Archiv für die Kategorie ‘Eins auf die Ohren’

Bild mit Ton: Gagle mit Hari

Mirko Schwab am Freitag den 30. November 2018

KSB stellt in der Rubrik «Bild mit Ton» wöchentlich ein audiovisuelles Ausrufezeichen aus dem Berner Untergrund vor. (Bei rückläufigem Merkur sind Abweichungen vorbehalten, ebenso bei schlechter Laune oder gutem oder schlechtem Wetter.) Diese Woche mit King Pepe.

«Love is strong – Liebi isch sträng» konstatiert der König. Ansonsten gibt es hier erfreulich wenig fadenscheinige Wahrheiten abzuholen und eher Schulterzucken vor der Welt. King Pepe stolpert über die Reeperbahn und mag nicht schlafen. Morgen fällt halt aus, bleibt heute und bleibt ein Wirrnis.

Gäbe es ein Urban Dictionary auf Berndeutsch, so stünde vielleicht darin:


Gagle
(Verb) Varianten: Umegagle, Vergagle
«När sy mer no bim H. ir Wohnig ga gagle.»
«U de sy si y däm Pärkli umegaglet bis am Mittag.»

Meist in Kombination mit Drogenkonsum (insbesondere Stimulanzien) zelebriertes Auslassen einer Nacht, mehr oder weniger privates Nachglühen nach einem Streifzug durch die Stadt. Vorgetragen mit einem grosszügigen Gestus des laisser faire o. who gives a fuck.

джаз, 47.2121° N, 7.7906° E

Mirko Schwab am Mittwoch den 24. Oktober 2018

Eigentlich wollte uns Redaktor Kuratle ja den Jazz erklären. Dann ist er nach Russland abgehauen deswegen.

So muss man wieder selber ran, so ist das eben mit diesen Jazzern. Fliegen auf der Weltkugel rum und pfeifen sich irgendwelche Psychedelika rein oder Slawische Ravioli. Und das alles, während sie sich am Mutterbusen von Pro Helvetia gütlich tun.

Drum kümmert sich halt Schwab um den Jazz. Schwab, der broke af die letzten Tage des Monats absitzt, mau und treu seiner Sandsteinstadt. Im Auftrag der Hochkultur selbstverständlich. Einer muss ja den Posten warmhalten, wenn sich die Künstler von Welt in der Tundra verlustieren …

À propos Randregionen. Oder falls Sie schon länger wiedermal zum Beispiel nach Langenthal reisen wollten. Oder eben Jazz: Drei von erstaunlich vielen, deren musikalische Laufbahn irgendwann in einem Langenthaler Luftschutzkeller begonnen hat, drei von ihnen kehren zurück. Laura und Luzius Schuler, Geige und Klavier sowie Nicola Habegger, Trompete – alle drei schon weitgereist, sie schenken ihrer alten Heimat ein kleines Jazzfestival zum Wiedersehen.

Bahnhof Langenthal, Stimmungsbild.

Am «Färbi Jazzfest» kuratieren sie sich mit offenem Geist durch einen jungen Schweizer Jazz, der nach allen Richtungen ausschert. Nach New York und Skandinavien, nach Pop und Anti-Folk, nach der grossen Freiheit ohne Metrum, nach dem kleinen Viermalvier für den Intello-Tanzboden.

Vielleicht kommt der Kuratle ja dann mit. Und vielleicht ist der Kuratle dann schon wieder irgendwo und schickt Postkarten. Wir werden sehen.

Jazz und Glamour, Stimmungsbild.

«Färbi Jazzfest», 1. – 4. November 2018 in der Langenthaler Färbi mit Konzerten von Vera Kappeler, Rea, Distric Five, Kali x Marie Jeger, Lolasister, Der White Rauschen, Pan Ton, Wän und dem Laura Schuler Quartet.

Anatolische Anachronismen

Mirko Schwab am Dienstag den 16. Oktober 2018

Mit Altin Gün war vorgestern wiedermal der Zeitgeist zu Gast im alten Progymnasium. Ein Balanceakt in Vorwärts-Rückwärts.

Ein brav durchmischtes Publikum hat sich den Sonntagabend reserviert. Abfalltrenner und Velofahrerinnen, wohlig rot-grün-mittig. Alt und jung – so würde wohl der Dorfanzeiger melden. Am etwas weniger hüftsteifen Tanzstil geben sich indes die vielen Türken zu erkennen, die den Weg in die Turnhalle angetreten haben. Denn wahrlich: Die niederländisch-türkische Gruppe Altin Gün ist eine der Bands der Stunde.

