Archiv für die Kategorie ‘Keinzigartiges Lexikon’

Keinzigartiges Lexikon: Folge 17

Gisela Feuz am Dienstag den 25. April 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Das Dünnicht
Dünnichte sind, anders als Dickichte, sichere und überwachte Zonen im Wald, der bekanntlich von jeher der Todfeind des Menschen ist. Die vom Bundeswaldgesetz verordneten Dünnichte sind mit Scheinwerfern und Feuermeldern ausgestattet und von jeglichen Gefahren befreit worden: Regelmäßig entfernen Gärtner spitze Zweige, Dornen, giftige Beeren, aus dem Boden ragende Wurzeln und ekliges Moos. Das nervtötende Vogelgezwitscher wird von angenehmer Liftmusik übertönt, und alle Tiere sind auf den Fuchsbandwurm getestet. Mithilfe von Pestiziden hat man Zecken, Mücken und singende Pfadfinder ausgerottet. Dank klarer Beschilderung sind sogar Orientierungsläufe einfacher geworden. Waldspaziergänge und Erholung sind endlich kein Widerspruch mehr.


Die in Dünnichten lebenden Igel werden monatlich von Hundesalonbesitzerinnen entstachelt.

Nächste Woche: Klipp

Keinzigartiges Lexikon: Folge 16

Gisela Feuz am Dienstag den 18. April 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Der Trikini
Der Trikini ist ein Damenbadeanzug, der aus Oberteil, Unterteil und einer linken Socke besteht. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, warum man den modischen Dreiteiler nicht früher erfunden hat. Er sieht nicht nur sexy aus, sondern ist auch überaus praktisch: Wer einen Trikini trägt, kann problemlos auf einem Bein über den heißen Sand hüpfen, und Trikini-Fans klagen nie über Sonnenbrand am linken Fuß. Gelegentlich wird die Bezeichnung „Trikini“ kritisiert: Sie suggeriere, dass „Bikini“ die lateinische Vorsilbe „bi“ für „zwei“ enthalte, obwohl der Name auf ein Südsee-Atoll zurückgehe. Mit dem Trikini verhält es sich allerdings ähnlich: Er wurde auf dem südjapanischen Hügel Trikini-Oka erfunden; der Gleichklang mit „Bikini“ ist rein zufällig.


Trikini-Trägerinnen müssen nie fürchten, von einem Einsiedlerkrebs in den linken großen Zeh gezwackt zu werden.

Nächste Woche: Das Dünnicht

Keinzigartiges Lexikon: Folge 15

Gisela Feuz am Dienstag den 11. April 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Der Spätling
Der Spätling war eine Jahreszeit, die in den Siebzigern probeweise eingeführt wurde, nachdem man gemerkt hatte, dass sich auch Verrücktheiten wie die Umstellung auf Sommerzeit durchsetzen lassen. Mit dem Spätling entstanden zwei neue Monate, Quintember und Sixtober, wodurch es beim Abzählen an der Hand endlich keine überzähligen Fingerknochen mehr gab. Wie im Frühling begannen auch im Spätling die Blumen zu sprießen, die Bäume zu knospen und die Vögel zu singen. Da der Spätling aber direkt in den Herbst überging, endete das liebliche Erwachen der Natur jeweils in jähem Tod. Innendekorateure, Bastelgruppen und Hebammen ließen es sich dennoch nicht nehmen, die neue Jahreszeit zu zelebrieren: mit Spätlingsgedichten und Knospensträußen.


Manch einer feierte die neue Jahreszeit mit dem leckeren Unreife-Äpfel-Kuchen.

