So tot wie es sich Roland Barthes vor bald fünfzig Jahren vorgestellt hat ist der Autor allerdings nicht, davon zeugt nicht zuletzt die ungebrochene Beliebtheit der Kultursparte Lesung. Der Autor, endlich mal ganz lebendig vorne auf der Bühne – und mit der ganzen Autorität der Autorschaft im Gepäck kann er das Rätsel des Texts wenn nicht ganz klären, so doch vielleicht ein wenig erhellen. Aber was, wenn der Leser auf diese Schützenhilfe gar nicht angewiesen ist? Wenn der kreative Akt nicht beim Schreiben, sondern beim Lesen passiert? Wenn man sich einen Text nicht als Guided Tour durch ein fiktives Universum (mit dem Autor als Tourguide), sondern als offene Landschaft vorstellt?
Die in Bern, Berlin und Helsinki ansässige Social Space Agency (SoSA, mit unserer Miko Hucko als Mitglied) hat ein Buch (!) zum Thema geschrieben, das nun pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erschienen ist, als PDF.
You are a reader. A person that reads text. But is that it? Are you just following aligned letters, struggling to comprehend what somebody wants you to understand? The answer is: No. In the thicket of words lie the paths of a new kind of traveller – the reader as a creator.
The Social Space Agency hereby provides you with a guide, enabling you to find and create worlds within books. Become part of the new culture of reading and get lost in the garden of forking paths that can be found within every text.
Ein Text, der den Leser zum Mitmachen einlädt, mit ganz konkreten Anleitungen zum Schluss. Zum Beispiel einen «Intrusive Character» zu ersinnen und ihn in den Figurenreigen des Buchs einzufügen, ein Phantom, das ganz diskret im Hintergrund bleibt oder sich auch mal einmischt. Das erinnert dann ein wenig an Fan Fiction, eine Bewegung, die vor allem in Japan sehr gross ist – beliebte Mangas werden da wie narrative Steinbrüche gesehen, deren Elemente sich beliebig – und von den Verlagen gern geduldet – neu zusammensetzen und weitererzählen lassen. In manchen Buchhandlungen sind die Dōjinshi-Abteilungen grösser als die mit den Originalwerken.
Der Text versteht sich als elaborierte Karte, mit dem jedeR Leser_in die Möglichkeit erhält, einen eigenen Garten zu finden und zu pflegen.
Der Text als Karte – dazu fand sich unlängst übrigens dieses hübsche Projekt in den Weiten des Webs. Und sowieso gibt’s zum Thema grad noch dies und das.