Archiv für die Kategorie ‘Elektronisches’

Durch den Tunnel mit Utalo Fields

Milena Krstic am Donnerstag den 19. Februar 2015

Vor zwei Jahren ist er mir das erste Mal aufgefallen, der junge Berner Lukas Allemann aka Utalo Fields, und zwar im Rahmen des Newcomerfestivals Shit & Schein.

Das neuste, von Allemann selbst orchestrierte Video, zeigt: Irgendwo in den Gefilden des Blues hat er sich vergraben, experimentell ist er geblieben und gibt dem Saxophon (Lorenz Widmer) die Chance, sich ausserhalb des Jazz und des Kuschelrocks zu beweisen. Lyrisch der Text und verhallt Allemanns Stimme … Schreiten wir also gemeinsam durch den Tunnel  des untergründig stattfindenden Berner Musikschaffens. Werden wir das Licht am Ende jemals erreichen?

Check it out:

Wer hat noch nicht?

Gisela Feuz am Donnerstag den 12. Februar 2015

radio RaBe * RaBe Fest 2015  * das berner kulturradio __ auf 95.6 MHz, im kabel und live im webUngleich dem von Frau Hucko gestern angesprochenen Gurten-Phänomen («wer will noch mal?»), hat sich Berns Kulturradio RaBe für seine zweitägige Geburtstagssause eine ganz andere Prämisse auferlegt, die da lautet: «Wer hat noch nicht?» Am RaBe-Fest darf jede Band nur einmal spielen, was allerdings auf die Dauer auch gewisse buchungstechnische Schwierigkeiten mit sich bringt. Jedenfalls freut sich Mitorganisator, Musikredaktor und gute RaBe-Seele Tinu Schneider gemäss eigenen Aussagen schon auf die Ausgabe von 2016, weil dann das 20-Jährige gefeiert werde, wobei die Rabe-Fest-Highlights noch mal ran dürften und somit die mühselige Sucherei nach Ersttätern für einmal wegfallen werde.

Bevor es so weit ist, geht nun aber am 6. und 7. März erst mal die 19. Ausgabe der alljährlichen RaBe-Sause in der Reitschule über die Bühne, wobei von Dub über Ska, House, Electro bis hin zu Hardcore so ziemlich alles geboten wird, was das feierwütige Herz und die trinkfeste Leber begehren. Mit von der Partie sind:

Am Freitag 6. März
Asian Dub Foundation Soundsystem
Open Season Soundsystem
Friskit
Stan or Itchy
Überyou

Am Samstag 7. März
DJ Woody
Kraak & Smaak
Emely & Scum
Lyvten
Chelsea Deadbeat Combo
Vale Tudo

Im Rössli werden zudem DJs die ganze Nacht die Plattenteller rotieren lassen, im Tojo wird Capital Slam und Stand Up Comedy geboten und im Kino zeigt Sonic Traces vom Norient Film Festival Videoclips aus dem globalen Untergrund. Das ganze Programm findet sich hier.

Der Disko-Schreck

Milena Krstic am Freitag den 6. Februar 2015

Schneeflöckchen, die das Gesicht rammen. Kälte, die Glieder einfriert. Draussen so und drinnen diese Frau auf der Bühne.

Gazelle Twin Dampfzentrale

Gestern Abend gab die Realität eine schöne Kulisse für einen Film ab. Die Engländerin Gazelle Twin wippte über ihrem Stimmenverfremdungsgerät hin und her, einen fleischfarbenen Strumpf übers Gesicht gezogen und die Haare (Perücke, I guess) gleiteten unter der Kapuze so schwungvoll hin und her wie in einer Shampoo-Werbung. Grässlich schön war das. Und überhaupt irgendwie anders: böse, distanziert. Aber Elisabeth Bernholz, wie Gazelle Twin mit bürgerlichem Namen heisst, war nahe an den Zuschauenden, fixierte sie mit ihren bestrumpften Augen und sagte auch schon mal «Merci», was absurd war, weil dieser Auftritt war dermassen inszeniert, dass das Publikum auch akzeptiert hätte, wenn sie gar nichts gesagt hätte.

