So, gleich weiter mit den Jahresrückblicken, man kann nämlich getrost auch schon 2015 abschliessen, aus cinematographischer Sicht – sobald man Xavier Dolans Mommy gesehen hat. Nach diesem Hurrican von einem Film kommen ziemlich sicher nur noch laue Lüftchen.
Während alle Kino-Masochisten sich auf den neuen Seidl freuen, um sich wieder mal so richtig elend fühlen zu können, weil sie ja im tiefsten ehrlichsten Grund so elend ist, diese Welt, während sich alle also diesen Fremdschauder holen (denn bei Seidl geht’s ja eigentlich nie um uns, sondern um den hässlichen Bodensatz, über den wir uns schaudernd dann doch ein wenig erheben), haut uns Xavier Dolan einfach sehr direkt und ungekünstelt eins in die Fresse. Nein, nicht nur eins, man sei gewarnt: dieser Film macht einen fertig, er beutelt einen zweieinhalb Stunden lang, Magengrube, Nierengegend, Kinnhaken, und wieder voll in die Weichteile – Dolan ist ein verdammtes Schwergewicht, und dabei ist er doch erst 25 Jahre alt. Und er ist ein frecher Hund, ein tänzelnder Heisssporn, der keinen Respekt und vor allem keine Angst vor der grossen Leinwand und den grossen Gefühlen hat. Er fordert gleich alles heraus: uns, das Kino an sich, alle möglichen Vorreiter, alle Konventionen und Gepflogenheiten des Genres. Wie Dolan allein mit dem Bildformat herumspielt ist eigentlich eine Unverschämtheit und würde von jedem Filmdozenten verboten. Zum Glück braucht Dolan keine Lehrer mehr.
Das könnte also gehörig schief gehen, diese Geschichte um eine Mutter, die nicht so viel Feingefühl und Sinn für gesellschaftliche Kriechereien hat, aber dafür einen umso derberen Wortschatz und vor allem umso mehr Liebe für ihren Sohn – der trotzdem zuverlässig auf die schiefe Bahn gerät. Oder: diese Geschichte um einen Sohn, der nicht versteht, was die schlicht viel zu kleinkarierte und enge Welt von ihm will, der liebt und um sich schlägt und der damit alle vollkommen ohnmächtig macht (auch den Zuschauer). Könnte schiefgehen, aber: diese Wildsau von Regisseur macht einfach alles richtig, man weiss nicht recht wie – man würde ihn ja nicht ungern auf die Schnauze fallen sehen, so grossspurig ist das alles, aber er fällt nicht. Und seine Schauspieler gehen das gewagte Spiel mit und machen ihre Figuren fast überlebensgross, so dass man am Schluss nicht mehr recht weiss, war das jetzt eine fein beobachtete Gesellschaftsstudie aus den kanadischen Suburbs oder griechischer Mythos. So oder so: muss man gesehen haben. Man wird noch oft daran denken, im weiteren Laufe des Kinojahres.