Archiv für die Kategorie ‘Genossen’

Genossen №9: Kuno Lauener

Mirko Schwab am Mittwoch den 29. März 2017

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Kuno Lauener.

Lauener zum Interview vor den Eidgenossen.

Es ist Krise auf der Redaktion.

Kurznachricht vom Urs, dem notorischen Styler: «Rockboy, hab da ne Scherbe ausgegraben, dystopisch-postpostmodernes, windschief neo-existenzialistisches Fricklermeisterwerk, Doppel-10inch in einer Auflage von 66 Stück, am Abgrund von japanischem Wave und Afro-Trash über Samples nie veröffentlichter sowjetischer Propagandastreifen und so. Mach doch was drüber, mal wieder was für den lokalen Untergrund …» Jaja, hörs mir an. Dandy Fischer meint, ich gehe zu wenig ins Museum. Ob Theater auch wieder einmal Thema sei. Und ob ich überhaupt wisse, wie eine Galerie von innen aussieht. Stimmt, aber das Wetter. Vielleicht. Joa. Auch von oben herab ist nichts gutes zu erwarten. Frau Feuz, die selbsternannte Chefin, zitiert mich ins Büro. Dass Doppelspurigkeiten mit dem gedruckten Bund tunlichst zu vermeiden seien, Finger weg von Flückiger, Anliker, Lauener, den Jeans for Jesus neuerdings – dass die ins Feuilleton gehörten, in einer anderen Liga spielten. Champions League, Herr Schwab, oder emel mindestens Super League mit europäischen Ambitionen! Das Blog aber, das könne knapp Alternativliga-Niveau halten. Und das auch nur, weil man aus der Alternativliga nicht absteigen könne. Und dann: «Schwab, überlassen Sie das den echten Journalisten!»

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Genossen №8: Haiyti aka Robbery

Mirko Schwab am Donnerstag den 9. März 2017

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Haiyti, Underground Superstar.

Früher war es nur ein Spiel, jetzt ist es Realplay. Hayiti vor den Eidgenossen.

Das Fumoir riecht nach kaltem Rauch. Nach einem Gestern. Meinen Kaffee mag ich nicht recht austrinken, wozu denn wach bleiben? Und also ist auch die Tasse kalt und nichts ist los. Nicht am Billardtisch, die Kugeln starren sich an in einem ewigen Mexican-Standoff. Nicht an der Jukebox nebendran, der Musik fehlt das Münz und so schweigt sie. Die Aschenbecher sind leer wie die Bänke wie die Gläser wie die Blicke der Vereinzelten, die sich hier eingefunden haben. Sie haben ihr eigenes Gestern die Treppe hinaufgeschleppt, um ihm nachzuhangen. So wie ich.

Im Internet ist das anders.

Haiti. Hayti. H-A-I-T-H-Y. «Meinten Sie: Haiyiti?» Nach einem halben Jahr schüchterner Beobachtung – hab ab und zu verstohlen reingeklickt, wenn grad niemand herum war – brennt die Liebe jetzt heiss und öffentlich und ich kann ihren Namen richtig schreiben. Mit Haiyti kommt man gut durchs Leben. Es scheint, als habe sie sich meinen ganzen Schmerz aufgeladen. Als könne sie in Hauptsätzen erfassen, was sich mir in hypotaktischer Diffusie entzieht. Und bei alldem ist sie unantastbar, unzerstörbar, digital. Haiyiti ist Rapperin.

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Genossen №7: Bar der hohen toten Tiere

Mirko Schwab am Freitag den 30. Dezember 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Wie kann man sich nur so hart gönnen?

Der Türsteher von der Lügenpresse entscheidet, wer hier rein kommt.

