Archiv für die Kategorie ‘Allgemein’

Bern schrumpft

Mirko Schwab am Mittwoch den 16. Mai 2018

Bümpliz – Casablanca. Kleine Hommage an eine Küche.
Mit Bildern von Jessica Jurassica.

Die Fahrt nach Bümpliz Süd dauert zwei S-Bahn-Stationen. Am Bahnhofskiosk, in dem eine Migros-Tochter eingemietet ist, kann man Tabak kaufen und einzwei Dosen. Weil Migros-Töchter dürfen eben Tabak und Ztrinken. Und deshalb sind die Avecs und Migrolinos auch gern an diesen Vorstadtbahnhöfen, wo sich zu fast jeder Tageszeit ein Grüpplein hustender Vorstadtcowboys zum Tabaktrinken und Schäumleinmähen einfindet und zum Rock hören über Bluetooth. Zwischen Bahntrasse und Wald pfeift die Freiburgstrasse in die Agglomeration hinaus, also hat es Garagen. Säuberliche Autogaragen wie zum Beispiel die Th. Willy AG (A. meint auf Google: «Es war sehr befremdlich, ich fühlte mich nicht willkommen in dieser Garage. Der Berater den ich hatte war nett.» A. vergibt drei Sterne.) Exotischere auch. Balas Autoservice etwa würde einen ganzen Text verdienen, so arbeitsintensiv und wahrscheinlich sinnlos das Herumrangieren verbeulter Schrottkarrossen, so freundlich sein Grüssen und so grüsig seine Art, den Frauen nachzuspienzeln, wohl bis heute geblieben sind. Ein paar Häuser weiter haben wir gewohnt, Hausnummer 354, 3018 und fünf vor Niederwangen sozusagen – weit weg war die Sandsteinstadt, viel weiter weg, als es die Postleitzahl verraten hätte.

Der Käfigturm schlägt eine weitere vergangene Stunde an, immer fünf vor oder schon zu spät, aber nie pünktlich lässt er seinen Glockenschlag durch die Gassen fahren. Die Tür klingelt und ich öffne die Tür. Jemand kommt vorbei und trinkt Kaffee oder bringt etwas zu Essen oder Tabak oder Dosen. Bringt Euphorie oder zumindest Sauflaune, bringt Trauer oder zumindest Melancholie, bringt Geschichten oder zumindest Geschwätz, bringt Freunde oder Fremde oder Fragen, bringt Drogen oder fragt nach welchen, bringt Luft von draussen, zum Lüften, zum Ablassen, bringt etwas jedenfalls herein in die vernebelte Küche und im besten Fall sich selbst. Ich sitze dann meistens an meinem Rechner und rauche Kette.

Früher bin ich rausgegangen, um «in die Stadt zu gehen». In Bern meint man damit sehr spezifisch die Altstadt und schon in der Lorraine fragt man sich abends vielleicht, ob man noch «in die Stadt» gehen soll. In den Köpfen nämlich ist Bern noch so gross wie vor vierhundert Jahren. Auch als wir später «in der Stadt» eingezogen sind, als unsere Strasse zu einer Gasse wurde und aus dem blauen Strassenschild ein gelbes, auch da bin ich zuerst noch rausgegangen. Doch der Umkreis wurde kleiner, die Aareschlaufe zog sich zu. Nur mit guten Gründen schaffte ich es in die Länggasse oder nach dem Breitsch oder westwärts weg. Und jetzt lebe ich in dieser Küche. Meine Matratze ist zwar woanders, sie hat knapp Platz in der Waschkombüse, doch – ausser um zu schlafen, ausser um zu ficken in den besseren und zu onnanieren in den schelchteren Zeiten oder eben zum Wöschen hin und wieder – bin ich da doch selten.

Jetzt lebe ich in unserer Küche. Das wäre traurig, sicher, aber es ist unsere Küche. Wenn man alleine ist, kann man darin gut schreiben. Öffnet man die Fenster, kommt die Allgemeinheit herein, das öffentliche Allerlei, die Strassenmusik. Öffnet man die Tür, kommen Menschen, die sich selten anmelden, weil immer jemand hier ist. Legen die Hand aufs Herz, zünden den Tisch an oder ziehen sich aus. Das ist auch ein Liebesbrief an sie. Sie machen unsere kleine Küche gross und kochen ihr eigenes Bern darin ein.

