Archiv für die Kategorie ‘Hip & Hop’

Süss wie Coca Cola

Milena Krstic am Samstag den 9. September 2017

C. brachte den Witz mit der Sachertorte und der Wandl guckte unter der Kapuze seines weissen XXL-Pullis hervor und sagte so etwas wie: «Also, geil is’ es’ ja schon». Das war beim Abendessen, stimmiges Einstimmen im Rössli, auf einen Konzertabend der klassischen Sorte: Da tritt ein uber nicer Act auf, ist aber noch nicht so extrem bekannt, also wird auch kaum jemand erscheinen. Das is’ net so geil, aber truth hurts immer.

Sänger, Produzent, DJ, Pianist: Findet’s den Wandl auf der Bühne des Dachstocks.

Trotzdem. Wir waren dort. Und es war wunderschön. Verschleppt, vertrackt, alles nur angedeutet, unausgesprochen, charmantester Lo-Fi mit allerlei Nettigkeiten aus der Soul-Wunderplunderkiste und dazu dieser Typ, der sich ins Falsett singen kann, haucht, Töne trifft, während die Samples disharmonisch im Raum verschwimmen. Bedroom-Pop ist ein furchtbar abgefingertes Wort, aber es muss hier nochmal ran, weil der Lukas, so heisst der Wandl nämlich, den sehe ich vor mir, wie er rauchend auf seinen weissen Bettlacken herumrutscht und auf seinem Klappcomuter sweet und sexy Tunes produziert.

Mit wem wir es hier zu tun haben? Wandl ist ein Jungspund aus Wien, aufgestiegen aus dem Dunstkreis der Wiener/Salzburger Wolken Jungs: Yung Hurn, Crack Ignaz, you name ’em. Ein gehauchtes «Coca Cola» hat ihm den Ruhm über Noisey die Blogosphäre hinaus verschafft, soweit, dass er gestern Abend – ganz sanft – im Dachstock gelandet ist. Der war ganz bescheiden gefüllt, aber der Wandl hat ein verträumtes Set gespielt, am Ende den Soul verlassen und elektronische Tanzmusik serviert, so zauberhaft war das, am Bühnenrand zu stehen und in die Sorglosigkeit einer Freitagnacht zu entgleiten, mit ganz viel Raum drumherum für eigene Irrungen und Nachtwandlereien.

Reiner jedenfalls prophezeit dem Wandl den Superstar-Status. Und sobald Wandl den erreicht hat, wird er wieder im Dachstock spielen – dann aber im ausverkauften.

Wandls Album «It’s All Good Tho» gibt es auf Bandcamp zu hören und kaufen. Wer das mag, mag auch James Blake und guten Sex.

MFB-Lieblingsscherben: August

Mirko Schwab am Freitag den 8. September 2017

Schwab porträtiert im Auftrag der Musikförderung MFB jeden Monat die liebsten Neuerscheinungen straight outta Berne. Die Kategorie «Hype» ehrt das Langjährige, Brillante, Ausgefeilte und Vielgehörte, das den Berner Pop über die Kantonsgrenzen hinausträgt und im Feuilleton Wellen schlägt. Die Kategorie «Hope» gräbt in den Tiefen des Untergrunds und verstärkt, worüber noch geflüstert wird – Erstlinge, Fundstücke, Demos.

Hype:
S.O.S«Akim» + «Imani»

Wie beweist man dem Game? Indem man gleich zwei Alben auf einen Streich raushaut. Dass beide auch in der Hitparade (gibts noch) fast ganz vorne einfädeln, ist nur die logische Konsequenz des landesweiten Hypes um die Herren Nativ und Dawill. Trap-Sauereien, Consciousness, blumigste Flowristik, alte Schule, neue Schule, zurückgelehnt oder Doppeltime – können sie alles und fächern auf zwei Geschwistertapes schön auf, was es nachzubüffeln gibt für den Rest der Szene. Rap von lokaler Zunge auf internationalem Niveau. Oder mit den Worten von Хорошо круто aus der Video-Kommentar-Ritze: «scheiße man ich versteh zwar nicht nen viertel aber der scheiß ballert böse!»

