Archiv für die Kategorie ‘Bücher & Medien’

Flieger-Comic und Tintenkilby bei Blackyard

Gisela Feuz am Donnerstag den 26. Februar 2015

«Eigentlich wäre Tintenkilby ja als ursprünglicher Name gedacht gewesen für unsere Truppe. Dann haben wir uns aber Blackyard getauft.» Das Grafik- und Illustrationskollektiv Blackyard ist stadtbekannt und das nicht erst seit der Kampagne «Aare you safe?», mit der auf Gefahren beim Aare-Schwumm hingewiesen wurde. Vor sechs Jahren haben sich Philipp Thöni, Jared Muralt, Silvio Brügger und Christian Calame zusammengetan, um fortan viele Bands mit Plattencovers, Kulturbetriebe wie die Reitschule mit Plakaten oder Grosskonzerne wie die Swisscom mit Kampagnen zu beglücken. Dabei hat Jared Muralt ganz nebenbei auch noch seinen ersten Comic-Band gezeichnet, der nun unter anderem im hauseigenen, neu gegründeten Verlag Tintenkilby erschienen ist. «So konnten wir den Namen dann doch noch gebrauchen», erzählt Muralt.

Muralt hatte während sieben Jahren an seinem ersten Comic-Band «Hellship» gezeichnet, halt immer dann, wenn ihm die Auftragslage eine kleine Pause gewährte. Dann sei via soziale Medien der französische Comic-Verlag Paquet an ihn herangetreten und habe gefragt, ob er seinen Flieger-Comic nicht bei ihnen auf Französisch herausgeben wolle, was Muralt natürlich nicht abschlagen mochte. «Ein postitiver Nebeneffekt war, dass ich nun die Geschichte endlich fertig machen musste. Sonst wäre sie vielleicht noch lange eine Leiche im Keller geblieben.» Für Blackyard sei es finaziell lohnender, wenn Bücher hausintern herausgegeben werden könnten. Der Vorteil, der einem ein Verlag biete, sei ja vor allem die Werbung und Streuung, aber die könnten sie auch ganz gut selber übernehmen, da sie besten vernetzt seien, führt Muralt aus. Somit ist die deutsche und englische Version von «Hellship» nun im hauseigenen Tintenkilby-Verlag erschienen.

Hellship – Trailer from BlackYard GmbH on Vimeo.

Die «Fast-Leiche» ist im Südpazifik situiert und zwar in einem Zeitraum, in welchem der zweite Weltkrieg dem Ende zugeht. Ungeachtet dessen wütet aber immer noch ein erbitterter Luftkrieg. Die Stimmung ist sowohl auf japanischer wie auch amerikanischer Seite gereizt, alle möchten sie doch eigentlich nur nach Hause zu Frau und Kind. Doch da gilt es eben noch eine letzte Mission zu erfüllen, die für den Protagonisten Kapitän Edward Bator zum schwärzesten Tag seines Lebens werden soll. Natürlich habe die Geschichte kein Happy End. «Zure Chriegs-Gschicht ghört kes Häppy-End!», so Muralt. Immerhin gibt es aber für seinen Flieger-Comic «Hellship» ein Happy-End, denn dessen Erscheinen in drei Sprachen kann heute Abend gebührend gefeiert werden.

Die Vernissage von «Hellship» inklusive Barbetrieb und Posterverkauf findet heute Abend im Blackyard-Headquarter am Nydeggstalden 1a ab 17Uhr statt. Hellship wurde im Tintenkilby Verlag auf Deutsch und Englisch herausgegeben und erschien beim Paquet Verlag in der renommierten «Collection Cockpit» auf Französisch.

Literaten, RTL-Reporterinnen, Denkfabrikanten

Roland Fischer am Dienstag den 17. Februar 2015

Vielleicht geht es ja nur mir so – aber ich finde Lesungen eigentlich meistens langweilig. Bücher sind selten so geschrieben, dass sie sich zum Vorlesen eignen (soll man von der Tatsache jetzt ein pauschale Misere der zeitgenössischen Literatur extrapolieren? besser nicht). Und ebenso sind Schriftsteller selten aus solchem Holz geschnitzt, dass sie sich – zum Vorlesen eignen. Viel spannender wird das meist, wenn Schriftsteller über Glück und Elend des Schreibens berichten, über die Widerspenstigkeit einer doch anfangs so schönen Idee und das plötzliche Eigenleben der erfundenen Figuren.

sh_flyer_literaturgespraecheDarum ist es zunächst einmal wunderbar, dass Bern ab nächstem Monat ein neues Literaturformat bekommt, das genau dies pflegen wird: die Literatur-Gespräche im Schweizerhof Bern. Oder wie es die Macherinnen Alexandra von Arx und Lucie Machac ankünden:

Wie erfindet ein Schriftsteller seine Helden? Wie normal ist der Alltag einer Kriegsberichterstatterin? Und wie sieht ein Krimiautor die digitale Zukunft? Bücher verraten längst nicht alles über ihre Schöpfer. Manches fragt man Autorinnen und Autoren am besten direkt.

