Archiv für die Kategorie ‘Biennale Bern’

Ergonomisch korrekte Grazie

Milena Krstic am Sonntag den 21. September 2014

Die Sneakers der Tänzer erzeugen Quietschgeräusche, da ist ein mandalaähnliches Ding auf schwarzem Grund gezeichnet und der Dirigent bringt den Flügel in Bewegung, der dann vom Pianisten bespielt wird. Kurz ringen Tänzer und Pianist um den Sitzplatz hinter dem Intsrument, aber wirklich nur ganz kurz.

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Ein interessantes Spektakel bot sich gestern dem Biennale-Publikum in der Dampfzentrale. Das war auch zu erwarten, schliesslich war die von Anne Teresa De Keersmaeker gegründete Tanzkompanie Rosas zu Besuch. Wenn Sie nicht vom Fach sind, werden Sie ihren Namen kaum zuordnen können – wer sich aber in der Tanzszene auskennt, war gestern Abend wahrscheinlich dabei (und bei dem leuchten jetzt wohl die Augen). Für alle anderen: De Keersmaeker ist die Choreographin, von der sich Beyoncé grosszügig «inspirieren» liess.

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Hotel zur fröhlichen Stunde – Zimmer des Tages: Schluss

Roland Fischer am Samstag den 20. September 2014

Für die Dauer der Biennale Bern wird das Schlachthaus von verschiedenen Künstlern des Kollektivs Bern zu einem Hotel umfunktioniert. Der Kulturblog ihres Vertrauens geht diese Woche undercover und wirft jeden Tag einen indiskreten Blick in eines der Zimmer.

Heute: die dezenten Accessoires, designt von Dominic Michel und in Auftrag gegeben von der Galerie Milieu

Dominic Michel lotet in Zusammenarbeit mit Vinzenz Meyner (Galerie/Artspace Milieu) die Grenzen zwischen angewandter Gestaltung eines Hotel-Erscheinungsbildes und fragmentierter, hypertextlicher Narration aus. Die Gestaltung tritt auf unterschiedlichem Hotelinventar in Erscheinung und referenziert das Chateau Marmont, ein von Legenden umranktes Hotel in West Hollywood, welches seit jeher von Filmstars frequentiert wird. Das Inventar umfasst einen Song, Gläser, Handtücher, Seifen, Visitenkarten, Bodylotion und weitere Objekte. Diese tauchen während der Biennale als Gebrauchsgegenstände auf und bilden als Requisiten in Kombination mit eigens verfasste Scripts die Grundlage zu den filmisch festgehaltenen Anekdoten aus dem Alltag im Hotel zur fröhlichen Stunde: Ab Anfangs Oktober auf www.hotelzurfroehlichenstunde.ch.

Kopfkino im Raum-Zeit-Kontinuum

Oliver Roth am Freitag den 19. September 2014

Von einem Taxi wird man abgeholt, mit Material ausgerüstet und seinem Schicksal überlassen. So beginnt die Soundinstallation «Unterland» der Künstlergruppe Surround (Séverine Urwyler, Lukas Sander) im Rahmen der Biennale Bern. Was einen nachher erwartet, ist keine Geisterbahn, aber eine alle Sinne reizende, im besten Sinne herausfordernde und anregende Installation der seltenen Art.

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Foto: Loulou D’Aki

Zuviel soll nicht verraten sein, aber wer sich durch die neblige Installation bewegt, merkt schnell: Hier wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet! Überall wächst und gedeiht etwas und ständig ist man dabei, neue Kleinigkeiten zu entdecken. Wenn man denn überhaupt etwas sehen kann. Mit der eingeschränkten Sicht spielt die Installation genauso, wie mit dem überall gleichmässig im Raum verteilten Sound (Christian Berkes). Die akustischen Reize sind an die spezielle Architektur der Räumlichkeiten angepasst und ergeben zusammen mit den eigenen Bewegungen im Raum eine sich ständig verändernde Sound-Kulisse ab.

Darüber, was man hört, kann man allerdings nicht entscheiden. Von den akustischen Eindrücken wird man überrumpelt. Sie lassen erschrecken, Vorsicht wahren, einen ausgeliefert und klein wirken. Erst mit der allmählichen Erkundung des Raums nimmt auch die Musik an Lautstärke ab – kleine Verschiebungen ergeben sich – und das Gehör gewöhnt sich an die dumpfen Klänge.

