Archiv für die Kategorie ‘Lieblinge’

Lieblingsdroge: Sand

Nicolette Kretz am Freitag den 8. Juni 2012

Die Woche der Lieblingsdroge – heute auf ‘nem Trip mit Frau Kretz.

Ich fänd’s schick behaupten zu können, dass gute Bücher meine Droge seien, aber ich muss gestehen, dass mich Romane nur selten so richtig reinziehen und nicht mehr loslassen. Ich bin eine ¾-Bücherleserin. Da ich fast ausschliesslich auf Reisen lese, lohnt es sich oft nicht, fast fertige Bücher mitzunehmen, weil die dann schon auf der Hinreise zu Ende und ab da nur noch unnötiger Balast sind – und so lese ich die meisten gar nie bis zum Schluss.

Ganz selten schafft es aber doch ein Buch, mich bewusstseinserweiternd in andere Sphären zu heben – dann aber so richtig. Und so richtig richtig hat’s Wolfgang Herrndorfs neuster Roman «Sand» geschafft. Ein wahrer Geniestreich!

Nordafrika, ein fiktives Marokko-ähnliches Land, 1972. Zwei gelangweilte französischen Polizisten, eine Hippiekommune, eine blonde Amerikanerin, ein toter schwedischer Geheimagent. Scheinbar haben diese nicht viel mit einander zu tun. Und dann taucht in einer Scheune in der Wüste  plötzlich ein Mann ohne Gedächtnis auf. Er weiss nicht, wer er ist, vor wem er auf der Flucht ist und vor allem nicht wieso. Auf den nächsten 400 Seiten versucht er, das herauszufinden – und wir mit ihm. Und auf den nächsten 400 Seiten puzzelt man sich die Figurenkonstellation zusammen. Zu den bereits erwähnten kommen nota bene noch gefühlte 50 Charaktere dazu, jeder mit dem lauernden Potential zu Hauptfigur.

Dass dieser Trip mit seinen ganzen Verwirrungen so unglaublich spannend bleibt (ich habe das Buch mit ein paar wenigen Schlafens- und Essunterbrüchen in einem Zug durchgelesen), ist Herrndorfs treffsicherer Sprache zu verdanken. Jede Szene und jede Figur ist in höchstmöglichem Grade plastisch und lebendig, obwohl im Grunde überhaupt nichts klar ist. Und die ganze Zeit wird eigentlich nur zwischen zwei Städten im Sand hin und her gefahren, gerannt und gestolpert, einiges über Rüben gezogen und viel geblutet. Aber alles ist mit so präzisen Worten erzählt, dass man sich wünscht es würde nie enden.

Gleichzeitig sehnt man sich natürlich nach diesem er- bzw. auflösenden Ende. Und siehe da, kurz vor Schluss findet der Protagonist dann endlich «den Namen, der ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte.» Der Autor braucht ihn aber hier schon gar nicht hinzuschreiben, denn wir haben bereits Stück um Stück, ganz ohne es selbst zu merken, das Mosaik zusammengesetzt und können am Schluss gar nicht mehr sagen, wann wir eigentlich herausgefunden haben, was hier abgeht.

Gerne hätte ich hier das Buch mit einer Schlüsselszene für sich sprechen lassen, doch dieser Roman ist eine einzige Verzögerung. Es gibt bloss vermeintliche Schlüsselszenen, die sich als retardierende Momente entpuppen. Deshalb hier einfach eine Szene, in der Hoffnung, Sie anfixen zu können:

«… Also verkauf mich nicht für blöd. Weil: Ich bin nicht blöd Dein Gesicht stinkt zum Himmel. Ich kenn dich. Ich kenn Typen wie dich. Soll ich dir sagen, wer du bist? Du bist ein Intellektueller. Ein Scheissintellektueller, einer von diesen verblödeten Kommunisten, der zu viel von dieser französischen Rollkragenpulloverscheisse gelesen hat und jetzt irgendwas in die Luft jagen will. Ein Abgedrehter. Ich kenn Abgedrehte. Und du bist ein Abgedrehter. Ein Hobbyterrorist.» Er lockerte seinen Griff und fuhr etwas ruhiger fort: «Aber mit Eiern in der Hose. Und jetzt willst du eine Mine mit Wums, und ich sag dir was. Wenn du versuchst, in dieser kleinen, beschissenen Stadt hier deinen kleinen, privaten Rachefeldzug gegen den Imperialismus zu starten, wenn du irgendwas in die Luft jagen willst, ich meine, wenn du nichts andres im Kopf hast, als hier irgendeine kranke Scheisse zu starten und Hunderte von Arabern in die Luft zu sprengen und die ganze Stadt in einem Flammenmeer zu ertränken – meine Unterstützung hast du.»

