Archiv für die Kategorie ‘Film & Fotografie’

Velo oder Schildkröte?

Gisela Feuz am Freitag den 26. Mai 2017

Sommerzeit – Randsportartenzeit! So würden es zumindest die Herren drüben bezeichnen. Tatsächlich gibt es sehr viel nichts Schöneres, als im Sommer das Rad zu satteln, bei Gegenwind Beaufort 12 lauem Lüftchen durch schöne Auenlandschaften zu pedalen, sich perverso die Birne zu verbrennen am wolkenlosen Himmel zu erfreuen und beide Lungenflügel mit verdammten Dreckspollen Mutter Naturs Odem zu füllen. Das führt zu Mordgelüsten inspiriert den Geist und gibt Hornhaut am Arsch ist gut für Leib und Seele! Dieser Ansicht sind offenbar auch Tim & Puma Mimi, wie deren Ode an das Velo verrät.

Kreativer in der Wahl des Fortbewegungsmittels zeigt sich der jüngste Spross aus dem Hause Voodoo Rhythm namens Rolando Bruno. Anstelle eines schnöden Fahrrades besteigt Herr Bruno lieber eine Schildkröte, um der Liebsten zu Hilfe zu eilen. Was Greenpeace dazu sagen würde, sei jetzt mal dahingestellt. Jedenfalls macht die wunderbare Super-Mario-Bros-Ästhetik des Videos richtig Nostalgie-Freude, nicht? Rolando Bruno wird übrigens auch als King of Fuzz Cumbia bezeichnet. Sie wissen nicht, was Cumbia ist, werte Leserschaft? Cumbia ist diejenige Sorte von Musik, die einen als mitteleuropäische Frau mit der Beweglichkeit eines Besenstiels in Schockstarre verfallen lässt. Aber hören sie doch selber. Ich geh derweilen meine Uralt-Nintendo-Playstation im Keller suchen.

Frau Patagônia, ins Büro!

Gisela Feuz am Montag den 24. April 2017

Alle, die wir hier bei KulturStattBern mittun, stehen ja selber mit einem Bein im Kulturgrab mitten im kulturellen Geschehen. Allerdings gehen wir mit unseren Outputs, beziehungweise deren Streuung ganz unterschiedlich um. Rockboy Schwab und Chefin Feuz zum Beispiel lassen ja keine Chance aus, KSB schamlos als Distributionskanal für eigenen Unfug zu missbrauchen und lügen dabei gerne auch mal das Blaue vom Himmel herunter. Konfuzius Rihs würde wohl auch lügen wollen, scheitert dann aber an der konzeptuellen Dekonstruktion seiner selbst (auf der Metaebene, versteht sich) und schreibt drum über Schnaps im Denner. Dandy Fischer säuft nach Design- und Kunstvernissagen die stehengelassenen Gläser leer und gleist den Umsturz aller bestehenden Systeme auf, weiss dann aber am nächsten Tag leider nichst mehr davon, weswegen wir hier auch nie darüber lesen.

Die einzig Vernünftige in diesem Saufhaufen ist unsere Frau K. (eigentlich Krstic, aber das schreib ich nie mehr aus, weil Frau K. mir mit Enthauptung gedroht hat, falls ich ihren Namen noch einmal falsch zu Papier bringe.)  Besagte Frau K. ist die Bescheidenheit in Person, trinkt ausschliesslich Gurkenwasser und erwähnt denn auch nur ganz beiläufig im Kleingedruckten irgendeiner E-Mail, dass sie gerade ihr erstes Video herausgegeben habe. Frau K. ins Büro der Chefin, los hopp! Wir üben jetzt mal blöffen. Und Schnaps saufen.

I Am Not Your Ego

Mirko Schwab am Donnerstag den 20. April 2017

Sondern ein Mensch. Das Kino Rex zeigt den eindringlichen filmischen Essay «I Am Not Your Negro» nach einem unveröffentlichten Manuskript von James Baldwin.