Nächste Woche: Der Trikini

Keinzigartiges Lexikon: Folge 14

Gisela Feuz am Dienstag den 4. April 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Das Leut
Das Leut ist ein aus der Menge der Leute isoliertes Individuum. Obwohl es abgeschieden lebt und ausgesprochen einsam ist, zeigt es durchweg Verhaltensweisen, die eigentlich für Menschenmengen üblich wären. So macht es immer mal wieder eine Stadionwelle oder tanzt Macarena. An der Street Parade wurde schon ein Leut allein auf einem Lovemobile gesichtet, wo es abwechselnd tanzte und das Fahrzeug steuerte. Besonders tragisch ist, dass das Leut durch sein Verhalten noch stärker isoliert wird. Schmerzlich auf seine trostlose Existenz zurückgeworfen wird es regelmäßig bei seinen Versuchen, einen Kanon zu singen oder eine Polonaise anzuführen. Es kommt immer wieder vor, dass das Leut in solchen Situationen in Massenpanik gerät.


Gelegentlich feiert das Leut in seiner Einzel-WG für sich allein Partys, die in Einzel-Massenschlägereien ausarten.

Nächste Woche: Der Spätling

Keinzigartiges Lexikon: Folge 13

Gisela Feuz am Dienstag den 28. März 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Der Ostpol
Der Ostpol ist eine Eisplatte im Indischen Ozean, die in ihrer Größe nur etwa einem Drittel des Schwarzwalds entspricht. Die Eroberung gestaltete sich deshalb äußerst einfach. Vergeblich versuchten die Entdecker der Neuzeit eine Sensation daraus zu machen, indem sie fehlkonstruierte Eisbrecher und Senioren-Schlittenhunde einsetzten, um wenigstens hin und wieder einen abgefrorenen Zeh verbuchen zu können. Wissenschaftler weltweit sind sich einig, dass der Ostpol von allen fünf Polen der tollste ist. Unter anderem, weil die dortigen indigenen Einwohner nicht nur lahme vierzig Wörter für Schnee haben, wie es den Eskimos nachgesagt wird, sondern dreihundertsiebenundsechzig, darunter auch eines für „Schnee, in den ich meinen Namen gepinkelt habe“.


Nur am Ostpol gibt es sowohl Eisbären als auch Pinguine – zumindest war das so, bevor die Pinguine von den Eisbären gefressen wurden.

Nächste Woche: Das Leut

Keinzigartiges Lexikon: Folge 12

Gisela Feuz am Dienstag den 21. März 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Das Rumbastilzchen
Dass das Rumpelstilzchen ursprünglich Rumbastilzchen heißen sollte und, statt auf einem Bein zu hüpfen, mit leidenschaftlichem Hüftschwung ums Feuer tanzte, offenbaren kürzlich entdeckte Handschriften von Wilhelm Grimm aus dem Jahr 1808. Zur Zeit der deutschen Romantik, als Alexander von Humboldt unter anderem Kuba erforschte, hatte in den Künstlerzirkeln um Goethe und Schiller der sogenannte hessische Rumba – im Unterschied zum kubanischen Paartanz ein gepflegter Einzeltanz – Hochkultur. Ob das Rumbastilzchen den Gebrüdern Grimm nicht deutsch genug schien oder ob es die effeminierten und verweichlichten Tanzbewegungen waren, die sich nicht mit einer bedrohlichen Figur zusammenbringen ließen, ist umstritten.


Allein das nächtliche Tanzen am Feuer weist in späteren Fassungen noch auf die heißblütigen Ursprünge des Rumpelstilzchens hin.

Nächste Woche: Der Ostpol

Keinzigartiges Lexikon: Folge 11

Gisela Feuz am Dienstag den 14. März 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Die Bromrübe
Weit weniger bekannt als die Frucht des Brombeerstrauchs ist dessen Wurzel, die Bromrübe. Und das, obwohl sie jede Voraussetzung erfüllt, eine Delikatesse zu sein: Sie ist übelriechend, leicht giftig und anspruchsvoll in der Zubereitung. Während ihre nahen Verwandten, die Him- und die Heidelrübe, nur noch zur Biogasproduktion verwertet werden, haben einige Feinschmeckerrestaurants die Bromrübe als kulinarische Köstlichkeit wiederentdeckt. Heute tischt man allerdings nur noch das Rübeninnere mit seinem unverwechselbaren Geschmack nach Südfrüchten und kalter Zigarettenasche auf. Der Verzehr der leckeren Dornen wurde vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit nach mehreren Erstickungsfällen verboten.