Ganz richtig. Allerdings ist man doch ein wenig erstaunt, was die Affiche für die ersten Abende angeht. Angekündigt sind da nach dem schwedischen Krimiautor Arne Dahl zum Auftakt nämlich des weiteren «die österreichische Kriegs- und RTL-Chefreporterin Antonia Rados» und «der schottische Krimiautor und Senior Fellow einer Denkfabrik für Topmanager Martin Walker». Ob da wirklich die komplette Freiheit beim Programmieren gewährt war – oder hat der diskret sich in Szene setzende Veranstaltungsort etwa ein paar literarische Wörtchen mitzureden? Man hat ein paar Zweifel, aber lässt sich gern vom weiteren Programm überraschen.

«Je suis Burki»

Gisela Feuz am Dienstag den 3. Februar 2015

Unser KSB-Aussendienstmitarbeiter Resli Burri brachte es am Sonntag auf den Punkt: «Wenn man hier eine Bombe hochgehen liesse, dann würde sich ein ganzer Haufen zweitklassiger Autoren und Autorinnen ins Fäustchen lachen und Morgenluft wittern.» Tatsächlich war am Sonntag im Schlachthaus Theater die ganze Literatur-Cervelat-Prominenz vor Ort, von der teuren handgemachten Salami über die Migros-Cervelat bis hin zu Schüblig und Mini-Pic, alle waren sie gekommen, um einem Mann die Ehre zu erweisen oder besser gesagt: dessen Verlag.

Vor 16 Jahren hatte Matthias Burki zusammen mit Yves Thomi Der gesunde Menschenversand gegründet und seitdem hat sich der kleine aber feine luzernische Verlag zur festen Grösse in der Schweizerischen Literaturszene gemausert. Er habe 20 E-Mails mit Anfragen verschickt und drei Stunden später habe er 20 Zusagen bekommen, erkärte Matto Kämpf, der die Benefiz-Veranstaltung zu Ehren von Der gesunde Menschenversand im Schlachthaus aufgegleist hatte. Jens Nielsen, Rolf Hermann, Gabriel Vetter, Beat Sterchi, Stefanie Grob, Guy Krneta, Manuel Stahlberger, Gerhard Meister, Trampeltier of Love, Fitzgerald & Rimini, Pedro Lenz, Andreas Lutz, Michael Fehr, Renato Kaiser, King Pepe, Marc Unternährer, Sandra Künzi, Reg Fry allen waren sie da.

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Selecta, new generation

Miko Hucko am Dienstag den 3. Februar 2015

In Basel gibt es ja dieses künstlerisch-ideelle Projekt des Literaturautomaten: Ausrangierte Zigarettenautomaten werden mit literarischen Kleinstbeiträgen von hiesigen Autorinnen und Autoren bestückt.

In Berlin scheint der Lesebedarf noch grösser zu sein, ist doch der Buchverkauf per Automat in die kommerzielle Sphäre gerutscht. Auf dem Ubahn-Gleis am Alexanderplatz, also für die ganz pressierten Lesenden, habe ich untenstehenden literarisch ausgestatteten Pseudoselectaautomaten entdeckt.

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Inhaltlich positiv sei angemerkt, dass die obersten zwei Regale (?) mit Kinderbüchern à 1 Euro ausgestattet sind. Sonst muss ich sagen, dass die Auswahl noch verbesserungswürdig ist.

Jedenfalls hätte ich auch Freude an einer Art Literatur-Buch-Text-Automat in Bern, wo frau sich auch nach Mitternacht noch mit Lesestoff eindecken kann. Und da soll noch eineR kommen und sagen, das Buch habe als Medium ausgedient. Ich würde mal sagen, es ist halt einfach etwas anderes. Die Haptik, der Papierfetisch und vor allem diese Wetter-und-Bier-Festigkeit.

