Archiv für die Kategorie ‘Klassik & Jazz’

Frischer Konservatismus

Ruth Kofmel am Samstag den 26. Mai 2012

Wieder einmal einen Ausflug in die Hochkultur Berns; die Oper «Così fan tutte» wird im Stadttheater (tatsächlich) zum Besten gegeben. Es ist gar noch nicht lange her, wo ich mir geschworen habe, für lange, lange Zeit nicht mehr ins Stadttheater zu gehen. Schuld an diesem Vorhaben war die altbackene Inszenierung der Lucia di Lammermoor, wo ich die Deckenbemalung des Hauses auswendig lernte, um dem hässlichen Bühnenbild zu entkommen. Dabei will ich in diesem Haus gar nichts grossartig Innovatives sehen und hören. Es reicht mir durchaus, wenn das Stadttheater seinen konservativen Stil beibehält und aber immerhin zeitgemäss inszeniert. Das Gewagte, das Neue, das Bahnbrechende kann die freie Szene sowieso besser.

Diese Inszenierung von «Così fan tutte», eine Mozart-Oper, überzeugte also mit der genau richtigen Mischung aus konservativ und zeitgemäss. Ein reduziertes, elegantes, Bühnenbild, gelungene, aussagekräftige Kostüme, das Spiel vielleicht ein wenig zu überzeichnet – das mag die Oper aber meist gut vertragen – aber vor allem sechs Stimmen, die sich weder konkurrenzierten noch untergruben, sondern sich aneinander schmiegten, sich rieben, sich umkreisten, zueinander hin und voneinander weg strebten, kurz: die nebst dem Text so viel erzählten, dass man als Zuhörerin ganz zahm wurde im roten Plüschsessel. Nicht zu vergessen ist das Orchester, welches mit grosser Leichtigkeit den Tanzboden für die Sänger auslegte.

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Così fan tutte läuft noch bis zum 20. Juni 2012

Bitte oszillieren Sie!

Benedikt Sartorius am Mittwoch den 23. Mai 2012

Die Suchmaschine Google widmet heute den Seitenkopf dem Instrumenten-Pionier Robert Moog, der die gleichnamigen Synthesizer erfunden hat. Der Anlass: Moog wäre heute 78 jährig geworden.

Beim Manipulieren dieses sogenannten Google Doodle fielen mir neben den Oszillatoren wieder das tolle Halbrad am linken Manualrand ins Auge, ohne den ein richtiger Synthie nicht auskommt. Man erinnert sich an Stunden des überoszillierens in der Kindheit bei Gästen, an Prog-Rock-Fotografien, die den alten Teufelsmusiker Keith Emerson an seiner grossen Orgel und seinem Moog-Modular zeigen und aber auch an die Enttäuschung, als ich feststellte, dass meine Heimorgel über keines dieser Rädchen verfügte (dafür konnte die Yamaha Electone HC2 prima Samba in 280 Beats per Minutes).

Wer sich eher der 8-Bit-Musik zugetan fühlt, der nimmt mit dem untenstehenden Stück Vorlieb:

Streicheinheiten

Ruth Kofmel am Mittwoch den 18. April 2012

Beim Wort Streichquartett denkt meinereins an klassische Konzerte, gespielt in kühlen Kirchen. Dass das einmal mehr ein sträfliches Vorurteil ist, beweist das Berner Streichquartett Kaleidoscope String Quartet. Bei denen geht es eher hitzig zu und her. Es wird in allen möglichen musikstilistischen Teichen gefischt und immer wieder ein kapitaler Fang an Land gezogen, der schillert und zappelt und hervorragend schmeckt.

Am besten treffen die vier Streicher aber meinen Geschmack mit dem reduzierten Remix des Stücks «One Life?» von Patrik Zeller. Dazu hat der Gestalter Steven Götz ein verträumt schwebendes Video geschaffen.

Auch sehenswert ist die kleine Interviewrunde mit den Machern von Stück, Remix und Video.
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Das Kaleidoscope String Quartet spielt am ersten Juni im Moods im Halbfinale um den diesjährigen ZKB Jazzpreis.