Bildersturm mit Bilderbuch

Urs Rihs am Freitag den 11. Mai 2018

Zum bersten voll war der Stock, eine Siebenhundertfünfzigerschaft geblendet von sehr viel Kunstlicht und eigentlich leeren Liedern. Warum das funktioniert?

Weil es die G-punktgenaue Befriedigung einer pervers-geilen Fantasie ist, auch der Gegenkultur. Der Fetischisierung des Mainstreams – ein bisschen Spass für alle, Bilderbuch stehen exempelhaft dafür.
Die wennschon, dennschon Band – L’art pour l’art? In weitester Ferne! – und was dabei rauskommt, ist feschester popkultureller Nihilismus.

So schwierig einfach ist das, man verquirle Insignien des Erfolgs – Autos, Mode, schöne Körper (check the vids) – mit übersteigerter Eigenliebe, lasse alle Hemmungen fallen, texte dazu schmissige Zeilen und höre was dabei als Echo widerhallt.

Bei Bilderbuch: «Maschin», «Baba» und «Plansch»! Ein musikalischer Schaltkreis ganz nahe dem Kurzschluss.
Und diese Übersteuerung schmerzt zwar unseren mantrischen Echtheitspuritanismus, dabei werden wir aber irgendwie auch rallig auf Schrott, scharf auf Schund wie Nachbars Lumpi.

Weil diese süssen Strophen so verboten kitschig sind, dass sie unsere auf  T-Shirts gedruckten Vorstellungen von Subversion mittels sinnentleerten Floskeln und spiegelglatten Indie-Disco Harmonien nach spätester einer Songlänge unterwandert haben. Und der Hauptstrom zerfliesst natürlich gewinnbringend mit.
Eine auf links gedrehte Drainage der Kulturindustrie vielleicht?
Zerstört sich ein Bild in seiner Potenz?

Das langweilt musikalisch trotz diesen Fragen bald. Mich Manche wiederum nach schon einer Songlänge. Ist aber starkes Indiz dafür, dass bei dieser Band wahrscheinlich tatsächlich mehr als bloss blass-biederer Neo-Wiener-Schmäh – wie etwa bei Wanda – und etwas karikierte Falco-Retro-Seligkeit mitschwingt.
Das bringt die Menge zum Mitsingen, einfach, zugegeben –  und aber gleichzeitig kritischere Geister zum Schmunzeln – nicht ganz so einfach.

Meister Duden zum Bildersturm: «mit der Zerstörung religiöser Bilder und Bildwerke in großer Zahl einhergehende, die Bilderverehrung bekämpfende Bewegung, Aktion» und dieses Bild ist eventuell urheberrechtlich geschützt.

Postkarte aus Jesolo

Anna Papst am Donnerstag den 10. Mai 2018

Stell dir vor, es ist Massentourismus, und keiner geht hin

Lido di Jesolo, das heisst von 1. Juni bis 1. September: Hier liegt man Tuch an Tuch. Bikinischönheiten sonnen sich neben Seniorenplauzen, tätowierte Bodybuilder bauen mit ihren gepiercten Kleinkindern  Sandburgen, Grosis spielen mit halbwüchsigen Schnauzträgern Softball.

Mitte Mai ist trotz herannahendem Feiertag und angekündigtem Stau Richtung Süden kein Schwein am Strand. Hunderte von aufgestellten Sonnenschirmen bleiben unbenützt, in der einen bereits geöffneten Gelateria steht niemand Schlange, die einzigen Spuren im Sand sind die eigenen. Jesolos Hauptsaisonhauptsprache ist Deutsch in allen Schattierungen: Hier wird Platt geredet, gesächselt, berlinert oder schaffhausert, dass einem die Ohren klingeln. Zur Zeit ist es ruhig; wenn man doch einmal einen anderen Menschen vernimmt, parliert er in weichem Italienisch.

