Archiv für die Kategorie ‘Klassik & Jazz’

Reviews, anyone?

Clemens Kuratle am Donnerstag den 6. Dezember 2018

Liebe Berner Bands,

Ich mag keine Videoreviews schreiben. Ich hab Bock auf Alben oder zumindest EPs. Musik in einer Länge in der man auch mal einnicken kann, anstatt dass man sich im Anschluss gleich noch die nächste Folge von Last Week Tonight reinzieht. Also schiesst mal los. Nicht in unseren KSB-Messenger sondern direkt an mich. You’ll find me!

Somewhere on the road im grossen Kanton.

Unser Autor ist wieder mal auf Tour, diesmal im Deutschen und da fehlt manchmal die Inspiration fürs Schreiben. Helft ihm aus dem Loch mit guter, neuer Mucke!

джаз, 47.2121° N, 7.7906° E

Mirko Schwab am Mittwoch den 24. Oktober 2018

Eigentlich wollte uns Redaktor Kuratle ja den Jazz erklären. Dann ist er nach Russland abgehauen deswegen.

So muss man wieder selber ran, so ist das eben mit diesen Jazzern. Fliegen auf der Weltkugel rum und pfeifen sich irgendwelche Psychedelika rein oder Slawische Ravioli. Und das alles, während sie sich am Mutterbusen von Pro Helvetia gütlich tun.

Drum kümmert sich halt Schwab um den Jazz. Schwab, der broke af die letzten Tage des Monats absitzt, mau und treu seiner Sandsteinstadt. Im Auftrag der Hochkultur selbstverständlich. Einer muss ja den Posten warmhalten, wenn sich die Künstler von Welt in der Tundra verlustieren …

À propos Randregionen. Oder falls Sie schon länger wiedermal zum Beispiel nach Langenthal reisen wollten. Oder eben Jazz: Drei von erstaunlich vielen, deren musikalische Laufbahn irgendwann in einem Langenthaler Luftschutzkeller begonnen hat, drei von ihnen kehren zurück. Laura und Luzius Schuler, Geige und Klavier sowie Nicola Habegger, Trompete – alle drei schon weitgereist, sie schenken ihrer alten Heimat ein kleines Jazzfestival zum Wiedersehen.

Bahnhof Langenthal, Stimmungsbild.

Am «Färbi Jazzfest» kuratieren sie sich mit offenem Geist durch einen jungen Schweizer Jazz, der nach allen Richtungen ausschert. Nach New York und Skandinavien, nach Pop und Anti-Folk, nach der grossen Freiheit ohne Metrum, nach dem kleinen Viermalvier für den Intello-Tanzboden.

Vielleicht kommt der Kuratle ja dann mit. Und vielleicht ist der Kuratle dann schon wieder irgendwo und schickt Postkarten. Wir werden sehen.

Jazz und Glamour, Stimmungsbild.

«Färbi Jazzfest», 1. – 4. November 2018 in der Langenthaler Färbi mit Konzerten von Vera Kappeler, Rea, Distric Five, Kali x Marie Jeger, Lolasister, Der White Rauschen, Pan Ton, Wän und dem Laura Schuler Quartet.

Ave Verum

Mirko Schwab am Mittwoch den 29. August 2018

Erzählungen aus dem jüngsten Internetz: «Why white men should shut up» meint ein weisser Mann. Männer seien Trash, meinen die Frauen. Der Trash lande in den Meeren, finden alle. #MenArePlastic. Das führe zu Übergriffen auf die Meerjungfrauen. Ja, aber wegen frauenfeindlichen Ausländern. Weil dennen würden ja schon im Bubenalter 72 Meerjungfrauen versprochen und da müsse man sich nicht wundern, müsse man sich nicht. Bedenklich, bedenklich, fürwahr bedenklich, wie das alles zusammenhänge, alles wahre Zusammenhänge von Chemtrails bis Chemnitz im geistigen Trailerpark peripherer Männerchöre.

Männerchöre, unheilige. Sie singen im Spalt der Kommentare, sie singen auf den Strassen von Charlottesville, Virginia und in eben: Chemnitz, Freistaat Sachsen. It is a man’s world in ihren letzen Zügen und die braune Scheisse ist back again im Herzen von Europa, draussen vor der Tür.

Esto nobis praegustatum in mortis examine!
Sei uns Vorgeschmack in der Prüfung des Todes!

