Archiv für die Kategorie ‘Hip & Hop’

Die KSB-Jukebox 2011

Benedikt Sartorius am Donnerstag den 29. Dezember 2011

Einmal mehr gilt: Das Jahr ist fast zu Ende, der Plattenschrank längst aufgeräumt, der persönliche Favorit erkoren und die wertvollsten Lieder beinahe auf einem Tonträger verewigt. Kurz, es ist wieder Zeit für die Jahresfavoritenmusik der KSB-Redaktion:

Herr Sartorius: Girls – Father, Son, Holy Ghost
Ja, es stimmt: Die zweite Platte der Girls um das Sektenkind Christopher Owens mit dem «Skinny Body» hat sich bei mir gehalten. Noch immer begeistert mich der Grössenwahn, die Verletzlichkeit und Teenage-Angst, die Arroganz und der Classic-Rock dieses grossen Albums.

Frau Kretz: Timber Timbre – Creep on, Creepin’ On
Ein Album, das sich für laue Sommernächte ebenso eigenet wie für kalte Wintertage, unglaublich melancholisch, fast weinerlich, und trotzdem mit der Fähigkeit einen wunderbar aufzustellen.

Frau Feuz: Biffy Clyro – Revolutions live at Wembley
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich 2007 Biffy Clyro als Vorband von Bloc Party im Salle Métropole in Lausanne gesehen habe. «Gesehen» bringt’s auf den Punk, denn wie das so oft der Fall ist bei Vorbands, wurden die Schotten unsäglich leise abgemischt. Das Herz der Schreiberin haben sie aber trotzdem im Sturm erobert und auch wenn Biffy Clyro heute zugänglicher und massentauglicher daherkommen, so haben sie doch nichts von ihrer Intensität und ihrem Charme eingebüsst. Und ein qualitativ so perfektes Live-Album muss man erst mal hinbringen.

Fischer: Ryan Adams – Ashes & Fire
Die Orgel, sie erwischt mich immer noch jedesmal wenn ich die Platte höre, dieses Hammondgurgeln – so schön ertrinkt sonst kein Instrument im Elend. Und dabei gurgelt sie doch nur so nebenbei, irgendwo im Hintergrund. Aber so ist eigentlich alles an dieser Platte, die Band spielt diese lupenreinen Songjuwelen wie aus dem Handgelenk, als das was sie sind: Songs eben, nicht mehr und nicht weniger. Und Ryan Adams singt, als hätte er sich allmählich abgefunden damit, kein Glück zu haben auf dieser Welt. Und unbedingt auch damit, nie ein grosser Popstar zu werden. Für uns aber, für uns ist er spätestens mit dieser Platte ein ganz Grosser.

What a bastard

Roland Fischer am Donnerstag den 1. Dezember 2011

Socalled ist ein Hans-Dampf-in-vielen-Gassen, mit Hiphop oder Klezmer oder Sample-Pop ist ihm durchaus nicht beizukommen. Gestern am Konzert in der Turnhalle gab’s Acapella-Einlagen, Zauberkunststücke, Puppentheater, berührende Solostücke am Klavier, Samplerstakkato, fliegende Wechsel in der Band und und und. Funktioniert hat dieser Bastard von einem Konzert aber wunderbar, da war zwar nichts so wirklich stilecht, aber immer mit Herz und Schalk vorgetragen. Böse Zungen mögen behaupten, der Mann sei Opfer seiner tausend Talente, richtiger aber muss man hier wohl einen Irrwisch bewundern, der seine multiple Persönlichkeit sehr musikalisch unter einem Hut behält.

Dass meine Handykamera da nicht ganz mitkam, ist nicht weiter verwunderlich. Dafür ist eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Berner Nachtfalter aufgefallen, der gestern auch wieder mal als letzter vor dem Bühnenlicht seine Runden zog.

Die Lösung der Probleme

Grazia Pergoletti am Donnerstag den 24. November 2011

Nun, man kann mir sicher nicht vorwerfen, ich wäre nicht auch mal auf eine gesunde Distanz gegangen. «Sunne» gefiel mir zwar musikalisch sehr gut, aber textlich blieben da für mich doch ein paar Fragen offen. Und in der «Schule der Unruhe» mochte ich schon gar nicht nachsitzen, nein, das war nicht meins, wirklich nicht.

