Sondern ein Mensch. Das Kino Rex zeigt den eindringlichen filmischen Essay «I Am Not Your Negro» nach einem unveröffentlichten Manuskript von James Baldwin.

Ich trete aus dem Kino und könnte kotzen. Direkt über die Tastatur kotzen, ergriffene Kotze vielleicht – bleibt Kotze. Eine unübersichtliche Auslege-Unordnung im Ausbruch, ungeniessbar und magensauer. Nun ist verbalisierte Kotze nicht das, womit ich Sie konfrontieren will. Und sie ist nicht das, womit ich meine paar Franken Trinkgeld einstreichen möchte am Ende des Monats. Ich möchte Ihnen von diesem Film erzählen und also wie es dazu kommt, dass ich, ein paar abgelenkte Tage später, immer noch kotzen könnte.
Raoul Peck montiert über den als grosses Projekt angelegten, Manuskript-Strunk gebliebenen und von Samuel L. Jackson würdevoll vorgetragenen Text Baldwins eine Collage schwarzer Unterdrücktheit. Rasant hiesse man den Streifen im Blockbuster-Jargon. Doch die gezeigte «Action», Brand, Geschrei und Schüsse, dienen nicht der Befriedigung von Sehnsüchten des gelangweilten weissen Mannes. Sie ist real. Und das exakte Gegenteil von Weltvalium.
Archivmaterial ist ein gefährliches Wort. Es tut so, als wäre etwas von der Welt verstanden, sortiert und abgelegt worden. Aber archiviert ist halb vergessen. Was dem Regisseur unter der Verwendung dieser Materialien gelingt, ist weniger die Vergegenwärtigung einer historischen gesellschaftlichen Wunde als einer offen blutenden. Die Kamera schwenkt über die Geschichte afroamerikanischer Unterdrücktheit, zeigt den langen Schatten der Sklaverei bis ins Jetzt. Er liegt über den Karikaturen vom Jim Crow, über einem weissen Hollywood und seinen gestiefelten Helden. Er liegt über den Nachbarschaften amerikanischer Kleinstädte und den Ghettos der grossen Metropolen. Und er liegt über den Methoden der Staatsgewalt.
Der Film spricht eine emotive Sprache. Und einen kurzen Moment ist man verleitet, ihm dies vorzuwerfen und Pathos zu unterstellen, wo differenzierte, archivarische Nüchternheit am Platz wäre. Nur ist es einerseits verfehlt, da Baldwins Text eine persönliche Auseinandersetzung mit den Morden an seinen ungleichen Mitstreitern und Freunden Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers leistet. Und nach deren Lebensläufen Peck einen gewichtigen Teil der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung beleuchten kann. Und andererseits stellt sich mir die Frage: Was mehr ist zu wollen vom Zuschauer, als dass er sich emotional verbinden kann? Wo sich die Frage nach Recht und Unrecht längst nicht mehr stellt, sondern nach der empathischen Dringlichkeit. Nach dem Hinschauen oder Ignorieren.
All I can say is …
Ich bin ein weisser kleiner Mann aus einer sandsteingrauen kleinen Stadt, ein Mensch.
In den eindringlichsten Sequenzen des Films brennt nichts, stirbt nichts. Es sind die Aufzeichnungen von Fernsehgesprächen mit James Baldwin. Und in jener berühmt gewordenen Diskussion mit Kenneth Clark trägt er, erregt und rhetorisch glänzend, den eindringlichen Satz vor, als trete er aus eigener Kraft aus dem langen Schatten: «Ich bin nicht dein Neger. Sondern ein Mensch.»
Amerika habe sich zu fragen, warum es den Neger braucht. Wir müssen uns dasselbe fragen. Warum wir den Schwulen brauchen. Warum wir die Hure brauchen. Warum wir die Transe brauchen. Warum wir den Asylanten brauchen. Warum wir den Krüppel brauchen.
Was erzählt uns das über uns selbst?
Wir beschreiben damit keine Menschen und noch weniger interessieren wir uns für sie. Wir überformen letztlich nur unser für Irritationen so empfindliches, karikaturistisches Selbstbild auf andere – und offenbaren unsere eigenen Ängste, die jedem Interesse den Weg verstellen.
Sie finden das einfach? Ich auch. Und gerade deshalb könnte ich darob kotzen weinen. Dass eine Menschheit nicht im Stand ist, einen solchen schlichten, fast kindlichen Gedanken auszuführen und in ihren Handlungen sichtbar zu machen.
«I Am Not Your Negro» wird noch bis zum 26. April gezeigt.