Archiv für die Kategorie ‘Kultur allein Zuhaus’

Gefährdet ist Gut!

Clemens Kuratle am Sonntag den 29. Juli 2018

Die Langnau Jazznights sind wieder einmal Geschichte. Die Szene war anwesend, ist das Festival doch mit seinen Workshops, Clinics und Jams eine Brutstätte des Schweizer J***s. Und so wars, neben dem hochkarätigen Line-Up, auch dieses Jahr wieder ein Familientreffen. Ein Résumé.

Furios und kontrastreich werden die Nächte Dienstags von den Bands von M-BaseGuru Steve Coleman und Basslegende Christian McBride eröffnet. Zwei gegensätzliche, vielschichtige Konzerte.

Mittwochs beeindruckt das stilbildende Trio um Brad Mehldau mit einem, seiner Extra-Klasse entsprechenden, ausgedehnten, abwechslungsreichen Set.

Donnerstags kann man der Jazzgeschichte in Gestalt des beinahe 80-jährigen Schlagzeugers Billy Hart beim Spielen zuschauen, was der anwesenden amerikanischen Drummer-Elite und dem Autor Tränen der Rührung in die Augen treibt.

Freitags, den Kater von den nächtlichen Jamsessions in der Kupfergabel noch im Genick, wird einem dann die Tradition bei aller Spielgewalt und Präzision plötzlich etwas zuviel, worauf man sich vornimmt auch den kommenden, letzten Abend nüchterner anzugehen.. S‘isch haut ****.

Am Samstag Morgen wünscht man sich den Jazz dann, trotz der Nüchternheit, überall hin, nur nicht ins Emmental.

Und dann geht man trotzdem. Wegen der Community, dem letzten Jam, weil man ja nun mal da ist… Im Gegensatz zu den Vorabenden spielt heute keine Legende auf der Bühne, man findet einen Sitzplatz.

Als Endangered Blood loslegt, der Sound justiert, die Ohren gebüschelt sind geht plötzlich alles viel zu schnell. Eine Stunde fühlt sich an wie zwanzig Minuten, die Zugabe wird frenetisch herbeigeklatscht. Die Musik von heute hat gesprochen. Da nützen alle Worte nichts. Chris Speed, Oscar Noriega, Trevor Dunn und Jim Black. Endangered Blood!

Im Anschluss steht man mit Seelenverwandten stumm und glücklich an der Bar und braucht keinen Alkohol. Die Nörgler können einem gestohlen bleiben. Man ist Fan! der Drummer und Bandleader des Fischermann‘s Orchestra (am 3. August am BeJazzSommer) macht sich auf, die CD signieren zu lassen.

Das zweite Konzert wird über die Lautsprecher der Bar zur Kenntnis genommen, der Abend verrinnt, der Jam wird um halb 5 mit einem Blues beschlossen. Man liegt sich in den Armen, verabschiedet sich und freut sich auf die Ausgabe vom nächsten Jahr. Die Helfer sind bereits am Verräumen.

Danke Langnau!

Jazz: Annäherung an ein Unwort

Clemens Kuratle am Samstag den 7. Juli 2018

Nicht shiny, nicht glamourös und auch nicht zwingend schön, dafür ziemlich wendig. Eine Ode an eine zum Musikstil degradierte Geisteshaltung.

“Der Jazz wird’s danken.” Mit diesen Worten offiziell von der KSB-Gang begrüsst, darf ich jetzt meinen Einstand geben. Eine Stimme für die junge Berner (Jazz)-Szene soll ich sein. Hoppla.

Klingt zuerst mal lahm, nicht?

Was ist das überhaupt, Jazz?

Ich muss ausholen: Kommunikationsformen sind so verschieden, wie es Menschen auf diesem Planeten gibt. Den einen ist es vergönnt, schnell in Worte zu fassen, was sie denken und fühlen. Andere können das zwar auch, brauchen dazu aber länger und viele hadern mit der Sprache an sich. Ein anderes Ventil muss her und wenn die Sprache versagt, spricht die Kunst. Zum Beispiel eben  dieser Jazz (ich stolpere jeweils, wenn ich dieses Wort brauche) das wohl missverstandenste “Genre“ unserer Zeit.