Derweil, draussen vor der Tür: Ein Männerchor. Das Vokalquartett aus Minsk hat sich unter den Lauben formiert, vierstimmig und selig. Weit weg ist die übliche Strassenmusik, das Einerlei der Einfallslosigkeit. Und viel weiter noch: die lauten, verängstigten Männer aus dem Internetz, der blinde Hass in wutwülstigen Gesichtern. Draussen vor meiner Tür ist die Männlichkeit eine Viertelstunde lang schön und verletzlich, stolz und unaufdringlich. Und so sehr der Männerchor wohl aus der Mode geraten ist dieser Tage, so sehr trinke ich den nächsten Schnaps auf ihn, auf das weißruthenische Vokalquartett, das ganz zufällig ein Fenster der Anmut gestiftet hat gegen das kakophone Geläut out there. Eine Detox-Viertelstunde lang.

 

Variaton und die Apokalypsenbuben

Gisela Feuz am Samstag den 30. Juni 2018

«Itz mau Apokalypse» fordern die Kummerbuben auf ihrem neuen Album, wobei bei der gestrigen Taufe in der Dampfzentrale die Temperaturen befürchten liessen, dass der Weltuntergang tatsächlich unmittelbar bevorstehe. Als einem auf den Zuschauerrängen der Schweiss über den Rücken in die Unterhose lief, wähnte man sich zwischenzeitlich wahrhaftig auf dem Patrouillenboot des Captain Benjamin Willard im kambodschanischen Dschungel. Im Gegensatz zu Willards Unterfangen in Francis Ford Coppolas oscargekröntem Monumentalstreifen «Apocalypse Now» steuerten die Kummerbuben ihren Kahn gestern aber ohne Verluste ans Ziel. Dies auch dank einem formidablen Kapitän.

Die Rolle des Kapitäns hatte Dirigent Droujelub Yanakiew inne, denn die Herren Kummerbuben standen ja nicht alleine auf der Bühne, sondern zusammen mit dem rund 80-köpfigen Projektorchesters Variaton, mit dem sie «Itz mau Apokalypse» eingespielt haben (das Mutterschiff hat hier ausführlich berichtet). Die sechs neuen Kummerbuben-Songs wurden gestern Abend mit Sinfonien von Gustav Mahler gepaart, also demjenigen österreichischen Komponisten, der am Übergang von der Spätromantik zur Moderne steht. Es zeigte sich, dass Mahlers musikalische Aufarbeitungen von Themen wie Lebenssinn, Tod, Erlösung und Liebe bestens zum abgründigen und morbiden Pathos der Apokalysobuben passt.

«I really care, do you?» fragt Apokalypsenbube Jäggi auf seinem Shirt

Währen die vier Instrumentalisten der Kummerbuben-Mannschaft das Geschehen aus dem Hintergrund bestritten, wurde Kummerbube Jäggi an die Front geschickt, wo er zwischenzeitlich in Begleitung von Mezzosopranistin Stephanie Szanto die Alltagstragödien des kleinen Mannes besang. Dazwischen sassen und standen die Männer und Frauen des Variaton Orchesters mit ihren Geigen, Cellos, Kontrabässen, Fagotten, Querflöten, Posaunen und vielem Anderem und lieferten den perfekten Soundtrack für den musikalischen Weltuntergang. Mal taten sie dies nur mit zarten Xylophon- und bitttersüssen Geigenklängen, dann wieder mit der bombastischen Wucht, welche ein 80-köpfiges sinfonisches Orchester eben zu erzeugen vermag. Das sorgte für schaurig-wohlige Hühnerhautmomente, etwa als die tiefen Streicherklänge dem Song «Anneli, wo bisch geschter gsi» eine unterschwellige Bedrohlichkeit verliehen.

Ein weiterer Höhepunkt: Edgar Varèses «Tuning up» inklusive Sirenengeheul und einem Droujelub Yanakiew der dirigiert, als gälte es die vier apokalyptischen Reiter alleine mit dem Taktstock aufzuhalten. «Ein einzigartiger, vielleicht auch etwas eigenartiger Abend» sei dies heute, bemerkte Kummerbube Jäggi an einer Stelle. Man kann nicht anderes, als ihm beipflichten. Einzigartig, eigenartig und ganz fantastisch.

Das Projektorchesters Variaton und die Kummerbuben sind noch heute Samstag und morgen Sonntag in der Dampfzentrale zu hören.