Doch gestern Abend, meine Damen und Herren, geschah es wieder: Kutti MC, Stephan Eicher und Band haben ihre neue Scheibe «Freischwimmer» in der Kaserne Basel getauft und ich war h i n g e r i s s e n ! Da haben sich zwei gefunden, im Guten wie im Bösen, und sie bringen voneinander das Beste zum Vorschein und zum Leuchten: Pathos, Pop und Gelassenheit, Frankophoner Weltschmerz mit Bernischer Bodenhaftung, kurz und gut: die Lösung all deiner Probleme.

Heute Donnerstag im Bierhübeli. Ich kann es von Herzen empfehlen!

Ein Abfallkübel sein

Roland Fischer am Donnerstag den 27. Oktober 2011

Gestern bei Storm und Störmer im Kairo gabs reihenweise seltsame Tipps und Anweisungen zum guten Leben – schlechte Sachbücher waren auf dem Programm, und da sind die Skurrilitäten selbstverständlich Legion. Ein Beispiel nur aus der Fiat-Lux-Fibel «Der Weg», einem Buch voller Maximen für ein gottfürchtiges Leben: «Lebe demütig und sei dir immer bewusst: Du bist ein Abfallkübel.» (frei zitiert, aber der Abfallkübel stimmt).

Dann weiter in den Dachstock, wo der Spoken-Word-Hohepriester Saul Williams seine ganz eigene musikalische Predigt zum Besten gab. Zum Abfallkübel hatte Williams auch was zu sagen: «And I feel bad, I feel bad, I feel conquered, I feel sad» sang er (aus «Triumph» vom neuen Album «Volcanic Sunlight»), aber nicht in Büsserpose, sondern als regelrechte Party-Hookline, als Mitsingrefrain, dass es eine Freude war.

Überhaupt, es war ein Bastard von einem Konzert, da wurde immer wieder in Seelengründen gewühlt, um im nächsten Moment die Oberflächlichkeit des Pop glitzern zu lassen. Auch die Band war launig zusammengestellt, eine gute alte Schlagzeuger-Saiten-Flanke und auf der anderen Seite zwei Männer an allerlei elektronischen Gerätschaften, die locker ein weites Soundspektrum von brachialem Industrial bis lustigem Disco-Funk abzudecken vermochten.

Im besten Fall entwickelte das eine ungeheure perkussive Wucht, die von Williams Sprechgesang nur noch mehr angetrieben wurde. Manchmal aber war es auch ein wenig allzu breitgetretener Lärm – von Bombast bis Morast war da alles vertreten. Getragen wurde alles von Williams vielgestaltiger Stimme, die die letzte Zugabe dann noch solo gab, mit einer rhythmisch-eindringlichen Geschichte, die wieder beides in einem war, Feier und Anklage, Tiefschlag und Hochgefühl.

Roll Bus Roll

Benedikt Sartorius am Donnerstag den 20. Oktober 2011

«Pass the Mic» heisst einer der favorisierten Tracks der Beastie Boys. Das Mikrofon wandert von MC zu MC und so war das gestern auch ein wenig im Rössli, wo sich anlässlich der «Weirdo Heroes World Tour» gleich vier Rapper die Ehre gaben.

Paranoid Castle besorgte im schweren Anzug den hart-kopfnickenden und packenden Einstieg, gab das Mik weiter zum schwergewichtigen Ceschi, dem die Why?-Anticon-Schule schön und deutlich anzumerken war, ehe Louis Logic reizvolle Raps und Sounds und aber auch eine ziemlich unlustige und polarisierende Geschichte über alte Schwänze und grosse Vaginas erzählte.

Schliesslich übernahm Regan Farquhar alias Busdriver aus Los Angeles das Mik und den Sampler, stellte seine unnachahmliche virtuose Schnelligkeit in Freestyles, die durch alle Rhythmen und Tonhöhen fliessen, zur Schau und spielte klassische Tracks wie «Imaginary Places» oder den «Unemployed Black Astronaut».

Der Höhepunkt seines Auftritts war aber seine Einlage über den Aphex-Twin-Wundertrack «vordhosbn». Wie Busdriver über diese verzwickte Vorlage seinen Sprechgesang legte, als wärs das leichteste der Welt, das war schön unerhört.

Überhaupt: Ein schönes Paket war diese Weirdo Heroes World Tour, die im Rössli gerade an einem kalten Mittwoch bestens wirkte.

