Archiv für die Kategorie ‘Elektronisches’

Berner Wolke

Mirko Schwab am Freitag den 7. Oktober 2016

Neue Langsamkeit. Nicht, dass den Bewohnern dieser Stadt das Stigma der Behäbigkeit schon genug schlechte Witze bescheren würde. Aber zum Glück ist das jetzt cool so wie «cool» schon seit mindestens hundertzwanzig Jahren nicht mehr und Bern die Haupstadt des Cloud Rap.

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Die Berner Yangboy$.

Träge Beats in verspultem Synthiegewebe, Stimme keta-tief oder zum Schlumpf geshiftet, assoziative Texte über das Nichtstun, über miese Drogen nehmen oder vom Freshersein als du. Die Spielarten einer globalen Jugendkultur geistern durch die Stadt. Angefangen hat das alles natürlich anderswo, sagt mein Mitbewohner, der den Hustensaft zwar vorzugsweise wirklich zur Bekämpfung chronischen Winterkränkelns trinkt, sich sonst aber sehr gut auskennt mit solchen Dingen. Amerika oder Schweden also. Von A$AP Rocky und Yung Lean erzählt er mir, wie ein violetter Virus verbreitet sich der Stil in ganz Europa, schliesslich auch im deutschsprachigen Raum. Yung Hurn und Hustensaft Jüngling werden auf den Handys herumgereicht, über Videos und soziale Medien wächst 1 eigene Jugendsprache heran, 1 eigene Ästhetik zwischen Kunsthochschule und Arbeitsamt.

In Bern beginnt die Sache mit einem Rätsel. Wer ist dieser Jungä 6ex God? Mit persiflierten Chauvi-Texten und einem Sack über dem Kopf stolpert er zum Jahresanfang durch die nachttote Stadt. Da will mitgeraten werden. Ein Outing ist nicht zu erwarten, überhaupt ist es seit März still um den Sechsecksgott (?) – was in diesem Genre einer halben Ewigkeit gleichkommt. Unangekündigt und mit hoher Frequenz raushauen gehört zum Stil. Also übernehmen andere: Das Duo Yangboy$, Bern West, stellt in gut zwei Monaten vier Videos ins Netz. Der dritte Streich «Weni Zit Ha» wird zum verspäteten Sommerhit, Yangboy$ für die Altweibertage, wir haben berichtet. Und auch hier wird nicht gespart mit lahmen Lines, die ihre Attraktivität gerade aus dem Konflikt mit einem in der traditionellen Rapszene hochgehaltenen Wertsystem von Skills und Realness beziehen. Whack ist eben geil und scheisse zu gleicher Zeit.

Hinter den Yangboy$ steckt das Kollektiv Darksome Productions, eine Schummerküche für solcherlei audiovisuelle Experimente. Als Donnie Darksome veröffentlicht die bärtige Hälfte der Yangboy$ die EP «Waud». Und der Name ist Konzept, auf acht Tracks wird mit Trance-Ästhetik und Feldaufnahmen verschiedenen Waldfantasien nachgegangen. Wenn Darksome als autogetunter Countertenor den Wald besingt als idyllischen, usrpünglichen Zufluchtsort ohne Netz und Natel – es ist insofern auch ironisch, weil die Subkultur des Cloud Rap nur über Netz und Natel funktionieren kann.

Natürlich mischt sich die Erscheinung mehr und mehr unter die Arrivierten. Dank Jeans For Jesus’ «Dyanmit» können wir erahnen, wie Mani Matter geklungen hätte als Youtube-Phänomen. Und so wird uns die Sache mit dem Cloud Rap noch einige bizarre Überraschungen bereithalten, bevor sie verschluckt wird von der Musikindustrie und so den Tod jeder (erfolgreichen) Subkultur sterben muss. Aber Bern war wiedermal kurz Hauptstadt.

The Guilty-Goa-Pleasure

Christian Zellweger am Donnerstag den 6. Oktober 2016

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Der Techno-Schamane Piet Jan Blauw scheint aus der Zeit gefallen. Abenteurliche Neon-Konstruktionen sind seine Spezialität und auch im Bad Bonn am Mittwoch hat er ein leuchtendes Monster aufgebaut. Daneben steht Julian Sartorius’ präpariertes Schlagzeug, der dritte im Bunde ist Bruno Spoerri, dessen Set-up aus Laptop und Saxophon auf den ersten Blick geradezu spartanisch aussieht.

