Archiv für die Kategorie ‘Film & Fotografie’

Distanziertes Selbst

Roland Fischer am Donnerstag den 26. März 2015

selfieMir ist da etwas aufgefallen in Venedig. Wenn es regnet versuchen Leute allenthalben, einem Regenschirme anzudrehen, und dieselben Leute (die sich früher bei Sonne sehr geärgert haben mussten) haben neu auch ein Schönwettervariante: den Selfie-Stick. Könnte man, nur nebenbei, ja auch kombinieren, oder?

Jedenfalls grassiert diese Selfie-Stangen-Manie offenbar überall schon so sehr, dass man fast den Untergang des kulturellen Abendlandes fürchten muss (auch wenn man nicht recht weiss warum):

Im Schloss Versailles nahe Paris machen die Museumsangestellten neuerdings höflich darauf aufmerksam, dass die als Selfie-Sticks bekannten Armverlängerungen unerwünscht seien. Man befürchtet Beschädigungen der wertvollen Spiegel und Ausstellungstücke, wenn bei der Besucherschwemme zur Hochsaison Nutzer unvorsichtig mit den Stangen herumfuchteln, um sich damit selbst zu fotografieren.

Armverlängerung! Vielleicht eher prothetisches Selbst also. Des weiteren listet der Spiegel das Centre Pompidou und den Louvre, viele amerikanische Museen (darunter das MoMa) und britische Fussballstadien als Selfiestick-Verbotszonen auf. Und auch bei uns: Schweizer Museen dulden keine Selfie-Sticks. Die Welt hat wirklich keine ernsten Probleme mehr.

selfie

Was mir indessen in Venedig aufgefallen ist, beim Beobachten all der Leute, die sich vor schönen Kulissen in Szene setzen: Vielleicht hat die Selfie-Inflation etwas mit unserer digitalen Bilderflut zu tun? Wenn man Ferienfotos irgendwie dokumentarisch versteht – als Beweismittel gewissermassen, dass man wirklich da war, wovon man erzählt, dann muss man diese Fotos heute womöglich mit einem persönlichen Wasserzeichen versehen, damit sie noch etwas wert sind. Ein Foto von der Seufzerbrücke? Könnte ja jeder kommen! Findet sich leicht hundertfach bei Google Images. Aber eins, auf dem ich selber mit drauf bin – damit wäre das dann wieder verbürgt. Mal sehen wie die nächste Eskalationsstufe in Sachen getürkte Identität und Narration des Selbst aussieht.

Die Kunst der Tomatensuppe

Roland Fischer am Mittwoch den 18. März 2015

Kürzlich hatten wir hier mal Videoportraits von den Ballettänzern am KTB. Und schöner Zufall, die HKB hatte dieselbe Idee – über die Absolventen des Masters of Arts in Contemporary Arts Practice (MA CAP) tauchen auch laufend neue eigenartige Youtube-Clips auf.

Zum Beispiel vom Geschichtenerzähler mit mysteriösen Skills Janiv Oron:

Oder der schnellsprechenden Schreiberin Stéphanie Rosianu:

Oder der koreanischen Tomatensuppenköchin Sinae Yoo:

das Gute am Schlechten

Miko Hucko am Dienstag den 17. März 2015

Kino. das ist jetzt nicht gerade mein Spezialgebiet, aber ab und zu – wenn im Theater nichts läuft – gehe auch ich hin. so letztes Wochenende in Avignon in den Filmpalast mit dem netten Namen Utopia,
der ausschliesslich Filme in Originalsprache mit französischen Untertiteln zeigt. beste Voraussetzungen also, um so richtig nichts zu verstehen. oder eben gerade alles richtig.

für Inherent Vice, den ich mir da angesehen habe, waren diese Bedingungen in Kombination mit dem Glas Rotwein vorher ideal. stellen Sie sich den Film vor: Hair, The Big Lebowski, die Blues Brothers auf einmal, gewürzt mit einer Prise tiefer Sprache und einer Kameraführung, die manchmal auf Dokfilmnähe rangeht. das wäre ganz nüchtern fast schon zu schade.

die Schauspieler_innen allesamt hochkarätig, und, natürlich, potzhueresiech dieser Joaquin Phoenix schon wieder! der Trailer ist pures Understatement.

ah, und: endlich mal wieder eine Dramaturgie, die ich nicht schon nach den ersten paar Minuten durchschauen konnte. hurrah, ein bisschen Owen Wilson und weitere Überraschungen. Moto Panukaku.

Neue Musikvideos aus Bern

Milena Krstic am Freitag den 6. März 2015

Gestern Abend fand das traditionelle Bund-Blog-Essen statt. Da hatte ich auch gleich die Gelegenheit, die Boys vom runden Leder kennenzulernen. Angesteckt von ihrer Unmittelbarkeit, Nonchalance und Spontaneität habe ich beschlossen, heute einmal locker vom Hocker drauf zu sein und einfach etwas zu posten. Einfach so. Spontan! Schliesslich ist so ein Blog auch dazu da, (O-Ton Herr Fischer) «quick and dirty» zu informieren, was in der Hauptstadt so läuft (oder was wir gerne hätten, wie es laufen würde, gell, Frau Hucko).

