abend kann man das Resultat und dazu eine kurze Fassadenmalerei aus Licht betrachten.

towerbus

Psycho-Heidi & Schlächter-Geissenpeter

Milena Krstic am Sonntag den 6. April 2014

Gestern wurden an der ersten Ausgabe des «Festivals für unabhängiges Modeschaffen» Adelheid & Peter  (chez la Heitere Fahne) Unmengen von Süssigkeiten fürs Auge verteilt.

IMG_20140405_171359~2

Wobei «verteilt» das falsche Wort ist, weil mein auserkorenes Lieblingsteil CHF 360.- (soweit ich mich erinnern mag) kostete. Natürlich wird dieser Preis für die Arbeit, den Stoff und die kleine Stückzahl gerechtfertigt sein, aber ich habe das Festival dann doch ohne Kauf verlassen.

Lieblingsteil in pink-métalisée der Designerin Yana Rei.

IMG_20140405_172550~2

Schön wars trotzdem, obwohl ich mich frage, wie innovativ das ist, bei der Werbekampagne so dermassen einen auf Heimat-Idylle und Hochglanz-Bergwelt gemacht zu haben. Wie wärs mit einem Psycho-Heidi und einen Schlächter-Geissenpeter gewesen? Aber das hätte dann nicht zum Rest des Konzepts gepasst. Item.

Karneval!

IMG_20140405_172240~2

Adelheid war übrigens vor Ort und ich ärgere mich jetzt noch, dass ich sie nicht gefragt habe, ob ich sie fotografieren darf.