Was schätzen Sie? Wie viele RIGs misst die Seetemperatur im neuen Video von Unhold? Sie wissen nicht was RIG bedeutet? Das ist denk die Wassertemperatureinheit «Rümpf im Gigu» kurz: RIG. Mit ihr verhält es sich einfach gerade umgekehrt als mit der normalen Celsius-Skala, denn je mehr RIGs desto kälter. Logisch, oder. Also, wie viele? Ach kommen Sie schon, tun Sie nicht so erwachsen. Ist doch viel interessanter, als wenn ich Ihnen jetzt hier eine tiefenpsychologische Analyse liefere, wie es um den Protagonisten des Videoclips zu «Southern Grave» bestellt ist. Der ist im Arsch. Da muss man nicht Freud heissen, um das zu erkennen. Die kühle aber doch fulminante Bildsprache soll ich beschreiben? JA SCHAUEN SIE DOCH EINFACH DAS VIDEO, TAMI!
Eine sinnvollere Jahreszeit, um Baden zu gehen, haben sich die drei Tunichtgute von Trampeltier of Love ausgesucht, auch wenn hier die Schwimmbekleidung doch eher Fragen aufwirft. Immerhin: Der RIG-Dichte dürfte diese abträglich sein. Was glauben Sie, wo gibt’s mehr RIGs: bei Unholds nackigem Bötlifahrer oder bei den drei Katholen in der Aare zusammengezählt?
Unhold spielen heute Abend im Rahmen der Alpine Coalition im Rössli der Reitschule. Was die Liebestrampeltiere treiben, weiss der Papst Teufel, live zu sehen sind sie erst wieder am 4. Februar in der Buchhaltung Stauffacher.
Hat Ihnen heute schon jemand gesagt, dass Sie sexy seien? Nicht?! Skandal. Dann gucken Sie jetzt auf der Stelle das neue Video von Fiji, polieren ihr Ego und lernen dabei auch noch gleich ein bisschen Französisch. Deux …. ähem …. Fliegen? …. voleuses à une coup, oder so. Also eigentlich drei, weil das Video von Mag Design bietet ja auch gleich eine prima Zeitreise dank Neonfarben- und Rubik-Würfel-Ästhetik, die an irgendeine Bonusrunde eines Computergames erinnert (Mario Kart? Super Mario? Wipe Out??) und verdrängte Erinnerungen an diese gerillten Gartenschlauch-Instrumente wach werden lässt, die man schwingen konnte und die dann einen Ton erzeugten. Also die, die nach den Hula-Dings-Ringen kamen. Wie «schlechtes Gedächtnis»?! Wissen Sie etwa noch, was Sie in den 90ern getrieben haben? Mein Beileid.
Farbenfroh und angesext ist im Übrigen auch das neuste Erzeugnis aus dem Hause Tim & Puma Mimi. Eines Tages sei eine Anfrage in den Band-Briefkasten geflattert, so die Legende, ob man nicht einen Song kreieren wolle für einen Animationsfilm, in welchem ein Bäckerslehrling sich ausgiebig mit dem Kneten von Teig befasst. Man wollte. Herausgekommen ist ein Animationsfilm namens «Ivan’s Need» zu Deutsch: «Ivan knetet sich in Ekstase», der landauf landab an Filmfestivals gezeigt wird. Und ausserdem haben die Macher von «Ivan’s Need» (Veronica L. Montaño, Manuela Leuenberger, Lukas Suter) mit Szenen aus ihrem Animationsfilm nun auch ein hübsches Musikvideo für Tim & Puma Mimis «Dupi Dough» zusammengestiefelt.
Er hat es wieder getan. Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl hat sich einmal mehr an die Fersen von Landsleuten geheftet und begleitet diese wie bereits in einem Teil seiner Trilogie «Liebe, Glaube, Hoffnung» nach Afrika. Allerdings stehen dieses Mal nicht liebesbedürftige Damen im Zentrum, sondern Jäger und Jägerinnen. «Safari» heisst Seidels neuster Streich und wie es der Titel bereits ankündigt, stehen Touristen im Zentrum, die nach Südafrika reisen, um dort für viel Geld Grosswild erlegen zu dürfen. Ein Gnu: 615 Euro, ein Wasserbock: 1400 Euro pro Abschuss – das Töten wilder Tiere als käufliche Ware.
