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Bis die Pumpe versagt

Gisela Feuz am Samstag den 18. Juli 2015

«Leber an Grosshirn! Leber an Grosshirn! Wo bleibt denn der Alkohol, ich krieg ja überhaupt nichts mehr zu tun hier!» Erinnern Sie sich? Man mag von Otto Waalkes Humor halten, was man will, aber wie die Organe des Herrn Soost sich unterhalten und auf Ärger einstimmen (ab 1:33), gehörte zum besten, was der junge Waalkes einst produzierte.

Organe melden sich auch in Jens Rachuts Hörspiel «Herzinfarkt» zu Worte. Während bei Waalkes die Geschichte ein gutes Ende nimmt, ist die Ausgangslage bei «Herzinfarkt» allerdings eine gänzlich andere: Der letzte Nerv sitzt im toten Körper des 48-jährigen Percy Rippenbreaker und erzählt rückblickend über das kurze und ungesunde Leben des Musikproduzenten. Koks, polnischer Speed, Alkohol en masse, wenig Schlaf, fettiges Essen, 80 filterlose Kippen am Tag, da kommt schon einiges zusammen und entsprechend laufen Rippenbreakers Organe am Limit: «Ständig entgiften und aufräumen als wenn 90 Sumo-Ringer randvoll mit LSD in einem Glasmuseum Polka getanzt hätten», verdeutlicht die Gallenblase das Desaster.

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Rachut hat sich für sein Hörspiel prominente Sprecher an Bord geholt, so leiht Entertainer und Autor Heinz Strunk («Fleisch ist mein Gemüse») der Gallenblase seine Stimme, Bela B. (Die Ärzte) gibt die pfeifende Lunge und Schauspieler Martin Wuttke (Tatort-Kommissar) schlüpft in die Rolle des malochenden Herzens: «Hier die letzten Zahlen: 100 zu 166, 110 zu 180 und selbst nachts 90 zu 145. Das sind die Werte, das schafft niemand (..) Eine Kammer arbeitet mit halber Kraft, das Blut hat die Qualität von verschimmelten Hühnerdurchfall.»

«Herzinfarkt» spielt ein Endzeitszenario nach, das einen mit Reue an die letzte gerauchte Kippe denken und der eigenen Leber Besserung geloben lässt. Dass man sich nach dem Durchhören von Rachuts Hörstück aber nicht wie ein geprügelter Hund fühlt, sondern durchaus amüsiert, hängt mit dessen anarchischem Humor zusammen. So hegen Leber und Gallenblase etwa rechtes Gedankengut, weswegen das neue schwedische Titan-Schultergelenk als «ausländischer nordischer Rosthaufen» beschimpft wird und die englische Spenderniere namens «Lawrence» in den Deutschsprachkurs muss. Wie ein Comic in Ton kommt Rachuts Stück daher und liefert dabei äusserst vergnügliche Bilder fürs Kopfkino.

Der Hamburger Sänger, Songtexter, Hörspielautor und Theaterschauspieler Heinz Rachut gilt als Schlüsselfigur der deutschen Punkszene und hat in Combos mit klingenden Namen wie «Blume am Arsch der Hölle» oder «Dackelblut» mitgetan. «Herzinfarkt» ist nach der Hörspiel-Trilogie «Der Seuchenprinz» (2007/07) und «Gott in der Falle» (2011 u.a. mit Rocko Schamoni) Rachuts fünftes Hörstück.