Das Konzert kommt dann auch rasch ins Rollen. Das Sextett spielt aus den raffinierteren Stücken im Repertoire, die merklich eingetourte Rhythmusabteilung aus Holland braucht kaum Anlaufzeit. Darüber feuert Saz-Virtuoso und Keyboarder Erdinc Yildiz Ecevit seine halsbrecherischen anatolische Linien ab, darunter, eingehüllt in psychoaktive Echoschwaden, Sängerin Merve Dasdemir. Der zunächst warm vorgeschossene Applaus ist bald frenetisch.

Leider sackt die Sache im Mitteldrittel des Konzerts dann merklich ein, was eher an den dünneren Kompositionen liegt als am abgeklärten Bühnenspiel. Wer sich nicht komplett aufs Tanzen verlegt hat, langweilt sich bald an den Bandwurm-Soli und Psych-Rock-Klischees aus der Plattenkiste der LSD-Jahre. Es ist die Story dieser Band: Bassmann und Chef-Digger Jasper Verhulst selbst hat aus seiner Liebe zu türkischer Popmusik der Siebziger eine Band zusammengestellt, per Inserat, die den Sound auf diesen staubigen, halb amerikanisichen, halb orientalischen Verführungen ins 21. Jahrhundert katapultieren sollte.

Und das klappt dann eben halb und immer dann am Besten, wenn die Arrangements wendig, das Gedudel von der Langhals-Laute knappdosiert und die musikalische Perspektivik auch mal vorwärtsgerichtet ist – was gegen Ende des Abends wieder gut gelingt, kurz vor der Zugabe blitzt die anfängliche Idealmischung aus Retro und Futur wieder auf, dass es eine Freude ist. Eben, der Zeitgeist, der zurzeit ganz innig in die Siebziger verknallt ist, er geht um im alten Progymnasium. Und ganz allgemein im Plattenladen. Zwischen Stilkopie als uninspiriertes «in the style of anything nostalgic» und aufregenden Befruchtungen wird zurzeit allerlei veröffentlicht (und als der neu-alte Hot Shit verschrien.)

Wie es sich mit dem Verliebtsein so verhält, ists dann manchmal schön, manchmal peinlich, manchmal langweilig. Altin Gün gehören da doch, soviel war gestern Abend schliesslich klar, zu den Schönheiten.

Das Langspiel «On» ist 2017 auf dem Genfer Label Les Disques Bongo Joe erschienen.

MFB-Lieblingsscherben: Sommer

Mirko Schwab am Samstag den 8. September 2018

Schwab porträtiert im Auftrag der Musikförderung MFB die liebsten Neuerscheinungen straight outta Bern. Die Kategorie «Hype» ehrt das Langjährige, Brillante, Ausgefeilte und Vielgehörte, das den Berner Pop über die Kantonsgrenzen hinausträgt und im Feuilleton Wellen schlägt. Die Kategorie «Hope» gräbt in den Tiefen des Untergrunds und verstärkt, worüber noch geflüstert wird – Erstlinge, Fundstücke, Demos.

Hype:
Baze – «Gott»

Der Meister der Schwerblütigkeit ist zurück. Weg war er nie. Zu tief die Furchen, die sein letztes Werk «Bruchstück» ins Sandsteingemäuer geschrissen und es zu einem Schlüsselwerk der Popgeschichte dieser kleinen Stadt gemacht haben. Nun bietet auch der neue Silberling reichlich Anlass zum Verdacht, dass wir es mit einem Künstler in der besten Phase seines Schaffens zu tun haben dürften. In dunklen Schwänken erzählt uns Baze von Nebel, Rost und Staub – und zwischen den bald futuristischen, bald postapokalyptischen Beats, zwischen den grossen Fragen und den kleinen Versäumnissen, bei all der schlechten Laune über gutgemeinte Ratschläge und bei all der vergeudeten Zeit – es keimt sowas wie Hoffnung auf.

Hype:
Aeiou – «You Won’t EP»

Willkommen in der Diskothek des Oli Kuster. Der stille Schaffer mit der Vorliebe für körnig synthetisierte Tastensounds und einem Talent zur gleichermassen verführerischen wie cleveren Popschreibe, er lädt zum Tanz again. An seiner Seite: Die in Basel beheimatete Liechtensteiner Sängerin Karin Ospelt. Sie schenkt dem wandelbaren Unterfangen Aeiou ihre wohltemperierte Stimme und ein unwiderstehliches Melodiegespür. Und also sind wir den Hits des im Mai erschienenen Extended Plays unlängst erlegen.

