Archiv für die Kategorie ‘Politik & Debatten’

Plagiatsplagen

Roland Fischer am Samstag den 13. Februar 2010

Ich plagiiere jetzt mal ein wenig. Ich hatte ja auch die Idee, ich könnte versuchen, diesen Airen zu treffen (den Blogger, von dem die allseits gehypte Helene Hegemann abgeschrieben hat). Hab’s dann aber sein lassen, weil ich dachte, der wird jetzt ohnehin von allen Seiten bestürmt.

Dem ist auch tatsächlich so, wie heute in der Süddeutschen Zeitung zu lesen ist. Die hat’s nämlich geschafft, den armen Kerl zu treffen, der offenbar ziemlich überfordert ist mit all dem, was da unversehens über ihn hereinbricht. Statt sie selber zu recherchieren, erzähle ich deshalb eine geklaute Geschichte. Denn gut ist die Geschichte allemal.

stealthisbook Da ist also dieser Blogger, der von sich sagt, er lese vielleicht ein Buch pro Jahr (er sei Blogger, darum lese er Blogs, keine Bücher). Irgendwie ist ihm das Medium dann aber doch zu ephemer (oder was auch immer) – jedenfalls sorgt er dafür, dass seine Texte auch gedruckt erscheinen, in einem kleinen Berliner Verlag. Das Buch erscheint im Sommer 2009 – doch den Literaturbetrieb interessiert das kein bisschen, Reaktionen gibt es bloss in der Blogosphäre (à la ‎«ach, der will jetzt auch noch Bücher schreiben»). Airen lebt weiter sein kleines, gar nicht mehr so wildes Leben, bis plötzlich eine Tochter aus kulturell gutem Hause seine Sätze klaut. Und da wird nun auch Airen ungefragt in diesen seltsamen Literaturbetrieb reingezerrt, allerdings nicht als respektabler Autor, sondern als Faszinosum, als Berichterstatter aus dem Untergrund, als Authentizitäts-Agent, kurz: als literarischer Pöbel, den man spannend findet, weil er so schön schmutzig ist, den man dann aber doch lieber nicht in die gute Stube bittet. Aufmerksamkeit hat er nun zur Genüge, Anerkennung hingegen immer noch null. Teil der Übereinkunft mit dem Ullstein-Verlag ist immerhin, dass der Verlag auch sein Buch herausbringt – im Herbst. Bis dann wird die ganze Sache längst vergessen sein.

Ich hätte den SZ-Artikel übrigens gern verlinkt, aber er ist leider nicht online. Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob ich nun mehr geklaut habe, wenn ich eine Fremdrecherche einfach nacherzähle, oder wenn ich (was natürlich bequemer wär) ein paar Stellen aus dem Text rauskopiert und dann einen Link zum Ganzen gesetzt hätte. Bloss über Quellenangaben-Redlichkeit zu diskutieren, wie das nun geschieht, greift jedenfalls zu kurz.

Tatsächlich ist in der Internet-Welt neu zu verhandeln, was überhaupt ein Plagiat ist. Was ‎«abschreiben‎» genau heisst, unterliegt ohnehin einem schon lange währenden Wandel, wie der Zürcher Germanist Philipp Theisohn in einem schönen Buch gezeigt hat. Hier hat Theisohn kürzlich zur aktuellen Debatte Stellung genommen.

Off-Spaces versus Galerien

Benedikt Sartorius am Freitag den 5. Februar 2010

Aktuell: Neuigkeiten aus dem Progr [Link]

Anlässlich des Galerienwochenendes äusserte Bernhard Bischoff, der Präsident des Vereins Berner Galerien, im «Bund»-Interview mit dem Titel «Wir leben für die Kunst» einige Sätze, die den Betreibern der vier sogenannten Off-Spaces offensichtlich kaum Gefallen haben. Die markantesten lauten so:

Bild aus der aktuellen Ausstellung in der Galerie Bischoff«Viele junge Galerien starten heute als Off-Space, also als alternativer Kunstraum. Sie erhalten Subventionen von der öffentlichen Hand oder von privaten Stiftungen und können sich so die ersten zwei, drei Jahre, in denen sie einen Kundenstamm aufbauen, über die Runden bringen. Und dann sagen sie plötzlich: Ich bin jetzt Galerist. Man vergisst gern, dass auch die Off-Spaces Kunst verkaufen. Das ist nicht immer angenehm für uns Galeristen. Wir deklarieren offen, dass wir verkaufen, und erhalten daher auch keine Subventionen.»

