Archiv für die Kategorie ‘Klassik & Jazz’

Vexations

Benedikt Sartorius am Donnerstag den 5. September 2013

Seit vorgestern gastiert das Musikfestival in der Stadt – und seit gestern Abend ist auch das Festivalzentrum im Stadttheater geöffnet. Dort gibs jeweils als Hintergrundmusik die «Vexations» von Erik Satie zu hören. Zur Erinnerung: Das Werk wiederholt ein Motiv 840fach und dauert komplett etwa zehn Stunden.

Nach und nach nehmen die anlässlich des Musikfestivals auf Youtube plazierten «Vexations» erfreulich zu. Es gibt klassische- und präparierte Klavierversionen, es gibt brüderliches, tierisches. Vor allem aber gibts die Vexations, die uns aus dem Münster erreichen, gespielt vom Münsterorganisten Daniel Glaus. Wir hören rein:

Kurz, hier wächst eine sehr schöne «Vexations»-Sammlung an, die Erik Satie gefallen hätte.

Monströse Werke

Benedikt Sartorius am Dienstag den 2. Juli 2013

Anhänger des Stadionrocks sind leicht unzufrieden, sobald ein Konzert unter der Dreistundenmarke liegt: «2h30min für Bon Jovi, das ist sehr kurz, bin enttäuscht», äusserte sich ein Konzertbesucher jüngst in den Kommentarspalten des «Tages-Anzeigers». Doch natürlich ist die Dreistundenmarke schon lange hinfällig: The National spielte jüngst im New Yorker PS1 sechs Stunden – und zwar das Lied «Sorrow» in der 105-fachen-Dauerschlaufe. (Eingeladen wurde die Band übrigens vom isländischen Lieblings-Künstler Ragnar Kjartansson.)

Blickt man weiter zurück, genauer ins Jahr 1893, gibt es da ein zehnstündiges Werk, das wegen der schieren Unspielbarkeit nur höchst selten komplett aufgeführt wird. «Vexations» von Erik Satie heisst dieses Stück für ein Klavier, das ein Motiv 840fach wiederholt. Spielzeit: Um die zehn Stunden.

Nun kommt «Vexations» nach Bern, komplett und doch fragmentiert, im Rahmen des Musikfestival Bern. «Free Satie!» heisst das Projekt, für das derzeit crowdsurfend Personal gesucht wird. 840 Video-Schnipsel des immer gleichen Klavier-Motivs benötigen die Festivalverantwortlichen, damit «Vexations» komplett ist. 840 Schnipsel, die am Ende zu einem langen Video zusammenmontiert werden, und das 840 verschiedene Perspektiven auf das einfach zu spielende Motiv werfen soll. Der Einfachheit halber steht rechts das Notenblatt bereit – und unten ein Video-Tutorial, damit man dann auch die Töne trifft:

Viel Spass beim Einspielen!
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Das Musikfestival Bern dauert vom 3. bis 15. September.

Macht's doch selbst!

Christian Zellweger am Mittwoch den 19. Juni 2013

Lektüre zur Wochenmitte, aus der Rubrik «KulturStattBern auf Abwegen», heute: Im hohen Norden.

Umea1014

Viel gibt es noch nicht zu sehen in der Kulturhauptstadt 2014. In Umeå wird aktuell vor allem gebaut: neue Hotels, neue Strassen und eine neue Shopping-Mall mit dem schönen Namen «Utopia» (und wie es sich für Bauprojekte gehört, ist noch nicht bei jedem Gebäude klar, ob es überhaupt rechtzeitig fertig wird. Als «Verweis auf die Zukunft» bezeichnet die Chefin des Projektes «Umeå2014» diesen Umstand pragmatisch.)

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Unscheinbarer Kulturplatz

Christian Zellweger am Donnerstag den 25. April 2013

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Die Räder der Einkaufswagen rattern über die Steine, ab und zu schwillt das Rauschen des Verkehrsflusses mit dem mitschwimmenden Bus an und der Springbrunnen plätschert unbewegt vom Einkaufstrubel vor sich hin. Es ist wahrlich kein sehr beschaulicher Ort, im Schatten des Hochhauses am Eigerplatz.

