Archiv für die Kategorie ‘Hip & Hop’

Keatonesker Karneval

Benedikt Sartorius am Montag den 20. April 2009

Sex Mob im Progr

Krawall-Dixie, Lounge-Jazz, attackierende freie Passagen und beliebte Melodien: Das spielten gestern die Vier vom Sex Mob in der Bee-Flat-Turnhalle des Progr. Seit 1995 betreibt der Slide-Trompeter Steven Bernstein das Quartett, das durch den Altsaxofonisten Briggan Kraus, den Lou-Reed-erfahrenen Bassisten Tony Scherr und den kauzigen Beatnik Kenny Wollesen am Schlagzeug komplettiert wird.

Nachlässig schlurfig wie kompakt attackierend interpretieren die Vier Downtown-New-York-Musiker ein weites Songbook, das gut und gerne die letzten 100 Jahre Populärkultur umfasst. Die Dynamik im Zusammenspiel der beiden Bläser ist ungemein hoch und erinnert an das weit prominentere Masada-Duo John Zorn und Dave Douglas (wobei dann Kraus der gezähmte Zorn und Bernstein der wildere Douglas wäre). Und natürlich besass, jedenfalls das erste Set, viel von einem Buster-Keaton-Film.

Dass da der Absturz inbegriffen ist, versteht sich bei diesem Stuntmanvergleich von selbst – und der Absturz wurde durch die zu üppigen Setlängen verursacht, in denen die Goldfinger-Ruby-Tuesday-Sign O’ The Times-Melodien ihre Dringlichkeit, ihren Witz allmählich verloren und ins Unverfängliche abdrifteten.

Der Kostverächter im Club der Stunde

Manuel Gnos am Sonntag den 29. März 2009

Big Zis, Mitte, im Berner Club Bonsoir, 28. März 2009. (Bild Manuel Gnos)Hmmmja, was schreibt man, wenn eine allseits geschätzte Künstlerin in die Stadt kommt, im neuen, mit vielen Hoffnungen verbundenen Club spielt – und einem dann der Abend nicht gefällt? Wohl oder übel genau das.

Vorgängig hatte ich mich gefragt, ob mit dem Bonsoir ein Ort im Entstehen ist, der selbst mir als Clubbingbanause zusagen würde. Jedenfalls machten die Beschreibungen Lust hinzugehen. Ich war dann insgesamt aber etwas enttäuscht – weils zu viele Security-Jungs hatte, die Räume mit etwas zu viel Gestaltungswillen ausgestattet wurden, mir eine kleine Flasche Bier für sieben Franken zu teuer ist (trotz Birra Moretti im Angebot) und weil ich mich grundsätzlich nicht besonders gerne in Kellerräumen ohne Fenster aufhalte.

All das mag für Freundinnen und Freunde des gepflegten Clubbings gewohnt und erwünscht sein – mir behagt es nicht und das muss es ja auch nicht. So weit so gut, ich war ja sowieso wegen der Zürcher Rapperin Big Zis da. Die Dame habe ich in erster Linie durch ihre aktuelle, sehr liebevoll gemachte Videoreihe kennengelernt, zudem wurde sie mir von verschiedenster Seite wärmstens empfohlen.

Gefallen hats mir trotzdem nicht. Das hat nichts mit Big Zis zu tun, aber viel mit der – gelinde gesagt – dürftigen Soundqualität gestern Abend. Es war ein dumpfer Brei, der einem da zugemutet wurde. Auch Stimme und Worte der grossen Schwester waren nur schlecht herauszuhören. Trotzdem, und das spricht sehr für die Dame, nahm ich den Eindruck mit, eine der besten Bühnenkünstlerinnen der Schweiz gesehen zu haben. Die, wie sie in der ersten Zugabe zeigte, auch noch eine der besten Gesangsstimmen der Schweiz hat.

Fazit nach diesem Abend: Es erstaunt nicht, dass ein Kostverächter die Kost verachtet.