Die Affiche der Ausstellung von Linda Tegg am BollwerkAuf diese Einwürfe
von Bischoff reagieren die Betreiberschaft der Off-Spaces Galerie Milieu, Neue Galerie, Marks Blond und Grand Palais nun mit einem doch giftigen Pamphlet namens «Wir jammern für die Kunst». Der offene Brief ist hier als PDF verfügbar und richtet sich – via Medien – direkt an Bernhard Bischoff.

Die Gräben scheinen jedenfalls tief zu sein zwischen diesen beiden Konzepten, die für mich als Laien und überaus flüchtigen Kunst-Flaneur bislang im Verborgenen geblieben sind.

Of All The People In All The World

Grazia Pergoletti am Dienstag den 26. Januar 2010

s2-1 In der Grossen Halle ist gerade eine ebenso simple, wie einleuchtende Ausstellung zu erfahren: Anhand von Reiskörnern werden hauptsächlich politisch relevante Statistiken sinnlich erlebbar gemacht.

«Die Künstlergruppe Stan’s Cafe aus Birmingham geht davon aus, dass ein einzelnes Reiskorn eine einzelne Person darstellt. Mit der Exaktheit der Passionierten stellen die Akteure Statistiken nach, wiegen den Reis und häufen ihn auf:

· Wie viele Kinder werden heute in der Schweiz und anderswo geboren?
· Wie viele Menschen sind Selbstversorger in diesem oder jenem Land?
· Wie viele Millionäre gibt es, in Indien und in der Schweiz?»

So einfach es klingt, so verblüffend ist es, wenn man vor den Reishaufen steht. Zum Beispiel das Häufchen, das die unter 20-jährigen repräsentiert, die jedes Jahr in der Schweiz umkommen, verglichen mit dem riesigen Berg der Neugeborenen, die in Indien jährlich die ersten 24 Stunden nicht überleben. Ohne dass reisserisch das eine Elend gegen das andere ausgespielt würde.

Wer zum Beispiel nicht die richtigen Geschenke bekommen hat zu Weihnachten, sollte unbedingt durch diese eindrückliche Installation wandeln. Sie macht unmissverständlich klar, wo wir stehen und wieviel Grund wir haben, glücklich zu sein und Mitgefühl zu zeigen. Bis Ende Januar in der grossen Halle der Reitschule.

Wohin Progrts?

christian pauli am Donnerstag den 21. Januar 2010

Am Dienstagabend liessen sich zirka 30 bekult-Mitglieder von der neuen Stiftung und Geschätsleitung des Progr über dessen Zukunft informieren. War nötig. Da diese Veranstaltung nur halb-öffentlich gemeint war, verbreite ich hier keine Infos. Dies muss und wird der Progr selber tun müssen. Ich will hier nur ein paar Thesen aufstellen. In den Gesprächen am anschliessenden Apéro hat sich nämlich wieder einmal gezeigt, dass in Bern ganz viel Kritik zum Progr geäussert wird – interessanterweise nur nicht öffentlich.

Eigentlich könnte man sagen: Der Progr ist, seit das Gebäude auf Anfang 2010 von der Stadt an die entsprechende Stiftung übergeben worden ist, eine private Angelegenheit. Sollen die Künstlerinnen und Künstler und Veranstalter dort machen, was sie wollen. Die Zukunft dieses Kulturortes ist für Bern aber von grosser Bedeutung. Kritische Fragen sollten vom Progr in nützlicher Frist und offensiver beantworten werden. Denn der Druck der internen und externen Auflagen und Erwartungen wird den Progr schneller als erwartet einholen: Dies liegt in der Natur von Kulturzentren, die aus einem Provisorium in einen Dauerzustand übergehen.