Hope:
Yangboy$ – «Du Bisch»

Nicht minder kontemporär und doch von einem anderen Stern senden diese zwei Boy$ aus Bern-West. Von Weltfrieden-Lines und Waffengeilheit (das schaffen andere Rapper im selben Song …) zum Glück kilometerweit entfernt, erfreut uns das charmant-verspulte Duo mit Lo-Fi-Miniaturen und der täglich inhalierten healthy dose DIY-Attitüde. High auf Autotune und nach den Regeln des Internetz’ bedienen sie sich der Zeichen ihrer Zeit – und uns mit nonchalanten Assoziativ-Rap-Streichen seidener Sorte. Oder mit den Worten von Pilzkopf Ivo neulich im Backstage: «S.O.S., das ist für die koolen Kids, da können wir nicht mithalten. Wir sind eher so semikool.» Proud to be semikool; then.

Die MFB hat sich das Fördern junger Berner Popkultur auf die Fahne geschrieben. Die interessantesten Neuentdeckungen finden Sie in der Spotify-Playlist «Sounds Like Berne».

Nur damit du weisst

Mirko Schwab am Samstag den 26. August 2017

Seit zwei Tagen nur noch Trettmann. (Ein ganzer LKW voll mit bulgarischen Melonen, Schüblig.)

Mit automatischer Tonhöhenkorrektur und einer strikten Entsättigungspolitik in der Bildsprache hat sich das Kreuzberger Label Kitschkrieg einen guten Ruf erspielt. Prädikat Zeitgeist. Darüber thront, als unangefochtener König: Ronny Trettmann. Seit sich der in Karl-Marx-Stadt geborene Seelensänger vor zwei Jahren seines Vornamens entledigt und das karibianische Timbre merklich abgedunkelt hat, wird ihm weit über die Dancehall-Szene hinaus Respekt gezollt. Mit Recht: Keiner versteht es wie er, den Kitsch mit dem Krieg zu verheiraten, Plastik und Soul unter 1 white cap zusammenzuführen. Weiter darf man schwärmen, dass ihm auch textlich – mit der Nonchallance eines alten Hasen und unter Einbezug alter Dancehall-Gimmicks – die Dinge gut gelingen. Zuletzt: «Grauer Beton».

Eine Ballade zwischen Plattenbauten, von der Spätjugend in der Wendezeit. Das durch die Hip-Hop-Schulen tradierte Bild des Blocks – in den schlechtesten Varianten als Betteln um Realness – wird hier in sorgfältigen Schattierungen gemalt.

«Und ab und zu hielt gleich dort wo wir wohn’n
Ein ganzer LKW voll mit bulgarischen Melon’n»

Und obwohl doch unterschiedliches Terrain, der Westen von Bern und der Osten Deutschlands, klingt aus der Ferne dies Piano an:

«Es het Schüblig ggäh.»

Trettmann spielt am 03. November im Dachstock.

Kultur im Kocher

Roland Fischer am Freitag den 14. Juli 2017

So sieht es also aus, Berns niederschwelliges Kulturangebot:

Tatsächlich ist das eine schöne Initiative, dieses Parkonia-Festival im Kocherpark. Die Barcrew wirkte zwar zuweilen ein wenig überfordert, aber weil die Stimmung sonst überaus entspannt war zwischen Jonglierenden, Ping-Pong-Tisch und Bühne war das ziemlich egal. Gestern legten die Hiphopper von Churchhill einen fast schon offensiv gutgelaunten und pünktlich um zehn (die Nachbarn!) fertigen Auftritt hin. Wenn die Regeln brav eingehalten werden hilft die Stadt wo sie kann; demenstprechend poppen grad allenthalben Sommerspecials up – davon soll hier dann auch mal noch die Rede sein.

Hier bloss noch der Hinweis, dass es im Kocherpark Mitte Sommer einen fliegenden Wechsel geben wird: Die Bühne wird ab- und eine Leinwand aufgebaut. Bern bekommt endlich wieder ein richtiges Openair-Kino! Und erst noch – wie schon Parkonia – mit Gratis-Eintritt. Bisschen seltsam, oder, dass im reichsten Land der Welt Kultur immer öfter damit beworben wird, dass sie das Portmonnaie nicht belastet?

Ursula und Vreni rollen mit der Crew

Milena Krstic am Donnerstag den 13. Juli 2017

Küre zeigte auf die Zahl, welche anzeigt, wie viele Aufrufe ein Videoclip hat, und sagte: «Wie kann das sein, so wenig Klicks?» Ich drehte meine Rokies auf, lehnte mich auf meinem Bürostuhl zurück, guckte mich durch den Kurzfilm und muss sagen: Warum hat dieser Clip nicht mehr Klicks? Der ist nämlich wirklich nice.