Das Jahr gibt langsam den Geist auf und viele sagen, das sei besser so. Seltenwar die Erleichterung über den einigermassen konstruierten kalendarischen Reboot so gross wie heuer. Die politischen Probleme aber werden wir mitschleipfen, wahrscheinlich werden sie auch erst in den nächsten Jahren in ihrer gesamten gruseligen Grösse vor uns aufgehen. Und obendrein (oder darum?) wurde auch noch fleissig gestorben in den Reihen derer, die uns vor solcherlei Orientierungsverlust warnen würden oder wenigstens und in süsser Ablenkung eine bessere Zeit bescheren: die Künstlerinnen, die Künstler. Alles zum Kotzen? Ja, aber mit Stil gekotzt wird erst nach dem Fest.

Es ist schon fast dunkel, draussen und in mir. Ich weiss dann, wo ich hin muss. Höhe Zytglogge kommt mir George Michael entgegen. Er wirkt geknickt, wie eine von der Altjahrsbise erfasste Solarium-Sonnenblume und kämpft sich ein Lächeln ab, als hätte ich ihn um ein Autogramm gebeten. Hab ich aber nicht. Bin schon fast links eingebogen, beim Strassencoiffeur vorbei und stehe endlich unter dem himmlischen Licht der Cardinaltafel. Noch schnell Zigi mache ich ab mit mir. Ein grosser, dicker Schrank leiht mir Feuer – seit wann gibts Türsteher bei den Eidgenossen?

«Seit wann gibts Türsteher bei den Eidgenossen?»  Das sei nur heute so, er kenne den Laden gar nicht. Sei bloss angestellt, bisschen sortieren, wer rein darf, wer heim darf – Türstehen halt. Gerade vorher einen heimschicken müssen, schmieriger Typ, der «Jingle Bells» erfunden habe oder so. Das reiche natürlich nicht für einen Eintritt. Ich frage den Dicken, was denn los sei da drin und wer ihn hier hin-, meine angestellt hat. Und übrigens sei das meine Stammbar, meine Wohnung, nicht aufplustern, gell. Das lässt ihn natürlich kalt. Er sei von der Lügenpresse angeheuert worden. Die würden entscheiden, wer hier rein darf oder wer abblitzt. Und er besorge dann halt die Drecksarbeit mit der Liste. Und was da drin abgehe, sei geheim, da könne er nichts sagen, da könne er nichts machen, nein.

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Genossen №6: Eminem

Mirko Schwab am Mittwoch den 16. November 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Marshall Mathers battlet doch.

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Auch einer, der die 8 Meilen schon hinter sich hat, muss sich bei den 3 Eidgenossen noch beweisen.

Lueg, wenn du einen Schuss hättest
oder eine Gelegenheit, mit einem Moment alles zu greifen, was du je haben wolltest –
würdest du es packen oder alles schleifen lassen?

Ich sitze, wo ich immer sitze und trinke, was ich immer trinke. In dieser Beiz bleibt alles gleich, auch wenn die Welt sich übergibt. Die Europäische Union könnte auseinanderbrechen (dringendste Frage: Was passierte mit bereits gelösten Interrail-Pässen?), dieses Blog könnte eingestellt werden (dringendste Frage: wohin mit all dem Geld?) oder irgendein Oligarch zum mächtigsten Mann der Welt gewählt werden (dringendste Frage: … the fuck?) – die Stange im 3 Eidgenossen bliebe, was sie immer schon war, die Jukebox spielte, was sie immer schon tat und die Runde bespräche, was sie immer schon beschäftigte. Also Stadtpolitik.

Ursula «Willary» Wyss, Verkörperin der alten Ordnung, des netten rotgrünen Establishments? Die wutbürgerlichen Herausforderer? The Erich, abgetan als Clown und jetzt bereit zur grossen Machtübernahme, ganz in der Tradition weltweiter Nostalgiegelüste nach schlechtfrisierten Faschos? Wird der Mattenhof entscheiden als Swing-Quartier? Oder der Rüst-Belt – agglonahe, um den eigenen Mittelstand bangende Stadtteile, wo es noch Hausfrauen gibt, die die Küche alleine schmeissen müssen? Oder doch die Burger? Weil die immerhin noch wissen, wie man diese alte, knarrende Stadt regiert in liebgemeinter Aristokratie?

