Rumziehen & Musik hören: Mit dem Album Faith in Strangers von Andy Stott im überfüllten Zug von Bern nach Visp
Andy Stotts Album beginnt ohne Ton, mit dem Titel Time Away. Ich stehe auf dem Bahnsteig und warte auf den Zug und frage mich, ob ich tatsächlich Play gedrückt habe. Noch immer kein Ton aus der Musik-App. Man kennt das Ruhige von dem Album Luxury Problems, das der Manchester Produzent Stott 2012 veröffentlichte.
Um mich herum keine ausgelassene Stimmung. Die Menschen sind aufgekratzt, tragen mehrere Taschen an den Händen, es zuckt in den Fingern. Der Zug hält und ist bis zum Dach voll mit Menschen und Gepäckstücken. Vor den Türen sammeln sich Menschenknäuel.
Ich lasse Unmengen Füsse aus dem Zug strömen, bis ich selber einsteigen kann. Der erste Track beginnt nun doch noch zu wummern, Hörner beginnen sphärisch zu scheinen. Sanft wie auf einer CD mit Ozeangeräuschen. So entspannt fühle ich mich in meiner einstündigen Auszeit.
Ich steige ein, lege meinen Koffer unter den Sitz und setze mich auf einen, der spärlich freien Sitze. Der Song Violence beginnt mit einem elektronischen Wabern etwas energischer und Alison Skidmores zerbrechliche Engelsstimme erklingt. Der harte Beat und die fragile Stimme erzeugen den geisterhaften Stott-Sound. Ich sitze in der Soundblase.
Um mich herum herrscht noch immer dieses aufgekratzte Unwohlsein. Alle wollen in die Ferien, oder zurück. Die Menschen verhalten sich umständlich, stellen ihre Koffer in den Flur, niemand kann vorbei, legen ihr Gepäck auf die Sitze, niemand kann sitzen. Sie sind komplett gefangen. Es ist ihnen unangenehm zu viert in einem Abteil zu sitzen. Sie sind unruhig und müssen dauernd irgendetwas aus ihren Taschen nehmen, was eine Kettenreaktion von Stirnrunzeln auslöst.
Ich gebe auch zu den fetten, epileptischen Beats und badass Bässen von No Surrender meine Gelassenheit nicht auf. Wir fahren in den NEAT-Tunnel und die Leute stehen eine Viertelstunde bevor wir ankommen auf, um ihre Koffer in den Gang zu schieben und herumzustehen. Ich lehne mich zurück und wippe amüsiert vor und zurück.
Zu den komplett verzerrten und melodischen Beats von Damage schlängle ich mich durch Gepäckstücke und aufgeladene Menschenleiber aus dem Zug. Ich frage mich, ob Stott seinen Albumtitel «Faith in Strangers» positiv oder negativ gemeint hat.