Progr_Bern

  • Es gibt keine kulturpolitische Diskussion, wie der Progr aussehen soll: Das «Zentrum für Kulturproduktion» wurde aus dem Boden gestampft, die Rotgrünen haben sich diese Erfolgsgeschichte auf die Fahnen geschrieben. Dann mussten Abstimmungen im Parlament und Volk gewonnen werden. So machte sich eine Beisshemmung breit: Die Berner Presse hat bisher nicht oder zu wenig gefragt, wie der «neue» Progr aussehen soll. Und die rotgrüne Mehrheit hat das Projekt als ihren Erfolg abgehakt.
  • Der Progr ist eine Mogelpackung: Für die ganz grosse Mehrheit der Bevölkerung und der Besucher(innen) ist der Progr eine Ausgehzone an bester Lage, und kein Atelier- und Produktionshaus. Der Progr muss seine Bestimmung ins Zentrum rücken, sonst werden interne Spannungen überhand nehmen.
  • Schwache Leitung: Der neue Progr wird sein dem 1. Januar 2010 mit einem 50%-Pensum von der Kulturmanagerin Susanne Ammann geleitet. Das wird nicht hinhauen. Dieser Ort braucht eine Leitung und eine Figur, die auch für künstlerische Inhalte und nicht nur Administration hinsteht. Und der Stiftungsrat muss sich auf strategische Fragen beschränken.
  • Die vermieteten Ateliers sind die Achillesferse des Progr: Alle, die nicht dabei sein können, weil es nicht Platz für alle hat, denken sich: Hier hat sich ein Filz etabliert. Und alle die drin sind, werden nicht mehr gehen (wollen). Es braucht eine vielfältige, transparente, finanziell vernünftige Vermietpolitik, die eine dauernde Auffrischung und künstlerische Relevanz garantiert.
  • Die Vermietung der Turnhalle ist die kommzielle Knacknuss: Auch hier muss intern und gegen aussen möglichst grosse Transparenz hergestellt werden. Es wird zu viel Halbwissen über die «Goldgrube» Turnhalle herum geboten.

Keine Frage, dem neuen Progr soll man die Zeit geben, sich zu festigen. Die Schonfrist aber wird bald ablaufen.

Noch einmal: «Quis custodiet ipsos custodes?»

Roland Fischer am Donnerstag den 14. Januar 2010

Aus aktuellem Anlass ein Follow-Up zu den Watchmen. Im Comic geht es gegen Schluss ziemlich drunter und drüber in Sachen Superhelden vs. Staatsmacht vs. Big Business. Ähnlich trägt sich das nun auch im realen 2010 zu.

google.cn

Google ist seit 2006 auch in China präsent. Das ging aber nur, weil die Super-Suchmaschine mit den Zensurbehörden kollaborierte. Nun mag Google nicht mehr gute Miene zum bösen Spiel machen und riskiert damit den Rausschmiss aus dem chinesischen Milliardengeschäft. Man habe die Schnauze voll von der Einmischung der Behörden, liess David Drummond, der Chef der Rechtsabteilung sinngemäss verlauten. Schliesslich hat man sich «don’t be evil» auf die Corporate-Identity-Fahne geschrieben.

Dafür erntet der Internet-Riese nun allenthalben Lob, von fanatischen Marktbefreiern ebenso wie von Menschenrechtsaktivisten. Dabei ist es schon lange kein Geheimnis mehr, dass Google nichts weniger als Philantropie umtreibt – egal, unter welchem Deckmantel die Google-Zentrale ihr Engagement verkauft, es geht – immmer und ausnahmslos – ums Geschäft.