Bücherkiste: «All diese Narben, da und da»

Oliver Roth am Mittwoch den 14. Januar 2015

838d6f9fe1Silvan Niedermeier hat eine zugängliche und gut ausgearbeitete Studie zur Polizeifolter im Süden der USA geschrieben. Er geht von der These aus, dass die Lynchgewalt in den Südstaaten der 1930er Jahren durch die institutionalisierte Polizeifolter abgelöst wurde. Die Lynchpraxis lief ungefähr nach folgendem Schema ab: Ein wütender Mob holte sich die eines Verbrechens beschuldigten African Americans aus dem Gefängnis und richtete sie in einem öffentlichen Spektakel hin. Dieses zivile Vorgehen wurde durch die staatliche und mehrheitlich verborgene Praxis der Folter abgelöst: Die afroamerikanischen Beschuldigten (ja, mehrheitlich Männer) wurden nun von Polizisten verhaftet und dadurch vor der wütenden Menge geschützt. Allerdings folterte die Polizei die Beschuldigten so lange, bis sie ihre Tat, die sie offensichtlich meistens nicht verübt hatten, gestanden und sie schliesslich – ganz gleich ob geständig oder nicht – vom Gericht zum Tode verurteilt wurden.

Anhand von vielen Zeitungsberichten und Gerichtsprotokollen zeichnet Niedermeier eine süffig geschriebene Geschichte der Gewalt, des Rassismus und der Bürgerrechte, die besonders die Aspekte der Sichtbarmachung sowie der Inszenierung und Performanz der Folter betont.

Beispielsweise wird deutlich wie der 1938 wegen eines Raubüberfalls auf zwei Krankenschwestern mutmasslich beschuldigte Dave Canty vor Gericht mit verschiedenen kommunikativen Strategien versuchte, sich zu verteidigen. Er zeigte vor Gericht seine Folterwunden, führte mit Gesten vor, wie er misshandelt wurde und beschrieb detailreich die Vorgänge seiner Folter. Das Gerichtsverfahren wurde somit zu einem kommunikativ umkämpften Gebiet, indem Canty eine „Form des subalternen Gegen-Sprechens“ ausübte. In diesem widerständigen Verhalten vor Gericht lassen sich historische Wurzeln für die Inszenierung der schwarzen Widerstandsbewegung in den USA finden.

Foto 2 KopieMit weiteren anschaulichen Beispielen beschreibt Niedermeier die fundamentale und strukturelle Benachteiligung der African Americans , die sich bisweilen (leider?!) wie ein Krimi liest. Er leistet einen mit vielen Quellen ausgearbeiteten Beitrag zur amerikanischen Geschichte der Südstaaten, sowie zur Geschichte der Gewalt und deren Inszenierung und Sichtbarmachung. Der Autor betont in seinem Resümee der Studie wie diese Geschichte bis in die unmittelbare Gegenwart unserer Zeit führt: „Die Praxis der Folter in den USA des späten 20. Jahrhunderts knüpft an andere Formen illegaler Polizeigewalt – wie unrechtmäßige Festnahmen, willkürliche Misshandlungen und rechtswidrige Erschießungen – an, die im amerikanischen Polizeiwesen bis heute weit verbreitet sind.“

Silvan Niedermeier: Rassismus und Bürgerrechte. Polizeifolter im Süden der USA. 1930-1955. (Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts) Hamburg 2014.

Alleinsein mit der Wand

Oliver Roth am Freitag den 28. November 2014

Jetzt ist es kalt draussen und das Weihnachtsgeschäft mit den Büchern beginnt. Wer sich weder mit einem Rückzug aus der Zivilisation gegen den Buchmarkt auflehnen, noch mit der Lektüre verstaubter Texte den neusten Büchertrends widersprechen möchte, dem oder der ist ein Buch empfohlen, das gleich beide Absichten erfüllt:

Marlen Haushofers Roman Die Wand von 1963. Mit dem Kauf erwirbt man nicht nur einen modern day classic, sondern kann mit der Lektüre aus der sicheren Distanz der warmen Stube auch am Leben in der einsamen Natur teilhaben und jeglichen zivilisatorischen Problemen entfliehen.

Die-WandDie namenlose Ich-Erzählerin findet sich, zu Besuch in der Jagdhütte ihrer Cousine und ihrem Mann, eines Morgens von der Aussenwelt abgetrennt hinter einer gläsernen Wand wieder. Dahinter scheint jegliches Leben versteinert zu sein. Aber um die Wand, die uns als ungeheuerliche Tatsache erscheint und die es eigentlich nicht geben darf, geht es im Folgenden gar nicht.