Livemusik – eine kleine Kulturgeschichte

Roland Fischer am Samstag den 24. März 2012

Live ist, wenn eine Band ihre Instrumente vor den Augen des Publikums bearbeitet, wenn der Klang also von einer Mensch-Maschine-Interaktion kommt, um es mal ein wenig technisch zu sagen. Nicht live wäre dann, wenn die Maschine irgendwie von selbst Musik macht. So einfach? Gestern in der Dampfzentrale konnte man diesbezüglich ziemlich ins Grübeln kommen, denn da wurde im reichen Abendprogramm «Schicht-Werk» eine kleine Zeitreise in Sachen ‘live’ geboten. Und da ging es eben um dieses Durcheinander von Mensch, Klang und Maschine.

Spielt dieser Mann Piano? Nein, er spielt Phonola.

Das ging gleich mal los mit dem ersten Teil des Abends, in dem sich ein liebenswert kauziger Herr vor ein Piano setzte, um, nicht etwa das Piano, sondern eine Lochstreifenmaschine zu bedienen, die den guten alten Flügel auf ungehörte Weise abheben liess. War das jetzt live? Wozu brauchte es da den Interpreten (davon abgesehen, dass er die Sache sehr charmant moderierte)?

Im Zwischenblock gab es dann zeitgenössische und zuweilen durch den Computer verschlaufte Schlagzeugmusik (mit einer Uraufführung eines Stücks von Daniel Weissberg). Das war dann sehr heutig, was die ‘live’-Frage angeht: Das kennt man ja, das Rätseln, welche Klänge vom Bandmitglied und welche vom elektronischen Hilfspersonal kommen. Man hat gelernt, da nicht mehr allzu puristisch zu sein, was die Durchschaubarkeit der Darbietung angeht. Apropos Durchschaubarkeit: das war dann tatsächlich der Clou des letzten Programmpunktes, des orchestralen Grossangriffs auf George Antheils legendäres «Ballet Mécanique» aus dem Jahr 1924.

Die beiden Lichtflecken vorne auf dem Bild gehören zu Player Pianos, analogen Samplern, gewissermassen. Diese gläsernen Klaviere spielen wie von Geisterhand, und das schönste ist, dass man dieser geisterhaften Klangerzeugung (die natürlich streng vorprogrammiert ist) ‘live’ zuschauen kann. Hinter den beiden hell erleuchteten Stars rackerten sich noch sechzehn Musiker ab, um beim wilden Klangritt mitzuhalten. Und das erinnerte dann wiederum sehr an heutige Konzerterlebnisse, wenn Bands ganz nach der Pfeife des Drumcomputers tanzen.

Mein Lieblingsmoment war aber zweifellos die stille Passage, als nur die mechanischen Pianos ihre exakt getakteten Akzente setzten, der Dirigent aber trotzdem scheu weiterdirigierte. Schöner kann man das seltsame Marionettenspiel zwischen Mensch und Maschine, das bis heute die Musik (und unser Leben?) bestimmt, nicht aufzeigen.

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Auch wenn Frau Kretz Sie eher grinsen lassen möchte: Auch der Besuch von «Schicht-Werk» lohnt auf jeden Fall – heute abend gibt es noch eine Aufführung.

Berns intimstes Konzertlokal

Roland Fischer am Mittwoch den 21. März 2012

Ja, es war ein wenig dunkel, gestern im Alpin-Keller unten (wie man sieht auf dem Foto, trotzblitz), aber düster war es keineswegs. Einmal ging das Licht zwar ganz aus, und es gab eine leuchtende Jonglage-Einlage des Perkussionisten. Ansonsten aber spielten Nadja Stoller, Jan Galega Brönnimann und Ronan Skillen im Halblicht ihre stimmungsvollen Liedverzwirbelungen und sorgten für einen hellen und warmen Konzertabend. Stimme, Saxophon, Perkussion (und noch ein paar andere, elektronischere Gerätschaften) und viel Platz für Überraschungen: So entstehen fragile Popsongs fernab gängiger Strophe-Refrain-Strukturen.