Da haben sich Mac Daddy (Teiler Gang, du weisch) und Iver Faim eine wahrlich originelle Bildspur zum Song «Crew Rollt» ausgedacht. Es ist ja eher atypisch, dass eine Rapcrew mit einem Betagtenheim (in diesem Falle Betagtenheim Mattenhof) zusammenspannt. Herausgekommen ist ein vergnüglicher Ride in die Clubnacht, gemeinsam mit den Schauspielerinnen Vreni Brun und Ursula Gysin, die auch das dabben vorzüglich im Griff haben.

Crew rollt und Clip ab.

«Mach kes Drama»

Milena Krstic am Mittwoch den 8. März 2017

Auf einmal erschien die Bernerin Lil Lou auf meinem Radar und liess mich ratlos zurück. Wer ist diese junge Frau, die wegen dem Rappen ihre Lehrstelle verloren hat und sich die Queen von Bern nennt?

Vor ein paar Monaten hat mich eine gute Seele auf diese «eine ihrer Freundinnen, die rappt» aufmerksam gemacht. Die erscheine bald auf der Bildfläche und das werde ein grosses Ding. Ball flach halten, dachte ich. Und doch war ich angefixt vom Gedanken, dass da eine neue Rapperin in den Startlöchern steckt. Kurz darauf erschien ein Video auf meiner Timeline. «Who’s back?! Lil Lou’s back!» stand dazu und ich wusste: Das ist die, von der die Rede war.


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#BernNotBrooklyn

Mirko Schwab am Sonntag den 19. Februar 2017

Bern ist zwar nicht Brooklyn, aber hey, auch in der Hauptstadt ist mächtig was los.

Photokredit: Rôgn H.

Es lag in der Luft und dann ist es explodiert.
Leute flogen durch den Raum, Bier, ein Stuhl. Einer hing am Lichtgebälk.
Scheinwerfer ein für den Bassderwisch Bit, Scheinwerfer ein für den göldenen Chronisten.
Liebe in Zeiten vom kommenden Alltag.

Posten Sie Ihr Foto/Video auf irgendeiner digitalen sozialen Plattform mit dem Zusatz #BernNotBrooklyn. KSB wählt unter den Fotos das leckerste aus und veröffentlicht es manchmal sogar pünktlich zum Katerfrühstück. Kommt halt auch drauf an, wann man wieder essen kann.

Tonspur zum Aufstand

Milena Krstic am Freitag den 17. Februar 2017

Erst wenige Stunden sind seit dem Konzert von Göldin und Bit-Tuner im Rössli vergangen. Die besagte Nacht ist jetzt schon eine Legende.

Rap is the new Punk: Stagediven am Göldin & Bit-Tuner Konzert im Rössli.

Mein Lieblingsjourni ist ein Rapper? Das habe ich erst kürzlich aus der Presse erfahren. Göldin, Göldin … Sein Name fiel immer wieder, wenn mir jemand erklären wollte, dass es kaum gute Mundart-Musik gebe, und die, die da herumgeistere, meistens etwas peinlich sei. Aber einen gäbe es, der sei unschlagbar: der in Chur geborene Göldin nämlich. Natürlich stand der dann auf meiner To-Listen-To-Liste, aber ich habs dann immer irgendwie versäumt (WIE BLOSS?!, werden sich eingefleischte Fans jetzt fragen und ja, das frag ich mich jetzt auch).

Und nun also kam er gestern für ein Konzert nach Bern ins Rössli – nach sechs Jahren wieder – und schmiss zusammen mit Bit-Tuner ein Fest, dass es einem auch in der Retrospektive die Herzchen in die Augen treibt.

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Schon mancher Traum

Mirko Schwab am Samstag den 28. Januar 2017

Ein rastloser, einsamer Wolfshund, nächtliche Leere auf dem Asphalt der Aussenquartiere. Die neue Migo Buzz-Single als beeindruckendes Reifezeugnis in Bild und Ton.

«You better run, when you hear the sirens coming.»