Doch von irgendwoher, vielleicht aus der nahen Jazz-Schule, von den Händen eines Musik-Novizen, vielleicht auch nur aus dem Radio im Büro des Coop-Geschäftsführers, weben sich aus einem Fenster jazzig-feine Pianophrasen in den Klangteppich.

Näher Richtung Coop-Eingang verlieren sie sich sofort im Stadtrauschen, weiter weg ebenso. Nur wer ruhig auf den Beton-Bänkchen im einzigen Streifen Abendsonne sitzen zu bleiben vermag, kommt in den Genuss des Feierabend-Konzertes, mitten im Stadtklang-Cocktail.

Glitzerfrauen mit Glamour

Miko Hucko am Montag den 22. April 2013

Ganz ehrlich: Ich dachte immer, A capella sei eine spiessige, verkrampft überlustige Form der Bühnenmusik. Auch Pitch Perfect hat mich da nicht umstimmen können. Gestern Abend jedoch wurde ich eines Besseren belehrt; Stil, Witz, Charme und eine ausgezeichnete Songauswahl kamen mir da von der Bühne entgegen. Zu hören und sehen war das neue Programm der Sparklettes mit Namen «Four Women».

Namensgebend war dabei nicht etwa die Zusammenstellung der Gruppe – welch Fügung – sondern der gleichnamige Song von Nina Simone, der schwermütigste, zugleich aber auch berührendste des Abends. Die vier Frauen auf der Bühne haben vier sehr verschiedene Stimmen und setzen diese Differenzen gekonnt ein. So lallt sich Isabelle Ritter regelrecht durch «An Occasional Man», trötzelt Martina Schibler hartnäckig «Mama, I’m A Big Girl Now» und befreit Myria Poffet ihre eigene innere Madonna bei einem klug arrangierten Medley. Überhaupt sind die Arrangements, für deren Schwierigkeitsgrad sich die Bandleaderin Xenia Zampieri sich noch auf der Bühne entschuldigt, sehr ausgeklügelt und geschickt gewählt (einmal sogar Frank Zappa! Hui!). Ein stimmiger Abend war es auch im Visuellen. Der befürchtete Schenkelklopferhumor taucht nicht einmal auf, Klischees werden keine ausgeschlachtet: Die Inszenierung beschränkt sich auf das Notwendigste und gewinnt so an Raffinesse. Die Musik wird von den Gesten und Haltungen der vier Frauen umschwärmt und bespielt.

Der Tropfen Wehmut: Konzerte haben die Sparklettes nach dieser CD-Taufe keine geplant.

Chop Records, Rathouse Records, Rockaway Beach, Take Five!

Christian Zellweger am Samstag den 20. April 2013

Sie haben noch geöffnet: Der Chop und der Rockaway Beach bis 17.00 Uhr, der Take Five bis 16.00 Uhr. Über den Rathouse Records ist vom Küchentisch aus nichts Genaueres zu erfahren, gehen Sie vorbei an der Elisabethenstr. 33 im Breitsch.

Diese Berner Plattenläden machen mit beim heutigen Record Store Day.

An diesem Tag verweisen wir auf die um einiges ausführlichere Berichterstattung im letzten Jahr. Und wenn Sie wissen wollen, wie es den Berner Plattenhändlern 2013 geht, dann hier lang.

Driving Mr. Kennedy

Resli Burri am Dienstag den 9. April 2013

Wen i es Giigeli hätt, guugti o! dachte ich diese Tage immer wieder.
Nigel Kennedy sieht aus wie ein Arbeiter vom Autobahnamt mit seinem leuchtgelben Faserpelz und seinen eher groben Händen, spricht in breitem Cockney mit viel «f**k!» und «man!» und «yeah!». Das will alles nicht so recht passen zu seinem Beruf. Der Violinvirtuose war wieder mal im Land und hat zwei ausverkaufte Vorstellungen gegeben in der Tonhalle Zürich und im Kulturcasino Bern. «Yeah, man! F***ing killer, man!»