Es ist ein Markenzeichen des 64-jährigen Regisseurs Seidl, dass in seinen stilisierten Dokumentation nicht immer ganz klar ist, wer jetzt hier tatsächlich authentisch agiert und wer Schauspieler ist. Diese Komponente fällt in «Safari» weg, oder spielt zumindest eine weniger grosse Rolle. Die vierköpfige Familie, welche da mit Gewehren im Anschlag durch die afrikanische Steppe pirscht, scheint echt zu sein. Tiere kommen im Film erst spät ins Bild (mal abgesehen von ausgestopften Varianten), wodurch denn auch diese seltsame Distanziertheit und Sterilität von Grosswildjagd hervorgehoben wird. «Das Stück» (so bezeichnen Jäger ein Tier) wird aus grosser Distanz ins Visier genommen, nach dem Erlegen – «Waidmannsheil!» – hübsch fürs Foto drapiert und dann den Einheimischen zum Ausnehmen überlassen.
Ulrich Seidl ist ein Meister darin, Unwohlsein bei der Zuschauerschaft auszulösen. In «Safari» entsteht dieses Unwohlsein vor Allem dadurch, dass es sich bei den Grosswildjägern und -jägerinnen um durchaus intelligente Menschen handelt, welche ihre Gefühle beim Akt des Tötens genau zu beschreiben vermögen und auch Ehrfurcht für Tiere zu empfinden scheinen. Verstehen tut man sie deswegen trotzdem nicht. Im Gegenteil: Umso barbarischer wirkt das Treiben, zumal beim letzten Aufbäumen einer Giraffe in ihrem Todeskampf die Kamera voll draufhält. Das ist schwer zu ertragen.
Wie ein Ferrari sei ihre Band gewesen: Das schnellste und heisseste Geschoss überhaupt. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man mit so was irgendwann frontal in eine Wand brettere, sei eben gross, sagt Noel Gallagher. Er wird’s wissen, denn in die Wand gebrettert ist er mit seinen Oasis tatsächlich. Und zwar mit Vollgas. Der englische Filmemacher Mat Whitecross («Amy», «The Road to Guantanamo», «Sex & Drugs & Rock & Roll») legt mit «Supersonic» eine Dokumentation vor, welche den kometenhaften Aufstieg der Rüpel-Truppe aus Manchester zeigt. Durch Zufall waren die beiden Brüder Noel und Liam Gallagher, Tony McCarroll, Paul «Guigsy» McGuigan und Paul «Bonehead» Arthurs 1993 in Glasgow von Allan McGee entdeckt worden – drei Jahre später spielten sie vor 250’000 (!) Leuten in Knebworth, wobei 4% der britischen Bevölkerung, also 2.6 Millionen Menschen, sich für Tickets beworben hatten. Damit beginnt und endet «Supersonic», der wenig ruhmhafte Abstieg und die definitive Auflösung der Band vor sieben Jahren sind in Whitecross’ Film kein Thema. Macht nichts. Wie katastrophal selbstzerstörerisch das Ferarri-Modell Oasis war, wird auch so klar.
«Supersonic» ist eine kurzweilige Dokumentation, die viele frühe, grobkörnige Konzert- oder Top-of-the-Pops-Aufnahmen und On-The-Road-Bilder beinhaltet. Abwechslungsweise kommen die Bandmitglieder zu Worte, wobei Noel und Liam am meisten zum Zuge kommen. Der Bruderzwist der beiden Brüder Gallagher, die sich auch mal mit einem Cricket-Schläger auf den Kopf hauen, ist omnipräsent, wird von den beiden Streithälsen aber wohltuend selbstironisch kommentiert.