Und so hör ich mich etwas um und übersehe, wie dieser unscheinbare blasse Junge zur Tür hineintritt. Die hochgezogene Kapuze des mit reichlich Marge getragenen Pullovers wirft einen Schatten über sein Gesicht, das ich erst dann erkenne, als es schon vor mir aufgeht wie ein bleicher, freundlicher Supermond. Will er battlen? Und: Würde ich zupacken oder alles schleifen lassen?

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Genossen №5: Thom Yorke

Mirko Schwab am Mittwoch den 2. November 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Thom Yorke feiert die Schweizer Szene.

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Thom Yorke hört ausschliesslich Schweizer Popmusik, der kleine Dieb.

Unten ist voll. Und weil ich heute grad keinen Bock habe auf solche vollen Gespräche über die Lage der Nation, über Wahlen («die Österreicher, die machens halt schlechter») und den erlahmenden Wintertourismus («die Österreicher, die machens halt besser») ziehe ich mich ins Fumoir zurück. Das Fumoir bei den Eidgenossen ist das letzte Refugium in dieser plappernden Welt. Eine Oase für Herz, Kopf und Lunge. Den Billardtisch bespielt man konzentriert und also meist schweigend, die Jukebox an der Wand tut das übrige: übertönt Witz und Geistesblitz der Leute mit Hitz und Shitz von gestern und heute. Ich werfe eine Handvoll Münzen ein und streife durch die Auswahl. Bei «Campari Soda» von Taxi bleibe ich hängen und kehre zurück an mein Tischchen, wo mein Kaffee vor sich hinfriert. Der Ventilator summt leise.

Mitten im Saxophonsolo öffnet sich die Tür und einer setzt sich hin, ein schmächtiger Typ mit fädigem Haar. Aus blödem Reflex fingere ich in meiner Hosentasche etwas Kleingeld zusammen. Er zwinkert mir durch den Raum zu, ich starre leer zurück. Ein paar Minuten lang geht das so. Und als er immer noch zu zwinkern scheint, merke ich, dass es Thom Yorke sein muss, winke ihn zu mir herüber – Zeit für ein kleines Interview, Brudi, das packst du, ist ja nur einer der besten lebenden Songschreiber und nicht zu sehr aufs Auge starren.

Soll ich den Stecker der Jukebox ziehen? Ist immer so laut, das tötet ja jedes Gespräch …

Auf keinen Fall – I love this song! Weisst du, als ich meinen ersten Hit schrieb, habe ich dieses Lied zwanzigmal am Tag gehört. Es gibt sogar Leute, die behaupten, dass man das höre. Grosser Unfug natürlich, ein wahrer Künstler schöpft zunächst aus sich selbst. But I definitively love this Song. Und sowieso bin ich obsessed mit Musik aus der Schweiz.

Du hörst Schweizer Musik?

Eigentlich nur. Kennst du Gölä?

G …?

Kleiner Scherz, just joking, mate. Aber es gibt wirklich viel verdammt gute Künstler hier bei euch. In England und Amerika wollen eigentlich alle nur klingen wie Radiohead, but this is obviously not gonna work. Aber ihr habt eben nur ein shitty radio (SRF3, Behauptung der Red.), so you are using your own heads – get it?

Joa. Weil wir die gute internationale Popmusik nicht kennen (Radio zum Glück!), machen wir halt eigene. Aber die Isländer, Österreicher, Schweden, die machen Pop aus Kleinstaaten im Grossformat. Aber wir?

Ach, weiss du was: die Isländer haben ja wohl vor allem Björk, die geht mir auf den Sack. Aus Österreich ists mir immer ein bisschen zu funky und die Schweden leiden am «ABBA-Gen». Sooner or later klingt jeder Song nach ABBA, spätestens im Refrain wollen die nen Gassenhauer schreiben, aber das haut nicht hin. Nein, trust me, to swiss pop music belongs the future.