Ich trete aus dem Kino und könnte kotzen. Direkt über die Tastatur kotzen, ergriffene Kotze vielleicht – bleibt Kotze. Eine unübersichtliche Auslege-Unordnung im Ausbruch, ungeniessbar und magensauer. Nun ist verbalisierte Kotze nicht das, womit ich Sie konfrontieren will. Und sie ist nicht das, womit ich meine paar Franken Trinkgeld einstreichen möchte am Ende des Monats. Ich möchte Ihnen von diesem Film erzählen und also wie es dazu kommt, dass ich, ein paar abgelenkte Tage später, immer noch kotzen könnte.

Raoul Peck montiert über den als grosses Projekt angelegten, Manuskript-Strunk gebliebenen und von Samuel L. Jackson würdevoll vorgetragenen Text Baldwins eine Collage schwarzer Unterdrücktheit. Rasant hiesse man den Streifen im Blockbuster-Jargon. Doch die gezeigte «Action», Brand, Geschrei und Schüsse, dienen nicht der Befriedigung von Sehnsüchten des gelangweilten weissen Mannes. Sie ist real. Und das exakte Gegenteil von Weltvalium.

Archivmaterial ist ein gefährliches Wort. Es tut so, als wäre etwas von der Welt verstanden, sortiert und abgelegt worden. Aber archiviert ist halb vergessen. Was dem Regisseur unter der Verwendung dieser Materialien gelingt, ist weniger die Vergegenwärtigung einer historischen gesellschaftlichen Wunde als einer offen blutenden. Die Kamera schwenkt über die Geschichte afroamerikanischer Unterdrücktheit, zeigt den langen Schatten der Sklaverei bis ins Jetzt. Er liegt über den Karikaturen vom Jim Crow, über einem weissen Hollywood und seinen gestiefelten Helden. Er liegt über den Nachbarschaften amerikanischer Kleinstädte und den Ghettos der grossen Metropolen. Und er liegt über den Methoden der Staatsgewalt.

Der Film spricht eine emotive Sprache. Und einen kurzen Moment ist man verleitet, ihm dies vorzuwerfen und Pathos zu unterstellen, wo differenzierte, archivarische Nüchternheit am Platz wäre. Nur ist es einerseits verfehlt, da Baldwins Text eine persönliche Auseinandersetzung mit den Morden an seinen ungleichen Mitstreitern und Freunden Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers leistet. Und nach deren Lebensläufen Peck einen gewichtigen Teil der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung beleuchten kann. Und andererseits stellt sich mir die Frage: Was mehr ist zu wollen vom Zuschauer, als dass er sich emotional verbinden kann? Wo sich die Frage nach Recht und Unrecht längst nicht mehr stellt, sondern nach der empathischen Dringlichkeit. Nach dem Hinschauen oder Ignorieren.

All I can say is …
Ich bin ein weisser kleiner Mann aus einer sandsteingrauen kleinen Stadt, ein Mensch.

In den eindringlichsten Sequenzen des Films brennt nichts, stirbt nichts. Es sind die Aufzeichnungen von Fernsehgesprächen mit James Baldwin. Und in jener berühmt gewordenen Diskussion mit Kenneth Clark trägt er, erregt und rhetorisch glänzend, den eindringlichen Satz vor, als trete er aus eigener Kraft aus dem langen Schatten: «Ich bin nicht dein Neger. Sondern ein Mensch.»

Amerika habe sich zu fragen, warum es den Neger braucht. Wir müssen uns dasselbe fragen. Warum wir den Schwulen brauchen. Warum wir die Hure brauchen. Warum wir die Transe brauchen. Warum wir den Asylanten brauchen. Warum wir den Krüppel brauchen.

Was erzählt uns das über uns selbst?

Wir beschreiben damit keine Menschen und noch weniger interessieren wir uns für sie. Wir überformen letztlich nur unser für Irritationen so empfindliches, karikaturistisches Selbstbild auf andere – und offenbaren unsere eigenen Ängste, die jedem Interesse den Weg verstellen.