Der Film über das Bild auf dem Mond

Gisela Feuz am Donnerstag den 22. März 2018

Er habe sich doch eigentlich eine Auszeit nehmen wollen und dann sei er im Naturhistorischen Museum in New York über dieses Bild gestolpert, sagt Rob Lewis. Der in Bern beheimatete Lewis ist selber Fotograf und hat zuletzt mit seinen Porträts von demenzkranken Menschen für Aufsehen gesorgt. Nun hat der 37-Jährige innerhalb kürzester Zeit den Film «Lunar Tribut» aus dem Boden gestampft. Im Zentrum des Films: Das Bild einer Fotografie, die seit über 40 Jahren auf dem Mond liegt. Und das kam so:

1972 landete Apollo 16 auf dem Mond, mit an Bord war ein Herr namens Charles «Charlie» Duke. Besagter Charlie Duke hatte zwei kleine Söhne und ein schlechtes Gewissen, weil er berufshalber nur wenig Zeit für seine Buben hatte. Deswegen habe er sich überlegt, wie er seine Familie in irgendeiner Form involvieren und auf den Mond mitnehmen könnte, sagt Duke. So kam es, dass er ein Familienporträt auf dem Mond platzierte, das mangels Feuchtigkeit und Erosion heute immer noch dort oben liegt.

Ihn habe das Bild mit dieser Fotografie auf Anhieb fasziniert, sagt Rob Lewis, weswegen er beim ehemaligen Astronauten Charlie Duke für ein Interview angeklopft habe. Ausserdem holte sich Lewis Jazz-Schlagzeuger Jojo Mayer ins Boot und drehte mit diesen beiden Protagonisten seinen ersten Film. Herausgekommen ist Lunar Tribut, eine rund 40-minütige Mischung aus Interview und Schlagzeugperformance.

In Lunar Tribut vertont Mayer mit seinem Schlagzeug einige der Gefühle und Zustände, welche Astronaut Charlie Duke während seiner Reise zum Mond erlebte, so etwa den Übertritt in die Schwerelosigkeit, die Landung auf dem Mond oder die Dunkelheit des Weltalls. Er habe bewusst den Fokus auf das Emotionale gelegt und intuitiv gearbeitet, sagt Lewis: «Den Kopf ausgeschaltet und den Bauch walten lassen.»

Lunar Tribut ist dort am stärksten, wo Mayers Improvisation und Dukes Erzählung stimmig miteinander verwoben werden. Imposant sind auch die echten Mondbilder (geschossen von Lroc) die im Hintergrund die Reise illustrieren. Und: man hört ihm gerne zu, diesem Charlie Duke, wenn er mit tiefer, sonorer Stimme in die Vergangenheit abtaucht beziehungsweise mit seiner Familie zum Mond fliegt.

Lunar Tribut wird am Samstag 31. März in der Dampfzentrale gezeigt in Kombination mit einem Konzert von Jojo Mayer & Nerve

Wilder Osten

Roland Fischer am Samstag den 27. Januar 2018

Eine kleine Bildergeschichte von gestern abend, Europe Sauvage, an der HKB da im Osten Berns. Musiktheater, Drama, grosse Gefühle, grosse Architektur. Und viel Augenzwinkern. Warum heisst das eigentlich Seifenoper? Weil so viel schmutzige Wäsche gewaschen wird?

Hier noch das Hausblatt, hellauf begeistert:

«L’Europe sauvage» begeistert als eindrückliche Talentschau, die Musikgeschichte implodieren lässt. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass überlebt, wer sich an die Kunst hält.

Dann kann diesem Europa ja nichts passieren, oder?

Der letzte erste Schnee

Mirko Schwab am Freitag den 1. Dezember 2017

Wir befinden uns im Jahre 2017 n.Chr. Ganz Ostbern ist vom Bürgertum besetzt … Ganz Ostbern? Nein! Ein von unbeugsamen Ostbernern geführter Kulturschuppen hört nicht auf, der Verödung Widerstand zu leisten.

Béatrice Graf und Martina Berther bei der Arbeit. (Photo: Jessica Jurassica)

Der Geruch vom ersten Schnee ist eine seltene Freude. Streife die dickste Jacke über, die ich finden kann. Hätte noch eine dickere im Schrank, aber die sieht scheisse aus. Im Winter bekommt man die eigene Eitelkeit am schmerzvollsten ab. Anker schmerzt auch, klebt in der Hand, doch Deal, der Saft träufelt mir wohlig wohlig inwendig den Hals entlang aufs Herz. An der Brunnadernstrasse spuckt das Tram mich aus aufs seifige Trottoir. Hier könnte die Sandsteinstadt auch Grossstadt sein. Vis-à-vis des vom Netz genommenen Tramdepots aus Zeiten, wo selbst Zweckbauten noch Seele inne war – (Notiz an Miraculix Fischer: Bitte lassen Sie diese meine etwas ordinäre Nostalgie mal kulturgeschichtlich abtropfen bei Gelegenheit. Würd mich freuen. Gruss.) – vis-à-vis dieser jedenfalls schön von der Zeit gestreiften alten Anlage halten drei Tramlinien und zwei Omnibusnummern, dass man schon meinen könnte, man sei am Brennpunkt, Adresse Platz2b, an der Rosette der Urbanität. Halten dazu noch in städtebaulicher Schnodrigkeit mitts auf der Strasse. Ein Hauch Ostberlin vermischt sich mit dem Geruch vom ersten Schnee und der Geruchlosigkeit Ostberns, als ich die letzten Treppenstufen bewältige, hinab in meinen Lieblingskeller.