Wenn du meinst. Dann mach mal ne kleine Thom Yorke’s Finest-Playlist für einen Tag, damit sich unsere Leserschaft was darunter vorstellen kann.

Okay, ich stehe früh auf und mach Kaffee, manchmal rufe ich einen alten Freund an und frage, was ihn gerade bewegt im Leben, zupfe was aus der Gitarre, wenns ihm gut geht oder schlecht, alles Gute wünsch ich ihm. Und les Zeitung, Europa im Taumel, wann hat eigentlich alles angefangen, so schief zu laufen? Sollten wir besser den Laden dicht machen und aufbrechen zu neuen Planeten, zum Mars? Is this the modern age? Das macht mich trüb. Und so sehe ich nach meiner Frau und tanze mit ihr durchs Wohnzimmer, sage ihr, dass ich sie liebe, mehr als sonst jemanden. Ich muss bald los, Dämmerung, als läge die Stadt unter einem violetten Trichter, ich irre durch die Strassen. Als ich ankomme, hängt schon der Mond und ich lass mich ein auf diesen Tanz mit Fremden, die grosse Flucht. Something like that?

Nice. Vielen Dank für die Empfehlungen. So klingt das also in der Schweiz.

(Wir geben uns noch ein paarmal «Campari Soda» und schliesslich gesteht er, dass er die Harmonien wirklich geklaut hat. Ein feiner Herr.)

Genossen №4: Falco

Mirko Schwab am Mittwoch den 26. Oktober 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Falco hilft.

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Falco: der erste weisse Rapper, der letzte schwarze Magier?

Du graue Stadt. Deine Sandsteinmauern graben sich ins Gemüt. So, wie sie sich in deine Pflastersteingassen graben, in müder Rücklage und innerlich absackend. Ich kann jeden verstehen, der sich in eine sonnige türkische Hafenstadt fortträumt. Auch wenn es die Ex-Freundin ist, auf der Suche nach besseren Zeiten. Im kalten Kaffee spiegelt sich meine trübe Feige, als wollte mir selbst die Tasse bedeuten, dass da nicht viel mehr ist als Selbstmitleid. Schau dich an oder trink mich aus, aber bitter ist es eh.

«Gspritzt.» Ich hebe den Blick und sehe schwarze Lackschuhe, einen schwarzen Mantel und schwarzes, streng frisiertes Haupthaar, das mit den Schuhen um die Wette glänzt. Den Weisswein hält er in der Hand und dreht sich um. Mit dem Rücken zum Tresen schaut er in meine Richtung, deutlich über mich hinweg aber und grinst. Über mir ist der grosse Spiegel aufgehängt. Und als ich realisiere, dass auch er sein eigenes Spiegelbild mustert, dass, egal wie hoch oder tief der Kopf, er sich spiegeln will irgendwodrin, da muss ich lächeln, da muss ich den Bemantelten anlächeln, ein Gruss unter Narzissten. Er schaut mich an, erwidert den Wink und tritt an meinen Tisch. «My name is Falco und du siehst aus, als solltest du etwas anderes trinken als Kaffee.» Er sagt das mit ruhiger, warmer Stimme, als müsste er mir den Weg zeigen, raus aus dem Wald, out of the dark ins Licht. «Eigentlich müssig, den Spiegel an die Wand zu hängen, wenn man ihn auch flach vor sich auf dem Tisch haben kann.» Das schneeweisse Grinsen. Er schnippst nach der Barfrau und verschwindet auf der Toilette. Ich nehme den teuren Whiskey entgegen und bedanke mich verdutzt. Einen Schluck später sitzt er wieder da. «Die Frauen, nicht?» Ich nicke. Sie seien gefährlich sagt er, alle, alle ausser seiner Mutter natürlich. Er setzt an zu einem Monolog um ein seltsames Frauenbild, einer in sich unlogischen, aber rhetorisch brillant vorgetragenen Unterscheidung zwischen Mütter und Frauen und Töchter und Girls, ich hänge ab. Er hat eigentlich eine recht grosse Nase, dieser Falco. Das Geplapper fädelt aus, vielleicht, weil ich etwas fest auf seine Nase starre. Wir schweigen uns kurz aus, dann verschwindet er wieder und als er zurückkehrt, erliege ich der Versuchung schon wieder, glotze seine Nase an. Was für eine Nase! Sie ist doch noch grösser als zuvor und er trägt weiter vor, als wär ich ganz Ohr. Aber er ist ganz Nase. Meine Güte, diese Nase. Toilette. Die Dinge in der Bar verschwimmen. Toilette. Wo ist sein Gesicht hin, da ist nur noch Nase, Nase allenthalben. Toilette. Ich schlage die Augen auf, wo ist die Bar? Wo ist mein Glas? Eine riesige Nase gluckst vor sich hin, laut und ordinär. Wo ist er hin? Ein riesiger Nasenflügel, ein riesiges Nasenloch. Ich muss ihn finden, denke ich in meinem Wahn und klettere in das Nasenloch hinein.