Sie finden das einfach? Ich auch. Und gerade deshalb könnte ich darob kotzen weinen. Dass eine Menschheit nicht im Stand ist, einen solchen schlichten, fast kindlichen Gedanken auszuführen und in ihren Handlungen sichtbar zu machen.

«I Am Not Your Negro» wird noch bis zum 26. April gezeigt.

SELVE – Der Bildband

Gisela Feuz am Freitag den 7. April 2017

Frau Feuz ist eine Heimweh-Thunerin, wie es im Buche steht. Nein, dort aufgewachsen ist sie nicht, aber blutjung der Enge des Oberlandes entflohen und in die Metropole am Fusse des Schlossberges übergesiedelt. Botz Donnerwetter. Fulehung, Schaudau Open Air, Thunfest … bald einmal konnte Teenager Feuz den ersten Suff verbuchen (Rosé im Mokka, das Glas für 2.50), zog zum ersten Mal an einer Kräuterzigarette und besuchte im Nachtwerk den ersten Rave. Nachtwerk? Sagt Ihnen nichts? Das war ein Club im Selve-Areal. Selve sagt Ihnen auch nichts? Dann schreiben Sie jetzt auf der Stelle Fotograf Christian Helme eine E-Mail und bestellen bei ihm den Bildband «Selve».

1895 eröffnete Gustav Selve nahe der unteren Thuner Altstadt ein Buntmetallwerk, in welchem Platten, Rondellen, Draht- und Munitionszubehör hergestellt wurden. Die Produktion wurde mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges stark ausweitetet und florierte auch während des Zweiten Weltkrieges. An der Spitze des Unternehmens stand lange Zeit als alleinige Inhaberin Else von Selve, die bei der Belegschaft grosses Ansehen genoss. Als Madame Selve 1971 verstarb, übernahm Finanzjongleur Werner K. Rey die Erbgemeinschaft der Firma und fuhr, Sie entschuldigen die saloppe Ausdrucksweise, die Karre so richtig gegen die Wand. Während Rey auf den Bahamas die bleiche Wampe in die Sonne hängte, schloss 1993 in der Selve die letzte Produktionsstätte.

Die Hallen blieben aber nicht lange leer, Gewerbetreibende, Künstler und Bastler zogen ein und ausserdem beherbergte die Selve zu Spitzenzeiten rund 20 öffentliche Vergnügungsstätten (und eine Vielzahl privater Partyräume) wie etwa Cherokee, Chain-Links, Selver-Gärtli, Late Night Americano, Diagonal, Bierhalle, Gatsby-Disco, Basis, Orvis, Nachtwerk, Galerie Dreieck, Willa Wahnsinn oder Kraftstoffbar. Die Partymeile strahlte bis nach Zürich, An einem Freitag- oder Samstagabend strömten gut und gerne 10’000 Besucher durch die Hauptachse, die sinnigerweise Scheibenstrasse heisst. Die Sitten wurden allerdings rauer, es wurde geklaut und gedealt, Gewalt machte sich breit, der Zuschauerstrom begann zu versiege und die vorher immer wieder verlängerten Mietverträge liefen aus. 2007 hatte es sich dann definitiv ausgefeiert und heute stehen dort, wo einst Nachtschwärmer in die Aare Richtung Schwäber (Flussbad Schwäbis) rüberseichten, ein zwölfgeschossiges Hochhaus, Bezirksverwaltungsgebäude und eine ganze Reihe Wohnhäuser.

Die bewegte Vergangenheit, der Wandel von Produktionsstätte zu Vergnügungsviertel und Wohnraum dokumentiert der Thuner Fotograf Christian Helme nun in seinem Bildband «Selve» mit zahlreichen grossformatigen Schwarz-Weiss- und Farb-Fotografien aus rund vier Dekaden. Architekt Guntram Knauer hat dazu ein Vorwort verfasst, in welchem die Entwicklung detailliert wiedergegeben wird. Ein wunderbares Buch, Einblick gibt’s hier. Oh Nostalgie!