Weil kaum Touristen da sind, hat nichts geöffnet: Der Spielsalon so wenig wie die Ortsdisko oder der Vergnügungspark. Nach 21 Uhr fährt kein ÖV mehr. Das Wasser im Swimmingpool wurde abgelassen. Ein öffentliches Wi-Fi ist für die digitale Ablenkung vorgesehen, seine Leistung bricht jedoch nach 30 Sekunden Betrieb zusammen. Der Aushang des Internetcafés lautet: Geschlossen bis 2. Juni. Aus der massentouristischen Traumdestination ist ein Ort geworden, an dem Alternativreisende auf der Suche nach Entschleunigung fündig werden können.

Ich suche mir eine der schier unzähligen freien Liegen aus und lese den ersten Satz meiner 800-Seiten-Lektüre. Unterbrochen werde ich in den kommenden acht Stunden garantiert durch nichts und niemanden. Es lebe die Nebensaison!

 

«Wohnsippenhaft»

Urs Rihs am Dienstag den 1. Mai 2018

Für wenig Batzen in unserer Stadt zu leben, grenzt an eine multidisziplinäre Kunstform. Verkompliziert wird die Aufgabe durch eine kaum zu bereinigende Altlast unserer Gesellschaftsform – der guten alten Diskriminierung von Minderheiten.

Anlass zu diesem Hieb gegen die besitzende und verwaltende Klasse des städtisch vorherrschenden Kryptowohnfaschismus, ist eine Mail, die ich von zwei Freunden weitergeleitet erhalten hab.

Seit langem auf Wohnungssuche die beiden.  Nach etlichen – meist unbegründeten – Absagen, hatten sie die Nase langsam gestrichen voll. Verständlicherweise.
Also hakten sie nach, fragten nach einem Grund. Erhielten sie die letzte Absage doch für eine Wohnung, welche direkt von einem bekannten Paar hätte übernommen werden können. Und das trotz fristgerechtem, vollständigem und auch sonst vorbildlichem Bewerbungsdossier.

Vermieter müssen ihre Entscheide nicht begründen, vom Legalistischen her, das ist ein Privileg unter vielen, welches ihnen zukommt.

Sogar eine Wohnungskündigung muss seitens Besitzer nicht begründet werden. Der Mietpartei kommt lediglich das Recht zu, eine Begründung zu verlangen. Was das bedeutet?
Fragen darf man – Antworten muss darauf niemand. Na dann ist ja gut …

Zurück zum Fall meiner Freunde aber, die haben nämlich tatsächlich Antwort erhalten, und zwar folgende:

Der Beweis einer ehrlich-üblen Sache.

Cool, danke der Ansage. «Immerhin ehrlich!» könnte man monieren.
Wenn der Idiot sich durch Ehrlichkeit als solcher offenbart, bleibt aber vor allem mal etwas – dass es sich um einen Idioten handelt.
Und die anerkannte Rassistin auf dem Podium ist keinen Deut besser als der verkappte Xenophobe hinter seiner Hecke. Capisch?

Realität – Menschen aus dem Jugo kennen die Leier mit ihrer Namensendung am Telefon. Menschen mit einem Hautfarbton, welcher auch nur minimal von Geisterweiss abweicht, kennen das Spiel bei der Wohnungsbesichtigung. Und offenbar müssen eben auch Menschen, deren Beruf und Umfeld nicht in erzreaktionäre Vorstellungen von Sittlichkeit aus dem vorletzten Jahrhundert passt, auf dem lokalen Wohnungsmarkt mit Diskriminierung rechnen.

Aber lassen wir die Empörungsschreie verhallen. Es stellen sich schliesslich Fragen. An erster Stelle vielleicht: Was dürfen Vermieter von Mietinteressentinnen an Daten sammeln und erfragen? Diesen Beitrag weiterlesen »

Schnörkellos und wütend

Gisela Feuz am Freitag den 27. April 2018

Einem Aussenstehenden zu erklären, warum Sleaford Mods Konzertsäle füllen, ist nicht ganz einfach. Denn nüchtern betrachtet bieten da zwei Herren wenig an gängigem Unterhaltungsmaterial, was sie auch gestern Abend im Case à Chocs in Neuchâtel unter Beweis stellten. Beatproduzent Andrew Fearn platziert auf der Bühne gerne eine Hand in der Hosentasche, derweilen sich die andere an einer Bierdose festhält. Seine einzige musikalische Konzert-Tätigkeit besteht darin, per Knopfdruck den nächsten Song von seinem Laptop abzufeuern. Derweilen bellt Jason Williamson wütende Tiraden in sein Mikrofon, die aber aufgrund seines heavy East-Midland-Akzentes (Sleaford Mods stammen aus Nottingham) kaum verständlich sind. Nein, gängiges Unterhaltungsmaterial ist das nicht, und gerade deswegen ist es grossartig.

