Archiv für die Kategorie ‘Allgemein’

Ein Bier muss sein.

Clemens Kuratle am Donnerstag den 20. September 2018

Innereien eines Kollektensäulis.

Die Hitze steht zwar noch, aber die Clubsaison ist am Anlaufen. Damit beginnen auch wieder die Barkonzerte mit Eintritt frei, wo man ganz elegant nach zwei Gin-Tonics und einem netten Konzert das Münz noch in der Topfkollekte entsorgen kann.. Oder eben nicht.

Die Vorstellung, dass die Kollekte ein Zustupf zu der, vom Veranstalter bezahlten Gage ist, ähnlich wie das Trinkgeld für den Kellner, ist ein landläufiger Irrtum. In der Regel gehen Musiker nach solchen Gigs mit nichts, ausser der Kollekte (und dem Naturallohn in Bauch und Blutbahn) nach Hause. Wenn in den Hüten nur Kleingeld entsorgt wird und keine Mamis im Publikum sind, welche grosszügig aufrunden, reicht das im Idealfall fürs Benzin oder das Zugticket nach Hause, in vielen Fällen aber eben nicht mal für das.

Wir lieben Musik. Musiker*innen lieben Musik und viele von ihnen finden auch: Frei zugänglich ist toll! Wer sich in einer Bar knapp ein Bier leisten kann, soll auch weiterhin dorthin gehen, sich eine Stange gönnen und die Band abfeiern.

Für alle anderen:

Geht in’s Lokal eurer Wahl und seid euch bewusst, was ihr konsumiert. Getränke und Musik!

Studierende, Gymnasiast*innen und Auszubildende, ohne reiche Eltern, Grosseltern oder Onkel: Wenn ihr ein Bier trinkt an dem Abend, dann schaut dass mindestens einer der Musiker von eurer Kollekte sich dasselbe Bier kaufen kann. Beim zweiten Bier kurz in’s Portemonnaie schauen und sichergehen, dass es für den zweiten Musiker auch noch reicht.

Alle andern zahlen der Band im Minimum eine Runde von dem Getränk, das sie konsumieren. In den Hut muss der Stutz, wohlverstanden. Trinken tun die Musiker in der Schweiz zum Glück meist noch gratis.

Wer mehr hat, gibt mehr!

Loveletter to a festival: Musikfestival Bern

Clemens Kuratle am Mittwoch den 5. September 2018

Kriegt vom Musikfestival nichts mit, macht ihre Sache aber trotzdem ganz gut. Möwe in Howth/IRL.

Bereits doppelt gebeutelt von Fischer und Kuratle, folgt hier eine detailliertere Liebesbekundung ans Musikfestival Bern.

Hört ihr Leute, die ihr sonst nicht hingeht um “Neue Musik” zu hören:
Tut es doch!

“Unzeitig” ist’s eh, dieses Festival. Der Zeitpunkt zum Hingehen kann gar nie der Richtige sein, ist beziehungsweise immer der Falsche (oder umgekehrt?) und die Inder spielen unterschiedliche Tonleitern, je nach Tageszeit. Für den Mittag gibt’s leider kaum Leitern, aber wer will da schon Musik hören?
Und so passt’s perfekt, dass das Ensemble Paul Klee genau dann Musik unter dem Titel «Aus der Zeit gefallen» präsentiert. (täglich um 12:15 im Ono)

Zeitlebens aus Zeit und Raum gefallen, ist auch der vor knapp 50 Jahren durch den Freitod aus dem Leben geschiedene “Composer in Residence” Bernd Alois Zimmermann, dessen kompromisslose Musik in verschiedensten Räumen Berns erklingen wird. Zum Beispiel in der Grossen Halle der Reitschule, am Donnerstag um 20:45.

Also gebt euch den Klängen hin! Wenn ihr was im Vornherein als intellektuell aburteilt, habt ihr selber schon zu viel darüber nachgedacht. Contemplatio, oder?! Und der Autor schweigt auch bald..

Kuratle empfiehlt:
– Die Lektüre des Programmhefts – Weil es sich lohnt.
– Die Installation von Strotter Inst. in der Zytglogge, zu Unzeiten wie 11:11, 13:13 etc..
– Die Uraufführung des Stücks «Home (Münstergasse 37)» von Jonas Kocher.
– Die Nachtgezeiten im Berner Münster. Kirchenkonzert ohne rückenfeindliche Bänke!
– Die Letüre des Programmhefts – Wegen des restlichen Programms.

Kuratle schätzt am Musikfestival, dass das Kuratorium, trotz des übervollen Programms, um ein stimmiges Ganzes bemüht ist. Mit der Tatsache, dass diese Fülle kaum kurz und knapp zusammengefasst werden kann, tut er sich jedoch schwer. Das Musikfestival startet heute mit einem Eröffnungsfest in der Dampfzentrale und endet Sonntags um 18:30 im Progrhof mit dem «Poème Symphonique» für 100 Metronome von György Ligeti.