Der Grund, weshalb Google das Riesengeschäft China aufzugeben bereit ist, ist nicht die Zensur (die schadet dem Werbeumsatz kaum), es sind die Hacker-Angriffe, denen der stolze Internet-Primus in letzter Zeit ausgesetzt war. Einige davon waren offenbar erfolgreich, der grosse Überwacher wurde also seinerseits ausspioniert. Zuzugeben, dass heikle Daten geklaut worden sind, bedeutet für Google einen schweren Image- und Vertrauens-Schaden. Der Rückzug hat also durchaus mit Integrität zu tun, allerdings nicht mit moralischer, sondern mit datentechnischer. Das Zensur-Gerede ist nichts weiter als ein geschicktes Ablenkungsmanöver.

Die Watchmen gingen auf ihrem Kreuzzug für die amerikanisch bessere Welt alles andere als diskret zur Sache. Es war ihr Untergang. Einen ähnlich schlechten Ruf will das Google-Monster – bei aller Machtbesessenheit – auf keinen Fall riskieren.

Hoch hin Haus

Roland Fischer am Dienstag den 12. Januar 2010

Bern hat ein einigermassen schizophrenes Verhältnis zu Hochhäusern. Rund um die Stadt reiht sich ein für die Schweiz einmaliges Arsenal an Wohntürmen, über deren städtebaulichen Wert man natürlich geteilter Meinung sein kann. Die Innenstadt aber ist hochhausfreie Zone. Und da Bern schön in Hügel eingebettet liegt, bleiben die peripheren Türme meist diskret hinter dem Horizont.

Hochhaus in der Siedlung Tscharnergut

Hochhaus in der Siedlung Tscharnergut

Nach der Euphorie in den Fünfzigern und Sechzigern war man in der Schweiz Hochhäusern gegenüber – als etwas dezidiert Übermässigem – lange sehr skeptisch eingestellt. Doch in den letzten Jahren hat sich das geändert: In Zürich recken sich die Gerüste gleich an mehreren Orten in die Höhe, und auch in Basel will Roche hoch hinaus.

Und in Bern? Im Kornhausforum wird in einer anregenden Ausstellung derzeit das regionale Hochhauskonzept vorgestellt (hier auch als PDF). Was auffällt: Das Konzept ist geprägt von einer defensiven Haltung. Vieles könnte, kaum etwas sollte. Starke städtebauliche Gesten ermutigt es jedenfalls kaum. Stellvertretend dafür ein Zitat aus der Einleitung: «Ein Hochhaus ist nicht als Solitär (sog. Landmark), sondern immer nur in Relation zu seinem Kontext sinnvoll (oder nicht).»

Ich sitze im Zug, fahre gerade in Zürich ein. Linkerhand wächst der «Prime Tower» mit jedem Besuch höher. 126 Meter wird er dereinst messen. Und mitten in der Stadt stehen. Ein Landmark, zweifelsohne. Ist Bern wirklich so weit weg von Zürich?
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Heute abend gibt es im Rahmen der Ausstellung einen Vortrag zum Thema «Towers – what next? Safety and security aspects after 9:11» mit einem Experten des Ingenieurbüros Arup (das u.a. die Londoner Swiss Re-Gurke gebaut hat). Spannend – wenn auch für Bern ein wenig abseitig. 19 Uhr, Vortragssaal.

Bespielt die Schützenmatt!

christian pauli am Freitag den 4. Dezember 2009

Ein Unort geistert durch die Stadt. Ein Perimeter der Verunsicherung macht sich breit. Die Zone erstreckt sich vom Waisenhausplatz zur Reitschule, vom Bahnhof bis zur Lorrainebrücke. Einst als Neustadt konzipiert, bereitet das urbanste Viertel Berns Stadtplanern und Architektinnen, Politikerinnen und Politiker seit Jahren Kopfzerbrechen. «Wer küsst die Schützenmatt?», steht auf der Einladung zur gestrigen Podiumsdiskussion im Kornhausforum, organisiert vom Förderverein Reitschule. Und deutet dabei ganz poetisch auf das schlummernde Potential eines verslumten Blocks.