Whitecross’ Film zeigt den Triumphritt, welche Oasis nach den beiden Alben «Definitely Maybe» (1994) und «What’s the story morning glory» (1995) antraten, führt aber auch schonungslos die Desaster vor, welche die fünf Lads aus Manchester veranstalteten. So konnte etwa das erste Konzert im Ausland (Holland) gar nicht erst angetreten werden, weil auf der Fähre dermassen Rambazamba veranstaltet wurde, dass Oasis bei der Ankunft gleich des Landes verwiesen wurden. Und bei einem Konzert in Los Angeles spielten die Tunichtgute mehrere Songs gleichzeitig, weil die ganze Mannschaft randvoll mit Crystal Meth und deswegen maximal verpeilt war.
Wahrscheinlich seien sie «the biggest bunch of cunts» gewesen, sagt Noel Gallagher rückblickend, womit er nicht so weit von der Wahrheit entfernt sein dürfte. Aber der grossmaulige Grössenwahn der Gebrüder Gallagher und die unverblümte Art, wie sie Anekdoten über Schlägereien, Alkohol- und Drogenexzesse zum Besten geben, hat eben auch was. Und daneben waren Oasis ja einfach auch eines: Eine verdammt gute Rock’n’Roll-Band, die uns fantastische Hymnen beschert hat. «Live Forever», «Don’t look back in anger», «Wonderwall» ….. fuckin’ biblical, man!
«Supersonic» wird in der Cinématte gezeigt und zwar DO 10. – SA 12.11., FR 18.11., SA 19.11., DO 24.11., SA 26.11. und SO 27.11.
Mein Gott, was wird gelogen in dem Film! Was werden Fassaden gepflegt, was wird gekittet und gekleistert, damit Wahrheiten nicht ans Licht kommen. Eine herrliche Spielwiese ist das für einen Filmemacher wie François Ozon, der die Doppelbödigkeiten des Erzählens mag.
Eine Liebesgeschichte eigentlich, nichts weiter – und obwohl diese Geschichte ihren irgendwie ein wenig behäbigen Gang nimmt, muss man am Schluss zugeben: Was ist das ein verteufelt gut geschriebener Film. Denn zwischen Wahrheit und Lüge interessiert sich Ozon hier für allerlei Zwischentöne, für Ausgelassenes, Totgeschwiegenes, und vor allem: für Unerzähltes. Zwei Länder, zwei Menschen, zwei Vorstellungen, wie die Dinge sind und wie sie sein könnten, alt und neu, schwarz und weiss – hier kann fast alles zur Metapher werden, und ist doch ganz unaufgeregtes Erzählkino, an der Oberfläche. Heile Welt des Kinos.
Der verrückteste Trick dabei: Wie Ozon schon sehr früh einen kleinen Verdacht zwischen die Bilder und Zeilen streut und ihn dann den ganzen Film lang ein wenig weiterpflegt, eine Wahrheit, die sich irgendwann dann doch mal noch offenbaren sollte (und es ansatzweise auch tut). Vor allem lässt Ozon das dann aber im Kopf der Zuschauer passieren, der Film nimmt irgendwann eine andere Wendung. Aber man bleibt bis zum Schluss damit beschäftigt, diese andere Wahrheit noch mit hineinzuerzählen. Und dreht und wendet die Dinge, immer wieder. Und weiss beim Abspann dann gar nicht mehr so genau ob man denn nun Gespenster gesehen hat.
Hat man natürlich, auf der Leinwand. Alles ein wenig spröde. Ein beinahe biederes Erzählen. Und dann doch: ein moderner Schachtelzauber, ein Erzählspiel, bei dem die Geschichte nur Vorwand ist und erst der Blick hinter die Kulissen zeigt, wie vertrackt die Dinge doch sind. Und da hinten sitzt übrigens Ernst Lubitsch und zwinkert verschwörerisch.
Bern? Was läuft? Bisschen durchatmen vor dem Wochenende, mit Tanz in Bern,zoom in,Raving Iran und bee-flat-Eröffnung? Also schauen wir doch rasch in die weite Welt hinaus, da läuft nämlich gerade ziemlich was. Könnte womöglich auch hier von Interesse sein.
