Archiv für die Kategorie ‘#BernNotBrooklyn’

#BernNotBrooklyn

Urs Rihs am Sonntag den 2. Dezember 2018

Bern ist zwar nicht Brooklyn, aber hey, trotzdem ist schwer was los in der Stadt. Festivals und Feste, Konzerte und Zelte, ich hör immer nur Zelte. Liederliches, undurchsichtiges Treiben, fadenscheinige Zusammenhänge – Untergrund und hie und da spitzelt er an die Oberfläche. Wie der schwindende Eisberg. «Etwas Licht für die Sache bitte!»
es werde Licht –

Am Mittwoch bei Kerzenschein sass man beisammen zu selbstgemachtem Ingwerlikör, goldversetztem, weil man sich sonst nichts gönnt. Wegen sieben Jahre Kapitel und so und dazu noch schnell Klarheit erlangen, über das Raclette- und Zirkuszelt auf der anderen Strassenseite. Viel wurde ja kolportiert: «Da läuft ja nicht wirklich was und die Leute haben sich übernommen.»
Fakt ist, hier schleift sich gerade ein frischer Bewegungsablauf in die urbane Grosshirnrinde ein und zwar praktisch ohne Geld – «das Zelt war ein Glückstreffer und praktisch jede Schraube wurde von Freund*innen oder selbst reingedreht, das war ein Husarenstück an Engagement und eine Visitenkarte der Szene sondergleichen!», sagt mir Dino während wir zwei selbstgedrehte Zigaretten rauchen.

Man glaubt also dran im Schützenhaus, das Raclette ist gut angeschmolzen und das Kulturkonzept, das Sorgenkind, wird sich finden – kam Zelt kommt Rat und hoffentlich auch etwas Geld, bis dahin geht der Kollekten-Teufel um für Dargebotenes. Und darum greift in die löcherigen Taschen!

Drei Tage später und drei Strassen weiter oben, sitz ich früh morgens, bei queer einfallenden Sonnenstrahlen und sturmer Rübe – weil nachts zuvor ein Kollektiv und sein Raum am Terrassenweg 25 Jahre feierten und man sich zu Cumbia kräftig mit Champagner begoss, Applaus! – in der Turnhalle zu einer Tasse Kaffee und schau mir ein «Warm-up» des Bone21-Performance-Art-Festival an, aber blick irgendwie nicht ganz durch. Das Programmheft überfordert meine Synapsen und ich stolpere in vier Sätzen gefühlt zwanzigmal über das Wort Performance. Schau mir dann, dumm wie zuvor, lieber das zerstreute Treiben auf der Bühne an. Da würfelt sich was, zwischen Soundcheck, Jamsession und Theater. Verstörend beruhigend schön– ich such das Weite.

Sonne, Progr-Innenhof, Bone21 und Kaffee – der gute Morgen am Samstag war das.

Und lande, wie so oft dabei – in einem Auto voller grosser Herzen und aufgeschaltetem Fernscheinwerfern, vom Turbo getrieben über Feldwege – im BadBonn:
Feldermelder spielt hundert Dialekte Bass und trotzdem Esperanto – Phasen überlagern sich und plötzlich ist das Kopfnicken neben dem Takt, unmerklich schleicht sich das Leitmetrum von Mitten auf Tiefen. Transistoren rauschen, es knistert und ballert, flächige Drones, Breaks und vieles improvisiert und assoziiert und trotzdem alles aus einem verdammten Guss, dass es gar dem Haxan Cloak kalt den Rücken hinunterlaufen müsst’ – Therapiestunde!
Danach, mit geweiteten Pupillen, erwarten wir sehnsüchtig das elegische Zeremoniell von Lord Kesseli und seinen Drums. Sandelholzrauch füllt unsere Kapillaren und wir stehen wie trockene Schwämme vor der Bühne, bereit die neuen Stücke in uns aufzusaugen, dass es uns den Teufel austreibe. Leider bleiben die Tieftöne aus – hat sie Feldi vergriffen? – und das Konzert verreckt technisch ab. Wie Kinder vor einer rohrkrepierten Tischbombe sehen wir uns an und trauern, im Wissen darum aber, dass Lord Kesselis Nummern Sprengladungen an Dynamik bleiben und nächstes Mal explodieren sie, ganz bestimmt.