Von den Rollen

Roland Fischer am Freitag den 24. März 2017

Achtung, Nostalgie. Man gehört ja wohl zum älteren Eisen, wenn man mit Kino das angenehme leise Rattern der Projektoren verbindet. Tatsächlich ist dieses besondere – und kaum mehr zu hörende – Geräusch ein persönliches Real-World-ASMR, das sich irgendwie direkt in tiefere Hirnschichten schleicht und da genau die richtigen Neuronen streichelt. Gestern abend gab es im Rex-Foyer eine gute Portion Streicheleinheiten fürs Kino-Gemüt, an einer Super8-Vorführung der eher seltsameren Art.

Zwei Künstlerinnen und ein Haufen kleiner Projektoren, die laufend andere improvisierte Leinwände fanden. Und dazu Filme, Filme, Filme, mit mal seltsamen, mal fernwehen, mal intimen, mal voyeuristischen Bildern in allen möglichen Farbtönen. So erzählten die beiden Analog-VJs immer neue visuelle Parallelgeschichten, während die kleinen Kisten leise ratterten und knackten und surrten.

Friedli ist ein Sauhund

Gisela Feuz am Mittwoch den 22. März 2017

Am Freitag spannen die beiden Kinos Cinématte und cineBubenberg zusammen und laden zur 15. langen Nacht der kurzen Filme. Nebst divesen aktuellen Kurzfilm-Produktionen aus der Schweiz und Europa gibt es auch eine Berner Premiere zu begutachten, nämlich «In a Nutshell» von Fabio Friedli. Besagter Herr Friedli hat uns ja vor rund sechs Jahren schon mit dem wunderbaren Stop-Motion-Kurzfilm «Heimatland» beglückt, der zwischenzeitlich keinesfalls an Aktualität verloren hat.

Die titelgebende Redewendung von Friedlis neuem Animationsfilm «In a Nutshell» bedeutet so viel wie «komprimiert», wobei der Berner Filmemacher gemäss Pressetext denn auch die richtig grossen Themen wie Konsum, Sex, Gewalt, Migration und Krieg bis hin zu Facebook und Tinder in gerade mal fünf Minuten abhandelt. Die ganze Welt in einer Nussschale eben. Regisseur Friedli wird bei der Première übrigens mit seiner Crew persönlich vor Ort sein, um dem Publikum Rede und Antwort zu stehen. Ihnen sagt der Name Fabio Friedli nichts? Dann vielleicht Pablo Nouvelle? Ja genau, der Pablo Nouvelle, welcher als Musiker in elektronischen Gefielden internationale Erfolge feiert. Das ist ebenfalls der Friedli. Offenbar haben wir es hier mit einem Kerl zu tun, der so ziemlich alles kann. Sauhund.

Die Kurzfilmnacht findet diesen Freitag 24. März in Cinématte und cineBubenberg statt, gezeigt werden vier Themenblöcke. SWISS SHORTS  bietet neue Kurzfilme aus der Schweiz, wie zum Beispiel «Digital Immigrants» von Dennis Stauffer und Norbert Kottmann, «Analysis Paralysis» von Anete Melece sowie internationale Festivalhits wie «Bon Voyage» von Marc Wilkins mit Tatort-Kommissar Stefan Gubser, über den KSB hier bereits berichtet haben. Im Block FAMILY TIES  werden Kurzfilme gezeigt, welche beleuchten, wie mühselig die eigene Familie doch manchmal sein kann – sehr zu empfehlen: «Die Badewanne» von Tim Ellrich. «C’EST LA VIE – Kleine Geschichten aus Frankreich» zeigt aktuelle französische Kurzfilme einer neuen Generation von jungen Filmemachenden und in der Nocturne «THIS GIRL IS ON FIRE – Sex bleibt Nebensache» werfen drei junge Regisseurinnen einen frischen Blick auf die weibliche Sexualität.