Wann? 2017! «There’s a freshness to it, a lightness to it,» MacLachlan says.
Lightness? Twin Peaks? Nun bekomme ich wirklich Gänsehaut.
Mark Frost’s new book The Secret History of Twin Peaks is now out and available for purchase. For those who simply cannot wait for Twin Peaks’ new season to hit Showtime, this might help tide you over.
Wem der ganz konkrete weltpolitische Horror lieber ist, dem sei der neueste Wurf von Adam Curtis ans Herz gelegt, auch eben erst herausgekommen und hier in Gänze zu sehen. Food for thought.
all of us in the West – not just the politicians and the journalists and the experts, but we ourselves – have retreated into a simplified, and often completely fake version of the world. […] This strange world was built by all of us. We all went along with it because the simplicity was reassuring. And that included the left and the radicals who thought they were attacking the system. The film shows how they too retreated into this make-believe world – which is why their opposition today has no effect, and nothing ever changes.
Künstlerisches Schaffen ist immer auch ein Spiegel desjenigen, was gesellschaftspolitisch gerade in der Welt passiert. So erstaunt es nicht, dass sich viele der rund 180 Filme, welche bei der diesjährigen Ausgabe des Kurzfilmfestivals Shnit zu sehen waren, mit dem physischen Grenzübertritt beschäftigten, zumal das Shnit ja auch unter dem Jahresthema «Crossing Borders» stand. Gestern Abend ging die 14. Ausgabe von Shnit zu Ende, der Flaming Faun – also der Oscar für Kurzfilme – im Schweizer Wettbewerb ging an das rund 25-minütige Drama «Bon Voyage» von Marc Wilkins.
In «Bon Voyage» kreuzt das Ehepaar Jonas und Silvia auf einer Yacht durchs Mittelmeer; die Idylle scheint perfekt, der Blick über das weite Wasser ist atemberaubend, die Fische beissen und am Heck des Bootes flattert lustig ein Schweizerfähnchen im Wind. Des Nachts allerdings taucht plötzlich etwas auf dem Radar auf, das da nicht sein sollte. Beim Näherkommen erkennt das Ehepaar ein Boot, welches komplett mit Flüchtlingen überladen ist. Was tun? Werden alle Flüchtlinge aufs eigene Boot geholt, droht dieses zu kentern. Ausserdem ist die Gesetzeslage klar: wer im Mittelmeer illegal Leute aufnimmt, macht sich strafbar und muss mit bis zu 10 Jahren Gefängnis rechnen. In der ersten Schrecksekunde fahren Jonas und Silvia einfach am Boot in Seenot vorbei. Später allerdings drückt das schlechte Gewissen, eine Kehrtwende wird eingeleitet. Als die beiden am nächsten Morgen die Stelle wieder finden, treiben viele der Flüchtlinge tot im Wasser, deren Kahn ist offenbar gekentert.
Auch wenn das Mittelmeer weit weg sei, so sei es ihnen wichtig gewesen, einen Schweizer Fokus zu schaffen, sagt ProduzentJoel Jent. Und ausserdem sehe er Parallelen vom Verhalten von Jonas und Silvia zur Schweizer Flüchtlingspolitik: «Die Schweiz ist ein neutrales Land. Das hat gute aber auch schlechte Seiten. Wir verstecken uns oft hinter Gesetzen, dabei bleibt aber die Humanität auf der Strecke.»
Es ist ein beklemmender und starker Kurzfilm, den Marc Wilkins und sein Team mit «Bon Voyage» liefern. Zuhause in der warmen Stube scheint die Entscheidung sonnenklar: Die Flüchtlinge gehören an Bord geholt. Aber mitten in der Nacht, auf hoher See, mit Kentergefahr und drohender Strafe? Da sieht es dann natürlich wieder anders aus. Es ist diese Ambivalenz zwischen Hilfsbereitschaft, Menschenverstand und moralischer Pflicht, welche «Bon Voyage» zu einem unbequemen Film machen. Und dass wir uns in unseren warmen Schweizer Stuben ab und an so richtig unbequem fühlen, ist von Nöten. Denn so weit weg ist es eben doch nicht, das Mittelmeer.