Hype:
Migo & Buzz – «Partys im Blauliecht 3»

Wer vereint Untergrund und Hitparade denn sonst so unkompromittierbar und kredibil? Die dritte Episode aus der Serie «Partys im Blauliecht» liefert womöglich auch die Blaupause des Erfolgs um die beiden brothers in krime Migo und Buzz: Letzterer glänzt mit von den Verlockungen des Zeitgeists unbeeindruckten, bittersüssen Backbeat-Riddims, schnörkellos und stilsicher. Und darüber: die offenherzig politisch engagierten und doch immer wieder angenehm schulterzuckenden Zeilen Migos – mal Vorplatzpoet, mal Vorstadtprolet, dazwischen viel Grauschattiertes. Und darüberhinaus: Fein platzierte Featurings von Geistesgenossen wie Tommy V. Chefmetaphoriker und schliesslich Bruderküsse unter Chaoten, Theo Äro, Iroas – Platz 4 in der Hitparade, who gives a fuck. Es ist gar nicht so schwer, real zu sein.

Hope:
Dean Wake – «The Mountaineer»

Tief unter dem frivolen Treiben der Aarbergergasse verschanzt sich eine Band im Proberaum. Vier Seelenbrüder im Luftschutzbunker. Und so klassisch das Narrativ der vom Tageslicht verschonten, in schlechter Luft gegärten Gitarrenmusik, so gültig ist diese Version davon: «The Mountaineer» kündigt den auf Mitte September terminierten Zweitling an. Und es sieht nach Aufbruch aus, gut gereift verhelfen Dean Wake dem kanonisch todgesagten Independent-Rock vielleicht zu einer Renaissance. Erlesene Gitarrensounds, findiges Songwriting, gehörig Drive unterm Arsch und eine elegische Baritonstimme liefern Argumente. Doch überhaupt gilt am Schluss nur das Lied – diese erste Single, sie ist ein gutes.

Die MFB hat sich das Fördern junger Berner Popkultur auf die Fahne geschrieben. Die interessantesten Neuentdeckungen finden Sie in der Spotify-Playlist «Sounds Like Bern».

Gefährdet ist Gut!

Clemens Kuratle am Sonntag den 29. Juli 2018

Die Langnau Jazznights sind wieder einmal Geschichte. Die Szene war anwesend, ist das Festival doch mit seinen Workshops, Clinics und Jams eine Brutstätte des Schweizer J***s. Und so wars, neben dem hochkarätigen Line-Up, auch dieses Jahr wieder ein Familientreffen. Ein Résumé.

Furios und kontrastreich werden die Nächte Dienstags von den Bands von M-BaseGuru Steve Coleman und Basslegende Christian McBride eröffnet. Zwei gegensätzliche, vielschichtige Konzerte.

Mittwochs beeindruckt das stilbildende Trio um Brad Mehldau mit einem, seiner Extra-Klasse entsprechenden, ausgedehnten, abwechslungsreichen Set.

Donnerstags kann man der Jazzgeschichte in Gestalt des beinahe 80-jährigen Schlagzeugers Billy Hart beim Spielen zuschauen, was der anwesenden amerikanischen Drummer-Elite und dem Autor Tränen der Rührung in die Augen treibt.

Freitags, den Kater von den nächtlichen Jamsessions in der Kupfergabel noch im Genick, wird einem dann die Tradition bei aller Spielgewalt und Präzision plötzlich etwas zuviel, worauf man sich vornimmt auch den kommenden, letzten Abend nüchterner anzugehen.. S‘isch haut ****.

Am Samstag Morgen wünscht man sich den Jazz dann, trotz der Nüchternheit, überall hin, nur nicht ins Emmental.

Und dann geht man trotzdem. Wegen der Community, dem letzten Jam, weil man ja nun mal da ist… Im Gegensatz zu den Vorabenden spielt heute keine Legende auf der Bühne, man findet einen Sitzplatz.

Als Endangered Blood loslegt, der Sound justiert, die Ohren gebüschelt sind geht plötzlich alles viel zu schnell. Eine Stunde fühlt sich an wie zwanzig Minuten, die Zugabe wird frenetisch herbeigeklatscht. Die Musik von heute hat gesprochen. Da nützen alle Worte nichts. Chris Speed, Oscar Noriega, Trevor Dunn und Jim Black. Endangered Blood!