Der Elektro-Punk-Lo-Fi-Arbeiterklassen-Rap der Sleaford Mods nahm seinen Anfang vor rund 10 Jahren, als zwei Kerle aufeinandertrafen, welche beide nirgends richtig reinpassen wollten. So beschreibt es Andrew Fearn in A Bunch of Kunst, dem Dokumentarfilm über die Sleaford Mods. (Anschauen!) Mittlerweile haben Sleaford Mods 10 Alben herausgegeben und haben sich mit ihren wütenden, gesellschaftskritischen Schimpftiraden auch ausserhalb des englischen Königreiches eine treue Anhängerschaft erspielt. Auch wenn vielleicht nicht jedes einzelne Wort verständlich sein mag, so fühlt man sich doch angesprochen von den blaffenden Ausführungen des Jason Williamson. Denn hier trägt einer das Herz auf der Zunge, einer der gegen Arbeitslosigkeit und Auswüchse des Kapitalismus wettert und dem die Oberflächlichkeit unserer Konsumgesellschaft keine Befriedigung verschaffen mag. Ehrlich, direkt und fadengrad ist das. Und genau das sind auch die elektronischen Lo-Fi-Beats des Andrew Fearn: funktional, schnörkellos, ein bisschen billig, aber ungemein treibend.

«They are the voice of Britain, they tell, what Britain is like», sagt ein Fan in «A Bunch of Kunst» (Sie haben sich den Film angeschaut? Dann tun Sie es gleich noch mal.) Sleaford Mods sind nicht nur das Sprachrohr eines Britanniens, das auf einen Brexit zusegelt, ohne dass irgendjemand einen Plan hätte, wie dieser umgesetzt werden soll. Sleaford Mods sind auch das Sprachrohr all jener, die generell nicht recht wissen, wie ihnen geschieht in dieser unserer heutigen Zeit.

Sleaford Mods spielen heute Abend im Mascotte in Züri.

Bern auf Probe: Tanz der Genderidentitäten

Anna Papst am Dienstag den 17. April 2018

Perückenköpfe, Sterne, Spiegel und rosarote Plastikpferde: Die Kunst heisst Musical!

 

Betritt man diese Tage die Vidmar 1, wähnt man sich in den späten Achtzigern: Ein riesiger, grünglänzender Stern nimmt die Bühnenmitte ein, die Protagonistin trägt eine Lederkluft mit Bikershorts, Corsage und Fransenjacke. Coiffeurstühle und Perückenköpfe säumen den Bühnenrand, die Seitenwände sind mit Spiegeln versehen; der ganze Raum schafft eine Anlage von Verkleidung und Travestie. Wo ausgefallene Frisuren auf rollbare Sitzgelegenheiten treffen, ist das Musical nicht weit: Geprobt wird „Coco“, geschrieben von Alexander Seibt, komponiert von Marcus Schönholzer. Diesen Beitrag weiterlesen »

Postkarte aus Chur

Gisela Feuz am Samstag den 14. April 2018

Die Wo-ist-Walter-Bücher sind sehr beliebt bei Eltern, weil der Goof dann zumindest für einen Moment mal ruhig ist, wenn er sich in die Wimmelbilder des Briten Martin Handford vertieft, um den jungen Mann mit der Flaschenbodenbrille, Pudelmütze und dem rot-weiss gestreiften Shirt zu finden. Die grossformatigen, detailreichen Bilder wurden zum ersten Mal vor 31 Jahren in Grossbritannien veröffentlicht, seitdem gibts die Bücher mit Weltenbummler Walter in insgesamt 33 Länder in 22 Sprachen zu kaufen.