Wenn die drei zum ersten mal überhaupt gemeinsam auf der Bühne stehen, kommt es schon auch vor, dass Blauw mal eben alles mit seinen Goa-Trance-Bässen und Lichtschwert-gesteuerten Synthies zuballert. Bei Spoerri und Sartorius provoziert das dann ein frustiertes Grinsen. Spass macht es aber trotzdem.

Wirklich interessant aber wirds in den subtileren Momenten. Wenn Spoerri seine Samples im Laptop mit weissen Handschuhen und der Computerkamera oder auch mal einem bewegunssensitiven Ball dirigiert etwa und Sartorius darauf reagieren kann.

Insgesamt ein schöner und kaum enden wollender Abend, irgendwo zwischen Guilty-Goa-Pleasure und richtig guten Improvisations-Momenten.

DJ-Namen gesucht!

Gisela Feuz am Donnerstag den 29. September 2016

Am Samstag startet die Dampfzentrale mit dem «Klinker Klub» in die neue Club-Saison, wobei gemäss eigenen Aussagen ordentlich geklotzt wird, was das Line-Up anbelangt. Da wäre zum einen Hauptprotagonist ASOK, der Brücken zwischen House, Techno und Rave schlägt und dabei mit einem Fuss tief in den britischen 90ern verankert ist. (Agenda-Notiz: «Human Traffic» mal wieder schauen). Des Weitern wird ein Herr aus der Romandie namens TISSU mittun, dessen musikalische Erzeugnisse mittlerweile beim einschlägig bekannten englischen Label Lobster Theremin herauskommen.

ASOK, TISSU …. warum klingen die Namen elektronischer Soundbastler heute eigentlich alle wie Abkürzungen von Sparkassen oder Versicherungen?! Wo und wann genau sind Kreativität und Fantasie auf der Strecke geblieben? Nun, die unprofessionell kurze Netz-Recherche ergibt: DJs scheinen bei der Namenswahl oft nicht gerade von geistreicher Kreativität erschlagen worden zu sein. Immerhin hat «DJ Spinladen» dann doch für einen Lacher gesorgt, ansonsten lassen sich viele «lustige» DJ-Namen finden, welche sich auf primäre Geschlechtsteile *gähn* oder die Aktivitäten, welche damit vollzogen werden *gääääähn*, beziehen. Abhilfe verspricht hier ein DJ-Namen-Generator. Wobei: «Whining Neptune»?! Echt jetzt? Sie können das besser, werte Leserschaft, nicht?!

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KSB verlost Tickets für den Klinker Klub #18 am Samstag 1. Oktober in der Dampfzentrale mit den Herren ASOK, TISSU und Till/Tape. Welche lustigen oder abstrusen DJ-Namen bringen sie zustande oder sind Ihnen schon untergekommen, werte Damen und Herren? Für die Wettbewerbsteilnahme diese einfach in die Kommentare eintragen. Teilnahmeschluss ist Samstag 12 Uhr.

«Es musste etwas passieren»

Christian Zellweger am Freitag den 23. September 2016

Es tut sich was in Bern. Kürzlich haben sich die Popmusiker im Verein «Musikförderung Bern» zusammengeschlossen, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie bleiben nicht alleine. Auch die Akteure, welche sich Experimenten oder der Neuen Musik widmen, haben einen Verein: «pakt».

Der Verein wurde zwar schon Ende Dezember vorgestellt, hat jetzt aber kürzlich mit einer Facebook-Seite und einer ziemlich hübschen und informativen Webseite nochmals eine Kommunikationsoffensive lanciert.

Darum sagt hier Barbara Balba Weber vom «basisdemokratisch funktionierenden Verein mit einem Vorstand ohne Präsidium», was der Verein will und warum es ihn braucht:
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Wer hat diesen «Pakt» geschlossen?
Ausgegangen ist es von einer kleinen Gruppe, die ums Überleben kämpfte. Daraus wurden dann immer mehr. Mittlerweile haben sich 50 Akteure der neuen und experimentellen Musik zusammen geschlossen. Ziel ist eine Verdoppelung im 2017 und dann nochmals eine im 2018.

Wie ist es dazu gekommen?
Es musste einfach etwas passieren. Die Finanzierung der experimentellen Musik hatte sich innerhalb von 10 Jahren halbiert, die Szene war zerstritten. Das wollten wir ändern.

Warum braucht es diesen Verein?
Wir brauchen Zusammenhalt gegen innen und Präsenz gegen aussen. Das geht nur gemeinsam.