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Genossen №3: Lenin

Mirko Schwab am Freitag den 14. Oktober 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Lenin kollektiviert.

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Das Erinnerungsfoto. Lenin bevorzugt Schwarzweiss, wegen des Teints und überhaupt finde er dieses Technicolor-Zeugs «imperialistischen Hippie-Kram.» Die Aufforderung, sich ganz natürlich zu geben, quittiert er mit der abgebildeten Pose.

Draussen Nieselregen, drinnen reges Niesen. Eine verschnupfte Bar sitzt über ihrem Tee-Rum und lüpft sich die Laune mit Gesprächen über die Young Boys oder den Islamischen Staat. Mein Kaffee ist erkaltet und als ich so bei mir über die metaphorische Bedeutung kalten Kaffees nachdenke, platzt er herein mit einem türaufreisserischen Knall. Lenin. The boy is back in town.

Etwas inszeniert und als hätte er sich schon beim Velo-Anketten darauf gefreut, durchschneidet er die Bar mit strammem Schritt. Den Blick hält er hoch, sodass der Spitzbart immer waagrecht zum Boden nach vorne weist. Vorwärts! In die Zukunft! Zur Toilette. Bei den Eidgenossen bricht sich solcherlei geckenhaftes Gebaren eben schnell am bodenständigen Spuntenalltag, am Ende der Stube ist nichts anderes als das Scheisshaus. Der alte Haudegen aber macht kehrt, fräst noch einmal durch den Raum und verschwindet nach dem Fumoir in der oberen Etage. Einer mit Mission, denke ich, und noch ehe ich mich mit dem Spuderschluck anfreunden kann, baut er sich schon wieder im Parterre auf. Fertig Visite, er klettert auf einen Tisch und holt aus: «Genossen! Ich habe mich umgesehen und muss euch befreien! Hört mich an: Nur die Oberen dürfen rauchen, Billard spielen und ihre eigene Musik! Ihr aber, ihr lasst euch knechten auf dem Niveau der Gosse! Und die Grundbesitzer machen euch taub und tumb mit dem Alkohol, den sie euch auch noch verkaufen!» Oha.

Der Applaus bleibt aus und einer murmelt, der Alte solle die Milch mal ein wenig runtergeben. Sichtlich irritiert steigt Lenin wieder herab von seiner provisorischen Bühne, der Spitzbart zeigt jetzt auf die Brust. Da, wo es einen schmerzt, wenn keine Sau zuhört. Und wohl weil ich als einziger der Showeinlage ein bisschen Beachtung gewidmet habe, setzt er sich zu mir. Natürlich bitte ich ihn um ein Interview. Er schüttelt den Kopf und sagt, er stelle die Fragen. Wie ich also heisse, aha Mirko, aber nein, ich sei nicht slavischer Abstammung, Modename halt. Nein, mein Vater und auch mein Grossvater hätten auch nicht so geheissen.

