Archiv für die Kategorie ‘Eins auf die Ohren’

Hey, Gitarre-Johnny!

Mirko Schwab am Mittwoch den 21. Dezember 2016

Bern hat Bock auf neue Bands. Anders ist der jüngste Zuwachs im Bereich Newcomerbühnen kaum zu erklären. Ein Überblick über altbackene, altbewährte und neue Formate.

Der kleine Schwab 2010 am Emergenza-Halbfinale im Gaskessel. Tja.

Und wer nach Zürich und Basel oder gar Luzern schielt, wie es das Berner Auge gerne schön im Geheimen macht, weiss auch grad wieso Bedarf da ist in der Nachwuchsförderung. Die Hauptstadt hinkt, von den Steckenpferden Rap und Rumpelrock à la Voodooise einmal abgesehen, hintendrein. Aus der Banken-, der Pillenstadt und der Postkartenstadt wird ausladend angelegte, originelle und zeitgenössische Popmusik in die weite Welt (oder nach Deutschland immerhin) exportiert, während hier noch nostalgisch der letzten Mundartrock-Welle nachgehangen wird. Selbstverständlich und zum Glück gibts AusreisserInnen, ein Kollektivdenken oder greifende institutionelle Katalysatoren aber fehlen.

Oder fehlten. Jahrelang musste man sich als knapp dem Schulbandraum entwachsene Neulingsband bei Emergenza verdingen, einem etwas unsympathischen weltweiten und industrieorientierten Netzwerk identischer Nachwuchswettbewerbe. Dessen deutscher Ableger koordiniert auch die Austragungen in den Schweizer Städten und vergrault die jungen Bands zum Ticketverkauf im Vorschussmodus – und wälzt damit das finanzielle Risiko auch gleich auf die Bewerber ab. Am Schluss gewinnt, wer am meisten trinkfreudige Schulfreunde mitgebracht hat. Mit der Wiederbelebung der Waldbühne am Gurtenfestival kam ein zweiter grosser Wettbewerb dazu. Löblich in der Grundidee, junge Bands aus der Region auf den Hügel zu hieven, bleibt die mühsame Klickerei (mitsamt monatelanger Strapazierung sozialmedialer Freundschaften) und am Schluss oft ein halbtolles Konzerterlebnis in der sonntäglich verkaterten Mittagssonne. Immerhin was fürs Palmares, aber Szene bildet sich daran kaum.

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Als sänge einem

Mirko Schwab am Mittwoch den 7. Dezember 2016

Die Popgruppe East Sister aus Basel macht alles richtig. Doch lassen Sie sich von der Niedlichkeit nicht täuschen. Eindrücke von der ersten EP «Colourblind».

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Irgendwo zwischen spät und früh sitze ich auf einem Parkettboden oder liege auf einer Matratze, als ich es zum ersten mal mit East Sister zu tun bekomme. Ich beobachte den Rauch zweier Zigaretten, wie er sich nach der Decke hochschraubt und von einem kühlen Luftstoss zerzaust wird, den man dem Schnauf zuliebe ins Zimmer gelassen hatte. Im Laufwerk dreht sich «Colourblind». Achtzehnminutenlang, bevor die Platte endet, wie sie begonnen hat: mit einer gebrochenen, brüchigen Holzgitarrenfigur.

Das Gefühl von Intimität, Nähe, Wärme – es ist wie ein Schermen vor der daran mangelnden Welt über das ganze Album gespannt. Aber solcherlei Wohligkeit stirbt schnell den Tod des Belanglosen. Oder der Überzuckerung oder woran sonst so verleidet, was uns im Hitradio als Befindlichkeitsmusik entgegengeschmettert wird. Auf «Colourblind» ist nichts zu befürchten. Der darauf ausgeführte Perfektionspop ist eben auch im Timing perfekt, die schöne schiefe Note kommt bestimmt und in Drums, Lines und Sounds hocken die kleinen lustvollen Fallen.