Musiker*innen, welche die maximale Ausdruckspalette auf ihrem Instrument suchen, bietet diese Musik ein Vehikel. Dabei ist der ideologische Unterbau entscheidend, nicht die Klanglichkeit und nicht irgend ein Stilmittel.

Nicht um spezifische Grooves oder Sounds gehts, sondern um die Haltung. Eine Haltung die missverstanden, falsch eingeordnet und die vermehrt auch wieder eingefordert werden muss.

Haltung heisst hier Präsenz.

Mit der Musik ausdrücken, was man gerade fühlt.

Die Musik so spielen, wie sie in dem Moment gespielt werden will.

Genau wie im Gespräch nicht immer die selben Phrasen gedrescht werden wollen, kann das auf dem Instrument auch nicht das Ziel sein und wo gute Popmusik diese Neuartigkeit in der Produktion und im Arrangement sucht, versucht der J***-Musiker (Genderneutralität wird ab hier dem Flow geopfert, sorry..) die Dringlichkeit improvisatorisch auf die Bühne zu bringen.

Nach Hits sucht man dann halt vergebens.. Aber wenn die erarbeitete Klang- und Ausdruckspalette zu einem späteren Zeitpunkt in den Dienst eines guten Songs gestellt wird, umso schöner! Nicht ohne Grund vertrauen unsere Grossen (Sophie Hunger, Baze, Eveline Trouble, Fai Baba, to name too few!) auf das Können von Musikern, welche sich auf dem Instrument auszudrücken wissen..

Wichtiges Forschungsfeld bleibt die Improvisation und hier wären wir wieder bei dem was **zz sein sollte. Die unmittelbarste Kommunikationsart, der Schlüssel zu der Seele eines Instrumentalisten, wie ich ihn mir wünsche. Pathetisch aber wahr!

Dieser Haltung ist die Legitimität wohl kaum abzusprechen, aber sie setzt den Hörer vor grössere Herausforderungen. Es gilt sich auf die Sprache einzulassen, sie zu verstehen versuchen. Wie geht das?

Ganz einfach: Ab ans Konzert, Ohren auf, gelegentlich die Augen zu und dann schauen ob die nonverbale Kommunikation greift.

Wenn‘s nicht gefällt:

– Tant pis, schlechter Zeitpunkt. Als ob man immer offen für alles wäre..

– Die Musiker haben sich verfahren.

– Es war schlechte Musik ← Uh jaa, die gibts.

s‘isch haut Tschäässs.

 

Hallo, wir sind im Ticino

Milena Krstic am Samstag den 30. Juli 2016

Wussten Sie, dass unsere ehemalige Mitbloggerin Saskia Winkelmann eine DJ ist? Unter ihrem Künstlerinnennamen Kia Mann hat sie heute ein sommerlich düsteres Mixtape (bons vivants records) veröffentlicht.

Zusammen mit der Nachricht

Hi. We’re in Ticino. Weather is perfect. We are alright. Here’s a little mixtape I did yesterday. See you!

schickt sie Grüsse aus der Sasso Residency. 

Viel Freude beim Dahinschmelzen.

Kultur allein Zuhause #9: Brüten und Füttern

Saskia Winkelmann am Freitag den 27. Mai 2016

Dieses Buch spielt grösstenteils in Bern: Der kurze, intensive Roman “Der Mauerläufer” der Amerikanerin Nell Zink.

“Der Mauerläufer”, Nell Zinks Erstling, ist ein dünnes dichtes Buch geworden, dessen Inhalt schnell zusammengefasst ist: Nach einem Autounfall ist bei Tiffany und Stephan nichts mehr wie vorher. Sie ist nicht mehr schwanger und er fängt einen Vogel. Ein Mauerläufer wird zum neuen Haustier der jungen Amerikanerin und des Hobbyornithologen, die erst zusammen in der Berner Altstadt, dann in Berlin wohnen.

Nell_Zink_Mauerlaeufer

Die Autorin Nell Zink kommt aus Virgina und lebt seit Jahren in einer Kleinststadt in Brandenburg, wo sie bis jetzt nur für Freunde und sich selbst geschrieben hat. Nun legt sie mal eben so mit fünfzig ihren ersten Roman hin, den die Feuilletons (zu recht) einstimmig loben.