Walter heisst aber nicht überall Walter. Im Englischen Original wurde das Kerlchen auf den Namen Wally getauft, in Norwegen nennt man ihn Willy, die Spanier und Italienier Walter Wally, in Nordamerika heisst er Waldo, in Frankreich Charlie und in Dänemark Holger. Seit neustem gibt es nun auch eine berndeutsche Version und die heisst Julian. Die Testphase ist gerade im Bündernland angelaufen, offenbar hat man aber vergessen, Julian über die entsprechende Garderobenpflicht zu informieren. Finden Sie ihn trotzdem?

Wer das gestrige Konzert von Julian Sartorius mit Bruno Spoerri bei BeJazz verpasst hat, gehe am 21.4.2018 in die Dampfzentrale. Dort trifft Schlagzeuggott Sartorius auf den New Yorker Multiinstrumentalisten Shahzad Ismaily. Im Anschluss dann Peter Kember, ja genau, narkotisch-psychedelisch-repetitiv-Spaceman 3-Kerner mit seinem Projekt Spectrum.

Kein richtiges Essen im falschen Mercedes?

Urs Rihs am Freitag den 23. März 2018

Seit Montag kreuzt ein neuer Benz die Strassen der Siedlung. Mit goldenem Kühlergrill.
Hie und da macht er Halt am Bordstein und verkauft Grünes, Braunes und vor allem Frisches. Gemüse, Seitan, dies das Veganes. Nur Selbstgekochtes, natürlich – auch der Eistee.

Schöne Sache, vor allem weil nicht Pop-up oder nur so Zwischennutz, sondern hundert Prozent und selfmade und hoffentlich beständig.
Der Jüngling am Steuer und Feuer ist klassischer All-iner, alles oder nichts, ohne doppelten Boden.
Entweder hauts hin oder Feierabend. Selber fahren, selber kochen, selber produzieren.
Zum Verkaufen ist man dann zu dritt in der bereiften Büd, ein richtiges Kleinunternehmen: «Vegan Outlawz».

Entrepreneurship im Blut der Bube – ohne Blut.
«Vegan ohne Mission», wie er beim Gespräch aber beteuert.
Moral und Laktose sind einfach komplizierte Sachen und darum lieber mal halblang mit Tierischem. Muss nicht immer gleich der Grundsatzhammer folgen, das geht auch pragmatischer. Keine Bekehrungswut am Horizont– an diesen Wagen dürfen sich auch verbissene Karnivoren wagen, ohne dabei um ihre Fleischeslust angsten zu müssen.
Neugier wär bei der Konservativfraktion hingegen angebracht. Die Lust aufs Andere darf hier, so zur Abwechslung mal und wenn man dabei auf den Geschmack kommt, umso besser.
Und wer trotzdem nicht will, der hat ja bekanntlich schon.

Und für die hartgesottene MarcoCamenischfraktion: Es gibt kein richtiges Essen im falschen Mercedes, schon klar und teures Biofutter für mittagspausenzeitbeschnittene Bruttosozialprodukthamster –  schwierig schwierig … Aber lasst doch die polternden Parolen, bei diesem Foodtruck gibt’s schliesslich für praktisch jedes Budget was qualitativ hochwertiges zu Beissen, selten genug. Preisrange zwischen 6.- (Suppe) und 19.- (Spiessli Teller), schwer fair!
Und im eigenen Garten kann man schliesslich weiterhin unbescholten selber anbauen.

Wo der Benz am Bordstein durch die Woche Halt macht: Montag,11:45-13:30, Mittelstrasse 12, Längass (dort beim Tingel Kringel) – Dienstag, same same as monday – Mittwoch,11:45-13:30, Lorrainestrasse 23 (da beim LoLa) – Donnerstag, 11:45-13:30, Lorrainestrasse 4 (beim Nordring Fair Fashion Laden.)

Bern auf Probe: Eine Lektion in äthiopischer Geschichte

Anna Papst am Mittwoch den 21. März 2018

Gebrehanna Productions möchten individuelle und kollektive Erfahrungen theatral erforschen. Zum Beispiel den Fall des sozialistischen Regimes in Äthiopien.

