Mir ist da etwas aufgefallen in Venedig. Wenn es regnet versuchen Leute allenthalben, einem Regenschirme anzudrehen, und dieselben Leute (die sich früher bei Sonne sehr geärgert haben mussten) haben neu auch ein Schönwettervariante: den Selfie-Stick. Könnte man, nur nebenbei, ja auch kombinieren, oder?
Jedenfalls grassiert diese Selfie-Stangen-Manie offenbar überall schon so sehr, dass man fast den Untergang des kulturellen Abendlandes fürchten muss (auch wenn man nicht recht weiss warum):
Im Schloss Versailles nahe Paris machen die Museumsangestellten neuerdings höflich darauf aufmerksam, dass die als Selfie-Sticks bekannten Armverlängerungen unerwünscht seien. Man befürchtet Beschädigungen der wertvollen Spiegel und Ausstellungstücke, wenn bei der Besucherschwemme zur Hochsaison Nutzer unvorsichtig mit den Stangen herumfuchteln, um sich damit selbst zu fotografieren.
Armverlängerung! Vielleicht eher prothetisches Selbst also. Des weiteren listet der Spiegel das Centre Pompidou und den Louvre, viele amerikanische Museen (darunter das MoMa) und britische Fussballstadien als Selfiestick-Verbotszonen auf. Und auch bei uns: Schweizer Museen dulden keine Selfie-Sticks. Die Welt hat wirklich keine ernsten Probleme mehr.
Was mir indessen in Venedig aufgefallen ist, beim Beobachten all der Leute, die sich vor schönen Kulissen in Szene setzen: Vielleicht hat die Selfie-Inflation etwas mit unserer digitalen Bilderflut zu tun? Wenn man Ferienfotos irgendwie dokumentarisch versteht – als Beweismittel gewissermassen, dass man wirklich da war, wovon man erzählt, dann muss man diese Fotos heute womöglich mit einem persönlichen Wasserzeichen versehen, damit sie noch etwas wert sind. Ein Foto von der Seufzerbrücke? Könnte ja jeder kommen! Findet sich leicht hundertfach bei Google Images. Aber eins, auf dem ich selber mit drauf bin – damit wäre das dann wieder verbürgt. Mal sehen wie die nächste Eskalationsstufe in Sachen getürkte Identität und Narration des Selbst aussieht.