Klein Nigel ist unter dem Flügel seiner alleinerziehenden Mutter, die als Klavierlehrerin ihr Leben bestritt, aufgewachsen und wurde als Siebenjähriger von Yehudi Menuhin in dessen Schule aufgenommen. Später hat er sich mit ihm überworfen, weil er nicht nach dem Motto «Je Hudi, desto Menuhin» geigen wollte.
Überhaupt ist der Brite ein f***ing unartiger Junge mit seinen 56 Jahren. Er hält sich kaum an Zeitpläne und Rauchverbote, und seine Nächte fühlen sich eher wie Rock’n’Roll als wie Klassik an.
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Neuer Klassiker

Benedikt Sartorius am Dienstag den 15. Januar 2013

Wie steht es eigentlich um den Tonträgermarkt in der Stadt? Zumindest von der stilistischen Vielfalt her eigentlich ganz gut, wie die letztjährige Serie zum Record Store Day gezeigt hat. Doch seit der Schliessung des Jecklin und, vor allem, seit der angekündigten, schmerzhaften Streichung des Tonträger-Angebots des Krompholz fehlt es in der Stadt ganz gehörig an käuflich zu erwerbender klassischer Musik.

Doch während man noch in den letzten Liquidations-Kisten des einstigen Platzhirschen in Sachen Klassik kramt, kündigt sich bereits Ersatz an: Ab dem 1. März öffnen zwei Mitarbeiter des Krompholz in der Schweizerhofpassage einen neuen Laden, der schlicht «Tonträger» heissen und «klassische Musik und mehr» anbieten wird. Für dieses Unterfangen wünsche ich bereits jetzt viel, viel Erfolg – denn der Musikalienhandel darf nie, nie aus dieser Stadt verschwinden.

Startschuss zur Besinnlichkeit

Nicolette Kretz am Montag den 24. Dezember 2012

Einen schönen Stresswochenausklang und Besinnlichkeitsbeginn bot gestern bee-flat mit dem Konzert von Fiona Daniel. Die Sängerin, Pianistin, Gitarristin bot mit ihrem Schlagzeuger Fred Bürki und Multiinstrumentenmann Lionel Gafner einen sphärischen und stimmigen Abend, der wie aus einem Guss zu kommen schien, trotz der zuweilen eher sperrigen Musik.

Insbesondere im ersten Set war die Band vielleicht mit einem Zacken zu viel Verbissenheit zugange, so dass man sich als Zuhörerin etwas gar weit weg fühlte und alsbald im Kopf nochmals die Niedergarzeit des heutigen Roast Beefs nachrechnete oder den Streckenplan durchs Migros erstellte. Doch immer wieder vermochten die drei mit ihrem wunderbaren Gesang ebenso wie mit jazzigen Instrumentalteilen das Publikum in den Bann zu ziehen. Ob Frau Daniel am Flügel sitzt, die Gitarre fräst oder in knappen Sätzen von einer winterlichen Reise in den hohen Norden erzählt, sie hat stets eine beeindruckend starke Präsenz auf der Bühne, mit der sie sich definitv jede Eigenwilligkeit und Versessenheit erlauben kann.

«Süüf der en Knall!»

Resli Burri am Freitag den 14. Dezember 2012

«Es git der doch nüt z tüe, süüf wia ne Chüe!» Die grüne Fee wurde in der bee-flat-Reihe im Progr am Mittwoch von den Walliser Botinnen Erika Stucky und Sina im kräftigen Duett besungen. Und viele andere Geschichten aus dem Wallis, übernommene oder erfundene Sagen aus diesem exotischen Kanton. Mit dem Posaunisten Ian Gordon Lennox als Fundament und sonst sehr sparsam instrumentiert, lieferten die Lieder den Soundtrack zu deftigen Super 8-Filmen, die grossformatig an die Rückwand projiziert wurden.

Die beiden gaben zum Beispiel die Schnaps saufenden (hat der Kanton ein Alkoholproblem?) Hebammen und entbanden der dicken Bäuerin (Bettina Stucky) Zwillinge, und zwar Poulets. Zuvor bat Erika Stucky die Schwangeren, doch schnell eine rauchen zu gehen.
Die Lieder waren teilweise aber auch herzergreifend: «Oh, wenn üsi Müeti no wäre!» zum Beispiel, sehr berührend.

Mir kam an diesem schrägen Abend aber auch immer wieder Matto Kämpf in den Sinn, der sich ja auch fragt, was sich die Evolution bei den Wallisern gedacht hat.