Ich präsentiere Ihnen zwei neue Musikvideos, die in den letzten Tagen und Wochen in Berns Kulturlandschaft aufgepoppt sind.

Zum einen den Casting-Situations-Clip von Artlu Bubble & the Dead Animal Gang

und zum anderen das neuste visuelle Erzeugnis der Monofones, der Band unserer gotta-love-Frau-Feuz:

Ein schönes Wochenende!

Das Ok Go-Verfahren

Oliver Roth am Dienstag den 24. Februar 2015

Es gibt Videos, die killen die Radiostars. Diese Videos sind so aussergewöhnlich, dass sie ihrem zugrundeliegenden Lied, im Kampf um die Aufmerksamkeit, das Messer an den Hals legen.

Besonders bei einschlägigen Bands wie Ok Go ist in Bezug auf den Musikkonsum wohl ein Verhalten eingerissen, das gelinde ausgedrückt, auf das Album scheisst und das Video abfeiert. Sie haben Millionen Klicks auf Youtube. Der Clip zu dem Song This Too Shall Pass (ja, es gibt ein Lied dazu), das in bester Fischli/Weiss-Manier eine pompöse Kettenreaktion zeigt, hat über 46 Millionen Klicks.

Nun, in dieselbe Kategorie des Ok Go-Verfahrens gehören die audiovisuellen Ausbrüche der Band Is Tropical. Ich möchte nicht sagen, dass ihre Lieder schlecht sind. Aber bitte schauen sie ihre hier wiederentdeckten schon etwas älteren Videos und schreiben sie nach dem ersten durchhören (falls sie die Lautsprecher nicht sowieso schon ausgeschaltet haben) im Kommentar, ob ihnen nun eher der Liedtext oder die Instrumentalisierung der Songs im Gedächtnis geblieben sind, oder doch die bewegten Bilderwelten:

Kopfweh in 3D oder: Adieu Godard

Milena Krstic am Samstag den 14. Februar 2015

Wir haben uns gefreut auf «Adieu au langage», den neuen Film von Jean-Luc Godard, der ja eigentlich immer Werke vollbringt, die einem ratlos dastehen und an der eigenen Intelligenz zweifeln lassen. Aber diesmal war ich mir sicher, dass ich alles verstanden hatte, indem ich nämlich nichts kapierte. Die Ernüchterung und die Kopfschmerzen setzten früh ein, und ich ärgerte mich, dass ich Godard dafür bezahlt hatte, mich mit seiner 3D-Kino-Bastelei zu quälen.

Küre fand:
«Jean-Luc hat einen neuen Film gemacht! Das ist eine weitere Gelegenheit, zu sagen, was für eine bedeutende Figur Godard für das Kino ist. Natürlich ist er das. Deshalb kann auch sein neuer Film nichts anderes sein als ein Meisterwerk, das seinen Triumphzug durch die Kinogeschichte fortsetzt. Die Kameraarbeit in «Adieu au langage» ist bestechend. Ein 3D-Erlebnis mit Kopfschmerzgarantie. Als müsste der alte Herr seinen Zeuginnen und Zeugen mit aller Wucht klar machen, dass er noch immer existiert. Darum geht es meines Erachtens nämlich: um das Scheissen und die Angst vor dem Tod. Betrifft uns alle.

Vielleicht ist AH! DIEUX! auch eine Art Frankenstein: Godard’s Hirn wurde in ein Monster gepflanzt, das uns Fragmente auf die Leinwand wirft, die so wenig miteinander zu tun haben, wie die Sprachspiele Aufschluss geben könnten, was das Ganze soll. Aus der gütigen Perspektive beschrieben:Die Summe aller Teile ist mehr als das Ganze. Aber diese Teile untersuchen gar nichts. Sie wollen dir die Augen ausstechen!

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«Milly, no conventional Beauty»

Gisela Feuz am Sonntag den 1. Februar 2015

Keine konventionelle Schönheit sei sie, die Dame namens Milly, welche das Berner Avantgarde-Spoken-Word-Duo Fitzgerald & Rimini in ihrem neuen Video «Bermondsey» (roja-films) vorstellen. Und doch ist besagte Milly die ungekrönte Queen of Bermondsey, dem Londoner Stadtteil am Südufer der Themse. In einer abenteuerlichen Mischung aus Englisch und Deutsch, die jeder Sprachlehrerin das Herz höher schlagen lässt, erzählen Fitzgerald & Rimini die Geschichte von Milly, die nach billigem Parfum und Cheesburger riecht, einst die Schule abgebrochen hat und weiss, wie verlieren geht.