Im Anschluss steht man mit Seelenverwandten stumm und glücklich an der Bar und braucht keinen Alkohol. Die Nörgler können einem gestohlen bleiben. Man ist Fan! der Drummer und Bandleader des Fischermann‘s Orchestra (am 3. August am BeJazzSommer) macht sich auf, die CD signieren zu lassen.

Das zweite Konzert wird über die Lautsprecher der Bar zur Kenntnis genommen, der Abend verrinnt, der Jam wird um halb 5 mit einem Blues beschlossen. Man liegt sich in den Armen, verabschiedet sich und freut sich auf die Ausgabe vom nächsten Jahr. Die Helfer sind bereits am Verräumen.

Danke Langnau!

MFB-Lieblingsscherben: April

Mirko Schwab am Donnerstag den 3. Mai 2018

Schwab porträtiert im Auftrag der Musikförderung MFB  die liebsten Neuerscheinungen straight outta Bern. Die Kategorie «Hype» ehrt das Langjährige, Brillante, Ausgefeilte und Vielgehörte, das den Berner Pop über die Kantonsgrenzen hinausträgt und im Feuilleton Wellen schlägt. Die Kategorie «Hope» gräbt in den Tiefen des Untergrunds und verstärkt, worüber noch geflüstert wird – Erstlinge, Fundstücke, Demos.

Hype:
Chris Karell – «Love & Acceptance»

Eigentlich schon im März erschienen, ist uns das Album des englischsprachigen Künstlers Chris Karell – bis heute – unterm Radar durchgeschlittert. Und das, obwohl sich der Yungspund auf seinem Promobild wie Kendrick L. vor eine rote Ziegelmauer stellt, auch musikalisch wenig provinzielle Bescheidenheit durchblicken lässt und an der m4music-Demotape-Klinik bereits dick abgeräumt hat … Shame on us. «Love & Acceptance» ist ein überwältigend stilsicheres, weltgewandtes und auf amerikanisch Zeitgeist produziertes Werk geworden, mit Rhythmus und Blues und Auto und Tune – es wird ihm Liebe bringen und Akzeptanz.

Hope:
Juno Boys – «Ma Im Chopf»

Ebenfalls ein März-Nachtrag, ebenfalls irgendwie Rap – und doch ganz anders. Die Juno Boys liefern mit «Ma Im Chopf» einen kleinen Untergrundhit ab, der, unzimperlich auf depressiv getextet und im Lobotomie-Flow getaktet, die Atzendisko zurückbringt, dass man sich die mitgrölende Schar an der Piratenbar sofort vorstellen kann. Eine hübsch-verfängliche Hook gibts obendrein und die Gewissheit, dass Bern mal wieder eine solid asoziale Rap-Band am Start hat. Ein ganzes Album komme bald – wir sind gespannt.

Die MFB hat sich das Fördern junger Berner Popkultur auf die Fahne geschrieben. Die interessantesten Neuentdeckungen finden Sie in der Spotify-Playlist «Sounds Like Bern».

Foyer des Amateurs

Mirko Schwab am Freitag den 13. April 2018

Bizarr. Zwielichtig. Obskur. Heraus zum Abstieg in die fruchtbaren Randgefilde elektronischer Tanzmusik.

Foto: Phil Struck

Mit strenger Brille und angesteckter Zigarette selektiert sich Lena Willikens durchs Unerforschte. Weird shit only kommt hier auf den Plattenteller, zur Erzählung kompiliert in beeindruckender Fingerfertigkeit, mit der die Kölnerin durch die unterschiedlichsten Morphologien musikalischer Entrücktheit streift, ohne je das Leitmotiv der Tanzbarkeit, der Körperlichkeit und der Unmittelbarkeit preiszugeben.

Radio Bollwerk Klubnacht w/ Lena Willikens und Daniele Cosmo. Heute ab 23h im Foyer der Dampfzentrale.

Nicht Rausch, nicht Euphorie

Mirko Schwab am Dienstag den 27. März 2018

Lichterspiel auf der Guillotine. Die Berner Gruppe Lolasister mischt Flimmriges und Verspultes, wunderbar aus der Zeit Gefallenes und Feinsortiertes in gescheiter Popschreibe. Daran hätte sich der Autor eigentlich noch erinnern müssen.

Schwarzweiss image of the band.