Und dann der Ort: Wohl nirgends sonst in Bern gibt es Konzerte in so intimem Rahmen wie im engen Gewölbe des Alpin-Cafés. In einer Ecke die Band, kaum ein Meter davon Tische und Sofas, und hinten kommt auch schon die Bar. Viel Platz ist da nicht, aber es gibt mehr als genug Musik, die genau so am besten funktioniert, ohne viel Sicherheitsabstand. A. Spell gehört da unbedingt dazu, kann man nach dem gestrigen Abend sagen. Im April kommt Sarbach vorbei – das wird dann auch sehr gut passen.

Fitzgerald & Rimini im Progr

Gisela Feuz am Mittwoch den 14. März 2012

Ganz prima haben das Fitzgerald & Rimini gerade eben gemacht im Progr. Frau Fitzgerald gab mit ihrer unverkennbar kehligen Stimme bizarre Erzählungen über Marie Curie, über einen Labrador namens VreniRuedi und viele andere kuriose Gestalten zum besten, während Herr Rimini die Geschichten mit Bass, Loopgerät und anderen elektronischen Spielereien untermalte. Super-8-Aufnahmen und Dias vervollständigten die Spoken-Word-Kammermusik und sorgten dabei für einen humoristischen Bruch, wollten und sollte doch Gezeigtes und Gesprochenes nicht zueinander passen und taten es doch.

Herr Riminis Klangteppich wurde in der zweiten Häfte des Abends durch Schlagzeug und Gitarre der Swinging Slaves, alias Kevin Chesham und Simon Rupp, verstärkt. Hierzu wurden wunderbar poetische Schwarz-Weiss Polaroid-Bilder von Ester Vonplon und Roger Eberhard gezeigt, wobei Frau Fitzgerald die Melancholie der Bilder mit ihren Gedichten perfekt verbal einzufangen wusste. Fitzgerald & Rimini sind lustig, berühren, stimmen manchmal nachdenklich und verweben Sprachrhythmik und Musik zu einem äusserst stimmigen Ganzen. Frau Feuz sagt: Bravo!

Im Probi mit Jimi Tenor

Ruth Kofmel am Donnerstag den 1. März 2012

Jimi Tenor pflegt einen sehr unverkrampften Umgang mit Musik – soviel wurde gestern in der Turnhalle mehr als klar. Sein Sound wirkt immer retro, selbst wenn er in den pumpenden Beats der Jetztzeit angekommen ist. Auf jeden Fall liebt dieser Mann die Sechzigerjahre – nicht nur was sein Bühnenoutfit anbelangt.

Insgesamt klang es ein bisschen so, als ob man auf einem abgewetzten Samtsofa bei ihm im Probi hängen würde, der Joint gerade aus den Fingern gegeben hätte, sich mit halbgeschlossenen Augen zurücklehnen und seinen musikalischen Pröbeleien mit halbem Ohr zuhören würde. Es war durchaus auch amüsant, wenn er selbstvergessen auf eine Taste drückte und dem ausgelösten Loop etwas nachhörte, ein wenig an den Reglern drehte, bis er etwas fand, was er gerne weiterverfolgen wollte, auch wenn das meist ein schon bestehender Song war, den er dann zusammenbaute.

Dass Tenor ein stilsicherer, verschrobener und experimentierfreudiger Musiker und insbesondere Saxophonist ist, steht ausser Frage, auch wenn sein Auftritt gestern ein wenig gar eigenbrötlerisch daher kam.

Unterhaltungsrundumschlag

Ruth Kofmel am Mittwoch den 22. Februar 2012

Oper, so könnte man sagen, ist eine Rundumschlagunterhaltungsform. Diesbezüglich knapp hinter dem Musical rangierend (dort wird schliesslich sogar getanzt), bietet eine Oper allerhand an Bühnenkunst an. Es wird gesungen, musiziert und geschauspielert und mit diesen Mitteln eine Geschichte erzählt, die meistens nicht geizt mit dramatischen Verstrickungen um Liebe, Tod und Täuschung.

Lucia di Lammermoor ist da keine Ausnahme und eine der beliebtesten und meistgespielten Opern überhaupt. Komponiert hat sie Gaetano Donizetti um 1835. Erzählt wird die Geschichte zweier verfeindeter schottischen Adelsfamilien und der unmöglichen Liebe der Lucia zum Sir Edgardo di Ravenswood, der ihre Liebe mit einem gezielten Schuss auf ein wildes Tier gewonnen hat, das der Lucia am Grabe ihrer kürzlich verstorbenen Mutter auflauerte.