Wie bringt man einen jahrhundertelangen Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit auf die Bühne? Zum Beispiel, in dem man davon erzählt. Der äthiopischen Regisseur Aron Yeshitila, der inzwischen in Brugg wohnt, wollte in seiner ersten Inszenierung “Kings of Interest” auf die Interessen europäischer Mächte aufmerksam machen, die den demokratischen Wandel in seinem Heimatland immer wieder erschweren. Als Grundsituation wählt er ein Treffen unter Freunden: Seine Gruppe “Gebrehanna Productions”, zur Zeit bestehend aus vier Performenden, zwei davon Schweizer*innen, zwei davon Äthiopier sitzen bei Aron am Küchentisch. Man diskutiert über die neusten politischen Entwicklungen. Während die Schweizerin begeistert und hoffnungsvoll ist, winken die beiden Äthiopier ab: Zuviele Versprechungen wurden schon gemacht und nicht gehalten, als dass man den neusten Versicherungen Glauben schenken würde. Um zu erklären, woher dieser Pessimismus rührt, beginnt man, die letzten 150 Jahre äthiopischer Geschichte zu rekapitulieren, springt bald vom Stuhl auf und spielt in brecht’scher Manier Treffen zwischen politischen Führern nach.

Die Entscheidung, nicht nach einer Identifikationsmöglichkeit mit den involvierten historischen Grössen zu suchen, sondern ein distanziertes, schemenhaftes Spiel zu wählen, ist eine richtige. Dennoch kommt es nach dem ersten Durchlauf zu Diskussionen: Die beiden weissen Schauspieler*innen deutscher Muttersprache haben deutlich mehr Text als die beiden Äthiopier. Was aus pragmatischen Gründen entschieden wurde – die Deutsch- und Englischkenntnisse der beiden letzteren sind begrenzt, und man wendet sich schliesslich an ein Deutsch sprechendes Publikum – wird zum Statement: Wieder scheinen die Europäer*innen das Sagen und damit die Deutungshoheit über die geschichtlichen Ereignisse zu haben. Diese Aussage wollte man aber eigentlich nicht treffen, vielmehr soll die äthiopische Geschichte, die zu grossen Teilen auch europäische Kriegs- und Kolonialgeschichte ist, einmal aus der Sicht eines Äthiopiers erzählt werden.

Die Diskussion über die Wirkung der Textverteilung erweist sich als nicht ganz einfach: Zum einen ist da das Sprachproblem, zum anderen die unterschiedlichen Sehgewohnheiten und Theaterkonventionen. Während die schweizerische Hälfte sich über Tanzeinlagen wundert, die die äthiopische als passend empfindet, kann das Schweizer Testpublikum ein Bild nicht klar lesen, was den äthiopischen Darstellern schon fast zu deutlich ist: Während der Diktator eine Rede hält, erklingt ein Summen, dass zum bedrohlichen Gebrumm anschwillt. Der Führer sieht sich von einem Bienenschwarm bedroht. Das Insekt ist das Symbol der damaligen Widerstandsbewegung, die heute Regierungsmacht ist.

Es braucht viel Übersetzung, um dieses Stück gemeinsam zu stemmen, aber es lohnt sich: Das Ergebnis lässt sowohl die Performer*innen als auch die Zuschauer*innen einen anderen Blickwinkel auf die eigene Geschichte einnehmen.
“Kings of Interest” von Gebrehanna Productions, 21./23./24. März 20:30 Uhr, Tojo Theater Reitschule Bern

Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitet für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzt sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Einmal pro Woche schielt sie über den kantonalen Gartenzaun, um mitzukriegen, was in Bern so geübt wird.