Wegen ihrer dornigen Oberfläche ist die Bromrübe mit einer äußerst schmerzhaften Ernte und Zubereitung verbunden.

Nächste Woche: Das Rumbastilzchen

Keinzigartiges Lexikon: Folge 10

Gisela Feuz am Dienstag den 7. März 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Das Passivtrinken
Die Hysterie um das relativ unbedenkliche Passivrauchen hat lange das Bewusstsein für ein wesentlich höheres Gesundheitsrisiko verdrängt: das Passivtrinken. Schwitzende Säufer mit überschwappenden Biergläsern sondern gefährliche Alkoholmoleküle ab, deren Einatmen zu Folgeschäden wie Schwindel, einem verstärkten Mitteilungsbedürfnis und einer tiefen Rührung beim Lied „Sierra Madre“ führen kann. Fachstellen für Nichttrinkerschutz warnen insbesondere vor Bars mit Bier im Offenausschank und vor Schlafräumen in Jugendherbergen. Inzwischen sind sogar Passivalkoholiker identifiziert worden, die bewusst geschlossene gastronomische Räume aufsuchen und die typischen Symptome von Abhängigen aufweisen, etwa das konsequente Leugnen ihres Suchtverhaltens.


Immer mehr Bars richten entsprechend den Fumoirs sogenannte Buvoirs ein.

Nächste Woche: Die Bromrübe

Keinzigartiges Lexikon: Folge 9

Gisela Feuz am Dienstag den 28. Februar 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Das Geheuer
Rein äußerlich unterscheidet sich das Geheuer kaum vom Ungeheuer. Geheuer – auch Getüme genannt – legen jedoch wenig Wert darauf, herumzubrüllen, Häuser niederzutrampeln oder Menschen den Kopf abzureißen. Obwohl sie Feuer speien können, halten sie sich damit dezent zurück. Sie zeigen ein kultiviertes und höfliches Verhalten und fallen im Alltag, zum Beispiel in U-Bahnen, Kinos oder Restaurants, so gut wie gar nicht mehr auf. Gelegentlich kommen Geheuer in angenehmen Träumen oder in Wahnvorstellungen von Langweilern vor. Wie man seit Kurzem weiß, gibt es auch ein Geheuer von Loch Ness, das für eine touristische Vermarktung allerdings viel zu uninteressant wäre.


Kaum einer erschrickt heute noch, wenn im Café am Nachbartisch ein Geheuer seinen Espresso trinkt.

Nächste Woche: Das Passivtrinken

Keinzigartiges Lexikon: Folge 8

Gisela Feuz am Dienstag den 21. Februar 2017

Der Berner Schriftsteller Giuliano Musio spürt für KSB jede Woche einen heimlichen Verwandten eines vermeintlich einzigartigen Begriffs auf. Manuel Kämpfer illustriert ihn.

Heute: Klitzegroß
Als klitzegroß wird im Allgemeinen etwas Winziges mit großer Wirkung bezeichnet: der Apfelkern, aus dem ein starker Baum wird, das Universum vor dem Urknall, eine befruchtete Eizelle, der Flügelschlag eines Schmetterlings, der zu einem Wirbelsturm oder immerhin zu einer Fönfrisur führen kann, Napoleon, Pumuckl oder auch einfach mal so dahingesagte Behauptungen, die heute jeder glaubt – zum Beispiel dass Süßes schlecht für die Zähne sei. In den letzten Jahren ist geradezu ein Klitzegroß-Trend entstanden, der etwa Bereiche wie die Gesundheitsindustrie oder die Esoterik erfasst hat. Davon zeugen Buchtitel wie „Die innere Klitzegröße finden“, „Wie klitzegroß ist mein Partner?“ oder „Das große Klitzegroß-Buch für Groß und Klein“.


Durch Hungern satt werden: Viele Menschen setzen heute auf klitzegroße Ernährung.

Nächste Woche: Das Geheuer