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Aus der Realität entführt

Christian Zellweger am Freitag den 19. September 2014

Eins gleich vorweg: Für Menschen mit Vertrauensproblemen ist diese Führung durchs Kunstmuseum Bern nicht gemacht, denn auf Hören und Sehen kann man sich bei «Symphony Of A Missing Room» nicht verlassen. Alle was einen auf dem mal rasanten, mal ganz sachten Rundgang durch das Museum führt, sind ein paar unsichtbare Hände und eine luzide Stimme, die sich über die in ebendiesem Museum aufgenommenen Geräusche aus dem Kopfhörer legt.

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Die Augen werden bald nach dem Eintritt ins Museum von einer undurchsichtigen weissen Brille verdeckt, nur noch hell und dunkel lassen sich unterscheiden. Wer den Anweisungen folgt, die Augen in den richtigen Momenten schliesst und geschlossen hält, sieht nie, wer genau hier als Guide und Helfer amtet, wer einen in schnellen Schritten und weiten Bögen durch die Räume (oder ists immer derselbe Raum?) führt, vor Wände stellt oder in den Lift geleitet – das Werk fordert buchstäblich blindes Vertrauen.

Sobald man sich darauf eingelassen hat, beginnt aber die Magie zu wirken: Evoziert durch Bewegung, Licht und Geräusche betritt man neue, nur im eigenen Kopf sichtbare Räume, Hallen, Gärten, mögliche Versionen, vergessene Varianten oder zukünftige Formen des Museumsraumes, durch den man eben noch offenen Auges spazierte. Die inneren Bilder vermischen sich mit der wort- und gestenlosen Kommunikation mit den führenden Händen – ein Realitätsverlust durch eine Augmented Reality fast ohne Technik und ganz ohne LCD-Bildschirme: wunderbar.

«Symphony Of A Missing Room» von Lundahl & Seitl, Kunstmuseum Bern, im Rahmen der Biennale. Noch heute Freitag, 11.00, 12.00, 13.00 und 15.00, 16.00 Uhr.

«Der Bund» vs. Biennale

Christian Zellweger am Donnerstag den 18. September 2014

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Heute, 17.00 Uhr, Redaktion «Der Bund»: Die Tagesverantwortlichen der Ressorts versammeln sich um den Sitzungstisch, um ein letztes Mal gemeinsam die Zeitung von morgen zu besprechen. Je später der Abend, desto schneller drehen sich die Räder einer Redaktion, so wirklich Zeit hat eigentlich niemand.

Genau der richtige Moment für Sarah Vanhee und ihre Biennale-Performance «Lecture for Every One». Keine Vergnügungsveranstaltung, sondern eine politische Aktion sei ihr Eindringen in institutionalisierte Situationen, wo Menschen zusammenkommen um etwas zu erschaffen oder besprechen (also eben: Sitzungen), sagt sie. Und so trägt sie ungerührt von skeptischen Blicken ihren Text vor, ihren Versuch «to address people collectively in ways other than laws and regulations, simplistic political messages, mainstream media and advertisements».

Von Begegnungen mit Taxifahrern erzählt sie, von sinnentlerten Konnotationen zum Wort «together», von ihren inneren Widersprüchen, dem Leben im System und vom System selbst: «We don’t need a catastrophe we are the catastrophe».

Zuvor hatte sie schon Sitzungen bei der Kantonalbank, im Inselspital, bei der Erziehungsdirektion oder eine Tanzstunde geentert. Viele Leute hätten positiv auf sie reagiert, sagt die Künstlerin nach der Aktion auf dem Gang – auch beim Bund liess man die Intervention mindestens über sich ergehen, war verblüfft oder angenehm überrascht über den unerwarteten Bruch.

Heute um 20.00 Uhr berichten die beiden Performerinnen im Theater vis-a-vis von ihren Erfahrungen mit dem Projekt in Bern.

Hotel zur fröhlichen Stunde – Örtchen des Tages: beim stillen

Roland Fischer am Mittwoch den 17. September 2014

Für die Dauer der Biennale Bern wird das Schlachthaus von verschiedenen Künstlern des Kollektivs Bern zu einem Hotel umfunktioniert. Der Kulturblog ihres Vertrauens geht diese Woche undercover und wirft jeden Tag einen indiskreten Blick in eines der Zimmer.

Heute: Hinten rechts, bei den Toiletten, eingerichtet und verwaltet von Transform

Die Idee Hotel lässt sich als eine Form von Theater lesen, wo Leute zusammenkommen, die einerseits da arbeiten, andererseits Gäste sind. Beide Seiten spielen im Moment ihres Zusammentreffens ihre definierte Rolle (Gast/Dienstleistende). Damit das Hotel als Dienstleistungsbetrieb funktioniert, bedarf es einer vielfältigen und ausgeklügelten Arbeitskette vielteiliger Jobs. Diese Seite des Hotels aufzuzeigen und zu akzentuieren interessiert Transform. Dabei soll eine der tiefsten Ränge der gastronomischen Hierarchie in den Blickfeld kommen: Die Aufsicht der Toiletten.