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Sonntagsschock in Rios Ross

Mirko Schwab am Donnerstag den 16. November 2017

Eigentlich wollte ich ja über Mario Hänni schreiben. Wie alles anders kam und ein Geheimnis. Aus der inexistenten Reihe «Das Bundesamt für Talent hat ungleich verteilt.»

Im Gegensatz zum Print können wir uns bei KSB leider keine hochaufgelösten Grafiken leisten: Mario Hänni aka Rio. (Quelle: Berner Kulturagenda. Zwinker-Emotikon.)

Eigentlich wollte ich ja über Mario Hänni schreiben, so nachhaltig geschockt war ich letzthin. Im Rössli am ersten Wintertag, ein revoltierender Magen und Kopfschmerzen from Hell zu beschwichtigen mit dem für einen kaputtgefeierten Cuerpo eben ganz okayen Rahmsaucen-Tanzpop von Pablo Nouvelle. Hänni bühnenlinks trommelte sich als König ohne Krone durch die ersten Lieder. Damit hatte ich gerechnet. Darum war ich auch gekommen und hab mich noch so gern verschnei-schiffen lassen.

Mit glänzend-gläsernen Augen musste ich dann aber beobachten, wie der Hänni langsam zum Konfektionsmikrofon mit Nierencharakteristik sich beugte, seine Lippen ansetzte, ein schelmisches Lächeln noch darauf – und zu singen begann. Klar und warm erfüllte seine Stimme die viel zu gute Luft im alten Ross, die ein sehr andächtig-anständiges Nichtraucherpublikum aus Psychologiestudentinnen und sportlichen Boys in weissen T-Hemden mit V-Ausschnitt verursacht hatte, in dieses Vakuum hinein stiess also diese Engelsstimme, dass man eine koitale Metapher jenseitiger Dimension erfinden möchte. Und doch besser bleiben lässt. Das Nouvell’sche Vokalsample-Geballer war in der Folge jedenfalls noch Randnotiz.

Eigentlich wollte ich also über diesen Mario Hänni schreiben, angewidert von all dem Talent. Zum Glück hat das die Krstic schon besorgt und auch die Rittmeyer, in treffenden Worten journalistischer Contenance haben sie die Schneise beschrieben, die er durch den hiesigen Jazz und Pop gezogen. Denn wir Kinder vom Bahnhof Blog, wir sollen ja nicht. Jaa nicht, wenn schon das Mutterschiff eben so seriös berichtet hat und jaaa nicht etwa, wenn sich sogar die Krstic from the Clique zu einem Seitensprung hat hinreissen lassen (- bei der Kulturagenda wird sie wohl wenigstens bezahlt, es ist ihr nicht zu verübeln.)

So kommts, dass mir dieser Engelshänni schon zum zweiten mal durch die schiefe Designerbrille entgegenblinzelt mit seinen stahlblauen Augen, dazu noch auf Druckpapier. Das Thema ist abgehandelt, genug gezwitschert im sandsteinernen Hauptstadtdorf.

Und eigentlich wollte ich doch über Mario Hänni schreiben.

Ohne Scheiss: 3x uneingeschränkte Hingehverordnung zur «Carte Blanche» in der Turnhalle am 22. November (als Rio), 13. Dezember und 21. Januar. Das überragende Trio Heinz Herbert dann im Februar wieder – aber das ist noch ein Geheimnis.

In A Sentimental Mood

Mirko Schwab am Donnerstag den 2. November 2017

Dem Montagsblues mit Jazz begegnen. Ein Besuch bei den amis sous les étoiles, den Croonern von der Metzgergass.

Zeremoniemeister Martin Dahanukar steckt sich eine in Brand. (Quelle: www.facebook.com/JazzSousLesEtoiles/)

Aufs Neue geschworen, nicht mehr zu trinken oder doch weniger. Aufs Neue geschworen, die Nase wieder hauptsächlich zum Atmen zu benutzen. Wer schwört, das hab ich mal einen sagen gehört, wer schwört, der lügt nicht selten. Aufs Neue also die Gass herab, Montagabend Metzgergasse. Meinetwegen.