Geblendet vom neonröhrenhelldurchfluteten Nebel im Haus treten wir den Rückzug an, genug gesehen, es ist Sonntag und wir wünschen uns den Kopf unter die Daunendecke.
Am Abend spielt «Esben and the Witch» im Rössli –
falls sich wer die Lichter noch gänzlich ausknipsen lassen möchte.

#BernNotBrooklyn

Urs Rihs am Sonntag den 25. November 2018

Bern ist zwar nicht Brooklyn, aber hey, trotzdem war hier hart was los, die ganze Woche schon.

Doch «Weiche Männer braucht die Welt» steht in der WOZ und wer war der weichste? Zum Anfang vielleicht, Daniel Ryser auf Lesetour mit seinem Kö%*#l Buch, am Dienstag war das und im Ross – etwas weich in den Knien erst, aber nicht weich im Kopf. Seziert mit seinem Report über den Kompromisslos-Karrieristen-K@pp?l die vor sich hin krepierende Schweizer Medienlandschaft und lässt dabei die Hauptperson rechts liegen.

Sanftheit mit bitterem Beigeschmack servierte am Donnerstag dann Mr. David Tibet – seines Zeichens Frontmann der Avantgarde-Folk-Drone-Gruppe «Current 93» und freigestellter Programmpunkt am diesjährigen SAINT GHETTO in der Dampfzentrale – prätentiös.
Seine angestrengt sinnliche Performance erbrachte den Beweis, dass eine ungebrochene Pose eben gerade kaputt geht. Mit geschlossenen Augen blieb zum Glück die Musik.

Freitag dann Aktivismus, Sauvage in der Lorraine, en vogue, junge Menschen bleiben zusammen und demonstrieren – trotz abzugfingernervösen Cowboys in Blau – eine alternative Geschlossenheit. Hausmittel der Woche gegen aller Art körperlicher Verspann- und gesellschaftlicher Verhärtungen: Solidarität.

Am Samstag wieder Dampfzentrale mit den beiden Skulpturen Gabi Delgado-López und Robert Görl von der «Deutsch Amerikanischen Freundschaft». Nicht die geborenen Briefträger behutsamer Zeilen, bekannterweise; aber die Hüter einer Bühnenvehemenz, welche ein Wegsehen nicht zulässt. Diese Aufklärung nach der Regel geschärfter Modellsätze, dieser Reduktionismus funktioniert zeitlos.
Wache Geister setzten nach dem Konzert ein Fragezeichen höchstens hinter den Kontext – diese Galeriehaftigkeit am Saint Ghetto, passend für DAF unbestritten, aber auch zuträglich der Berechenbarkeit.

Es ist Sonntag 17:43 Uhr und gerade erst erwacht, auf dem Küchentisch liegt die WOZ «Weiche Männer braucht die Welt» und Schlaf ist der beste Entzündungshemmer.
Gleich spielt Yung Hurn in der Grossen Halle.
Gute Nacht.

Leere und volle Wasserflaschen auf der Bühne der Dampfzentrale.

Rauchfrei am Konzert

Ilona Steiger am Sonntag den 11. November 2018

Für KulturStattBern zeichnet Ilona Steiger aka rauchfrei93 als Gastillustratorin sonntäglich Shortstorys aus dem urbanen Untergrund und von der Sandsteinoberfläche. 

Rauchfrei seit 1993

Ilona Steiger am Sonntag den 4. November 2018

Für KulturStattBern zeichnet Ilona Steiger aka rauchfrei93 als Gastillustratorin sonntäglich Shortstorys aus dem urbanen Untergrund und von der Sandsteinoberfläche.

#BielNotBrooklyn

Roland Fischer am Sonntag den 21. Oktober 2018

Was ist ein Quariat? Müsste ja sowas wie das Gegenteil einer Buchhandlung sein.