In welcher Fabrik arbeitest du, Miroslav?

Fabrik?! Ich schreibe für «KulturStattBern», ein Blog (wie soll ich ihm das bloss andrehen?) ein Organ zur Aufkärung des Volkes, jawohl.

Wieviel verdienst du, Miroslav?

In der Schweiz reden wir nicht über Geld … Ja gut, es ist nicht sehr viel – aber es macht Spass. Und ist es nicht das, was zählt, Vladi?

Nein. Und nenn mich nicht Vladi. Wieviel verdient dein Chef?

Es gibt zwei. Frau Feuz, also die verdient nicht mehr als ich. (Sozialistisches High-Five?) Und oben im Verlag, in Zürich, da verdienen sie schon mehr, haben aber auch mehr Stress und so. Wegen Clickbaiting und so. Und wieso darf ich dich eigentlich nicht Vladi nennen – du heisst ja gar nicht wirklich Lenin, Mr. Владимир Ильич Ульянов! Wieso nennst du dich überhaupt Lenin?

Weisst du wie Falco eigentlich heisst? Johann Hölzel. Also. Ich muss jetzt weiter, muss mir diesen Tamawda-Verlag ansehen. Rechne mit der Befreiung, Miroslav! Aus den lodernden Flammen wird ein neuen Haus entstehen, ein Verlag der Arbeiter, des Volkes! Und diese Frau Feuz, die nehm ich gleich mit. Macht ihr doch heute so, dass Frauen auch Politik machen dürfen, oder?

Ja.

Geilo.

Genossen №2: Sophie Hunger

Mirko Schwab am Freitag den 23. September 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Sophie Hunger lädt alle ein.

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Der ganzen Scheisse zweidrei graziöse Schritte voraus: Sophie Hunger.

Das Wetter. Sometimes it’s bad, sometimes it’s better und manchmal hagelt es Scheisse. Sophie Hunger tritt zur Tür ein, stabil klassisch, anmutig, eine kindliche Neugier in den wachen Augen, da prasselt der Shitstorm mit voller Wucht und aus heiterem Himmel auf die Bsetzisteine der Rathausgasse herab. Tausend aufgeplatzte Haufen. Einige Touristen machen angewidert Fotos aus Reflex und Bern Tourismus wird sich am späteren Nachmittag per Twitter einschalten, das habe eben mit dem authentischen UNESCO-Mittelaltererlebnis zu tun, all die Kacke auf den Gassen.

Aber ihr macht das nichts aus, sie dreht sich nicht einmal um. Stattdessen steht sie plötzlich vor mir. Ich lege lässig meinen Nietzsche zur Seite und lächle sie an. Ich leere nachlässig meinen kalten Kaffee über den aufgeschlagenen Bernerbär und merke, dass der immerhin saugt, wahrscheinlich, weil nichts drin steht, und lächle gequält. Sie hat Taschentuch und wir kommen ins Gespräch.

Du hast vor etwa einer Woche den hochdotierten Schweizer Musikpreis gewonnen, darob waren nicht alle glücklich. Am lautesten die Unglücklichen. Wie fühlt es sich an, im Shitstorm zu wandern?

Selstam. Vor allem, dass sich so viele Menschen dazu eine Meinung leisten. Ich immerhin könnte das jetzt, mit hundert Kisten im Rücken. Läuft bei mir. Aber bei denen?

Du spielst auf Lautsprecher wie Chris von Rohr oder Polo Hofer an.

Wer soll das sein?

Berechtigte Frage. Was hast du jetzt vor mit all dem Geld?