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Jeden Tag der Biennale Bern wird Transform einen prominenten WC-Angestellten stellen. Dieser wird vor den Türen sitzen mit den üblichen Utensilien von Klopapier, billigen Parfüms, Hygieneartikel und natürlich einer Schale für Trinkgeld. Zu jeder Stunde macht der Angestellte eine Runde und kontrolliert/putzt gegebenenfalls die Schüssel und Spiegel. Neben dem gesamten Verein von Transform nimmt auch die eine oder andere Lokalprominenz den Platz ein – und setzt damit ein Statement für diesen Job. Der anonymen Putzkraft soll mit dieser Intervention ein Gesicht gegeben werden und der Status und die Stellung dieser Arbeitskraft zumindest beleuchtet werden.

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Hotel zur fröhlichen Stunde – Zimmer des Tages: 2

Roland Fischer am Dienstag den 16. September 2014

Für die Dauer der Biennale Bern wird das Schlachthaus von verschiedenen Künstlern des Kollektivs Bern zu einem Hotel umfunktioniert. Der Kulturblog ihres Vertrauens geht diese Woche undercover und wirft jeden Tag einen indiskreten Blick in eines der Zimmer.

Heute: Nr. 2, das Zweibettzimmer, eingerichtet von off-center, mit Arbeiten von Nicolas Delaroche, Kyra Tabea Balderer, Sylvain Baumann

Zimmer 2

«Schluss, Amen und Lichter löschen»
Das Zweibettzimmer bieten eine Unterkunft zwischen Ausstellungsraum und Hotelzimmer. Das Zimmer stellt eine besondere Situation her, zwischen Intimität und Anonymität, Innen- und Aussenraum. Dies beeinflusst wiederum die Wahrnehmung des Projekts durch die Besucher. Im Gegenzug für die Übernachtung schreiben die Gäste eine Rezension ins Gästebuch: «man wünscht diesen wackeren Kreateuren weiterhin solch präzise Schöpfungen» … «ein Wunder in Bern»… «irgendwie finde ich diese Lampe auf dem Tisch ‘wuescht’, aber irgendwie hat sie noch was.»  …. «Super surreal!»

Das Zimmer Nr. 2 ist begehrt – und leider bereits bis Ende der Biennale ausgebucht.

Zimmer 2

Hotel zur fröhlichen Stunde – Zimmer des Tages: 17

Roland Fischer am Montag den 15. September 2014

Für die Dauer der Biennale Bern wird das Schlachthaus von verschiedenen Künstlern zu einem Hotel umfunktioniert. Der Kulturblog ihres Vertrauens geht diese Woche undercover und wirft jeden Tag einen indiskreten Blick in eines der Zimmer.

Das Hotel wurde als Motiv vielfach in der Kunst gespiegelt. Es ist ein Ort der Begegnung und des temporären Aufenthalts, wo Intimität auf Anonymität trifft. Das Kollektiv Bern nimmt es sich als Metapher vor: als Konstrukt, als sozialer, ökonomischer und ideeller Dienstleistungsbetrieb, als Sehnsuchtsort und Clash unterschiedlicher Lebensrealitäten. Welcome im Hotel zur fröhlichen Stunde, where «you can check out any time you like, but you can never leave».

Ein Projekt des Kollektiv Bern mit Blond & Gilles, les Lieux, IZA – Institut für zeitgenössische Analyse, Milieu, off center, Transform und Worms.

Heute: Nr. 17, eingerichtet vom IZA

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Das modellhafte Zimmer vom IZA ist Spiegel ästhetischer, kultureller und technischer Dimensionen des Hotels: Viele Schriftsteller der Literaturgeschichte schrieben ihre Romane in Hotelzimmern und auch die Nr. 17 wird während der Biennale Bern zur literarischen Produktionsstätte: Emanuel Bundi ist am Pult und schreibt und schreibt und schreibt. Neben ihm laufen an ausgewählten Abenden Videos von Till Velten, die sich um Service-Personal-Schulungen und Hausdienerinnen drehen oder man kann sich durch das Hotelfilmprogramm der Künstlergruppe WORMS zappen, das über Zeitgeschehnisse und Kulturpolitik aufklärt. Irgendwo im Hotelzimmer findet sich ein originaler Meldezettel eines anonymen Gastes aus Abu Dhabi – das ist dann Konzeptkunst. Achtung, nicht verpassen: Am Mittwochabend grosser Workshop: «How to make a bed» (ab 18 Uhr) sowie Contest: «Who makes a bed the fastest». Zum Festivalschluss am Samstag zelebriert das IZA dann im Rahmen einer Gala mit Buchvernissage die frischen Texte von Emanuel Bundi.