In sprachlich reduzierten Beschreibungen berichtet die Erzählerin von ihrem Leben in der voralpinen Jagdhütte. Gemeinsam mit dem Hund Luchs, einer Kuh und einer Katze schlägt sie sich selbstversorgend durch, um zu überleben. Eine existenzielle Erfahrung. Ihr Alltag ist geprägt vom Heuen, Stallausmisten, Melken, Feldarbeit und Erkundungen in das von der Wand abgetrennte Berg-Tal. Und von ihrer Gedankenwelt, die sie mit niemandem teilen kann. Ihr Rhythmus richtet sich nach der Witterung und den Jahreszeiten. Auf unaufgeregte Weise wird der einsamen Frau und auch den Lesenden klar, wie sehr wir uns von einem Leben im Einklang mit der Natur entfremdet haben. Und auch von uns selbst? Beispielsweise, wenn die Erzählerin davon berichtet, was die menschlichen Hände eigentlich für wunderbare Werkzeuge sind.

Am ersten Weihnachtstag, den die Erzählerin nach fast einem Jahr in ihrer Hütte verbringt, schafft sie es, sich mit ihrer Situation als letzter Mensch auf der Welt zu versöhnen. Ein beinahe revolutionärer weihnächtlicher Gedanke.

PS: Der Roman wurde 2012 von Julian Pösler verfilmt.

«verfixt & zugedröhnt»

Gisela Feuz am Mittwoch den 26. November 2014

Einigermassen selbstironisch ist er, der Titel des Buches «verfixt & zugedröhnt», denn dabei handelt es sich nicht einfach um eine lustige Wortspielerei, sondern um den aktuellen oder ehemaligen Zustand der Autoren. Fünf Suchtkranke haben sich im A4-formatigen Buch Frust, Fragen, Überlegungen und Hoffnungen vom Leib geschrieben, wobei die Texte im Rahmen einer Schreibwerkstatt entstanden sind, welche die Journalistin Christina Burghagen in der betreuten Wohngemeinschaft Weierbühl in Köniz durchführte. Obwohl es zum Krankheitsbild gehört, Schwierigkeiten mit dem Einhalten von Terminen zu haben, sei die kleine Gruppe regelmässig zu den vereinbarten Schreibabenden erschienen, berichtet Burghagen im Nachwort von «verfixt & zugedröhnt».

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Während diesen Abenden verfassten Stefano, Pit, Patric und Jonas jeweils während 30 Minuten Texte zu vorgegebenen Themen. Die so entstandenen Schreiberzeugnisse wurden gesammelt und nun herausgegeben, wobei Franco, ein weiteres WG-Mitglied Fotos zur Illustration lieferte. Es sind zum Teil äusserst berührende Texte, die da verfasst wurden und die Einblick gewähren, in das verflixte Leben eines «Süchtlings». Anschaulich wird beschrieben, wie die Tagesstruktur von Terminen beim Koda (der kontrollierten Drogenabgabe) vorgegeben wird, wie alte Freundschaften zerbrechen, Berufswünsche von dominanten Vätern zerstört werden und wie fehlende Mutterliebe bis heute an den jungen Mannen nagt. Daneben finden sich aber auch rührende Liebesbekenntnisse ans fürsorgliche Grosi oder den Bruder, der mit harten Drogen nichts anzufangen weiss und Reflexionen über Alltagsbegegnungen, gesellschaftliche Dogmen und das andere Geschlecht.

Es sind die grossen Themen, die in diesen 40 kurzen Geschichten zwischen Traum und Traumata abgehandelt werden: Schicksal, Entwurzelung, Überforderung, Liebe oder das Fehlen derselbigen. Dabei darf aber auch der Humor nicht fehlen, wie der Titel selber oder Kapitel-Bezeichnungen wie «Sucht & Ordnung» beweisen.

Das Buch «verfixt & zugedröhnt» kann in der WG Weierbühl bezogen werden. Die Texte und Bilder werden noch bis morgen Abend im Offenen Haus «La Prairie» gezeigt. Die Finissage findet am 27. November um 19 Uhr statt, und zwar mit Lesung, Musik und Apéro.

«Säugetiere sind Streber»

Gisela Feuz am Donnerstag den 20. November 2014

Da haben sich zwei gefunden: Matto Kämpf textet und Yves Noyau illustriert, herausgekommen ist Tierweg 1, ein farbenfrohes anarchistisch angehauchtes Kinderbuch, das auch für Erwachsene lustig zu lesen ist.