Bise bis unter die Achselhöhlen. Pfeift ein hämisches Lied durch die Löcher, die ich mir unter den besten Vorsätzen, once more with feeling mi amor, in den seelischen Haushalt gerissen habe. Rasch rein durch die schwere Tür, wo sich zwei Freunde noch die Hand geben. Hausnummer 63.

An den Tischlein lauschen sie dem Jazz-Quartett, in das man unweigerlich zur Begrüssung hineinstolpert. Der kauzige Perkussionist Kotoun tätschelt seine Conga, streicht über ein Holzbrett und schwingt die zarten Bleche an, die er vor sich aufgetürmt. Bass (Moll) und Gitarre (Howald) schwingen mit. Oder Bossa Nova. Ein Nicken, ein Lächeln, hellwaches Schlafwandeln im blinden Verbund, angeleitet von Zeremoniemeister Dahanukar mit dem Horn. Er gibt das Thema vor und freut sich mit lüsterner Mimik über gelungene Soli seiner Könner in the back, zieht den Schenkel hoch, wenn ihm selber eine Phrase gelingt. Und pfeift er mal daneben, wischt er die missglückte Note gestisch gleich wieder weg. Das sei eben noch Jazz, sagt einer. Ein anderer wünscht sich seinen liebsten Standard und wird bedient. Ein dritter stolpert rein und wieder raus. Er höre lieber Techno.

«Sous les étoiles» nennt sich diese kulturell vergütete Anlaufstelle für die im Montagabend Verhederten. Hoch gegriffen für Barmusik in provinzieller Laubenenge, unter tonnenschwerer Sandsteinlast, könnte man einwenden. Und doch weht ein Hauch von Weit- und Weltläufigkeit durch die Gasse. Neuyork ist, wo man sich hinwünscht an solchen Tagen. Und wird bedient.

Dann ist Wärme nur ein kaltes Bier. Und wenn nicht kühner, dann doch kühler Jazz.

«Sous les étoiles». Trompete, Gitarre, Doppelbass. Manchmal Perkussion, manchmal Tasten. Immer Montags in den kalten Monaten. Im Les Amis, ab 19h.

Friede den Palästen

Urs Rihs am Freitag den 27. Oktober 2017

Gestern abgehoben auf der Autobahn, das Hüttendorf verlassen um Richtung Paläste zu fliegen, in Düdingen standen diese, für knapp zwei Stunden auf der Bühne. Shabazz Palaces im Bad Bonn.

Schon auf der Brücke über dem Stöckacker muss der Fahrer hart auf die Bremse, weil eine Basswelle die Fahrbahn in Schwingung bringt. Auf dem Pannestreifen hängt eine Type den Daumen raus, der nächste Schlenker. Fast erwischt, das rostige Saxophon des Hitch-Hikers splittert unter der Vorderachse, war das Manu Dibango?

Wir heizen weiter auf der Zwölf, Höhe Bümbliz lösen sich die weissen Streifen vom Asphalt und verschwinden strichcodeähnlich gen Himmel. Gänzliche Schwärze umhüllt uns Weisse in der schützenden Karosse. Aus dem Äther klingt die Donnerkatze und – ist das nicht Tony Allen, der da im Autoverwertungshof  Thörishaus auf zerbeulten Buicks trommelt?

Der Fahrer hadert mit dem Fokus, Perkussionen zerstreuender als jedes ADHS, rollende Tieftöne, collagiert Gesprochenes darüber, daneben, davor. William S. B. ringt mit James Baldwin auf dem Kiesplatz vor dem Juke Joint Bonn, endlich angekommen. Robert Frank hält mit einer Mittelformat voll drauf, als alle vors Palasttor stehen.

Da klingt die Proto-Wolke, die Proto-Falle, die Post-alte-Schule, die noch keine Welle. Herbie Hankcock verdealt Afrika Bambataaa ballernde Basslines, von «Planet Rock» zu «Born on a Gangster Star» ists ein Mindset Katzensprüngchen. Von Shabazz Palaces zur Hauptsromrealität – leider – ein Quantensprung.

«Shine a light» auf jeden Geist der diese Musik trifft und «Lèse Majesté» allen Konformisten. Friede den Hütten weiterhin – mehr Friede den Palästen.

The very trippy two – Shabazz Palaces, at palace Bad Bonn.