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Live aus der Dampfzentrale: Die Kunstallmend

Christian Zellweger am Samstag den 13. September 2014

Die Biennale ist in der Stadt. Ein Künstlergruppe hat sich letzten Donnerstag im Kesselhaus in der Dampfzentrale eingenistet, um bis Sonntagabend die Kunstallmend zu gestalten. Die Damen und Herren schreiben uns:

«Im April 2014 kam eine Gruppe Kunstschaffender in der Dampfzentrale zusammen, um ihre Kunst als Allmend, also als Allgemeingut, zu begreifen und als solche zu bewirtschaften. Dafür gaben sie sich Regeln wie «Beiträge sind allgemeine Ressource der Allmend. Namen sind irrelevant». Die Gruppe traf mehrmals zusammen und versuchte ökonomische Strukturen aus künstlerischer Perspektive zu betrachten. Während der Bern Biennale wird die Kunst-Allmend «Dampfzentrale» für drei Tage zur öffentlichen Versuchsanordnung und macht dabei Zuschauende zwangsläufig zu potentiellen Allmendern. Was dabei rauskommt ist ungewiss – das Resultat wird aber mit allen geteilt.»

Wie das so aussieht, können Sie in Ihrem Lieblingsblog live verfolgen. Heute Samstag ab 15.00 und bis 23.00 Uhr, morgen Sonntag ab 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr.

weisse Männer in schwarzer Kleidung

Miko Hucko am Freitag den 12. September 2014

Ja, diese Musiker, sie müssen nur auf die Bühne kommen und schon explodiert der Saal in Erwartungsapplaus. Ein Wunder sind wir nicht alle noch aufgestanden um unseren klangvollen Göttern rechtmässig zu huldigen.Vielleicht hat das andere Gründe, jaja. Jedenfalls war der Turbinensaal der Dampfzentrale zum ersten Mal seit langem bis auf den letzten Platz besetzt. Ist das Berner Publikum einfach festivalgeil? Biennale-Eröffnungsabend.

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Nach einem für Vegetarier_innen recht unspannenden Apéro gab’s mehr oder weniger schwungvolle Reden, an denen der Abteilung Kulturelles abwechslungsweise gedankt und Vorwürfe gemacht wurden wegen (auch hier!) geplanter Fusion der Biennale mit dem Musikfestival.

Dann die Show: Everyday von Christian Marclay und Ensemble, eine «musikalisch-visuelle Performance» aus dem Jahr 2011. 5 Musiker improvisieren zu zusammengeschnittenen Videoclips aus den unterschiedlichsten Filmen. Die ersten zehn Minuten war ich gebannt, weil immer nur Türklingeln und Gucklöcher und klopfende Menschen zu sehen und die unterschiedlichsten Eröffnungsgeräusche in diese Richtung zu hören waren. Ein assoziatives Prinzip war zu spüren, das sich fortziehen sollte. Ich habe nichts gegen Assoziationen, aber mit der Zeit wurde es extrem repetitiv, anstrengend und unspannend. Inhaltliche Anforderungen fehlten, eine Dramaturgie war nicht zu erkennen.

Ich war (wirklich) kurz davor einzunicken, was auch an meinem ungünstigen Sitzplatz gleich unter der Lüftung gelegen haben mag – und dann kam ein Knaller: Marschmusik! Eine ganze Blasmusiktruppe dreht eine Runde durch den Turbinensaal. Was für ein Höhepunkt, was für ein Abschluss. Aber Show ging noch on und plämperte sanft aus, indem einige Bilder vom Anfang wiederholt wurden.

Der Abend war aber noch nicht vorbei, denn wie heisst es so schön: Nach dem Apero ist vor dem Apero. Im Kesselhaus öffnete die Kunst-Allmend ihre Tore / Türe. Erstaunlich, wie klein dieser Raum wirkt, wenn man ihn mit Arbeitsmaterial füllt. So richtig bin ich in die Allmend noch nicht reingekommen, aber das war ja auch ein Pre-Opening. Ich gehe die Damen und Herren am Samstag Nachmittag mal noch richtig besuchen, sie haben nämlich durchgehend geöffnet.