Die lustigste Platte der Welt

Benedikt Sartorius am Sonntag den 15. Februar 2009

Das Cover (Bild: adi)«Madder than Mad’s Alfred E. Newman»: Das ist «Paul’s Boutique», das zweite reguläre Album der Beastie Boys. Als Sampling noch kein Delikt war, legten Adrock, MCA und Mike D nach einer dreijährigen Zwangsveröffentlichungspause eine Platte vor, die vom «Fight For Your Right»-Rüpelsound ihres ersten Albums meilenweit entfernt war, besser, die das eigene pubertäre Rüpelimage auf lustigste Art karikierte.

«Paul’s Boutique» ist ein einziges Name-Dropping durch das Yuppie-New-York der Endachtziger, eine Hommage an ihre Heimatstadt, weit kraftvoller als die Post-9-11-Platte «To The 5 Boroughs», ein Sample-Hopping durch die ganze Popgeschichte, magistral zusammengesetzt von den Dust Brothers, die neun Jahre später für das typähnliche Beck-Album «Odelay» verantwortlich zeichneten.

Wieso ich das alles schreibe? Zum zwanzigsten Geburi von «Paul’s Boutique» ist das Album in einer aufgemotzten Version erschienen, die gestern in zwei Berner Plattenläden gesichtet wurde. Und diese Platte ist definitiv nicht nur für «all the swiss girls».

Für Beastie-Boysologen: http://paulsboutique.info/ (von hier)

Ein moderner Klassiker

Benedikt Sartorius am Donnerstag den 13. November 2008

Im Vorfeld war eine grosse Frage: Wird Mike Skinner alias The Streets nochmals den strassenreporterischen Geezer mit seinem «Original Pirate Material» raushängen, der nur Chips und Bier vertilgt? Oder gibt er sich ganz als geläuterter Songwriter, der nach dem Erfolg des Erstlings sein plötzliches Startum in den Nachfolgealben «A Grand Don’t Come For Free» oder «The Hardest Way To Make An Easy Living» verarbeitete, ganz zu schweigen vom neuen, pastoralen und auch geschmäcklerischen Album «Everything Is Borrowed»?

Es sollte gestern Abend, in der Zürcher Roten Fabrik, eine Mischung aus all diesen Rollen werden, mit Schwerpunkt in der Partyzone, die dem bleichen und stagedivenden Nuschelkönig so nicht mehr zugetraut wurde. Seine vierköpfige Band spielte clean, sein Soul-Sängerkollege sang dominierend, während Mike Skinners unverkennbarer, am Konzert gar nicht so zwingender (und im Gegensatz zum Vorrapper Kano auch technisch unterlegener) Sprechgesang doch unterging und eher auf Mottos setzte.

Doch eben: Mike Skinner wird bleiben. Wegen seinen modernen Klassikern (die seine Alben beinahe allesamt sind), wegen den Slogans und restlichen Texten, wegen den Melodien auch seiner neuen Platte, die so feierlich sind, dass man nie in die Kirche gehen muss.

The Streets treten heute im Fri-Son Fribourg auf, im Vorprogramm Kano, der morgen auch im Dachstock zu sehen ist.

Keine Schlaftablette

Manuel Gnos am Donnerstag den 28. August 2008

Ich bin auf unserer beschaulichen Redaktion nun ja nicht gerade bekannt dafür, der grosse Hip-Hop-Spezialist zu sein. Deshalb weiss ich auch nicht, wie weit die Kreise sind, die dieses Video der Boys on Pills schon gezogen hat. Aufgrund des Veröffentlichungsdatums und der Anzahl Abrufe wage ich aber, darauf zu schliessen, dass es noch recht unbekannt ist. Deshalb hier für Sie zum Feierabend!

Boys on Pills – Das isch Bärn:

Herzblut im Fastfood-Restaurant

Benedikt Sartorius am Mittwoch den 30. Juli 2008

Das seltsame Paar Danger Mouse und Cee-Lo GreenEs war eine nicht unerhebliche Enttäuschung, als das seltsame Paar Cee-Lo Green und Danger Mouse alias Gnarls Barkley in Montreux ihre Lieder und Beats in ein simplifizierendes Rockkleid steckten.