Es geht darin um die Liebe, um Umweltschutz, um Sex und Heimat – und es geht um Vögel. Mit einem Tempo führt Zink einen an der Seite von Tiff durch Bern, Berlin und den Balkan, durch eine Ehe, eine Affäre, durch Clubs, durch die Pampa in Sachsen-Anhalt, durchs Berner Oberland, durch Vogelsaffaris und Gefühlsachterbahnen. Das ist manchmal anstrengend, aber immer kurzweilig und sicher nie langweilig, auch wenn man sich nicht im geringsten für Vögel und Umweltschutz interessiert.

Menschenfrei Kultur geniessen in den eigenen vier Wänden. Tipps und Tricks von KSB. Diesmal: “Der Mauerläufer” von Nell Zink. Im März bei Rowohlt erschienen, 155 Seiten.

Kultur allein Zuhause #8: “Der goldene Handschuh” von Heinz Strunk

Saskia Winkelmann am Samstag den 30. April 2016

Der erste nicht autobiografische Roman von Heinz Strunk erzählt die schwer verdauliche Geschichte des Serienmörders Fritz Honka. Es ist nicht einfach, über dieses Buch zu schreiben.

Heinz Strunk ist der Grund, warum ich dieses Buch mit dem harmlosen Titel aufschlug, ohne mir vorher klar zu machen, worauf ich mich genau einliess. Strunk ist Teil von  Studio Braun, Autor des sehr tollen und sehr tragisch-komischen Romans „Fleisch ist mein Gemüse“ und anderer Werke, Popliterat, Musiker, er ist ein lustiger, intelligenter Mensch und wie die meisten richtig lustigen, intelligenten Menschen, ist er auch ein tieftrauriger. Ausserdem ist er ein Autor, den ich sehr schätze.

Es ist schwierig “Der goldene Handschuh” zu beschreiben, ohne dass es klingt, als handle es sich dabei um ein unglaublich schlechtes literarisches Werk. Zum Beispiel wenn ich sage: Mir ist übel geworden. Ich habe das Buch weglegen müssen. Danach hab ich nicht schlafen können.

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Kultur allein zuhause #7: Unter Leuten

Saskia Winkelmann am Donnerstag den 17. März 2016

In Juli Zehs neuem Roman „Unterleuten“ kämpfen zwölf Menschen für und gegen einen Windpark in ihrem Dorf. Zehs zehntes Buch ist ein Gesellschaftsroman geworden.

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Sie haben es vielleicht mitbekommen: Bestseller-Autorin Juli Zeh hat vor ein paar Tagen einen Gesellschaftsroman veröffentlicht. Um es vorwegzunehmen: Herausgekommen ist ein mehr als gelungener Roman.

Juli Zeh hat Gutes und weniger Gutes geschrieben,
zehn Bücher und ein Theaterstück sind es inzwischen. Als Teenager habe ich „Adler und Engel“ und „Spieltrieb“ geliebt, gerade wegen dem Drama, den Themen, den grossen Metaphern und den Sprachspielen nach dem Motto mehr ist mehr. Später, als ich Autoren wie Markus Werner zu verehren begann, auch gerade wegen der Einfachheit der Sprache und Handlungen, wurde mir von Zehs Sätzen manchmal schlecht wie von zu viel Schwarzwäldertorte – auch wenn Zucker und Fett ja an sich super sind, zu viel davon verursacht einfach Bauchschmerzen. Die Krimis und Dystopien („Schilf“, „Nullzeit“, „Korpus Delicti“) habe ich mir dann gar nicht mehr zu Gemüte geführt. Das Theaterstück „Yellow Line“ war meiner Meinung nach eine Katastrophe (Stephan Schmieding und sein Schauspielteam haben es trotzdem erfolgreich zusammengestrichen und eine tolle Inszenierung letzten Frühling am Konzert Theater Bern gezeigt).
Dann habe ich den Reisebericht, eines ihrer ersten Bücher „Die Stille ist ein Geräusch” entdeckt, das seltsamerweise genau von den Wortspielen lebt, die mir beim Lesen von „Spieltrieb“ inzwischen so auf den Sack gehen würden.