Zum Beispiel «Code», der zweite Song aus fünf. Er verbindet das unschuldige Lächeln mit dieser cleveren Listlust. Laura Schenks Retroorgel aus dem Repertoir kanadisch-amerikanischen Indipops kommt vertraut. Oder Lorraine Dinkels warm und klar formulierte Gesangslinien, die spätestens in Doppelstimmigkeit und Kombination mit der Schlagzeugerei zum ersten unwiderstehlichen Popmoment der Platte führen. Davon gibt es reichlich mehr und auch in balladeskem Register, sie beleuchten den handwerklich-kompositorischen Plan hinter East Sister und der vordergründig bodenständigen Songschreibe.

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«Journalisten sind bekannt dafür, faul zu sein»

Mirko Schwab am Mittwoch den 23. November 2016

Wenn morgen Morgen früh das Putzlicht angeht im Dachstock, wird wohl ein wieterer denkwürdiger Abend über das alte Anarcho-Parkett gefegt sein. Mal kurz nachgefragt bei den Herren Beak> um Geoff Barrow.

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Beak>: Geoff Barrow, Will Young, Billy Fuller.

Zum Glück durfte Frau Feuz nicht ran ans Telefon. Aus zwei Gründen: Erstens hätte sie dann diesen wunderbaren Artikel nicht so geschrieben, dem Sie bitte die wichtigsten Eckdaten zur morgigen Affiche entnehmen wollen. Und zweitens gibt es sicher erbaulichere Interviewpartner da draussen, als die für ihre Journalistenaversion bekannten Krautrocker, die sie in eleganter südenglischer Schmallippigkeit vortragen.

Umso schöner also, dass da immerhin ein kleines Frage-Antwort-Spiel per Digitalpost zustande gekommen ist. KulturStattBern im Gespräch «question and answer» mit Beak> aus Bristol.

Bristol ist seit einem Vierteljahrhundert eine der ersten Adressen für elektronische Popmusik – trotz seiner überschaubaren Grösse. Was ist anders in Bristol?

Der künstlerische Glaube daran, sich nicht anzupassen. Es ist zwar keine grosse Stadt – aber gerade deshalb auch nicht gross genug, um vom Musikbusiness kontrolliert zu werden. Also arbeitet jeder mit jedem.

Welchen kreativen Vorteil habt ihr erreicht, als ihr mit der EP «Beak> <Kaeb» zu zwei verschiedenen Bands wurdet?

Das «<Kaeb-Ding» erlaubte es uns einfach, mit Gästen zu arbeiten, ohne, dass wir das dann «Beak> with …» nennen mussten. Weil das wär kitschig.

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Er wird ganz gross

Mirko Schwab am Freitag den 18. November 2016

Dem Zürcher Faber jetzt noch eine grosse Zukunft zu bescheiden, ist etwa so prophetisch, wie dem Kapitalismus keine. Trotzdem muss beides immer wieder getan werden.

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Bis sich die Stimme überschlägt und die Kehle sich rötet: Faber aus Zürich. (Le Rod)

Der vorab ausverkaufte ISC ist gestern Donnerstag so berstend voll, dass einige Dutzend Leute auf den Treppen und am Rand des Raums um eine Streifdosis Beschallung, einen erspähten Haarschopf oder einen aufblitzenden Gitarrenhals zu kämpfen haben. Macht nichts. Ein gutes Konzert dringt bis in die hintersten Ecken und auch einer, der an der Bar steht seit zwanzig Jahren, Cuba Libre säuft und sich den Bart mit Nüsschen vollstopft, kann sich dieser Dringlichkeit nicht entziehen. Und das Publikum weiss das, erwartet das. Als die Zupfgitarre eröffnet, werden die Gespräche noch zu respektvollen Tuscheleien, wer trotzdem weiter dreinplaudert, hat mit bösen Blicken zu rechnen. Zweihundertfünfzig Leute haben sich hier eingefunden, um für etwas mehr als eine Stunde gepflegt die Fresse zu halten oder mitzusingen bei Faber und Band. Und dieses vorgeschossene Vertrauen unterscheidet, was gemeinhin mit den Branchenfloskeln «aufstrebender Newcomer» beschrieben wird, von einem «Headliner». Und nirgends ist die deutsche Sprache ohnmächtiger als im Bookingwesen.