(Nachdenklich.) Ich kann jetzt endlich machen, was ich will. All die Jahre Kammerpop, all die wohltemperierten Arrangements und doppelbödigen Texte, Jazzfestivals … Ich hab die Nase voll von diesem Kulturbürgerzeug. Mein Publikum könnte meine Eltern sein. Wobei, dein Publikum ist ja immer irgendwie die Mutter des Erfolgs ..

… du schweifst ab.

Wie gesagt mach ich jetzt nur noch, was ich wirklich will. Ein Trap-Album etwa. Das liegt mir schon lange am Herzen. Ich brauche noch einen neuen Namen fürs Projekt, «$$$ophie» fänd ich ganz geil oder «Diplomatentochta». (Beginnt zu singen im Stil zeitgenössischen Raps.) «100K in der Tasche-e – zünde mir Joint mit Geldschein an, ah – Und Du frisst immer noch Spaghetti mit Spinat, Digga.»

Aha. Fairerweise muss man sagen: Viele MusikerIinnen haben sich auch schützend hinter dich – oder vor dich? Keine Ahnung … Jedenfalls war da auch Solidarität herum.

Korrekt.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Ob wir einen saufen sollen. Sie bestellt sich Büffelgras-Vodka. «EY, WER WILL EINEN SAUFEN?» Dann steht sie auf den Tisch und lädt die Bar ein, nein, kauft die Bar, lässt einen Giacometti Trinkgeld liegen, «eine Promille, wenn du weisst was ich meine» und verschwindet. Ich schaue ihr nach. Als sie um die Ecke biegt, höre ich die Kacke rhythmisch prasseln.

Genossen №1: Ozzy Osbourne

Mirko Schwab am Dienstag den 13. September 2016

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Ozzy Osbourne bestellt ein Gazosa.

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Noch schnell eine Zig für Ozzy Zig? Der Fürst der Finsternis in flagranti.

Ich überwinde mich gerade zum letzten abgekalteten Schluck Kaffee, als er hereinhumpelt. Die Sonnenbrille sitzt und der Stammtisch bleibt sitzen. Ich scheine der einzige zu sein, der ihn bemerkt hat – das Gespräch am Nebentisch plätschert weiter: Dass Hene Pech habe mit dem Leben, schwarzer Samstag halt, lachenhusten und jetzt noch der vom Betreibungsamt. Ozzy indes muss wohl auf Toilette. Er streift auf geradem Weg durch die Stube und fädelt rechts ein nach dem Herrenklo.

Zeit zu überlegen, wie ich mit dem Fürst der Finsternis ins Gespräch treten soll. Übungshalber forme ich mit den Fingern eine gehörnte Hand und schlage die Zunge zwischen den Zahnreihen diabolisch auf und ab. Oder ich könnte mich ein bisschen an einem Haustier vergehen und ihm einen niedlichen, blutigen Tierkopf als Opfer bereiten? Der einzige Hund im Raum ist dann doch etwas stämmig für solcherlei. Oder lieber einen ausgeben? Hey Ozz’, Bloody Mary, Thema? Und dann ansetzen zum grossen Interview, Bloggeschichte schreiben. Ich im Hoch und er lässt tief blicken. Und die Leute so: «Schon gehört, dieser Schwab, hat mit dem Sänger von Iron Maiden …»

Spülung, Ächzen. Bleich und gemütlich mischt er sich wieder in die Szenerie. Noch dreivier Schritte, Herzklopfen, Schweisstropfen … Ich nuschle «Tschou du», aber er zieht an mir vorbei und hängt sich an den Tresen. Den auffordernd-gelangweilten Blick der Bedienung erwidert er mit einem geschrienen «Lemonade!» Dann packt er die Glasflasche untern Arm und schiebt sich Richtung Ausgang. Dass er auch später zahlen könne, das hat er wohl nicht mehr gehört und ein kalter Friedhofswind weht noch durch die Bar.