Mit einer Ausnahme: Beim tieftraurigen «Who’s Gonna Save My Soul» tuckerte nur eine rudimentäre Beatbox, dazu die Stimme von Cee-Lo, und fertig war der Höhepunkt des Konzertes.

Dass das Lied auf meinem End-Jahresmix mit grosser Sicherheit nicht fehlen wird, ist nun auch dem Videoclip zu verdanken. Ignorieren Sie einfach zu grossen Teilen die Dialoge, die in Videoclips beinahe immer stören. Mehr Herzblut gibt es aber selten, wortwörtlich.

PS: Das einst eingebettete Video «is no longer available», meint Youtube. Der Autor der Zeilen entschuldigt sich vielmals.

Das Album ist nicht tot

Benedikt Sartorius am Donnerstag den 26. Juni 2008

Die Zufallsfunktion im MP3-Player meiner Wahl erfreut mich: Neue Zusammenhänge zwischen den vorhandenen Liedern tauchen auf, Musik, die sträflich vernachlässigt wurde, beglückt das Ohr – oder es tauchen Peinlichkeiten aus längst vergessenen Zeiten auf.

Ausschnitt aus dem «Los Angeles»-CoverItem, der Shuffle-Modus ist nicht unschuldig, wenn in letzter Zeit über den Tod des Albums, des geschlossenen Werkes diskutiert wurde.

Dass das Album mitnichten tot ist, beweisen in diesem Jahr mindestens drei Platten: Da ist der sorgfältige editierte Pop von The Notwist auf dem wunderbaren «The Devil, You + Me», das epische «Third» von Portishead und jüngst auch ein Instrumental-Hiphop-Album von einem Produzenten namens Flying Lotus.

Auf «Los Angeles» (Warp/MV) fliessen die düsteren Stücke nahtlos ineinander über, das Auswählen und Anhören von einzelnen Nummern ist ein Tabu. Von «Musik, die man begreifen will, die einem aber wie Quecksilber durch die Finger rinnt», ist in der um Worte ringenden Fachpresse zu lesen.

Meine Worte sind nüchterner: Selten wurde in letzter Zeit die Lächerlichkeit eines Myspace-Links so drastisch vor Augen geführt wie im Falle von Flying Lotus.

Am Rande

Benedikt Sartorius am Samstag den 7. Juni 2008

Das Anticon-LogoZum Abschluss dieses Maulhelden-Spezialtages gehen wir an den Rand der Rapmusik. Die Rede ist vom in Kalifornien ansässigen Anticon-Label, das dieses Jahr sein zehnjähriges Jubliäum feiert. Das Label brachte Rapper wie Sage Francis oder Sole hervor und netzwerkte mit Teilen von The Notwist im Projekt 13 & God, dem Kanadier Buck 65 und anderen Labels wie Mush-Records, (dort sind heute die unvergleichlichen Curse Ov Dialect zu Hause). Kurz: Eine Art Elite der anderen Rapmusik.

Das Wort Anticon fiel mir zum ersten Mal bei der Veröffentlichung der cLOUDDEAD-Platte «Ten» auf, der Supergruppe von Anticon. Die Label-Mitbegründer Adam «Doseone» Drucker und Yoni «Why?» Wolf mitsamt dem Produzenten Odd Nosdam sind die Herren, die beinahe undurchdringliche Ambientcollagen schufen und diese mit Heliumstimmen und abstrakten Texten überlagerten. Ein abenteuerliches Unterfangen, das auf Ten, ihrer zweiten und leider auch letzten Platte, beinahe eingängig wurde.

Seither widmeten sich die einzelnen Mitgliedern ihren eigenen Projekten. Why? widmet sich eigentümlichen Liedern und vermengt multiinstrumentales Hippietum und Lo-Fi-MC-Rolle, süsse Psychedelik, drastische Raps und hängende Beats aufs wunderbarste.

Doseone ist Teil der Psycho-Rap Gruppe Subtle, die vielleicht am ehesten, wenn auch wesentlich dunkler, das Erbe von cLOUDDEAD verwaltet und eben ein neues Album veröffentlichten, während Odd Nosdam instrumentale Platten verfertigt.