Thavius Beck

Ruth Kofmel am Freitag den 9. September 2011

Schwierig zu entscheiden, was man bei diesem Mann erwähnen sollte. Vielleicht das: In seinen Anfängen war er als Bassist mit Saul Williams auf Tour und hat mit diesem das von mir gerne gehörte Rap-Album «The Inevitable Rise and Liberation of NiggyTardust!»  kreiert. Saul Williams wiederum kommt ja bald in den Dachstock, wie Sie hier schon lesen konnten und das ist sehr gut.

Diese Tage profiliert sich Thavius Beck vor allem als einer der raren Laptopmusiker, die nicht lediglich ihre Files runterspielen, sondern diese live per Zauberhand zu mitreissender Musik arrangieren. Man konnte sich gestern aber nicht ganz dem Verdacht erwehren, dass das zur Schaustellen seiner mit lauter leuchtenden Knöpfen bestückten Schaltzentrale etwas mit seiner Tätigkeit als Ableton live Trainer zu tun haben könnte. Aber auch wenn; das sei ihm vollkommen verziehen, gehört er doch für mich schlicht und einfach zu den besten Beatproduzenten überhaupt.

Dank gilt einmal mehr dem Rössli-Team. Sie haben definitiv eine der interessantesten Anlaufstellen für elektronische und basslastige Musik in Bern geschaffen.

Pfingst-Battle im Sous Soul

Gisela Feuz am Montag den 13. Juni 2011

Gestern wurde ordentlich gepfingsttanzt im Sous Soul. Die Herren Drunky Child, Bloody Fool, Shmoozy, Drugy B und Broccoli G hatten zur lustigen DJ-Battle geladen. Gebattelt wurde dann allerdings nicht so richtig (höchstens gegen die Technik und den eigenen Zustand), sondern die Herren vergnügten sich abwechslungsweise hinter den Plattentellern. Hip Hop-Klassiker kamen dabei ebenso zum Zuge wie bauchlastiger Dancehall und zwischendurch grub Herr Broccoli gar eine wahre Euro Dance-Perle aus. Sehr überzeugend war das Spiel, bei welchem das Publikum bestimmen konnte, welcher Song als nächstes gespielt werden soll. Aufgelegt wurde dann, völlig unabhängig vom Resultat, irgendetwas. Sehr sympathisch.

Sous Soul.jpg

Pfngsten ist ja das Fest der Entsendung des heiligen Geistes und in diesem Sinne war das eine einwandfreie Pfingstparty, denn jegliche Geister, gute wie heilige, waren gestern sehr weit weg in die Ferien geschickt worden. Mindestens bis ins Wallis.

R.I.P. Gil Scott-Heron

Manuel Gnos am Samstag den 28. Mai 2011

Wir unterbrechen an dieser Stelle das Kilbi-Programm mit einer sehr traurigen Meldung aus der Musikwelt.

Der Musiker, Poet, Soulgigant und Politaktivist Gil Scott-Heron ist gestern Freitag im Alter von 62 Jahren in einem New Yorker Spital gestorben. Er, der nicht ganz ohne Einfluss auf die Entstehung der Rap-Musik war, sich aber gegen den Titel «Godfather of Rap» wehrte, hatte letztes Jahr nach jahrelanger Abwesenheit mit «I’m New Here» ein versöhnliches, verstörendes, aufbrausendes und herzendes Comeback-Album hervorgebracht.

Ich selbst bin erst spät durch eine politische Radiosendung in den USA auf Mister Scott-Heron aufmerksam geworden: «The Revolution Will Not Be Televised» hiess der Song, der während einer Sendung zur Rolle des Fernsehens im Wahlkampf zwischen Obama und McCain ausgestrahlt wurde. Hier zum Gedenken dieser grosse Song, der eine Mischung aus Gedicht, Soul und Sprechgesang ist:

Ruhen Sie in Frieden, Mister Scott-Heron. Oder wie es Ahmir Questlove Thompson von den Roots twitterte: «Damn Gil. Rip!»

Bücherkiste: Jay-Z

Benedikt Sartorius am Freitag den 15. April 2011

In den vergangenen Wochen und grad auch gestern wieder wurden in Bern von Afrika Bambaata, Beans, Grandmaster Flash und dem Wu-Tang-Gründer GZA einige gewichtige Kapitel der Hip-Hop-Geschichte erzählt. Unsereiner hat derweil wegen eingeschränkter Konzerttauglichkeit eine andere Rap-Meistererzählung gelesen.