«Bon Voyage» von Marc Wilkins ist der Gewinner in der Kategorie «Schweizer Film» und gehört auch zu den drei nominierten Beiträgen im internationalen Wettbewerb. Wer dort den Flaming Faun abholt wird am 16. Oktober in New York bekannt gegeben.
Was für einen Filmgeschmack hat ein Algorithmus? fragte gestern Der kleine Bund. Keinen, natürlich. Oder vielleicht doch einen bitteren Nach? Was das Shnit da als grosse Big Data-Revolution für Festivalmacher verkauft, ist eine Mogelpackung – und wohl kaum im Sinn der Filmemacher.
Gemeinsam mit einer englischen Firma hat Shnit ein digitales Instrument entwickelt, das die «relevanten Filme», wie van der Hoeven sagt, finden soll. Es analysiert alle wichtigen Filmquellen, vor allem Auszeichnungen, Festivals und Online-Plattformen, und sortiert dann die Filme nach vorgegebenen Kriterien.
Relevanz gemessen in Auszeichnungen, Klickraten und Nominationen? Das klingt nicht nach Kultur sondern nach Rankinglogik (das immerhin in Reinkultur). Und es entlarvt dieses Festival wieder mal als Soufflé – rasch gewachsen, ohne viel Substanz. «Relevanz» ist nicht umsonst die Lieblingsworthülse der Silicon Valley-Weltumwälzer – die bei ihren Gewinnstrategien notabene sehr gern auf die Arbeit anderer setzen. So wie die Shnit-Macher auch, denn das mühselige Visionieren erledigen nun einfach andere Festivals für die algorithmisch versierten Schlaumeier. Wer so auf die Suche nach Qualität geht und Kunst als Summe von Kennzahlen begreift, dem ist es nicht eigentlich um gute kulturelle Inhalte zu tun, sondern vor allem um den eigenen Erfolg (der sich wiederum anhand von Publikumszahlen bemisst).
Und wo wir schon bei Zahlen sind: Ab nächstes Jahr muss das Shnit auf 70’000 Franken vom Bundesamt für Kultur verzichten, doch «mit den neuen Gebührengeldern wird diese Lücke zu kompensieren sein», sagt Festivalchef van der Hoeven – für jeden eingereichten Film wird neu eine Gebühr fällig. Wegfallende Subventionen auf die Künstler abwälzen? Auch eine Möglichkeit. Eine Lenkungsabgabe, finden die Festivalmacher, statt 10’000 müssen sie so nur noch knapp 5000 Filme visionieren. Dürfte sich auch so noch rechnen: 5000 mal 35 Franken (im Schnitt) – mit einem sechsstelligen Plus unter dem Strich verschmerzt man die Absage des BAK natürlich leicht.
Ah übrigens, «kuratieren» kommt, via englisch curate, vom lateinischen curatus: one responsible for the care (of souls). Man darf es also ruhig sagen: ziemlich seelenlos, so eine Festivalphilosophie.
Der Entscheid sei auf der Landkarte gefallen, sagt Filmemacher Jan Gassmann, «Wir wollten einfach den europäischen Rändern entlang in Städten Halt machen, von denen man normalerweise nicht so viel hört». Und ausserdem sei er selber noch nie in diesen Ortschaften gewesen, was ihm die Möglichkeit gegeben habe, diese (filmisch) zu entdecken. Tallinn, Sevilla, Dublin und Thessaloniki, dies die vier Städte, welche der 32-jährige Gassmann für seine neuste Dokumentation «Europe, she loves»ausgewählt hat. Ein Film über Paare und Beziehungen habe er machen wollen, und so haben Gassmann und sein Team während drei Monaten unzählige Kilometer auf europäischen Autobahnen abgespult, um insgesamt vier junge Paare zu porträtieren.