«How to find (or at least where to look for it.)» Ich suchte an der Bar. Die letzten Tage waren angezählt und Alkoholismus mal wieder maximal salonfähig. Das hübsche «Micro Jazzfestival» im Keller einer ehemals feinen Villa drüben beim Inselplatz, es versprach den alten Favre (ein schöner, demütiger Mensch he is, hat sich von allen Gästen persönlich verabschiedet mit der Klasse eines Menschen im Einklang, im Reinen) und eine Band auch hinterher, wegen der ich eigentlich gegangen wäre, kommt mir aber grad nicht mehr in Sinn – eben, der Weisswein und jedenfalls ist diese eine Band dann nicht gekommen wegen etwas und dafür eine andere.

Der letzte Schluck im letzten Bus, ein letzter Gruss, im Slalom durch die Gass. Schliesslich, endlich, fick mich, fickt euch, ich liebe euch alle – eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Schüssel, ein Gebell noch,
adémæssi.

So hab ich mich doch wieder trinkend um bleibende Eindrücke betrogen und weiss jetzt, kurz nach Erscheinen der zweiten Videoaufzeichnung dieser anderen Band, dass mir die Musik, damals im Keller, fünf vor Ladenschluss, dass sie mich an der Hand nahm und in sanftes Glück, nicht Rausch, nicht Euphorie, in ein sanftes kleines Glück aber gebettet hat. Tell you why:

Das Quintett um Leoni Altherr macht seine Arbeit sorgfältig. Die Songs sind von formaler Eleganz, die Klangwelt ist mit Bedacht geflochten. Nichts schreit, nichts bellt, nichts tut sich hervor. Mit mondsüchtiger Sicherheit traumwandeln sich Lolasister durch ihre Songs und ja, das könnte gähnend langweilig sein. Dass dem nicht so ist, dafür sorgen die fünf mit ihrer individuellen Klasse einerseits; Altherrs und Hofstetters Schwesterstimmen, Schulers Geflimmer, das er behänd aus alten Orgeln zäuselt und eine der Rhythmusgruppe Utzinger / Keller von Herzen verdankte Arschcoolness, die auch an überschäumenden Temperamenten nicht zerbricht. Zum andern ist da: kompositorischer Witz, Mut zur Schräglage und ganz viel performative Ruhe als stilles Argument, das wirkmächtiger ist, als mancher glauben will (zumal in Zeiten, da das Wort «Performance» im Pop gern Gehampel und Gefuchtel und Feilbieten des eigenen Fleisches meint.)

Wir freuen uns auf den im allgemeinen Geflüster schon angekündigten ersten Tonträger dieser vielversprechenden, den Saumoden der Zeit mit Gelassenheit und Musikallität begegnenden Band. Und empfehlen den Konzertbesuch uneingeschränkt – eben auch nüchtern. Bühnendaten hier.

MFB-Lieblingsscherben: Januar / Februar / März

Mirko Schwab am Freitag den 16. März 2018

Back on track im neuen Jahr! Schwab porträtiert im Auftrag der Musikförderung MFB  die liebsten Neuerscheinungen straight outta Bern. Und weil wir Januar-Februar im Winterschlaf waren, melden wir uns heute mit einer Sonderausgabe im Quadrat zurück – vier Platten, dreimal Hype und beste Hoffnung!

Die Kategorie «Hype» ehrt das Langjährige, Brillante, Ausgefeilte und Vielgehörte, das den Berner Pop über die Kantonsgrenzen hinausträgt und im Feuilleton Wellen schlägt. Die Kategorie «Hope» gräbt in den Tiefen des Untergrunds und verstärkt, worüber noch geflüstert wird – Erstlinge, Fundstücke, Demos.

Hype:
Me & Mobi – «Agglo»

Wenn die «Spex» anklopft, scheint der Nerv der Zeit getroffen – und auch ohne den Wink der Popintelligenz dürften wir hinter diese heute erschienene Glanzleistung im Langspielformat ein dickes Ausrufezeichen setzen! Schlotter, Hoppe und Bürki schlagen aus ihrem bipolaren Holz- und Plastik-Instrumentarium den grösstmöglichen Profit, spielen uns eine Musik, die in die Zukunft weist. Spielwitziger Minimalismus als Jazz, der sich nicht schert – und drumherum eine Agglomeration aus arschcoolen Grooves, wohlplatzierten Digitalismen und der auch im Jahr 2018 nicht zu Ende erzählten Geschichte guter Handarbeit.