Im dreistöckigen Haus am Tierweg 1 geht es rund zu und her. Im Keller wohnt eine Sippe von Amphibien, die es am liebsten feucht und schimmlig mag und im Parterre hat sich eine Reptilien-WG einquartiert, die gerne herumsifft und laut Musik hört. Amphibien und Reptilien vertragen sich so weit bestens, doch dann zieht eines Tages eine Familie Säugetiere in den ersten Stock ein und es stellt sich heraus: Säugetiere sind Streber, die vorzugsweise leise Jazz hören, fleissig sind und gerne putzen. Der Konflikt ist vorprogrammiert und tatsächlich gibt es bald Krach und es fliegen die Fetzen beziehungsweise Chamäleon-Schwänze.

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Gemütliches Siffen in der Reptilien-WG. Bild: Yves Noyau

Tierweg 1 funktioniert für die ganze Familie. Die Kinder dürften sich ob den bunten Bildern und der vergnüglich rabaukigen Anarchie ergötzen, die Kämpf da zusammenfabuliert. Abgenagte Storchenbeine werden einfach ins Treppenhaus geworfen, Bestechungsgeld wird ratzfatz aufgefressen, der engagierte Putz-Pitbull zum Teufel gejagt und einem Vermittlungs-Rind gar das Fell über die Ohren gezogen. Erwachsene wiederum dürfte die Art und Weise erfreuen, wie Kämpf in seiner für ihn typischen Lakonie komplexe Entwicklungen verblüffend einfach auf den Punkt bringt: «Den Fischen gefiels im Wasser, aber den Amphibien war es zu langweilig. Deswegen gingen sie an Land, aber nur halb.» Zudem sind Kämpfs tierische Protagonisten äusserst menschlich und so dürfte beim Anblick der schlampigen Reptilien-WG beim einen oder anderen nostalgische Erinnerungen an die eigenen wilde WG-Zeit wach werden. Obendrauf würde man ja in der aktuellen Winterkälte gerne selber ein bisschen vor der Wärmelampe herumsiffen, sich möglichst nicht bewegen und dazu Jimi Hendrix am TV gucken.

Eine ausführliche Besprechung von Tierweg 1 gibts in der heutigen Print-Ausgabe von Der Bund S. 37 zu lesen. Buchtaufe ist am Samstag 22. November im Café Kairo um 15:30 Uhr. Anschliessend gibts Sirup und Zvieri.

Nur Umdrehungen

Oliver Roth am Donnerstag den 6. November 2014

Als ich gestern in die Buchhandlung ging, bin ich auf ein vergessenes Buch gestossen. Zwischen all’ den Romanen vom Fliegenlernen, den Fantasy-Schinken und semi-wissenschaftlichen Kapitalismus- und Systemkritiken lag Mark Z. Danielewskis «Only Revolutions».

Das Meisterwerk, das diesen Namen verdient, liegt seit August in der deutschen Übersetzung in der Taschenbuchausgabe vor. Das Buch wurde durch die unmöglich erscheinende Arbeit von Gerhard Falkner und Nora Matocza aus dem amerikanischen Englisch übersetzt. Sie schaffen es, die äusserst dichte, virtuose Sprache, die aus einem riesigen Langgedicht besteht und an manchen Stellen in Worterfindungen, in streams of consiousness und lautmalerischen Ausflüchten abdriftet, ins Deutsche zu übersetzen.

Aber hier geht es nicht nur um die Sprache oder um die Geschichte von Sam und Haley, die als ewig 16 jähriges Liebespaar in Tristan und Isolde- und Romeo und Julia-Tradition und über zwei Jahrhunderte geografisch und zeitlich durch die USA ziehen wie Bonnie und Clyde. Das Buch wird durch seine Konzeption und Anlage zu einem Gesamtkunstwerk.

Dem Titel gemäss dreht es sich im wahrsten Sinne des Wortes um die Form eines Kreises. Das 360 Seiten lange Buch ist von beiden Seiten lesbar. Sowohl von hinten wie von vorne: Die eine Seite ist aus der Sicht von Sam und die andere aus der von Haley geschrieben. Der Verlag schlägt vor, nach jeweils acht Seiten zu drehen und auf der anderen Seite des Buches weiterzulesen. Wir revolutionieren. Die Doppelseiten bestehen zudem aus “vier Cantons zu je 90 Worten, die im Sinne des ‘de revolutionibus’ die 360° der vollen Umdrehung eines Kreises ergeben”. Die Schriftgrösse der beiden Teile nimmt mit zunehmender Seitenzahl ab, so dass sie in der Mitte bei Seite 180/181 genau gleich gross ist – die Liebenden treffen aufeinander. Alle Buchstaben O und die Zahl 0 sind bei Sam grün und bei Haley golden gefärbt. Als Paratext zieht sich eine Auflistung von historischen Ereignissen in den USA durch das Buch, die im Jahr des Bürgerkriegs am 22. Nov. 1863 bei Sam beginnt und sich über zwei Jahrhunderte erstreckt.