In diese Stimmung bester Erwartung hinein tritt er, der eigentlich zu jung ist für seine Stimme und die von ihr erzählten Geschichten. Von obessiver Liebe im Milieu, von den unterdrückten Fantasien unterdrückter Bürolisten und von der hochbeschworenen Wut im Bauch jener, die vor allem Angst haben. Faber singt davon und täte er es als altkluger Beobachter mit Gesicht und Tolle eines Jünglings, hiesse der Verdacht, einem Voyeur mit Gitarre gegenüberzustehen, der sich an den schön dreckigen Biographien anderer verlustiert. Aber Faber ist kein Beobachter, er ist ein Ergriffener, mit den wachen Augen eines Frühzwanzigers die Traurigkeiten und derben Freuden dieser Welt erst aufsaugend, dann verkörpernd, dass Zeilen wie «Bleib dir nicht treu, sei niemals du selbst» nicht nihilistisch ironisiert daherkommen, sondern glaubhaft. Über die (selbsternannten) Verlierer des Systems macht er keine Witze, sondern offenbart auch in der bitterbösesten Abrechnung mit ihren trüben Ideen Empathie und Verständnis – er wird selbst zu einem, dem der Hass die Kehle rötet, nimmt sich der Parolen an und schreit sie in den Raum, von sich weg, damit sie sich selbst auflösen mögen.

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Dark Sound; Whispering

Mirko Schwab am Freitag den 28. Oktober 2016

Am Anfang steht so eine Journalistenfrage. Und weil der, der sie stellt, kein rechter Journalist ist und der, der sie beantworten soll, keine falschen Werbeslogans abgibt, entsteht daraus ein kleiner diskursiver Brand. In Gespräch und Besprechung: Clemens Kuratle, Schlagzeuger, Komponist und Kopf des Quintetts «Murmullo».

Setzt sich verbal ungern in die Nesseln und ist am Schlagzeug umso zupackender: Clemens Kuratle.

Ich frage: «Was erzählt uns deine Platte vom Jazz, was wir noch nicht wissen?» und ernte Gegenfragen. «Was erzählt uns neue Musik von der Musik, was wir noch nicht wissen? Was ist Jazz? Und was haben wir gewonnen mit Genrenamen?» Dass es eine  Notwendigkeit der Ordnung und des Sortierens gebe, wende ich ein, codierte Hinweise über Milieu-Zugehörigkeit und musikalische Beziehungen, mit dem Ziel, das Publikum zu leiten, zur Musik heranzuführen … Aber ob es produktiv ist, ob es musikalisch ist, in Säckli abzufüllen und sowieso: Was ist Jazz, ein alter Sack? Können wir Jazz stilistisch und ästhetisch hinreichend verorten? Oder zeichnet sich, was zeitgenössische Musiker damit und darin und daneben anstellen, vor allem dadurch aus, dass sie sich alle Freiheiten nehmen, ausscheren – und also erst eine methodische Definition dieser stumpfen Frage, was Jazz denn überhaupt sei, etwas Kontur zu verleihen vermag? «Das Komponieren im Moment, die Improvisation. Und daneben das Zeitverständnis als Bekenntnis zum musikalischen Puls, zum Time. Aber wir müssen sorgfältig sein mit Genrezuschreibungen.» – gerade weil weite Teile der medialen Öffentlichkeit damit operierten sei es wichtig, darüber ein feines Sensorium wachen zu lassen. Clemens Kuratle ist vorsichtig im Abschluss. Immer gibt es Ausnahmen – und vielleicht ist die Ausnahme die einzige Regel im Jazz, denke ich bei mir. «Oder den Begriff abschaffen: Jazz.»