Es sind erstaunlich intime Bilder, welch in «Europe, she loves» zu sehen sind. Die Zuschauerschaft geht mit den Paaren unter die Dusche, mit ihnen ins Bett, schaut ihnen beim Sex zu oder auch dabei, wie sie Drogen konsumieren und aneinander geraten. Die Kamera sei eben ständig an gewesen, erklärt Gassmann, und wahrscheinlich könne man sich einfach nicht so lange in Erinnerung rufen, dass da eine Kamera am filmen sei. Deswegen hätten die Paare dann irgendeinmal einfach gemacht, was sie sowieso gemacht hätten.
Europa sei eine einmalige Region in der Welt, demokratisch, gerecht, friedlich und wirtschaftlich florierend, erklärt in einer Szene von «Europe, she Loves» eine Fernsehstimme aus dem Off. Immer wieder macht Gassmann in seinem Dokumentarfilm eine Meta-Ebene auf, indem er Radio- oder TV-Nachrichten einfliessen lässt, welche den Alltag der Paare in einen grösseren ökonomischen und politischen Kontext setzen oder die Bildebene auch kontrastieren. So wird deutlich, dass Begriffe wie «demokratisch» und «gerecht» im Leben von Menschen, welche am Rande Europas in wirtschaftlich prekären Situationen leben, nicht greifen, beziehungsweise leere Phrasen bleiben müssen.
Sarah Elena Müller am Donnerstag den 15. September 2016
Würstchenhund, die Dackelin, wurstelt sich als roter Faden von Frauchen zu Herrchen, entkommt immer nur knapp dem Tod und macht eine CGI-Reise.
Eigentlich wollte ich über Polder, das Reality-Hexen-krasse-päng-smart-digital-Game-Film-alles-Erlebnis schreiben. Eine Audioreise durch Bern, mit Smartdevice und Polder-App, dazu der Film, der sich als Trailer schon aufbläst, als wäre Davos Hollywood höchstpersönlich. Nachdem aber meine PolderApp nichts ausser Bitte Warten zu sagen hatte, sattelte ich auf Wiener Dog um.
Eine Auferstehung. Klar, es geht um Fäkalien, Gerülpse und Fürze, aber Dawn, Todd Solondz treuste Figur, ist auch in diesem Film mit dabei. In Welcome to the Dollhouse stand die Figur Dawn Wiener, ein vom Pech verfolgtes Teenager Mädchen im Zentrum, später taucht sie in Palindromes kurz wieder auf, diesmal ist Dawn des Wiener Dog’s Rettung. Sie krallt sich den Dackel, kurz bevor er vom Tierarzt die finale Spritze gesetzt bekommt und macht mit ihm eine Reise nach Ohio. Oder so. Und in Ohio gibts Crystal Meth. Nein Heroin. Wenn man sich Todd Solondz Filme ins Gedächtnis ruft, ist man in Wiener Dog gut aufgehoben, die Figuren sind, wer sie immer waren, gut ausbalancierter Sadismus gepaart mit Glubschaugen, in allen steckt noch die zweite Seite, wenn die Story lange genug bei einer Figur bleibt, bekommt man diese Seite auch noch zu Gesicht. Der erst passive, eher depressive Filmdozent begeht doch noch einen Anschlag auf seine Filmhochschule. Wiener Dog darf den Sprengstoff transportieren. Die erst abweisend gleichgültige Grossmutter weint doch noch, weil ihre Enkelin ihr eine immense Summe abknöpft, um ihrem Boyfriend zu helfen Künstler zu werden. Worüber da geweint wird, kann sich jede selbst aussuchen, worüber man lachen will, hängt vom Grad an Zynismus ab, zudem man sich öffentlich, also im Kinosaal, bekennen kann. Jedenfalls, Fuck Damien Hirst, das war erfrischend. Was ich an Todd Solondz schätze, ist die Art zu erzählen, die sich nicht um ein …what if…then what? schert. Wie kommt der Dackel von da nach da und ist der Tod allgegenwärtig oder wie darf ich das verstehen? Und wer sind diese Leute, mit denen ich plötzlich im Wohnzimmer leide? Ich schätze es, wenn ich mich frage, how the hell did I get here?