Derweil spielte der DJ im Hintergrund – ebenfalls unter einer Kapuze hervorlugend – die Beats ab (oder fabrizierte er sie live?). Gazelle Twin, das ist digitaler Grunge, Industrial-Disco oder Horror-Elektro, irgendwie so. Furchteinflössend gut war das und sehr, sehr tanzbar. Ein Dank geht hier an die Dampfzentrale, solche Acts nach Bern zu holen!

Was diese Frau aus Ihrem Effektgerät herausgeholt hat, war übrigens bemerkenswert. Ich habe nämlich denselben (einen Boss VE-20), und Küre fand dann: «Vielleicht solltest du einfach noch einmal die Bedienungsanleitung durchgehen.» Vielleicht, ja.

Falls Sie schon mal hereinhören möchten, lässt sich  das neuste Gazelle-Twin-Album «Unflesh» hier streamen. Und für weitere Hintergrundinformationen zu dieser Künstlerin konsultieren Sie am besten diesen Artikel, der gestern im Kulturteil des Bund erschienen ist. 

Im Polarlicht

Milena Krstic am Donnerstag den 29. Januar 2015

I’VE GOT YOUR BODY
BUT I WANT YOUR SOUL
THAT’S TRUE

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Die in Bern stationierten True, gestern Abend in der Turnhalle des Progr.

 

Word. Für den Sonntag

Roland Fischer am Sonntag den 25. Januar 2015

Nichts zu tun heute? Wie wär’s mit einem Dokfilm über einen eher unbekannten – und sehr tragischen – Helden des Internets? Der Hacktivist Aaron Swartz nahm sich vor zwei Jahren das Leben, weil er in die ziemlich unbarmherzig mahlenden Mühlen der amerikanischen Justiz geraten war. Unlängst ist ein Film rausgekommen, der die Geschichte des Internet-Wunderkinds, RSS-Miterfinders und Autors des Guerilla Open Access Manifest aufrollt – und die Frage stellt, was da bloss schiefgelaufen ist. Sehr sehenswert.

Aus dem Manifest, das Swartz letztlich wohl das Genick gebrochen hat, weil die Strafverfolger es als Bedrohung der Rechtsordnung ansahen:

Only those blinded by greed would refuse to let a friend make a copy.

Tatsächlich war Swartz kein krimineller Hacker, sondern ein Politiker mit digitalen Mitteln – und mit einem starkem Gespür für die Ungerechtigkeiten in dieser neuen Welt. Oder wie es im Film mal heisst: «He was the Internet’s own boy – and the old world killed him»

Und das schrieb der Internet-Begründer Tim Berners-Lee, als er von Swartz’ Tod hörte:

Aaron is dead.

Wanderers in this crazy world,
we have lost a mentor, a wise elder.

Hackers for right, we are one down,
we have lost one of our own.

Nurtures, careers, listeners, feeders,
parents all,
we have lost a child.

Let us all weep.

Vertrauen in fremde Menschen in vollen Zügen

Oliver Roth am Mittwoch den 21. Januar 2015

Rumziehen & Musik hören: Mit dem Album Faith in Strangers von Andy Stott im überfüllten Zug von Bern nach Visp

Andy Stotts Album beginnt ohne Ton, mit dem Titel Time Away. Ich stehe auf dem Bahnsteig und warte auf den Zug und frage mich, ob ich tatsächlich Play gedrückt habe. Noch immer kein Ton aus der Musik-App. Man kennt das Ruhige von dem Album Luxury Problems, das der Manchester Produzent Stott 2012 veröffentlichte.

Um mich herum keine ausgelassene Stimmung. Die Menschen sind aufgekratzt, tragen mehrere Taschen an den Händen, es zuckt in den Fingern. Der Zug hält und ist bis zum Dach voll mit Menschen und Gepäckstücken. Vor den Türen sammeln sich Menschenknäuel.

Ich lasse Unmengen Füsse aus dem Zug strömen, bis ich selber einsteigen kann. Der erste Track beginnt nun doch noch zu wummern, Hörner beginnen sphärisch zu scheinen. Sanft wie auf einer CD mit Ozeangeräuschen. So entspannt fühle ich mich in meiner einstündigen Auszeit.

Ich steige ein, lege meinen Koffer unter den Sitz und setze mich auf einen, der spärlich freien Sitze. Der Song Violence beginnt mit einem elektronischen Wabern etwas energischer und Alison Skidmores zerbrechliche Engelsstimme erklingt. Der harte Beat und die fragile Stimme erzeugen den geisterhaften Stott-Sound. Ich sitze in der Soundblase.