Lieblingsdroge: Wodka-Ahoibrause

Gisela Feuz am Donnerstag den 7. Juni 2012

Die Woche der Lieblingsdroge – heute Zuckerschlecken mit Frau Feuz

Herrjeh aber auch. Was ist das bloss für ein Bünzli-Blog hier. Da bekommt man die Gelegenheit, endlich ein Bisschen Rock’n’Roll unter die Leute zu bringen und über seine Lieblingsdroge zu plaudern und dann so was. Mineralwasser, pfff. Gut, der Chef ist der Chef und der kann wohl nicht zu doll auf die Pauke hauen von wegen Verantwortung und Vorbildfunktion. Fischer trinkt Espresso und hat feuchte Träume wegen Touchscreens, pfff. Wenn er wenigsten wegen einer Koffeinüberdosis einen solchen aus dem Fenster werfen würde. Aber nein. Immerhin ist unsere werte Frau Kofmel mit ihrem Poppers-Ersatz halbwegs rock’n’rollig unterwegs.

Höchste Zeit, hier jetzt mal ein bisschen auf die Substanzen-Pauke zu hauen. Also. Worüber schreib ich? Heroin? Loser-Droge. Kokain? Langweilig. Nehmen ja mittlerweile alle. Gras oder Hasch? Hippie-Zeugs. Psychodelische Pilze? Kann böse enden, wie Urs Blank weiss. LSD? Gibt’s das noch? Ecstasy? Gähn. Bei dem ganzen neumodischen Dreibuchstaben-Zeuchs kenn ich mich nicht aus, bleibt also noch die gute alte Volksdroge Nummer eins: Schnaps. Olé!

Fragen Sie mich nicht, wer damit angefangen hat. Und nein, ich möchte auch keine tiefenpsychologische Analyse, was das über einem aussagt, wenn man Freunde hat, die so was trinken. Die Rede ist von Wodka-Ahoibrause, ein Gesöff, welches ausschliesslich Intellektuelle und sehr erwachsene Menschen konsumieren. Das geht so: Man nehme ein Beutelchen Ahoi-Brause (vergleichbar mit Tiki-Pulver), schütte dieses in den Mund, kippe umgehend einen Wodka obendrauf und schüttle ordentlich die vollen Backen, bis es schäumt. Erst dann darf man runterschlucken. Ja, macht sehr schnell sehr betrunken. Und ja, verursacht perversen Kater und Zahnweh. Aber da muss man durch. Drogen nimmt man schliesslich nicht zum Vergnügen und Rock’n’Roll ist kein Zuckerschlecken. *ähem*

Lieblingsdroge: Zeitunglesen

Roland Fischer am Mittwoch den 6. Juni 2012

Die Woche der Lieblingsdroge – heute mit Fischers Retro- und Futuroräuschen.

Nichts schöneres an einem trägen Sommernachmittag als in einem Café am Schatten zu sitzen, bei einem guten Espresso und einer – entscheidend – guten Zeitung in der Hand. Und diesbezüglich ist Bern ein durchaus gutes Pflaster, die Qualitätszeitungsdichte ist aussergewöhnlich. Am schönsten liest es sich im Diagonal an der Amthausgasse, da gibt es nämlich nicht nur die Süddeutsche (die findet man auch im Adrianos und seit neuem auch im Parterre), sondern auch noch die ebenso grosse Rivalin, die Frankfurter Allgemeine. Das sogenannt nordische Format hat durchaus mit dem berauschenden Effekt der Lektüre zu tun, das sich Verlieren in den weiten sich auf den Doppelseiten ausbreitenden Letternlandschaften, die aufgefaltet Sitzbreiten locker sprengen.

Zeitunglesen ist natürlich nicht nur ein inhaltliches, sondern auch ein taktiles Rauschmittel, das wissen die deutschen Verlage besser als die Schweizer. Eine Zeitung will ein wenig sperrig in der Handhabung sein, sie hat vielleicht gar etwas von einem schönen selbstbewussten Körper, der sich nicht leichthin jedem Liebhaber fügt – eine stolze Zeitung muss man in den Griff bekommen. Was mich wiederum an einen Artikel aus dem natürlich auch sehr (und natürlich auf ganz andere Art) rauschhaften Internet erinnert, in dem es um alte vs. neue, geschmeidigere Publikationsformen geht. « —think about the pleasure of a touch screen versus inky newspaper pages— » heisst es darin mal, und das gab mir eine plötzliche Ahnung von zukünftigen Leseräuschen, mit Reisen durch ganz andere Typograhien, mit einer neu zu erkundenden Texterotik, wenn man so will. Wenn Zeitunglesen von gestern ist, dann ist der Touchscreen mein feuchter Traum, der von einem aufregenden Morgen kündet.