Welch romantische Zeiten! Solche Gelegenheiten, einer Liebe habhaft zu werden, ergeben sich ja heutzutage kaum noch. Die Geschichte folgt denn auch dem üblichen Strickmuster, mit dem feinen aber äusserst wirkungsvollen Unterschied, dass zum Schluss nicht nur ausführlich gestorben, sondern auch dem Wahnsinn verfallen wird.

Im Stadtheater Bern ist diese Lucia die Lammermoor momentan zu sehen und also wagte ich einen Ausflug in die Hochkultur. Das Orchester machte seine Sache (soweit das meine Disco-Ohren beurteilen konnten) tiptop und auch die Sänger waren teilweise ein wahrer Genuss. Allerdings war das Gefälle zwischen den Solisten eher gross und das dem Abend nicht unbedingt dienlich.

Nichtsdestotrotz wäre ich durchaus mehrheitlich glücklich in Stadttheater gesessen, wenn denn nur nicht dieses abscheuliche Bühnenbild gewesen wäre. Eine wirklich üble Achtziger-Jahre Gruselromatik wurde da gezeigt, dass einem ganz anders wurde und leider nur der Ausweg blieb, mehrheitlich zurückgelehnt die Deckenmalerei zu studieren und den Klängen zu lauschen.

Das Stück läuft noch bis Mitte Mai im Stadttheater Bern. 

Jahresauftakt

Ruth Kofmel am Donnerstag den 5. Januar 2012

Dimlite ist ein grosser Unbekannter hierzulande und auch ein unbekannter Grosser. Seine Erfolge feiert er bis jetzt grundsätzlich aber eigentlich nicht gewollt im Ausland, angefangen in Deutschland vor fast zehn Jahren und derzeit über die europäischen Grenzen hinaus vor allem in Amerika.

Seine Musik ist und bleibt ein Nischenprodukt, weit weg von allgemein gültigen Hörgewohnheiten. Es ist Musik, die sich dem Hip Hop entsprechend alter Klangvorlagen bedient. In Dimlites Fall aber geschieht das schon lange nicht mehr in Form von Sampling, sondern durch Nachspielen und Kombinieren musikalischer Erinnerungen und Fundstücke aus der Vergangenheit.

Auf seinem letzten Werk «Grimm Reality», das er gestern in der Turnhalle getauft hat, hat er wieder vermehrt die Stimme in den Vordergrund gerückt und verläuft sich ansonsten grossartig in allen möglichen Genreanlehnungen.

Wenn Dimlite live spielt werd ich sowieso jedes mal ganz kirre vor Begeisterung, aber was gestern in der Turnhalle zu hören war, übertraf alles bisherige. Julian Sartorius begleitete Dimlites Musik auf dermassen unerhört, krass gute Art und Weise, dass es gar nicht zu fassen war.

Da haben sich zwei gefunden. Sartorius verleiht Dimlites sphärischen Höhenflügen die nötige Erdung, sorgt für einen rollenden Groove, wenn sich Dimlites Melodien übereinander schichten, oder spielt ganz einfach stabil wie nur etwas mit einem bestehenden Beat mit, um diesen zu verstärken oder zu ergänzen.

Ich war einmal mehr sehr hingerissen und es war ausgesprochen schön zu sehen, dass Bern die zwei gebührend gefeiert hat – welch ein Jahresauftakt!

Jazz per Zufall

Ruth Kofmel am Freitag den 9. Dezember 2011

Dem zeitgenössischen Schweizer Jazz stolpere ich meist eher per Zufall über die Füsse und eher selten bleibe ich hängen. Ab und zu aber schon, meist weil ich die Spieler in anderen musikalischen Zusammenhängen schon gehört habe.

Aktuell aus Bern ist bei mir hängen geblieben und somit zu vermelden: Das Trio Der Wawawa hat seinen Zweitling «Lord Huhn» getauft und das geht zum hören auch für nicht spezialisierte Jazzohren tip top.

Etwas weniger eingängig und wilder, oder salopp gesagt jazziger, ist die neue Scheibe vom FM Trio namens «objects & animals». Mit dem zweiten Stück beginnen – der Rest geht dann wie von selbst.