Um mich herum herrscht noch immer dieses aufgekratzte Unwohlsein. Alle wollen in die Ferien, oder zurück. Die Menschen verhalten sich umständlich, stellen ihre Koffer in den Flur, niemand kann vorbei, legen ihr Gepäck auf die Sitze, niemand kann sitzen. Sie sind komplett gefangen. Es ist ihnen unangenehm zu viert in einem Abteil zu sitzen. Sie sind unruhig und müssen dauernd irgendetwas aus ihren Taschen nehmen, was eine Kettenreaktion von Stirnrunzeln auslöst.

Ich gebe auch zu den fetten, epileptischen Beats und badass Bässen von No Surrender meine Gelassenheit nicht auf. Wir fahren in den NEAT-Tunnel und die Leute stehen eine Viertelstunde bevor wir ankommen auf, um ihre Koffer in den Gang zu schieben und herumzustehen. Ich lehne mich zurück und wippe amüsiert vor und zurück.

Zu den komplett verzerrten und melodischen Beats von Damage schlängle ich mich durch Gepäckstücke und aufgeladene Menschenleiber aus dem Zug. Ich frage mich, ob Stott seinen Albumtitel «Faith in Strangers» positiv oder negativ gemeint hat.

Erwartetes und Unerwartetes

Roland Fischer am Samstag den 17. Januar 2015

Was ist das eigentlich, ein Musikfilm? Das Norient-Festival stellt diese Grundsatzfrage in Sachen eigenes Profil immer wieder neu, und dieses Jahr auf besonders anregende Weise. Man bringt es wohl am besten auf den sehr simplen Nenner: Filme, die irgendwie mit Musik zu tun haben – Dokumentarfilme, vorzugsweise.

Der Eröffnungsfilm gestern, Broken Song, brachte das schön auf den Punkt. Klarer Norient-Fall zunächst einmal, es ging um Rapper in Dublin, um eine Musikkulturszene, von der man sonst nicht unbedingt hört. Aber die Musik war dann nur noch insofern zentrales Element des Films, als sie Dreh- und Angelpunkt dieser zuweilen ziemlich ruppigen Schicksale ist. Die schönste dramaturgische Idee (die übrigens den Sample-Lizenzgebühren und dem schmalen Filmbudget geschuldet ist), auf pumpende Beats fast durchwegs zu verzichten und die Texte fast immer allein wirken zu lassen, in ihrer Fragilität oder auch nackten Ehrlichkeit, dreht den Film ja eher weg vom musikalischen Dokumentieren. Es ging da um Menschen, und ob sie nun zu einer Sprayerszene oder zu einer Hooligan-Gang gehörten, spielte am Ende gar nicht so eine Rolle.

Das ist nun nicht als Kritik gemeint, im Gegenteil, es macht den Reiz dieses Festivals aus. Es ist einfach aufgefallen, zumal beim Schauen des zweiten Films des Abends, der sich dann weniger für die Menschen als für ihre schrägen Gerätschaften und die ebenso seltsamen Sounds interessierte, die sie aus alten Computern, Gameboys und Ähnlichem herauslocken. Europe in 8bits – sowas würde man klassischerweise erwarten, an einem Musikfilmfestival, pädagogisch wertvolle und im besten Fall auch noch unterhaltsame Ausflüge in fremde Musikwelten. Zum Glück fänden das die Macher selber auch langweilig, immer bloss diese Erwartungen zu erfüllen.

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Das Norient-Musikfilmfestival dauert noch bis morgen abend. Sehr zu empfehlen heute abend spät das Live-Special in der Turnhalle mit Islam Chipsy aus Kairo und dem News-Rapper Xuman aus dem Senegal.