Also liegt vor mir zunächst ein Stück Musik. «Murmullo», bald jährig, eine Sammlung grösstenteils von Kuratle selbst komponierter Stücke. Eingespielt von einer Truppe, die zum Studiotermin selbst noch nicht sehr eingespielt gewesen sein soll und darob im besten Sinn neugierig und im Prozess begriffen: Kuratle am Schlagzeug, Weiss an der Posaune, Jerjen am Bass, Hellmüller an der Gitarre und Voirol am Tenorsax.

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Sonntagsrauschen

Mirko Schwab am Dienstag den 20. September 2016

Noch schnell die letzten toten Dosen zusammenlesen auf dem Vorplatz, noch schnell die neusten blauen Mosen zusammenzählen in der Bowl. Die Samstagnacht ist verweht. Herein zum Sonntagsrauschen mit Pyrit und Lord Kesseli & The Drums.

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Lord Kesseli (links) und die teilweisen Drums.

Der Sonntagabend ist erfahrungsgemäss die beste Leinwand für diesen spätromantischen Künstler, den sie Depression nennen. Zum Glück gibts um die Schützenmatte herum alles zu kaufen, was einen so aus dem Loch hieven kann. Etwa ein Eintrittsbillet ins Rössli. Und das ausgehängte Programm könnte harmonischer nicht sein: Hier der in Paris lebende Thomas Kuratli als Pyrit, der uns auch schon als Regisseur die Sprache verschlagen und in dieser Funktion das nie genug in den Himmel gelobte Sessionvideo von Lord Kesseli & The Drums zu verantworten hat. Und da eben dieser the Drums Michael Galusser, der Pyrits Debutalbum gemastert hat. Kein normales Doppelkonzert also, sondern ein Zweiakter von Freunden.

Erster Akt, Pyrit. Dass er ein ausgezeichnetes Auge hat für die Inszenierung und das Visuelle, hätte man auch so erfahren: Die elektronische Auslage ist wohlsortiert und links und rechts von einem Becken beflügelt. Zwei theatralische Holzschlegel liegen bereit. Aus dem Gerätehaufen ragt eine Antenne hervor, und den Skeptikern schwant: O, ein Theremin! Ein bisschen musikalische Ratlosigkeit zerstreuen mit Ausdruckstanz und das macht so lustige, kosmische Töne! Ein ganz gewitzter Musik- und Medienkunst-Studiker! Die Skeptiker werden schweigen ab dem ersten Ton. Der sich mittlerweile in seinem eigenen Stillleben aus Geräten eingefundene Pyrit vereinnahmt das gewohnt geschlossen rauchende Rössli ansatzlos. Brillante Songschreibe, eingefasst in einen mit graziöser Konzentration aufgezogenen Spannungsbogen, eine bedachte Verknüpfung in impertinenter Klarheit formulierter Popbetrachtungen. Wir hören den Rock’n’Roll, wie er verhallt. Wir hören ihn, wie er sich auflöst in hymnisches Rauschen. Und über all dem klagt in hohen Lagen klar die Stimme Kuratlis. Und die Sache mit dem Theremin übrigens verhält sich ganz gleich wie mit den Wah-Wah-Pedalen: Sofern man die damit anzustellenden Klischees umschifft (nämlich den abgehörten, thereminischen «Geistersound» oder die funky Schmiere), lässt sich ganz schönes erzeugen. In Pyrits Fall gelingt die musikalische Integration des vermeintlichen Schauelements, wie überhaupt der von den Puristen gern bemühte Antagonismus von Authentizität und Künstlichkeit zerlegt wird, von Echtheit und Verklärung, von Echtzeit und Tonband. Während sich das Publikum an herkömmlichen Sonntagabenden das erste Konzert mit Geschwätz von letzter Woche vertreibt, beginnt die neue Woche mit den Berichten über dieses erste Konzert.