1929 hatte ein Wettbewerb zur Neugestaltung des Kopfes der Lorrainebrücke unter anderem folgenden Vorschlag ergeben:

Vision-Schuetzenmatte

Seither herrscht planerischer Stillstand an der Schützenmatt. Ist doch gut, rief Jacques Blumer, Architekt beim Atelier 5, in die Runde: «Cool down!» Möglicherweise könne man die Autos wegmachen, aber wichtig sei, zu erkennen, dass eben dieser Platz den Freiraum Reitschule garantiere, und diese habe doch mindestens bei zwei Berner Jugendgenerationen Entscheidendes zur Sozialisation beigetragen. Für Stadtplaner Christian Wiesmann ist das alles nicht so einfach, immerhin hat der Stadtrat seinem Amt den verbindlichen Auftrag gegeben, auf der Schützenmatt zu planen. Nur was soll da geplant werden? Das ist offenbar niemandem so genau klar.

Matthias Frehner wiederum, der Direktor des Berner Kunstmuseums, hat andere Sorgen. Wohin mit seinen Schätzen, wo doch sein Haus aus allen Nähten platzt und alle Erweiterungsideen bachab gingen? Der an sich naheliegende Gang in die Reitschule werde durch die Drogenanlaufstelle und das verkehrsbrausende Bollwerk behindert, klagte Frehner – aber wie es scheint, muss der Museumsdirektor den Beweis noch erbringen, dass ihm dieses Anliegen wirklich ernst ist. Sein Hinweis auf die sensationelle Lugenbühl-Ausstellung in der Grossen Halle konnte Gesprächsleiter Bernhard Giger leicht abtun: «Das ist doch schon 10 20 Jahre her!»

Ähnlich Daniel Mullis, der Vertreter der Reitschule: Er begründete vor allem, warum die Reitschule dort bleibt, wo sie ist: Verbarrikadiert hinter der Eisenbahnbrücke. Die basisdemokratischen Strukturen hätten es verhindert, dass die Reitschule eine Antwort auf die Schützenmatt-Frage gefunden habe, erklärte Mullis. «Wir befürchten den Ausschluss der bestehenden Nutzung.» Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Reitschule bleibt, ist ja eh klar. Aber: Das Eine nicht tun, müsste nicht heissen, das Andere auch zu lassen. Es hat schon fast bizarre Züge, wenn der Reitschul- und das Kunstmuseumsvertreter sich öffentlich fragen, ob sie schon mal Kontakt gehabt hätten.

Erfrischender die Ideen, die aus dem Publikum zur Belebung der Schützenmatt eingebracht wurden: Gastspiel des Circus Monti (statt auf der Allmend), Ausdehnung des Flohmarktes auf die ganze Schütz, regelmässig Demonstrationen (schliesslich sind wir Hauptstadt), Bushaltestelle Reitschule. Ich lege noch ein paar dazu: BEA-Viehmarkt (statt in der Festhalle), Schwanensee mit dem Bern:Ballet (live übertragen von SF DRS), Adolf Wölfli-Oper (mit Bruno Ganz), Radakrobatik-Weltmeisterschaften, Landeplatz für Gleitschirmflieger, Aufführung von Brian Enos «Music for Airports» (ich helfe organisieren).

Reitschule, Kunstmuseum und Konsorten, bespielt die Schützenmatte – dann gehört sie euch!

Grundlage für die Podiumsdiskussion «Wer küsst die Schützenmatt?» liefert die aufschlussreiche Studie «Boulevard» von Martin Beutler, Andreas Blumenstein und Konrad Tobler. Sie kann hier runtergeladen werden.

Zeit der Manifeste

Benedikt Sartorius am Dienstag den 24. November 2009

Es ist eine gute Zeit für Manifeste: Die jungen Ja, Panik veröffentlichten eines, das natürlich höchst anmassend und deshalb auch lustig ist, während aus dem Umfeld der Goldenen Zitronen das NION-Manifest bis nach Bern ausstrahlt.

Die Verfasserschaft des Manifests mit dem Titel «Not in our Name, Marke Hamburg» stellt sich gegen die Vereventisierung der Hansestadt, gegen die Vereinnahmung durch das Kulturmarketing und gegen die Gentrifizierung, die die nicht vermögenden Bewohner der Stadt an den Rand drängt, währenddem der öffentliche Raum weiter verkommerzialisiert wird.