«Where she goes it smells of Ärger», führt Ariane von Graffenried mit der ihr doch so eigenen angeheiserten Stimme aus und skizziert mit dem Portrait von Milly gleichzeitig den Alltag eines Teiles der englischen Arbeiterschaft. Dass diese aber wunderbar vielfältig ist und sich bestimmt nicht nur für «white power», «white powder» und den Millwall FC interessiert, zeigt Jan Mühlethaler im Video zu «Bermondsey». Aber schauen Sie doch selber. Video ab:

Word. Für den Sonntag

Roland Fischer am Sonntag den 25. Januar 2015

Nichts zu tun heute? Wie wär’s mit einem Dokfilm über einen eher unbekannten – und sehr tragischen – Helden des Internets? Der Hacktivist Aaron Swartz nahm sich vor zwei Jahren das Leben, weil er in die ziemlich unbarmherzig mahlenden Mühlen der amerikanischen Justiz geraten war. Unlängst ist ein Film rausgekommen, der die Geschichte des Internet-Wunderkinds, RSS-Miterfinders und Autors des Guerilla Open Access Manifest aufrollt – und die Frage stellt, was da bloss schiefgelaufen ist. Sehr sehenswert.

Aus dem Manifest, das Swartz letztlich wohl das Genick gebrochen hat, weil die Strafverfolger es als Bedrohung der Rechtsordnung ansahen:

Only those blinded by greed would refuse to let a friend make a copy.

Tatsächlich war Swartz kein krimineller Hacker, sondern ein Politiker mit digitalen Mitteln – und mit einem starkem Gespür für die Ungerechtigkeiten in dieser neuen Welt. Oder wie es im Film mal heisst: «He was the Internet’s own boy – and the old world killed him»

Und das schrieb der Internet-Begründer Tim Berners-Lee, als er von Swartz’ Tod hörte:

Aaron is dead.

Wanderers in this crazy world,
we have lost a mentor, a wise elder.

Hackers for right, we are one down,
we have lost one of our own.

Nurtures, careers, listeners, feeders,
parents all,
we have lost a child.

Let us all weep.

Erwartetes und Unerwartetes

Roland Fischer am Samstag den 17. Januar 2015

Was ist das eigentlich, ein Musikfilm? Das Norient-Festival stellt diese Grundsatzfrage in Sachen eigenes Profil immer wieder neu, und dieses Jahr auf besonders anregende Weise. Man bringt es wohl am besten auf den sehr simplen Nenner: Filme, die irgendwie mit Musik zu tun haben – Dokumentarfilme, vorzugsweise.

Der Eröffnungsfilm gestern, Broken Song, brachte das schön auf den Punkt. Klarer Norient-Fall zunächst einmal, es ging um Rapper in Dublin, um eine Musikkulturszene, von der man sonst nicht unbedingt hört. Aber die Musik war dann nur noch insofern zentrales Element des Films, als sie Dreh- und Angelpunkt dieser zuweilen ziemlich ruppigen Schicksale ist. Die schönste dramaturgische Idee (die übrigens den Sample-Lizenzgebühren und dem schmalen Filmbudget geschuldet ist), auf pumpende Beats fast durchwegs zu verzichten und die Texte fast immer allein wirken zu lassen, in ihrer Fragilität oder auch nackten Ehrlichkeit, dreht den Film ja eher weg vom musikalischen Dokumentieren. Es ging da um Menschen, und ob sie nun zu einer Sprayerszene oder zu einer Hooligan-Gang gehörten, spielte am Ende gar nicht so eine Rolle.

Das ist nun nicht als Kritik gemeint, im Gegenteil, es macht den Reiz dieses Festivals aus. Es ist einfach aufgefallen, zumal beim Schauen des zweiten Films des Abends, der sich dann weniger für die Menschen als für ihre schrägen Gerätschaften und die ebenso seltsamen Sounds interessierte, die sie aus alten Computern, Gameboys und Ähnlichem herauslocken. Europe in 8bits – sowas würde man klassischerweise erwarten, an einem Musikfilmfestival, pädagogisch wertvolle und im besten Fall auch noch unterhaltsame Ausflüge in fremde Musikwelten. Zum Glück fänden das die Macher selber auch langweilig, immer bloss diese Erwartungen zu erfüllen.

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Das Norient-Musikfilmfestival dauert noch bis morgen abend. Sehr zu empfehlen heute abend spät das Live-Special in der Turnhalle mit Islam Chipsy aus Kairo und dem News-Rapper Xuman aus dem Senegal.

Gleich und gleich

Christian Zellweger am Sonntag den 11. Januar 2015

Diese «Kontroverse» zeigt einmal mehr: Inspiration und Kopie liegen nah beisammen.

Manchmal kann man mit gutem Willen aber nur Zufall vermuten. Zum Beispiel, wenn die in Los Angeles lebende russische Künstlerin Renata Raksha ein Video macht, das einen unweigerlich an eine Arbeit der Bernerin Chantal Michel erinnert. Aber sehen Sie selbst:

«Pour Auguste» – Chantal Michel, 2010
ChantalMichel

Purity Ring – «push pull», Artwork by Renata Raksha, 2014

Oder gibt es eine Verbindung zwischen den Künstlerinnen? Oder sie beziehen sich beide auf ein weiteres Werk?