Zweiter Akt, Lord Kesseli & The Drums. Was tun nach dieser Vorlage? Die zwei tun das, was sie in solchen Situationen immer schon taten: ein paar Gitarren- und Modularsynthesisten-Bretter ins Lokal stellen, ohne dabei die Verführung zu vernachlässigen, die auf den sechs ersten Hits des Erstlings und als zartes Popwollen immer mitschwingt. Denn auch sie wissen, dass die melancholische Süsse in wummernder Ekstase ertränkt am schönsten ist. Und ein aus dem Off erklingendes, die Hoffnung besingendes Piano manchmal am ehrlichsten.

Lord Kesseli & The Drums «First Hits» (Ikarus Records). Pyrit «Ufo» (Bookmaker Records). Kaufen Sie beide.

Der Saubannerzug des Gaviões Jr.

Mirko Schwab am Mittwoch den 7. September 2016

Das verstopfte Nünitram ist meistens ein schlechtes Zeichen. Irgendtal und Kaffigen zu Gast in Bern, Kühe und Gartenmobiliar schauen an der BEA, mit Fahne an den Randsportevent. Zum Glück aber ist das: ein Nachtrag zum Herzogstrassenfest.

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Gnadenlos draufgehalten: Melker auf der Gass. (Ellen Butterweck)

Die Stadtberner beziehen ihre Arroganz gegenüber dem Land ja aus der Angst und dem ständigen «chly schile uf Züri.» Denn man ist hier immer grad nur einen halbbatzigen Agglomerationsgürtel entfernt von Gemeinden ohne Moonliner-Anbindung, dafür mit ganz viel Sünneli-Blues auf den Wahlzetteln. Da brauchts ab und an ein bisschen Vehemenz und Grenzenziehen. Wir, die wir stolz das Turnsäckli am Rücken tragen, das sauteure neue Gleichgewicht an den Füssen zum lässig-illegalen Waldrave ausführen und ihr, die ihr euch ein nummeriertes Zelt um den Wanst bindet und in der Eishalle rumpöbelt. Und sowieso … (der Autor hört sich selbst beim Stänkern zu und verliert den Faden. Atmen, Brudi.)

Also Stadtkinder und -eltern unter sich am Herzogstrassenfest. Und eigentlich wollte ich ja von diesen Melker erzählen, die buchstäblich die Nebenbühne abgeräumt haben. Zuvor habe ich selbst ebenda gespielt und darum hat sich im Hinterbühnenbereich folgender Dialog ergeben:

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«Nasegrüble, Nasegrüble»

Gisela Feuz am Montag den 29. August 2016

Der Herrgott hat im Malkasten die Pastellfarben gefunden, die Stockhorn-Kette präsentiert sich von ihrer Touristen-Seite, über allem hängt ein Duft von Kuhmist und Chäsbrätel, derweilen von der Bühne die Pulitzer-Preis verdächtige Songzeile «Nasegrüble, Nasegrüble» erschallt. Manchmal ist das Leben schwer in Ordnung.

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Letzten Samstag ging zum 17. Mal das Open Air Schwanden über die Bühne, dasjenige Mini-Festival, welches von den Uristier-Mannen ins Leben gerufen wurde, damit sie selber zumindest ein Mal im Jahr irgendwo auftreten können. Mit von der Partie an der Talstation des Skilift Schwanden ob Sigriswil waren nebst Uristier auch Captain Control mit ihrem allerersten Konzert überhaupt, The Shit, Pesticide und Chelsea Deadbeat Combo.

Tisch in Flammen

Mirko Schwab am Samstag den 27. August 2016

«Lebenselektronik» nennt das Bern-Luzerner Doppel Kreuzer&Brequenzer seine Kompositionen. Die Umkehrvorstellung ist durchaus makaber. Und auch zutreffend.

Zwischen Tod und Leben ist ein Tisch.

Zwischen Tod und Leben ist ein Tisch.

Schon ist die Leinwand aufgespannt für die zwei Herren: Gebuckelt hocken sie über ihrer Auslage, einem sortiert-chaotischen Wühltisch, der ikonischen Wert hat für dieses musikalische Konzept der Schlaufe. Auf der ganzen Welt stehen solche Tische, auf denen der Laie höchstens ein verkabeltes Genusch erkennt und der Kenner eine Handschrift. Weil jeder Kabelsalat ist anders.