Seit dem überkochenden Saviours Of Soul-Hype dürfen die Untergrundhelden der Chaostruppe schon fast zu den Szenevätern gezählt werden. Eng damit verwachsen ist der Rapper Migo, der die Truppe seit ihrer Zusammenrottung mit den technisch wendigsten und textlich vielschichtigsten Parts anführt.

Als Solist kommt er stets zu zweit. Der kongeniale Schaffenspartner Buzz zeichnet verantwortlich für Videos und Beats – und obwohl als wortloser Akteur im Hintergrund und an der Youtube-Oberfläche, steht ihm der prominente Platz in der Interpretenzeile fraglos zu. Auch er hat sich über die Jahre Meisterschaft erarbeitet auf seinen Gebieten, davon zeugt die konsequente Videoproduktion «Schlaflos in Bärn» mit stilistischer Unaufgeregtheit. Und davon zeugt die bittersüsse Vorstadtatmosphäre, die er im Beat widerzuspiegeln vermag, davon zeugt der pointierte Einsatz der Hookline als down-pitch-Entlehnung von Jorja Smith mal Dizzie Rascal. Und nicht zuletzt die satte Produktion: eine Snare, die knallt und Hats, die sitzen.

Textlich bewegt sich Migo durchs Aussenquartier seiner Sozialkritik, wo die Wahrheiten der Leistungs- und Selbstoptimierungs-Gesellschaft an verkratzem Plexiglas zerscherbeln. Die Biographien der Gescheiterten, Gefangenen und Ge*ickten sind immer noch das beste Argument wider die einfachen Losungen. Jeder ist seines Glückes eigener Schmied – doch auf dem Amboss des Systems ist schon mancher Traum verglüht.

Dass das nicht nach marxistischem Lesekreis klingt, ist den poetischen Bildern zu verdanken, die Migo bei aller Wut mit Sorgfalt in den Text flicht. Das sind nicht Sätze wie Pflastersteine. Das sind Verse aus der Nachbarschaft der Sozialwohnheime.

Migo Buzz «Schlaflos in Bärn» kann gratis für einen Wahlwert heruntergeladen werden.

Genossen №6: Eminem

Mirko Schwab am Mittwoch den 16. November 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Marshall Mathers battlet doch.

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Auch einer, der die 8 Meilen schon hinter sich hat, muss sich bei den 3 Eidgenossen noch beweisen.

Lueg, wenn du einen Schuss hättest
oder eine Gelegenheit, mit einem Moment alles zu greifen, was du je haben wolltest –
würdest du es packen oder alles schleifen lassen?

Ich sitze, wo ich immer sitze und trinke, was ich immer trinke. In dieser Beiz bleibt alles gleich, auch wenn die Welt sich übergibt. Die Europäische Union könnte auseinanderbrechen (dringendste Frage: Was passierte mit bereits gelösten Interrail-Pässen?), dieses Blog könnte eingestellt werden (dringendste Frage: wohin mit all dem Geld?) oder irgendein Oligarch zum mächtigsten Mann der Welt gewählt werden (dringendste Frage: … the fuck?) – die Stange im 3 Eidgenossen bliebe, was sie immer schon war, die Jukebox spielte, was sie immer schon tat und die Runde bespräche, was sie immer schon beschäftigte. Also Stadtpolitik.

Ursula «Willary» Wyss, Verkörperin der alten Ordnung, des netten rotgrünen Establishments? Die wutbürgerlichen Herausforderer? The Erich, abgetan als Clown und jetzt bereit zur grossen Machtübernahme, ganz in der Tradition weltweiter Nostalgiegelüste nach schlechtfrisierten Faschos? Wird der Mattenhof entscheiden als Swing-Quartier? Oder der Rüst-Belt – agglonahe, um den eigenen Mittelstand bangende Stadtteile, wo es noch Hausfrauen gibt, die die Küche alleine schmeissen müssen? Oder doch die Burger? Weil die immerhin noch wissen, wie man diese alte, knarrende Stadt regiert in liebgemeinter Aristokratie?

Und so hör ich mich etwas um und übersehe, wie dieser unscheinbare blasse Junge zur Tür hineintritt. Die hochgezogene Kapuze des mit reichlich Marge getragenen Pullovers wirft einen Schatten über sein Gesicht, das ich erst dann erkenne, als es schon vor mir aufgeht wie ein bleicher, freundlicher Supermond. Will er battlen? Und: Würde ich zupacken oder alles schleifen lassen?

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