Samstag spät, Biel Bahnhof. Der Heimathafen Jurasüdfuss hat noch auf. Ein ebenso gut angezogener wie gealterter DJ legt Zeugs und Sachen auf, an der Bar gibt’s nicht nur Ingwerer, sondern auch Berliner Luft. Und wer will, kann auch noch ausgesuchte Lyrik erwerben, im exquisitsten Kleinstantiquaritat weit und breit. Kleine Stadt wieder mal ganz gross. Allez. Allez-y.

Kulturbeutel 41/18

Urs Rihs am Montag den 8. Oktober 2018

Der Urs empfiehlt:
R&B
von Tirzahzwei Girls aus London drainieren ein Genre und saugen ihm die Sülze ab. Auf Club getrimmt, reduktionistisch und trotzdem bleibt der Soul– am Freitag im Bonn, hin da!

Fischer empfiehlt:
Die Bookerin ist am Verzweifeln: «Ihr kennt Steve Buscemi nicht!?!» Wie soll sie denn Leute wie Jake La Botz promoten, wenn alle Referenzen fehlen hier drüben, andere Seite Atlantik? Hush hush, das wird schon. Einfach dranbleiben, die Stadt merkt schon noch, was sich da Spannendes und Untergründiges tut zwischen Blues, Rock, Folk und alledem.

JJ empfiehlt:
Immer am Achten
ist im Schwob-Haus Happening und heute ist wieder der Achte. Nicolás Araneda macht die Theorie zur Praxis und stellt seine konzeptionelle Kompositionstechnik vor. Es nennt sich “Time Decoration“, es gibt Klang und Talk und Bier aus der Dose, oben über der Länggass.

#Bernnottoronto

Roland Fischer am Sonntag den 23. September 2018

Jetzt grad im Kunstmuseum: An vier Tischen wird Schach gespielt, rundherum Lautsprecher. Es fiept und rauscht und klopft und blubbert. Mal leise, dann dringlicher.

Das seltsame und zauberhafte Spektakel passiert im Rahmen der République Géniale und ist eine Neuinszenierung einer Performance von John Cage und Marcel Duchamp, die sich 1968 in Toronto auf eine Partie Schach verabredet hatten. Das Schachbrett präpariert, dazu Live-Elektronik je nach Verlauf der Partie. Geniekult auf gute Art.

#BernNotBrooklyn

Mirko Schwab am Sonntag den 9. September 2018

Bern ist zwar nicht Brooklyn. Aber auch in der Sandsteinstadt ist burn-out, Weltschmerz, Sonntagsdepression, ist Hoffnung und 1 Schultzerucken. Ein quasi Gastbeitrag unserer Autorin Jessica Jurassica aus dem Abseits (ihr …!)

wenn nichts mehr hilft hilft dann nur noch lyrik [palmen-emoji]

faschismus oportunismus kapitalismus polizeigewalt herrschaft unterdrückung bern chemnitz charlottesville internet / täglich / tränengas gummischrot hitlergrüsse nazitattoos machtdemonstrationen gewalt drunterkommentare / messerstiche, angedrohte ausgeführte / (sprach)bilder eingebrannt auf der netz haut / gerötet entzündet / sprache der gewalt sprache des krieges kämpferische sprache revolutionäre sprache / männer* und frauen* sprache / spreche ich 1 männliche sprache oder ist sprache eh universell geschlechtslos / spreche ich 1 sprache der gewalt / verstehst du mich / wer bin ich ohne sprache wer / bist du

sexism fascism escapeism / violence silence patience / deafness numbness faceless / labien libido lybien / hardcore normcore glencore / fuckboy sextoy tolstoy / fascism sexism violence / fear power death / deaf death / numerous deaths / verstehst du mich / wer bin ich ohne sprache wer / bist du / VERSTEHST DU MICH

echo

hallo echo

echo

echo

e c h o

twitter dot com

twi t t e r   d  o  t    c   o   m

LOL

[palmen-emoji]

#BernNotBrooklyn

Roland Fischer am Sonntag den 2. September 2018

Bern ist zwar nicht Chemnitz/Charlottesville/Ankara, aber hey, auch in der Hauptstadt ist Krise. Beispielsweise in und um die Reitschule, an so einem ganz normalen Samstagabend.