Leben und Tod also und dazwischen ein Tisch. Und die Lebenselektronik ist hörbar auf der neuen, heute Abend aus der Taufe zu hebenden Sammlung «Stonethrow&Stoneplant». Auf vierzehn Stücken dominiert der technoide Imperativ, der mit wenigen Ausnahmen die mal verträumten und bald veralbträumten Skizzen grundiert. Die Lebendigkeit liegt in der gescheiten, langsam mäandrierenden Repetition über die verlässliche Basstrommel. Denn wenn die fiepsenden, flimmernden Kleinstmotive durchs Frequenzspektrum flackern, will die Restgelenkigkeit von uns Kindern der Dienstleistungsgesellschaft eben ausprobiert sein.

Aber der Tod ist nicht weit auf dieser aberwitzigen Frickelfahrt, er lauert gewissermassen auf die Verschnaufpausen der Drummaschine. Plötzlich kreischts und sägts und quietschs, als stünde nämlicher unser schöner Technotisch in Flammen, in erbarmungsloser Verzerrung und Rückkoppelung verglühend. Diese schrecklicksten Momente der ganzen Platte sind zugleich auch die schönsten. Sie lassen dem dialogischen Gezünsel freien Lauf, entfesselt und wild. Und witzig. Hie und da muss den beiden wohl der Schalk aufblitzen in den Augen, wenn das Gewitter unvermittelt angehalten wird und gleich wieder vom Zaun gebrochen – nur, um dem letzten verständigen Viervierteltänzer einen Knoten ins Bein zu mechen.

Kreuzer&Brequenzer taufen «Stonethrow&Stoneplant» heutnacht und zwar in der Kegelbahn zu Luzern. In Bern dann am 9. September, Solstage, Schütz. Dringende Hingehempfehlung.

Lerns anders

Mirko Schwab am Donnerstag den 18. August 2016

Zwei Takte den Atem anhalten, Gitarre rein, Drop. Über den betörenden Rave-Pop der Zürcher Formation Len Sander.

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Len Sander: Direktheit auf Distanz.

Die Grosse Halle ist ein traditionell problematischer Ort für Konzerte. Das grosse Hallen ist ein traditionelles Problem solcher Hallen. Das chronisch zu wenige Publikum verirrt, wie verbrösmelt im gefrässigen, finsteren Schlund, auf der Suche nach dem süssen Quadratmeter, der etwas Orientierung in der Soundsuppe verspricht. Aber anders diese Tage. Die Enthusiastinnen und Enthusiasten vom UNA-Festival haben mit viel baulichem Geschick Struktur in die öde Weite gezimmert und eine trotzdem grosszügige Konzertbühne darin eingebettet. Darauf hat sich das Zürcher Quintett Len Sander eingerichtet und den Mittwochabend verneint.

Dem Szene-Lamento nämlich, die Wochenenden würden zusehends der Ein-Mensch-Digitalisierung überlassen, die die wahren Handwerker der Popmusik an die Wochenperipherie drängten, lakonisch in die Werktage zurückweisen würden, diesem Gemurr trotzt die Gruppe Len Sander, wissend, dass der Samstagabend bereit ist für sie. Es ist dieser stolze Trotz, der sie von musikalisch ähnlich gelagerten Projekten, Acts oder gar Schall gewordenen Selfies unterscheidet.

Trotz, die verspielte Elektro-Futuristik, die manipulativen Sägezahnbässe und die scharf geschossenen Beats auf zehn Hände und Füsse zu verteilen. Trotz, einen Karrenvoll Sachen mühsam mitzuschleppen für jedes Konzert. Trotz,  die von den Projekten, Acts und Schall gewordenen Selfies gedumpten Gagen zu dividieren in fünf mal nichts. Und der Einsatz lohnt. Ökonomische Prinzipien klingen zum Glück auch heute noch schlechter als Verschwendung.

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