Jay-Z dekodiert«“DECODED” is a book like no other», prangt hinten auf dem Buch, das die Autobiografie des millionenschweren Rap-Superstars und ewigen New-Yorker-Hustlers Jay-Z enthält. Aufgewachsen in den Sozialsiedlungen in Brooklyn, lernte Jay-Z alias Shawn Carter via dem Crack-Deal in den Spätachtzigern das Hard Knock Life kennen, adaptierte die Lektionen von der Strasse für seine unwiderstehliche Hitfabrik und geizt dank diesen Erfahrungen nicht mit Ratschlägen an seine Jüngerschaft.

Die persönliche Erzählung, die auch die amerikanischen Traumas – Katrina, der Irak-Krieg und der immer noch währende Rassismus – und die aufkeimenden Hoffnungen mit der Wahl Obamas behandelt, ist dabei nur ein Teil des Buches, liegt doch das Gewicht von «Decoded» auf der grafischen Inszenierung: Diese beginnt beim Andy-Warhol-Cover und führt zu kunstvollen Abbildungen von schwarzen Ikonen wie Malcolm X, Muhammad Ali, Michael Jordan, Notorious B.I.G. oder Jean-Michel Basquiat. Die Helden säumen auch die Rap-Lyrics, die der Autor – geboren am 4. Dezember 1969 – selber mit erkärenden Fussnoten anreichert und nicht selten die trickreiche Raffinesse seines Werkes hervorstreicht.

Ob all der schönen Gestaltung fragte denn der «Guardian», ob wir «a coffee table book deconstructing the words of Jay-Z» wirklich benötigen – und stellte damit eine falsche Frage: Das Buch dekodiert natürlich kaum, sondern inszeniert den Künstler Jay-Z aus der markierten Art-Director-Perspektive von Shawn Carter, der hier seine Rap-Bildungserzählung für ein grosses Publikum ins Scheinwerferlicht rückt.

Soul ist nicht einfach schön

Roland Fischer am Freitag den 8. April 2011

Vor drei Tagen war Aloe Blacc in Zürich zu Gast – im edlen Kaufleuten. Gestern dann der Berner Auftritt – im Dachstock der Reitschule. Irgendwie ist das sehr bezeichnend für diesen Mann, dieses Pendeln zwischen Schickimicki und alternativer Szene. Bitte um Korrektur, wenn ich falsch liege – aber gestern hat die Reitschule glaube ich eine spezielle Premiere erlebt: Wann hat vorher schon mal ein Top-Ten-Hitparadenstar im Outlaw-Kulturort Halt gemacht?

Nun, nichts gegen die Aufweichung im Grunde sinnloser Kategorien. Gestern wurde man aber doch den Eindruck nicht los, dass ein Hit eben doch ein Hit eben ein Hit ist. Und ein Künstler eben nicht gleichzeitig Chartsound und ehrliche, unter die Haut gehende Musik machen kann – zumindest nicht, wenn es um Soul geht. Aloe Blacc macht zwar allerlei Anleihen bei den grossen Alten des Genres, aber irgendwie ist das dann doch zu blank poliert, zu säuselnd – zu schön, um es abkupfernd (beim Kollegen der NZZ) zu sagen: «Einfach schön» fand dieser das Konzert am Dienstag – und meinte das weniger nett als es zunächst klingen mag. Denn Soul war mal viel mehr als einfach schön, er war durchzogen von Elend, von Hass auf unhaltbare Zustände, von Verzweiflung – sei es emotionaler oder politischer Art.

aloe blacc_dachstock

Davon war gestern im ausverkauften und sehr sommerlich gestimmten Dachstock nicht viel zu spüren. Ausser vielleicht beim grossen Hit, «I need a dollar», der auf diese unnachahmliche alte Soul-Art zwischen Tanzfläche und tiefem Herzensgrund pendelt. Da ist er nah dran an den Vorbildern, der neue Soul-Man der Stunde. Beim Rest des Repertoires orientierte er sich dann leider mehr an den aktuellen Starlets als an den alten Stars. Solide Show, aber ein wenig mehr Dreck, wie man hierzulande sagt, hätte dem Ganzen gut getan.