Was sind eure Hautpziele?
Gegen aussen: Eine Plattform zu bieten für eine ganze (bisher marginalisierte) Musiksparte, Kommunikation, Vermittlung, kulturpolitische Präsenz, Vernetzung mit der Gesellschaft; Gegen innen: Vernetzung, fachlicher Austausch und gegenseitige Unterstützung.

Wie steht es eigentlich um die Neue und experimentelle Musik in Bern?
Im Vergleich zu anderen Städten sind die Sparten vollständig unterfinanziert. Aber ebenfalls im Vergleich zu anderen Städten: Es gibt in Bern ein riesengrosses Potenzial an innovativen Leuten in der freien Szene. Viele spannende Junge, Elektroniker/innen, Performer/innen, etc.

Experimentelle Musik gibt es zum Beispiel am Samstag an der Uni Bern mit Collisions – of Music, Physics and Video-Art. Und am 8. Dezember findet im Sternensaal in Bümpliz der erste gemeinsame Event aller pakt-Akteure statt: Das «Neue Musik Battle».

«Ids Weyerli ga tschille»

Milena Krstic am Donnerstag den 22. September 2016

So als letzten Sommergruss hinterlasse ich hier nun dieses Video von den Yangboy$ aus dem Hause Darksome Production Collective, einer verheissungsvollen Stätte realer Beats, irgendwo im Westen von Bern.

Also mir gehts wie
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Ds Weyerli in HD: Clip ab.

Drones not Drones

Christian Zellweger am Samstag den 17. September 2016

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Zu spät gekommen, dafür früher gegangen: Über die Auftritte von s s s s und Driftmachine an der Langen Nacht der elektronischen Musik in der Dampfzentrale gestern müssen andere berichten.

Aber wie wars bei Ellen Fullman und ihrem selbst erfundenen «long string instrument»? Die Konstruktion ist eindrücklich: Dünnen Saiten ziehen sich durch den ganzen Raum, an beiden Enden zwei Holzgestelle, beschwert mit Sandsäcken. Zwischen den String-Bündeln marschiert die Musikerin hin und her, orientiert sich an Markern am Boden. Unterstützt wird sie von einer Cello-Spielerin und einem Computer. lndem1So richtig zünden will das nicht, jedenfalls zu Beginn. Zu fein sind die Klänge, verlieren sich zwischen zerspringenden Biergläsern und murmelnden Besuchern. Später wirds lauter, am Boden sitzend mit geschlossenen Augen lässt es sich in den aufkeimenden Drones schwelgen. Doch das Gefühl bleibt: Lauter wär das alles noch viel besser.

Tisch in Flammen

Mirko Schwab am Samstag den 27. August 2016

«Lebenselektronik» nennt das Bern-Luzerner Doppel Kreuzer&Brequenzer seine Kompositionen. Die Umkehrvorstellung ist durchaus makaber. Und auch zutreffend.

Zwischen Tod und Leben ist ein Tisch.

Zwischen Tod und Leben ist ein Tisch.

Schon ist die Leinwand aufgespannt für die zwei Herren: Gebuckelt hocken sie über ihrer Auslage, einem sortiert-chaotischen Wühltisch, der ikonischen Wert hat für dieses musikalische Konzept der Schlaufe. Auf der ganzen Welt stehen solche Tische, auf denen der Laie höchstens ein verkabeltes Genusch erkennt und der Kenner eine Handschrift. Weil jeder Kabelsalat ist anders.

Leben und Tod also und dazwischen ein Tisch. Und die Lebenselektronik ist hörbar auf der neuen, heute Abend aus der Taufe zu hebenden Sammlung «Stonethrow&Stoneplant». Auf vierzehn Stücken dominiert der technoide Imperativ, der mit wenigen Ausnahmen die mal verträumten und bald veralbträumten Skizzen grundiert. Die Lebendigkeit liegt in der gescheiten, langsam mäandrierenden Repetition über die verlässliche Basstrommel. Denn wenn die fiepsenden, flimmernden Kleinstmotive durchs Frequenzspektrum flackern, will die Restgelenkigkeit von uns Kindern der Dienstleistungsgesellschaft eben ausprobiert sein.