Und jetzt also ein Gesellschaftsroman. Wer einen sich an dieses Genre wagt, will nicht viel weniger als alles. Der Roman will etwas abbilden, das für ein Grösseres steht und er will eine Bestandsaufnahme der Gesellschaft sein. Ein Wagnis also für Zeh, an das sich wenige Deutsche Autorinnen wagen. Traditionell sind die Meister des Gesellschaftsromans allesamt Amerikaner.

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Kultur allein Zuhause #6: To adore life.

Saskia Winkelmann am Donnerstag den 21. Januar 2016

Savages sind schon einen Tag vor Erscheinen ihres neuen Albums “Adore Life” Anwärterinnen auf einen Platz in den Jahrescharts meines Herzens 2016. Beim Warten schaue ich den wilden Göttinnen beim Performen der Vorab-Single “Adore” in der gestrigen Late-Night-Show Jimmy Kimmel Live! zu.

the savages

Menschenfrei Kultur geniessen in den eigenen vier Wänden. Tipps und Tricks von KSB. Diesmal:“Adore Life” von Savages. Morgen, 22.01.16, erscheint das Album auf Matador Records.

Kultur allein Zuhause #5: Emotionale Albumcharts 2015

Saskia Winkelmann am Samstag den 16. Januar 2016

Nichts ist schöner (ok, fast nichts), als anhand der eigenen Playlist das alte Jahr nochmals Revue passieren zu lassen. Eine Zusammenfassung der ganz persönlichen, äusserst subjektiven Albumcharts 2015 der KSB-Jung-Bloggerin Saskia Winkelmann.

Das Jahr ist nun gut zwei Wochen alt. Es ist viel passiert. Es war ein gutes musikalisches Jahr. Ich habe soviel Musik gehört wie in meiner gesamten Pubertät (von 10-23) nicht mehr. Hier folgt eine wahnsinnig emotionale Zusammenstellung meiner meistgehörten Alben 2015, vertreten mit jeweils einem Track/Lied/Song.

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Kultur allein Zuhause #3: Halleluja!

Saskia Winkelmann am Freitag den 25. Dezember 2015

Ich bin lieber einmal im Jahr ein Miesepeter, als an Weihnachten Geschenke zu verteilen und sonst keine Zeit zu haben für meine Lieben.

Unter dem Tannenbaum werde ich heute ein Gedicht vorlesen, das mir das Internet, mein alter Freund, zugespielt hat:

later that night

i held an atlas in my lap
ran my fingers across the whole world
and whispered
where does it hurt?

it answered
everywhere
everywhere
everywhere.

Warsan Shire

 

Weihnachten wird auch in Bern immer noch jedes Jahr durch alle Schichten und Kreise hinweg inbrünstig gefeiert, obwohl es ein offenes Geheimnis ist, dass Weihnachtsbeleuchtung Augenkrebs und Weihnachtslieder Schlaganfälle verursachen, dass die Weihnachtsgans kein schönes Leben hatte und niemand ein designtes Küchengerät als Weihnachtsgeschenk haben will. Nächstes Mal ist Weihnachten am 25.12.2016.

a=f/m :: Aporien EP

Saskia Winkelmann am Dienstag den 24. November 2015

Ich muss schon wieder über Musik schreiben. Mir ist nämlich ein sehr interessantes Tape untergekommen.

alphalpha

Schon länger geistern Tracks von einem Duo mit dem unaussprechlichen Namen, der einem so schon mal im Physik-Unterricht untergekommen ist, aus dem Dunstkreis Bern-Luzern in meinem Newsfeed rum. Sie selbst kürzen sich meist nur mit Alpha ab.

α=f/m steht nicht nur für Bewegung, sondern auch, seit der Kollaboration von Rolf Laureijs (seines Zeichens Wahlberner, Wavering Hands Head und HKB-Student) und Belia Winnewisser,  (aka. Palus Somnii, Mitglied von Silver Firs und Evje) für nicht weniger und für viel mehr als epischen Pop. Auf dem hiesigen Label Oh, Sister Records gibt’s nun endlich ein Release.

Kein Problem, ich hab euch den Tipp gern gegeben.

α=f/m spielen heute im Fri-Son und am Samstag im Südpol Luzern. Die EP Aporien erscheint am 27.11.2015 als Tape mit Download-Code auf Oh, Sister Records.