Die legendären cLOUDDEAD finden Sie auf diesem Konzert-Video in Aktion und danken für Ihre Aufmerksamkeit:

Ich, der HipHop-Banause

Manuel Gnos am Samstag den 7. Juni 2008

Sage Francis. (Bild zvg)Als 1991 Public Enemy mit Anthrax, einer meiner absoluten Lieblingsbands aus den 80ern, kooperierte, interessierte mich das nicht sonderlich. Natürlich, an Partys hüpften wir ausgiebig zur sirenenähnlich heulenden Gitarre, den scheppernden Beats und zum schwarzen Sprechgesang. Doch mehr war da nicht.

Nachhaltiger beeinflusst haben mich dann allerdings die Beastie Boys. Zwar hatten auch die drei Jungs aus New York mit «Fight For Your Right» schon früh einen Song am Start, mit dem man jede Jugendhausdisco zum Kochen bringen konnte, doch insbesondere ihr hochintelligentes und musikalisch bereicherndes Album «Ill Communication» von 1994 tat es mir an.

Ein Jahr später, 1995, bin ich auf jene HipHop-Band gestossen, die mich als einzige über viele Jahre und Alben geprägt und begleitet hat. Am Paléo-Festival in Nyon durfte ein Lausanner Club zu seinem 10-Jahr-Jubiläum während zwei Tagen eine Nebenbühne mit einem eigenen Programm beschallen. Damals hörte ich die ersten Tackte von The Roots.

Ich war überwältigt! Und weil die drei Herren mit dem Minischlagzeug, der betörenden Orgel und mit dem fliessenden Sprechgesang gleich zwei Tage hintereinander auftreten durften, hat sich ihr Sound in meine Erinnerung gebrannt und bestimmt noch heute, was mich an HipHop überhaupt interessiert.

Seither haben es vereinzelt HipHop-Alben in meine Musiksammlung geschafft, doch sind meine Kenntnisse banausenhaft geblieben. Da waren Cypress Hill, das grossartige «Encore» von Eminem, vereinzelte Songs des Wu-Tang Clan und «Hammer» von Afrob (letzteres nur, weil ich über dan mal einen Artikel hätte schreiben sollen, was der werte «Bund»-Redaktor aber dann glücklicherweise vergass). Wahrlich nichts, womit ich angeben könnte.

Eine Entdeckung aber freut mich sehr: «Human The Death Dance» von Sage Francis. Auf diesem Album sind zwei meiner liebsten Songs des letzten Jahres zu finden:

Got Up This Morning
Good Fashion

Der Maskenrapper in der Cartoon-Band

Benedikt Sartorius am Samstag den 7. Juni 2008

Viel ist nicht bekannt über den Herrn, dessen Bühnennamen meist MF Doom ist und so mysteriös bleiben will, dass er sich hinter einer Maske versteckt. Diese Strategie treibt er so weit, dass MF Doom gemäss Wikipedia schlecht rappende Doubles zu Konzerten hinschickt, die die Lippen nicht eben präzise bewegen.

Was aber sicher ist: MF Doom bildet mit dem Produzenten Madlib das Projekt Madvillain und ist eine Hälfte von Danger Doom, seiner Kollaboration mit Brian Burton alias Danger Mouse. Der wiederum ist eine Hälfte von Gnarls Barkley, kreuzte die Beatles mit Jay-Z zum fabulösen Grey Album und widmet sich zur Zeit neben allerhand anderen Studioarbeiten dem neuen Album von Beck.

MF Doom und Danger Mouse trafen sich in Damon Albarns Cartoon-Band Gorillaz wieder, genauer, auf der Jahrzehnteplatte «Demon Days».

Der Maskenrapper droht zwar auf diesem Wunderalbum neben der Konkurrenz von De La Soul, Roots Manuva und aber auch dem Happy-Monday-Hooligan Shaun Ryder beinahe unterzugehen, doch in keinem Lied ist die Zweipoligkeit – hier die melancholischen Refrains von Popgott Albarn, dort der scheinbar monotone Sprechgesang – so schön ausgearbeitet wie in November Has Come.