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Viel mehr gibt es in dem Buch zu entdecken. Aber schauen sie selber und kaufen sie sich für schlappe CHF 19.90 ein Erlebnisbuch und besuchen sie für einen audiovisuellen Eindruck die Webseite von Only Revolutions wo es auch die schön gemachte Hörfassung gibt.

Bücherkiste: Achtung, Kettenreaktion!

Roland Fischer am Dienstag den 21. Oktober 2014

Irgendwann kommt bei leidenschaftlichen Lesern der Moment, der Ähnlichkeit mit einer Atombombenexplosion hat – glücklicherweise aber meist ohne böse Folgen bleibt. Wenn eine kritische Masse an Lektüre erreicht ist, dann geht eine «lebenslange Kettenreaktion» los, wie es der SZ-Chefredaktor Kurt Kister unlängst in der Wochenendbeilage schön beschrieben hat. Bücher bringen einen wieder auf neue Bücher, und diese wieder auf weitere. Und weil sich die Inspiration dabei vervielfacht, muss man bald die innere Kernschmelze fürchten, weil man nicht mehr nachkommt.

Mir ist das unlängst beim Lesen von Joyce’ «Jugendbildnis des Dichters» wieder mal passiert. Vor fast hundert Jahren erschienen, aber was für ein zeitgemässes Buch, in mancher Hinsicht! Wie alt das Buch ist, merkt man eigentlich vor allem an den Reaktionen, die es ausgelöst hat damals, an Zensur und Skandal, und an den feigen Verlegern, die es lieber nicht drucken mochten. Dabei ist diese Schilderung des Erwachsenwerdens eines Künstlers (der erst noch merken muss, dass er Künstler sein soll – da hätten wir dann auch noch einen Kontrast zu heute, wo das Künstlersein zum festen Repertoire jedes Teenagetheaters gehört) so fein und zärtlich gezeichnet und dabei von einer solchen Sprachmacht, dass man sich immer wieder neu bezaubern lässt – obwohl vordergründig ja gar nicht besonders viel passiert.

Aber diese Vordergründigkeit täuscht natürlich, wie gewöhnlich bei grossen Autoren. Joyce mochte ein Revolutionär sein, was Themen und Stilmittel anging, aber er war eben auch ein grosser Erzähler, der die Wendungen des Plots mit stiller Raffinesse arrangiert. Was Wunder, er war nun einmal ein Kind des mächtigen 19. Jahrhunderts, was die Literatur anbelangt. Und so mochte er zum grossen Erneuerer werden – schämte sich aber nicht, seinen Helden Referenz zu erweisen. Noch bevor der Protagonist im «Jugendbildnis» von echten Frauen schwärmt (es bleibt nicht lang beim Schwärmen, soviel zum Skandal), schwärmt und träumt er von Mercedes, der schönen von Dumas erdachten Katalonin, und damit auch vom dessen Meisterstück, dem «Grafen von Monte Christo».

Und so kam es, dass ich ein paar Tage später mit dieser Referenz aus dem Brockenhaus nach hause kam, und ich nun auch allmählich eintauche in den Zauber, der von Mercedes ausgeht. Und so kommt es wiederum, dass ich eigentlich nie mit leeren Händen aus einem Antiquariat komme, auch wenn ich gar nichts besonderes gesucht habe, weil ich beim Schmökern fast immer auf alte Bekannte stosse – und es werden ihrer immer mehr. Man kann da also den referenziellen Supergau befürchten – oder aber man übt sich in Gelassenheit, weil das Leben nun einmal nicht reicht für alle Bücher, die man lesen sollte. Und kommt glücklich mit immer neuen Bücherstapeln nach hause. Oder wie es Kister in der SZ sehr richtig gesagt hat:

Wer Bücher liebt, kauft sie nicht unbedingt, um sie zu lesen. Das ist einer der grossen Unterschiede zwischen Büchermenschen und, kaum despektierlich gemeint, Textherunterladern. Bücher hat man, um sie zu haben, um sie in die Hand zu nehmen […].