«Dinge, die das Herz erfreuen»

Gisela Feuz am Samstag den 17. März 2018

Und wenn man denkt, analog geht nichts mehr, kommt von irgendwo der Beat-Man her. Beziehungsweise Gregor Samsa aus Hamburg. Oder beide zusammen. Lassen Sie mich erklären. Kürzlich fand sich folgenden Nachricht in Frau Feuz’ elektronischem Briefkasten:

Hi,
ich veröffentliche am 11. Mai 2018 ein neues Album (in der Band: Mario Batkovic, Julian Sartorius, Resli Burri und Nicole Izobel Garcia), zur Zeit habe ich sieben Videos in Arbeit, wovon eines ein analoges Vinyl-Video ist ist. Kein Witz! Ich habe das Glück, eines von vier Versuchskaninchen zu sein. Ein anderes ist Motörhead.
Beat-Man

Dass der Berner Blues-Trash-König Beat-Man ein neues Band-Projekt am Start hat, verwundert wenig. Der Mann ist mit einem Tatendrang gesegnet, der jeden Hyperaktiven vor Neid erblassen lässt. Das neue muskalische Unterfangen nennt sich «Reverend Beat-Man and the New Wave» und eine erste Kostprobe offenbart: Der Meister der unheiligen Schreipredigten schreit nicht mehr, sondern singt. Was hingegen definitiv erstaunt in obiger Nachricht ist: «Vinyl-Video» und «Motörhead». Da kommt nun Gregor Samsa ins Spiel, der Chef von Sounds of Subterrania, ein Label, das in Hamburg beheimatet ist und heuer sein 20-jähriges Bestehen feiert.

Eigentlich sei das Vinly-Video schon vor 15 Jahren in Österreich von einem Künstler und einem Physiker entwickelt worden, erzählt Samsa. Mittlerweile sei das Vefahren nun aber so weit verfeinert worden, dass es allen Leuten zugänglich gemacht werden könne. Bei einem Vinyl-Video sind sowohl Bild- als auch Ton-Signal auf einer Single gespeichert. Dieses Signal wird von der Plattennadel abgenommen, in einem Vorverstärker umgewandelt und so wird Video und Song an jedem beliebigen TV-Gerät oder Bildschirm seh- und hörbar. Alles was man braucht, ist ein normaler Plattenspieler, ein Bildschirm und den Konverter. Mit 8 Bildern/Sek. entstehen dabei hübsche Schwarz-Weiss-Videos, die in ihrer Ästhetik an Filme aus den 20er- oder 30er-Jahren erinnern.

Gregor Samsa ist in der Szene bekannt für seine aufwändigen Special-Editionen, welche er für Künstler*innen auf seinem Label fertig. So hat er für Beat-Man etwa den Sarg entworfen oder für die Monsters ein ganzes Bühnensetting in Lego herausgegeben. Wenn Samsa was an die Hand nimmt, dann steckt er viel Liebe und Arbeit in die Sache und das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Deswegen habe auch das Management von Motörhead Interesse an seinem Vinyl-Video bekundigt. «Die wissen, dass es mir nicht einfach darum geht, Lemmys Erbe auszuschlachten, sondern die Idee von Rock’n’Roll, welche ja auch Motörhead verkörpert hat, weiterzutragen», sagt Samsa. «Wer eine Vinyl-Single kauft, wird die nicht alleine anhören und anschauen, sondern die Freude daran teilen wollen. Ich fertige keine Massenware, sondern Dinge, die das Herz erfreuen.»

Samsas Nischenprodukte erreichen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung und sind finanziell nicht lukrativ, zumal Preise so tief als möglich gehalten werden. (Bei der Monsters-Lego-Box geht der Löwenanteil an Lego, der Vinyl-Single-Adapter kostet 178 Euro, womit nur ein Bruchteil der 15-jährigen Forschungsarbeit vergütet werden kann.) Von den vier Künstler*innen, welche als erstes eine Vinyl-Single herausgeben, sind drei einer breiten Masse unbekannt. Er hoffe, dass durch das Interesse an Motörhead auch das Interesse für The Courettes, Frankie Stubbs von Leatherface und Beat-Man gesteigert werde, sagt Samsa. Warum die Wahl dabei ausgerechnet auf den Berner Beat-Man gefallen ist, soll der Mann aus Hamburg gleich selber erklären. Selten hat die Rock’n’Roll-Welt eine schönere Liebeserklärung gehört.

 

Am Dienstag 27. März zeigt Beat-Man im Dachstock der Reitschule fünf Videos zu seinen beiden kommenden Alben, mit dabei wird auch das Vinyl-Video sein. Das Label Sounds of Subterrania feiert vom 26. – 31. März das 20-jährige Bestehen mit diversen Konzerten im Hamburger Hafenklang.