Hype:
Lo & Leduc – «Update 4.0»

Die hübschen Jungs mit den polyglotten Wortspielen haben sich im Februar mit ihrem vierten «Update» zurückgemeldet. Hueresiech hei mer gseit, wie isch das nume passiert hei mer gseit … Jahrelang hat sich die Kulturjournaille einen abgeschnödet über die gute Laune und dieses Plastikweltmusik-Gebaren wie eine aufblasbare Palme, an deren Ventil ein gewisser Dodo grinsend heisse Luft nachpumpte – und jetzt liegen wir uns alle in den Armen auf der Tanzfläche de la Cuba Bar, wo «079» die alten Akon-, Ashanti- und Aventura-Heuler mühelos zu Fülseln degradiert. Vielleicht fliegt höher, wer auch mal Federn gelassen hat. Props to those boys flyin’ high!

Hype:
Matto Rules – «Hidden Scenes»

Selten hat ein Schlagzeug so sexy geklungen in der Sandsteinstadt. Und nie kamen die Wave-Pop-Nostalgiker von Matto Rules ungezügelter und zeitgenössischer daher als in ihren letzthin in die Welt gesetzten «Hidden Scenes». Dem distanzierten Bariton von Frontmann Bonati stehen unerhört aufreizende, vom Funk hinterrücks begattete Elektropop-Grooves gegenüber, das gewohnt stringente Songwriting und die noch hübscher perlenden Synthesizerfantasien machen auch vor dem grossen Popmoment nicht kehrt. So introspektiv sich die konzeptuelle Rahmung des Albums um die verborgenen Welten des Unterbewusstseins drehen mag, so sehr drehen sich die neun Lieder letztlich im Takt der Diskokugel.

Hope:
Pato
«Es Stück vom Chueche»

Aus Downtown Solothurn erreicht uns der blutjunge Rapper Pato und fordert ein Stück vom Kuchen ein. Verdientermassen. Der Boy flowt. Um die Südstaaten-Beats unserer Zeit scheint er sich einen emanzipierten Deut zu scheren, lieber klaubt er sich ein paar gute Instrumentals alter Schule zusammen und segelt drüber in der sanften Mundart seiner Heimatstadt.

Die MFB hat sich das Fördern junger Berner Popkultur auf die Fahne geschrieben. Die interessantesten Neuentdeckungen finden Sie in der Spotify-Playlist «Sounds Like Bern».

Die Magie der Möglichkeiten

Milena Krstic am Samstag den 3. März 2018

Es gibt da einen Herren in Biel, der fertigt in seiner elektroakustischen Klangkammer wunderliche Musik an. Nur schrammt diese so hart am Hauptstrom vorbei, dass kaum jemand Wind davon bekommt. Geht natürlich gar nicht. Drum stellen wir vor: Tobias Reber in Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Erik Emil Eskildsen und ihren frisch ins digitale Dasein geworfenen Scheiben «Possibilities Vol. 1» und «Possibilities Vol. 2». Ein klein wenig Nerdtalk über Maschinen, Schlafsäcke und die schiere Freude an Regelwerken.

Tobias Reber, hier performend im Dienste von pulp.noir. photo (c) Max Roth

Eure Musik würde sich gut zum Meditieren eignen. Was meinst du?
Ich meine, du solltest es ausprobieren! Ich habe keine bestimmte Vorstellung, wie die Musik gehört werden sollte. Im dem Moment, in dem man etwas veröffentlicht, gibt man die Kontrolle ja aus der Hand. Für mich hat das aufmerksame Hören von Musik immer etwas Meditatives, egal, welche Musik es ist. Aber ich glaube zu verstehen, was du meinst: Es ist ein Klangfluss ohne Hektik, in den man einsteigen und wieder aussteigen kann. Passend zum Thema: Ich habe einmal während vierundzwanzig Stunden eine Klanginstallation ausgestellt, die potentiell endlos hätte weiterlaufen können.  Da haben einige Menschen dazu meditiert und sogar den Schlafsack mitgebracht – das hatte ich nicht erwartet.

Eine solche Wirkung kann ich mir durchaus auch für die beiden «Possibilites» vorstellen. Die Alben klingen sphärisch, flächig, sie scheinen keinen Anfang, kein Ende zu haben. Was fasziniert dich an der Endlos-Musik?
Ich mag lange dauernde, sich langsam entwickelnde Musik, weil sie mir ein offenes Hören ermöglicht: Ich kann rein- und rauszoomen, ich kann beiläufig hören oder auch aufmerksam eintauchen und mich auf mikroskopische Entwicklungen konzentrieren. Die Musik auf Possibilities ist keine erzählerische Musik, obwohl ständig An- und Entspannungen geschehen. Die Musik atmet.
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