Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Thom Yorke feiert die Schweizer Szene.

Thom Yorke hört ausschliesslich Schweizer Popmusik, der kleine Dieb.
Unten ist voll. Und weil ich heute grad keinen Bock habe auf solche vollen Gespräche über die Lage der Nation, über Wahlen («die Österreicher, die machens halt schlechter») und den erlahmenden Wintertourismus («die Österreicher, die machens halt besser») ziehe ich mich ins Fumoir zurück. Das Fumoir bei den Eidgenossen ist das letzte Refugium in dieser plappernden Welt. Eine Oase für Herz, Kopf und Lunge. Den Billardtisch bespielt man konzentriert und also meist schweigend, die Jukebox an der Wand tut das übrige: übertönt Witz und Geistesblitz der Leute mit Hitz und Shitz von gestern und heute. Ich werfe eine Handvoll Münzen ein und streife durch die Auswahl. Bei «Campari Soda» von Taxi bleibe ich hängen und kehre zurück an mein Tischchen, wo mein Kaffee vor sich hinfriert. Der Ventilator summt leise.
Mitten im Saxophonsolo öffnet sich die Tür und einer setzt sich hin, ein schmächtiger Typ mit fädigem Haar. Aus blödem Reflex fingere ich in meiner Hosentasche etwas Kleingeld zusammen. Er zwinkert mir durch den Raum zu, ich starre leer zurück. Ein paar Minuten lang geht das so. Und als er immer noch zu zwinkern scheint, merke ich, dass es Thom Yorke sein muss, winke ihn zu mir herüber – Zeit für ein kleines Interview, Brudi, das packst du, ist ja nur einer der besten lebenden Songschreiber und nicht zu sehr aufs Auge starren.
Soll ich den Stecker der Jukebox ziehen? Ist immer so laut, das tötet ja jedes Gespräch …
Auf keinen Fall – I love this song! Weisst du, als ich meinen ersten Hit schrieb, habe ich dieses Lied zwanzigmal am Tag gehört. Es gibt sogar Leute, die behaupten, dass man das höre. Grosser Unfug natürlich, ein wahrer Künstler schöpft zunächst aus sich selbst. But I definitively love this Song. Und sowieso bin ich obsessed mit Musik aus der Schweiz.
Du hörst Schweizer Musik?
Eigentlich nur. Kennst du Gölä?
G …?
Kleiner Scherz, just joking, mate. Aber es gibt wirklich viel verdammt gute Künstler hier bei euch. In England und Amerika wollen eigentlich alle nur klingen wie Radiohead, but this is obviously not gonna work. Aber ihr habt eben nur ein shitty radio (SRF3, Behauptung der Red.), so you are using your own heads – get it?
Joa. Weil wir die gute internationale Popmusik nicht kennen (Radio zum Glück!), machen wir halt eigene. Aber die Isländer, Österreicher, Schweden, die machen Pop aus Kleinstaaten im Grossformat. Aber wir?
Ach, weiss du was: die Isländer haben ja wohl vor allem Björk, die geht mir auf den Sack. Aus Österreich ists mir immer ein bisschen zu funky und die Schweden leiden am «ABBA-Gen». Sooner or later klingt jeder Song nach ABBA, spätestens im Refrain wollen die nen Gassenhauer schreiben, aber das haut nicht hin. Nein, trust me, to swiss pop music belongs the future.
Wenn du meinst. Dann mach mal ne kleine Thom Yorke’s Finest-Playlist für einen Tag, damit sich unsere Leserschaft was darunter vorstellen kann.
Okay, ich stehe früh auf und mach Kaffee, manchmal rufe ich einen alten Freund an und frage, was ihn gerade bewegt im Leben, zupfe was aus der Gitarre, wenns ihm gut geht oder schlecht, alles Gute wünsch ich ihm. Und les Zeitung, Europa im Taumel, wann hat eigentlich alles angefangen, so schief zu laufen? Sollten wir besser den Laden dicht machen und aufbrechen zu neuen Planeten, zum Mars? Is this the modern age? Das macht mich trüb. Und so sehe ich nach meiner Frau und tanze mit ihr durchs Wohnzimmer, sage ihr, dass ich sie liebe, mehr als sonst jemanden. Ich muss bald los, Dämmerung, als läge die Stadt unter einem violetten Trichter, ich irre durch die Strassen. Als ich ankomme, hängt schon der Mond und ich lass mich ein auf diesen Tanz mit Fremden, die grosse Flucht. Something like that?
Nice. Vielen Dank für die Empfehlungen. So klingt das also in der Schweiz.
(Wir geben uns noch ein paarmal «Campari Soda» und schliesslich gesteht er, dass er die Harmonien wirklich geklaut hat. Ein feiner Herr.)