Lieblingsdroge: Brise

Ruth Kofmel am Dienstag den 5. Juni 2012

Die Woche der Lieblingsdroge – heute mit Frau Kofmels Geheimtipp.

Was ich bisher nicht wusste: Es gibt ja so viel Aufregenderes an legalen Rauschmitteln als Alkohol, Zucker, Koffein und dergleichen.

Es brauchte die bereits erwähnte Wohnungsabgabereinigung und einen Bericht über die schädigenden Wirkstoffen von Duft- und Wäschestärkesprays um darauf zu kommen. Die mit modernen Putzhilfen hantierende Frau (Männer putzen ja nach wie vor vernachlässigbar wenig) ruiniert sich dem Bericht zufolge völlig unwissentlich und unfreiwillig die Gesundheit – so könnte man wenigstens meinen.

Nur: das sind lauter Junkies, die sich unter dem Deckmäntelchen der tüchtigen Hausfrau den täglichen Kick via «Brise Alpine Sensation» holen. Putzzeug in all seinen neuzeitlichen Erscheinungsformen fährt jedenfalls ein. Es sorgt für einen leichten, wohlriechenden Rausch mit forcierter Erheiterung. Milde Sprachstörungen gehören dazu, dafür scheint das Leben aber insgesamt viel glanzvoller.

Einziger Nachteil: Der Dealer schliess um halb sieben.

Und wie in dem Video zu sehen ist, bedient sich die Jugend schon längst bei den Aufhellern ihrer Mütter.

Lieblingsdroge: Mineralwasser

Benedikt Sartorius am Montag den 4. Juni 2012

Im Juni wird Ihr Kulturblog des Vertrauens zu Ihrem Lieblingsblog: Wir präsentieren unsere jeweiligen Lieblinge in gesuchten Kategorien. Den Auftakt macht Herr Sartorius mit seiner momentanen Lieblingsdroge.

Ich könnte es mir einfach machen, und Sie hier langweilen mit einer weiteren Folge der Serie über bereits vielfach besungene Bands wie das Animal Collective oder die Flaming Lips, könnte ein weiteres Mal darauf hinweisen, wie süchtig ein Buch von Roberto Bolaño machen kann und wieso das Feedback von sehr lauten Gitarren immer noch einer der schönsten Lärmangelegenheiten ist, das meinen Tinnitus immer wieder aufs neue und auch gerne weckt.

Doch das Gift, das ich heute besingen möchte, ist eine Gabe und die Freude meiner Tage – zumal in Entgiftungszeiten. Und dieses ist überaus schlicht, nämlich: Kohlensäurehaltiges Mineralwasser, versehen mit viel Eis und Zitrone, wegen dem Büro-Selecta-Automaten vorzugsweise aus einem hiesigen Hause, das die «wahrscheinlichste tiefste Website der Welt».

Doch obacht: Experten wie Professor Dr. Dr. Ewald Schnug warnen allerdings vor übermässigem Konsum von einigen Sorten – wie auch der Plastic Beach durch diesen Müll stetig anwächst.

Kaufrausch im Progr

Roland Fischer am Donnerstag den 31. Mai 2012

Es beschleicht einen schon ein seltsames Gefühl, wenn man so durch Norbert Klassens Atelier streicht, ein Migros-Körbchen in der Hand. Es ist grosser Ausverkauf in dem wunderbaren Sammelsurium, in dieser Wunderkammer, diesem ganz persönlichen Kunstuniversum, das gleichzeitig Labor und gute Stube war.

Zum Glück braucht man sich nicht gar so leichenfledderisch vorzukommen – die Kaufräusche hatten Tradition bei Klassen und seinen Weggefährten. So hörte sich das dann jeweils an:

dezember 2005

KAUFRAUSCHTAGE
jürgen o.olbrich / kassel
und norbert klassen / bern
verramschen ihre kunst
im kunsthaus grenchen / schweiz

Immer wieder haben sie sich so von allzuviel biographischem Ballast befreit. Und so handelt man denn an der Kasse auf spielerische Weise einen Preis für die Trouvaillen aus Klassens Nachlass aus und lässt sich ins Kaufregister eintragen – der gute Norbert möchte nämlich gern wissen, an wen seine Schätze so gehen. Ein sehr rührender Abschied, von heiterem Ernst getragen.