Nun hat die Manifest erprobte Theatergruppe 400asa diese Programmschrift in eine lokal angepasste Form gebracht, über die am Freitagnachmittag um 17.00 Uhr an an der Marks-Blond-Project-Speichergasse trefflich debattiert werden kann:

Protest, Protest!

Benedikt Sartorius am Donnerstag den 19. November 2009

Achtung: Es wird gewarnt vor dem Klicken der Links im ersten wie im letzten Abschnitt.

Einen eher schwierigen Stand hat seit Jahren die Form des Protest- oder Politlieds. Die Krise ausgelöst hat vermutlich der Fall der Berliner Mauer, wobei diese Krise anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten erneut eindrücklich illustriert wurde.

Protest in der Uni (Keystone)Allerdings scheint dank den Studentenprotesten ein Revival anzustehen. Wien hatte es gut, spielten dort etwa die grossen Ja, Panik (via dem Klangschau-Blog) vor dem besetzten Uni-Hause auf.

Ein Gespenst geht hingegen um in den hiesigen Uni-Städten, das Gespenst einer Bande, die mit ihrer Kraft und ihrem Selbstbestimmungs-Furor bereits ein Radio gerettet haben. Und diese Bande ist nun wirklich niemandem zu wünschen. Den Bologna-Geplagten schon gar nicht.

Wir, die Muse im Erlacherhof

christian pauli am Mittwoch den 9. September 2009

Als ich gestern Nachmittag mit dem Velo Richtung Junkerngasse fuhr, bepisste mich in der Münstergasse doch tatsächlich der Sprinkler von Luciano Andreani. Ich nahms als netten Hinweis, vielleicht doch nicht allzu nett zu sein. Stadtpräsident Alexander Tschäppät, der uns, eine Delegation des Kulturveranstaltervereins bekult, später im Erlacherhof empfing, gab dann allerdings – ich muss das sagen – wenig Grund, unfreundlich zu sein.

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Locker und angemessen vorbereitet stellte der Stapi die Situation dar: «Wieviel streichen wir bei der Kultur?» Dies werde die grosse Frage in den anstehenden Budgetdebatte im Stadtrat. Wir, also bekult, sollten mit den vernünftigen Bürgerlichen reden, empfahl uns Tschäppät. Weil: «Es kommen schwierige Zeiten.» Nun gut, mitunter war das ein Grund, diesen Verein zu gründen. Wir sind also zum richtigen Zeitpunkt gestartet.

Aber es geht bei bekult ja nicht nur um die Subventionierten, wie ich es jetzt einer bin, sondern auch um die Bonsoirs und Chlyklässler dieser Stadt. Die leiden zum Beispiel darunter, dass alles zbode reglementiert wird: Türkontrolle, Taschenkontrolle, Gardarobenzwang, Rauchverbot, Dezibelbeschränkung, Wegweisung wegen Lärm auf der Strasse. Oder die bis rund 100 Kulturveranstalter, die um die 350 legalen Plätze für Kleinplakate kämpfen. Es erklang ein zartes aber hörbares Klagen, gestern im Erlacherhof.

Was man sich betreffend bekult immer fragen kann: Was haben die Nachtclubs und die bildungsbürgerlichen Institutionen gemein, was das autonome Zentrum mit dem Museumspalast am Stadtrand? Die Antwort müsste lauten: KulturStadtBern, hier kriegst Du alles, und erst noch gleich um die Ecke. Aber wir verkaufen das kulturelle Angebot in dieser Stadt zu schlecht. Dies der einhellige Tenor der gestrigen, doch recht heterogenen Runde. Die Zürcher, die haben das mit der Little Big City, und die Luzerner glänzen mit dem KKL. Wir Berner sollten auch was haben, was die anderen sehen.

Die gestrige Runde diskutierte ein gemeinsames Label für alle vernünftigen Kulturveranstalter – ob klein oder gross, privat oder öffentlich. Derweil die Muse uns auf die Häupter blickte, nicht aber spuckte.