 

#BernNotBrooklyn

Roland Fischer am Sonntag den 19. März 2017

Freitag nacht im Lichtspiel. Farbe auf und in den Film zu bekommen war ja nicht ganz einfach, dazu gab’s so einiges zu sehen und zu hören an der Museumsnacht. Dasselbe gilt übrigens auch für Cocktails, wenn man nicht gleich mit der chemischen Keule nachhelfen will. Wer den notorischen Blue Curaçao also ohne Patentblau V mixen will, der versucht es am besten mit Rotkohl. Dumm nur, dass das schöne Blau ins Rote kippt, wenn ein wenig Säure dazukommt.

Dasselbe passiert übrigens gern auch mit den 16mm-Scopitones aus den 1960ern, die über die Bar-Leinwand flimmerten, manche arg rotstichig, aber deshalb nicht weniger charmant. Ah, Nathalie!

Plus question de phrases sobres
Ni de révolution d’octobre
On n’en était plus là
Fini le tombeau de Lénine
Le chocolat de chez Pouchkine
C’est, c’était loin déjà

Und erst diese schwülfrivole französische Version von «Teach me Tiger» – gibt’s die wirklich nirgends sonst auf Video?

Posten Sie Ihr Foto/Video auf irgendeiner digitalen sozialen Plattform mit dem Zusatz #BernNotBrooklyn. KSB wählt unter den Fotos das leckerste aus und veröffentlicht es manchmal sogar pünktlich zum Katerfrühstück.

Die Welt zu Gast in Bern

Milena Krstic am Freitag den 13. Januar 2017

Das allumfassende Musikblog Norient betreibt dieser Tage wieder sein üppiges Musikfilm Festival. Und hat zu Ehren des Anlasses eine Liste mit Elektronika-Musik aus Bern zusammengestellt.

Norient, oh, Norient. Was trägst du nicht alles an uns heran: Musik aus den staubigsten Winkeln unseres Planeten, Geräusche von Orten, die wir nichtmal vom Hörensagen her kennen. Du gehst weit für uns, damit wir nur einen Klick davon entfernt sind, was in Favela, Wüste und Grossstadt musikalisch gerade so los ist.

Du hast uns eine Ausstellung beschert, die auf dem Erdboden bündelt, was du im Netz sonst streust. Du zeigst uns im achten Jahr in Folge Musikfilme aus aller Welt und organisierst dazu auch schon mal ein Konzert im Kinosaal.

Norient, du bist die Hauptstadt der Musik, weil alle bei dir vorbeikommen, auch die, welche sonst unbemerkt blieben. Du bist politisch engagiert, du bist offen für alle/s, du bringst zusammen und du inspirierst zu Neuem. Eigentlich bist du perfekt. Schön, dass es dich gibt.

Und bevor ichs vergess’:

Hier die Liste, welche ein paar Splitter des elektronische Musikschaffens Berns bündelt. Wer fehlt noch?

Das Norient Musikfilm Festival läuft noch bis am Samstag. Heute Abend: Ein Film über den jungen russischen Musiker Moa Pillar (Bonfires and Stars) und eine Dok über die Musikszene in Mittel- und Osteuropa. Danach live im Rössli: zwei Berner Elektronika-Männer, zuerst Jean-Claude und danach Elektrobopacek. 

«Tony, you rock»

Gisela Feuz am Mittwoch den 11. Januar 2017

Während andere in seinem Alter sich auf die Pensionierung und das süsse Nichtstun freuen, denkt Anthony Thomas mitnichten ans Aufhören. Der Beruf des gebürtigen Amerikaners: Gitarrist und Sänger der Basler Garagerock-Truppe The Lombego Surfers. Seit rund 30 Jahren malträtiert der 63-jährige Tony bei den Lombegos die Gitarre und schreit sich dazu die Seele aus dem Leib. Mattias Willi hat der Legende nun den 40-minütigen Dokumentarfilm «Tony, you rock» gewidmet, in welchem besagter Tony in charmantem Baseldeutsch-Englisch über seine musikalischen Anfänge, die veränderte Attitüde der heutigen Kids und den Punk-Spirit sinniert.