Drinnen, nach drei Stunden Krisenbeschwörung: ein knallrotes Gummiboot lehnt an der Wand, eben standen da noch vier Sänger im Frack drin und sangen ein letztes, trauriges Lied. Draussen nimmt sich die Polizei derweil von der Schütz was sie will. Freiraum und Tränensalven. Räuber und Poly. Sehnsucht nach dem Knall.

Und drinnen Karaoke mit Livemusik. Leave ’em burning and then you’re gone.

#BernNotBrooklyn

Urs Rihs am Sonntag den 22. Juli 2018

Bern ist zwar nicht BrooklynNapoli, aber hey, auch in der Hauptstadt ist mächtig was los. Beispielsweise auf allen Badewiesen und Uferabschnitten, welche zum Sonnen und Liegen laden.

Von den Brücken und vom Zug aus gleicht das einer fransigen Patchworkdecke.
Farbige Leinenbahnen, kalkige Frotteetücher, exotische Waxprints auf dichtem Stoff, dünnes Baumwollgewebe, alles wie Schleier über dem grasgrünen oder steingrauen Untergrund verteilt.
Darauf gebräunte Körper, viele rauchend, neben ebenfalls qualmenden Feuerstellen, spielenden Gruppen, lesenden Einzelgänger. Essen dazu, trinken dazu, viele saufen.

Vor einigen Jahren war mal so ein heimischer Film für den besten fremdsprachigen zur Nomination bei den Oscars vorgeschlagen. «Giochi d’estate» hiess der doch, Sommerspiele.
Das darin auftragende Kolorit – pastellener Coming of Age Timbre, herbere Noten Lebensmittekrise – spürt sich auf an der Aare.

Zwei Handvoll Köpfe aus der Stadt haben sich diesem Sentiment musikalisch angenommen und gestern dazu einen Soundtrack auf Kassette veröffentlicht. Toxico SUMMER TAPE, TX07.

Vornehmlich bleiche Gesichter trotz Hochsommer, vom Kunstlicht im Studio, mit diesem Leuchten in den Augen aber. Weil sie einer Fantasie Kontur verpasst haben und die Sonnenkur ihrem Sound, statt sich selbst.
Die gemeinsame Sprache: Das italienische Klub-Viermalvier der späten 80er- Anfang 90er-Jahre. Auf diesen Nenner hatte man sich bereits in den kalten Monaten geeinigt.

Sphärischer, verträumter House mit diesem Discogloss. Italienischer «Dream House», Sommernachtstraum-Verve, weil dieser Dancesound wie nichts anderes in der Klubkultur für lebensbejahende Leichtigkeit steht.

In den Staaten war House politisch konnotiert, queer an der Ostküste, farbig im Rostgürtel. Und auf der Mutterinsel aka UK sowieso immer tief im Kellerloch, selbstzerstörerisch, zerrütteter.

Die Ränder des Stiefels hingegen, mit seinen sonnenbeschirmten Promenaden und felsigen Kanten, diesem Azur der Adria und dem Türkis des Mittelmeers, das instantane Glück höchstens getrübt von einem schnell wieder verdrängten Ennui – das ist die Blaupause für Dream House.

Salzige Zungenküsse, das Wiederaufflammen einer Jugendliebe oder einfach nur ein paar verklärte
Gedanken an einst im Sand.
Jetzt alleine vielleicht, aber immerhin ein Campari Soda auf der Patchworkdecke,
in der Nacht und am Strand.

Dieser Sound lässt immer mal wieder schmunzeln auch, den eitlen Hipster-Ernst in die Ecke stellen. Er bringt Spass und Lockerheit auf die Tanzfläche, Attribute die der Klubmusik paradoxerweise so oft und so schmerzlich fehlen.

Mediterrane Inspiration, that’s the cure! Jetzt gibt’s eine lokale und auf Tonband gespulte Facette mehr davon. Bern ist zwar nicht Napoli, aber hey, auch hier klingt und fühlt sich der Sommer richtig schön.

#BernNotBrooklyn, neither Napoli, but lots of good vibes.