Aber der Tod ist nicht weit auf dieser aberwitzigen Frickelfahrt, er lauert gewissermassen auf die Verschnaufpausen der Drummaschine. Plötzlich kreischts und sägts und quietschs, als stünde nämlicher unser schöner Technotisch in Flammen, in erbarmungsloser Verzerrung und Rückkoppelung verglühend. Diese schrecklicksten Momente der ganzen Platte sind zugleich auch die schönsten. Sie lassen dem dialogischen Gezünsel freien Lauf, entfesselt und wild. Und witzig. Hie und da muss den beiden wohl der Schalk aufblitzen in den Augen, wenn das Gewitter unvermittelt angehalten wird und gleich wieder vom Zaun gebrochen – nur, um dem letzten verständigen Viervierteltänzer einen Knoten ins Bein zu mechen.

Kreuzer&Brequenzer taufen «Stonethrow&Stoneplant» heutnacht und zwar in der Kegelbahn zu Luzern. In Bern dann am 9. September, Solstage, Schütz. Dringende Hingehempfehlung.

#BernNotBrooklyn (2)

Mirko Schwab am Sonntag den 21. August 2016

Bern ist zwar nicht Brooklyn, aber hey, auch in der Hauptstadt ist mächtig was los.

Photo: Jasmin Christen

Photo: Jasmin Christen

Tags darauf am Sonntagsschwof.

Erlebten Sie eine wilde Nacht einen brooklynesken Sonntag in Bern und haben per Zufall ein passendes Föteli dazu? Dann posten Sie es auf einer digitalen Plattform unter dem Hashtag #BernNotBrooklyn. KSB wählt unter den Fotos das leckerste aus und veröffentlicht es (manchmal) pünktlich zum Katerfrühstück zur Abenddämmerung.

#BernNotBrooklyn

Roland Fischer am Sonntag den 21. August 2016

Bern ist zwar nicht Brooklyn, aber hey, auch in der Hauptstadt ist mächtig was los.

les digitales

Regen? Fertig Sommer? Ach was, Plachen spannen und weitermachen. Geht noch gut, geht noch lang. Im Boga wurde gestern jedenfalls locker in die Nacht getanzt, an den Digitales. Und von oben frickelte und prasselte es immer mal wieder gemütlich in die Bässe hinein.

Erlebten Sie eine wilde Nacht in Bern und haben per Zufall ein passendes Föteli dazu? Dann posten Sie es auf einer digitalen Plattform unter dem Hashtag #BernNotBrooklyn. KSB wählt unter den Fotos das leckerste aus und veröffentlicht es (manchmal) pünktlich zum Katerfrühstück.

Lerns anders

Mirko Schwab am Donnerstag den 18. August 2016

Zwei Takte den Atem anhalten, Gitarre rein, Drop. Über den betörenden Rave-Pop der Zürcher Formation Len Sander.

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Len Sander: Direktheit auf Distanz.

Die Grosse Halle ist ein traditionell problematischer Ort für Konzerte. Das grosse Hallen ist ein traditionelles Problem solcher Hallen. Das chronisch zu wenige Publikum verirrt, wie verbrösmelt im gefrässigen, finsteren Schlund, auf der Suche nach dem süssen Quadratmeter, der etwas Orientierung in der Soundsuppe verspricht. Aber anders diese Tage. Die Enthusiastinnen und Enthusiasten vom UNA-Festival haben mit viel baulichem Geschick Struktur in die öde Weite gezimmert und eine trotzdem grosszügige Konzertbühne darin eingebettet. Darauf hat sich das Zürcher Quintett Len Sander eingerichtet und den Mittwochabend verneint.

Dem Szene-Lamento nämlich, die Wochenenden würden zusehends der Ein-Mensch-Digitalisierung überlassen, die die wahren Handwerker der Popmusik an die Wochenperipherie drängten, lakonisch in die Werktage zurückweisen würden, diesem Gemurr trotzt die Gruppe Len Sander, wissend, dass der Samstagabend bereit ist für sie. Es ist dieser stolze Trotz, der sie von musikalisch ähnlich gelagerten Projekten, Acts oder gar Schall gewordenen Selfies unterscheidet.

Trotz, die verspielte Elektro-Futuristik, die manipulativen Sägezahnbässe und die scharf geschossenen Beats auf zehn Hände und Füsse zu verteilen. Trotz, einen Karrenvoll Sachen mühsam mitzuschleppen für jedes Konzert. Trotz,  die von den Projekten, Acts und Schall gewordenen Selfies gedumpten Gagen zu dividieren in fünf mal nichts. Und der Einsatz lohnt. Ökonomische Prinzipien klingen zum Glück auch heute noch schlechter als Verschwendung.

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