Nebst Anthony Thomas selber kommen auch langjährige Wegbegleiter zu Wort wie etwa Künstler Dirk Bonsma, Schlagzeuger Olivier Joliat und Teilzeit-Lombego Bassist Luc Montini. Sie alle zeichnen das gleiche Bild: Ein authentischer und umgänglicher Mann ist er, dieser Tony, der die Gitarre lieber zu laut als zu leise spielt und die musikalische Schlichtheit der 60er-Jahre beibehalten hat. Zudem hat Matthias Willi die Lombego Surfers auch auf langen Autofahrten quer durch Deutschland begleitet und so gibt sein Film auch Einblick in ein manchmal extrem unglamouröses Tourleben. Während die anderen Band-Mitglieder schon mal heimlich die Nase rümpfen, wenn der Schlafsack unter einem Tisch in einer Gaststätte ausgerollt werden soll, zeigt sich Tony auch hier beneidenswert unkompliziert.

«Tony, you rock» ist das Porträt eines Mannes, der seine Bestimmung gefunden hat und zwar in einem Leben, welches Abseits der gängigen Pfade verläuft. Dank seinem Elan, der Freude an der Sache, Hartnäckigkeit und Bescheidenheit ist dieser Tony im Kopf junge geblieben, ungemein sympathisch und in Punkto Haltung ein Vorbild, von dem sich noch so macher Jungspund ein Stück abschneiden könnte. Hoffentlich bleibt er den düsteren Rock’n’Roll-Kellern noch eine Weile erhalten, dieser Tony, weil er rocken tut er definitiv.

Das Porträt «Tony, you rock» von Matthias Willi wird am Freitag 13. Januar in der Cinématte gezeigt. Anschliessend spielen die Lombego Surfers zusammen mit Here Hare Here eine Live-Show in der Brennerei.

Höhenfeuer 2.0

Milena Krstic am Samstag den 24. Dezember 2016

Jawoll, da sind wir schon zu spät dran, um Ihnen eine Weihnachtsgeschenk-Empfehlung abzugeben. Aber Sie können sich «Gaumbenfieber», den Foto-Comic aus Bern, auch so ziehen.

Im Brocki-Chique auf Wanderschaft. Foto: Pius Bacher

Ist das eigentlich ein Trend unter uns jungen Menschen, sich in eine Alphütte zu verkriechen, alleine oder mit Friends, und sich abseits von Internet und fliessend Wasser ein Abenteuer zu gönnen? Dort können wir unseren Brockenstuben-Chique zelebrieren und Kaffee schlürfen aus Titan-Tassen, UNO spielen und zäme öppis Feins chöcherlen.

Diese Ästhetik, oder eben diesen Trend,  haben nun ein paar junge Menschen aus Bern aufgegriffen und ihre Ideen dazu in das Buch «Gaumenfieber» fliessen lassen. Der Foto-Comic ist kürzlich beim jungen Verlag Union Bild erschienen und erzählt in «94 Fotografien und wenig Text», wie die Macher*innen selbst erklären, die Geschichte von fünf jungen Leuten, die sich drei Tage lang in eine Alphütte verabschieden.

Was gemütlich werden soll, wird zu einem gespenstischen Splatter-Erlebnis: da erscheinen gruslige Gestalten und passieren zwischenmenschliche Liebes-Scharmützel.

Es ist ein kurzweiliger Spass, sich durch die kontrastreichen Fotografien von Pius Bacher zu blättern und mitzuverfolgen, was für ein Schauermärchen sich diese (aus Berns Kulturleben bereits zum Teil bekannten) Leuts ausgedacht haben (Regie: Joel Hafner). Schön ausgesucht sind auch die Schauplätze: das Walliser Obergoms und Lengtal am Nufenenpass nämlich. Und dank dem trashigen SennentuntschiAspekt gibts einen zusätzlichen Amüsement-Faktor.

Die Vernissage ist schon gewesen. Sie können «Gaumbenfieber» für CHF 16.- (exkl. Versand) hier bestellen. 

PS. Beim Durchblättern von «Gaumbenfieber» ist mir Fredi M. Murers Film «Höhenfeuer» in den Sinn gekommen. Wäre doch etwas, sich dieses poetische Werk über die Festtage mal (wieder?) anzusehen.