Panda Bear im Reisefieber

Christian Zellweger am Dienstag den 6. Januar 2015

panda

Der Panda-Bear-Meets-the-Grim-Reaper-Tag rückt näher und näher (am 13. Januar ist es soweit), die Musik gibt es aber schon vorher zu hören. Musik-Marketing-Kampagnen im Vorfeld werden ja immer kürzer bis inexistent (Beyoncé, D’Angelo), oder immer komplizierter (die Schnitzeljagd der Boards of Canada, die seltsamen Zeichen des Aphex Twin). Panda Bear (oder sein Label Domino) hat sich dafür entschieden, sein Album Stück für Stück zu veröffentlichen. Dabei setzt er auf das klassische Musik-Medium Radio. Rund um die Welt spielen also ganz verschiedene Radiostationen jeden Tag ein anderes Stück seiner neuen Platte. Den ersten Track gibt es bei BBC 6 Music, ab 1h23. Gesammelt wird das dann aber doch wieder im Internet, und zwar auf dieser Karte. Viel Vergnügen mit des Bären Weltsucht.
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Noch was: Am 11. Januar gibt es hier einen Boilerroom-Livestream.

Netflix ist da…

Oliver Roth am Donnerstag den 11. Dezember 2014

… und es ist gut. Das soll kein Werbebeitrag sein, aber eine Kurzbesprechung, denn: Serien sind die neuen Filme! Und es ist ja Winter und wir verlassen das Haus nicht mehr. Die Streaming-Plattform ist seit rund zwei Monaten auch in der Schweiz verfügbar und die EidgenossInnen können ab dem Dumpingpreis von CHF 11.90 unbeschränkt audiovisuellen Stuff laden. Das amerikanische Unternehmen, das zunächst als gute alte Videothek funktionierte und DVDs nach Hause verschickte, mausert sich seit 2007 zu einem online-Giganten – die Serie House of Cards wird beispielsweise direkt von Netflix selber produziert. Diese Serie schaue ich unter anderem während meinem ersten gratis Testmonat.

Und es funktioniert überraschend gut. Kaum Ladezeiten, das System merkt sich, bei welcher Folge ich gerade bin und empfiehlt mir andere, ähnliche Serien nach meinem Geschmack. Ich schaue auch Dexter und habe der Nostalgie halber wieder mal Dragon Ball gefeiert. Wer zudem einen Apple TV oder eine Playstation besitzt kann sich Netflix einfach auf diese Geräte installieren – die Einbettung funktioniert extrem flüssig. Abzüge gibt’s für das noch eher überschaubare Angebot auf dem Schweizer Markt (z.B. einige qualitiy series von HBO wie The Wire oder Girls fehlen), plus für die fehlende offline-Funktion. Netflix ist in diesem Punkt strikt und zieht seine Verbundenheit zum Direktstream und dem damit verbundenen Fernseh-Live-Effekt restriktiv durch. Schön sind die sehr einfache und aufgeräumte Handhabung und, dass am Ende jeder Folge einer Serie nach 12 Sekunden direkt die nächste Folge automatisch startet. Der Tod für jeden Serienjunkie!

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Berner? Club? Kultur?

Christian Zellweger am Dienstag den 2. Dezember 2014

bonsi

Die Webseite des Bonsoir hat ein naja, Redesign erfahren. Infos gibt es hier keine mehr. Der übriggebliebene Text wirkt wie eine sehr freundliche Publikumsbeschimpfung. Es geht aber doch etwas weiter. Was es damit auf sich hat, erklärt Bonsi-Mann Arci Friede an dieser Stelle.

Kurz: Friede beklagt sich über die massive Kommerzialisierung der Clubkultur, die immer teureren Acts auf dem Markt. Ein Entwicklung, bei der das Bonsi nicht mehr mitziehen kann und mag. Interessant auch:

Und die wirklich interessanten Acts ziehen tatsächlich zu wenig Publikum an, wenn man sie nicht in einem etablierten Format bringt – Bern ist dafür einfach zu klein.

Auch wenn es Friede hier nicht direkt anspricht, wirft das doch wieder die uralte und ständig unbeantwortete Frage danach auf, was denn fördernswerte Kultur sei. In der von öffentlichen Geldern unterstützen Dampfzentrale kommt es durchaus vor, dass «wirklich interessante Acts» – im Sinne von «künstlerisch wertvoll» – aus dem elektronischen Bereich vor «zu wenig Publikum» spielen. Solche Abende kann sich eine Dampfzentrale leisten, für ein Bonsoir sind sie aber ein finanzielles Abenteuer. Nur: Ob einer an der Aare oder an der Aarbergergasse auftritt, macht für das interessierte Publikum und den Künstler eigentlich keinen Unterschied.

Hätte also ein Club, der ein Programm auch mal abseits vom Mainstream wagt, nicht genauso öffentliche Gelder zu Gute?