Von Studeyeah nach fern

Urs Rihs am Samstag den 1. September 2018

Ein kleiner Exkurs gewagt mit einer Band –
und vom Balkon aus,
vom Vorgarten, vom Schiff aus?
Mindestens in der Phantasie – in die weite Welt hinaus.

Abflug ist vom Lorrainepärkli oder genauer war, denn am letzten Samstagnachmittag an der Quartierchilbi passiert.
Auf der Bühne stehen vier wohlverlumpte Spitzbuben aus dem Seeland und spielen Synth-Reggae, singen Mundart, erzählen Geschichten, lachen und rauchen Hase dabei. Studeyeah,
öffnen das hermeneutische Fenster, einige Zeichen lassen sich deuten.

«Fründlechkeit kennt keni Gränze, im Migros Restaurant ds Gränche

Schertenlaib & Jegerlehner als Vorboten – Reggae aus dem Emmental – haben’s mit dem «Sämi» vorgemacht. Das Heimatliche lässt sich bestens löchern. Dazu genügt tatsächlich auch schon etwas Off-Beat, dabei das lokale Idiom beibehalten, und schon reicht der Horizont von der Stammbeiz bis an den Strand, vom Bären bis nach Kingston. Mundart-Exotica?

«Zum Heue het mi Vater ä Chappe a, är stosst siner Dreadlocks unger d Wulle.»

Exotica, das ist in der Musik Ausdruck einer Sehnsucht, vom kleinen «Andern», aber unter Beibehaltung eines eigen Genuinen, echt Hiesigen. Dem Dialekt beispielsweise. Triebgefedert von der Lust und Neugierde auf das Fremde.
Schliesslich schlummert in jedem und jeder – mindestens unterbewusst – die Ahnung der eigenen Unvollständigkeit.

In Garagen hängen Poster von Thailand, im Atelier ein Schwarzweissfoto von Patagonien, im Coiffeur Salon die Postkarte aus Ascona.

Alle wir brauchen das Fremde, um nicht gottjämmerlich vor die Hunde zu gehen.
Wer das verneint, verdrängt, vergisst, vergiftet sich nach und nach mit dem schlimmsten Sozial-Toxin: Der Ignoranz.
Das Antidot das Phantasma, das Spiel, der Nonsens – die Kunst.

«No man, I want no island man, i wott uf ds Feschtland, do you understand?
If you like the alps, go there for your holidays, dunge am Louenesee.»

Studeyeah, die Anti-Boygroup aus der rausten Hippiesiedlung der Schweiz, aus Biel aka BNC, betoniert mit ihrem Sound eine Startbahn, um Ideen fliegen zu lassen. Und weil das nicht an der Hochschule für irgendwelche Künste seinen Anfang nahm, sondern auf dem Basketballplatz, dem Migros Restaurant und zwischendurch auch vor dem Altersheim zum Stehen kommt, hat es das Potential alle zu erreichen.

«Chunsch ines Heim s geit nümm Daheim was isch das für nes truurigs Game?»

Quer durchs gesellschaftliche Spektrum. Studeyeah reicht sanfte Hände, über perfekt gestutzte Gartenhecken, über Wagenburgen, über Stammtische und überhaupt. Alle schmunzeln zusammen – von Stdeyeah nach fern – aber ironisch ist das nicht, sondern immer auch scharf, mitunter kritisch und vor allem,
vor allem versöhnlich.


Die rauchende Schildkröte, Insigne der Verweigerung, gibt’s von Studeyeah auch auf T-shirt …

Ave Verum

Mirko Schwab am Mittwoch den 29. August 2018

Erzählungen aus dem jüngsten Internetz: «Why white men should shut up» meint ein weisser Mann. Männer seien Trash, meinen die Frauen. Der Trash lande in den Meeren, finden alle. #MenArePlastic. Das führe zu Übergriffen auf die Meerjungfrauen. Ja, aber wegen frauenfeindlichen Ausländern. Weil dennen würden ja schon im Bubenalter 72 Meerjungfrauen versprochen und da müsse man sich nicht wundern, müsse man sich nicht. Bedenklich, bedenklich, fürwahr bedenklich, wie das alles zusammenhänge, alles wahre Zusammenhänge von Chemtrails bis Chemnitz im geistigen Trailerpark peripherer Männerchöre.

Männerchöre, unheilige. Sie singen im Spalt der Kommentare, sie singen auf den Strassen von Charlottesville, Virginia und in eben: Chemnitz, Freistaat Sachsen. It is a man’s world in ihren letzen Zügen und die braune Scheisse ist back again im Herzen von Europa, draussen vor der Tür.

Esto nobis praegustatum in mortis examine!
Sei uns Vorgeschmack in der Prüfung des Todes!

Derweil, draussen vor der Tür: Ein Männerchor. Das Vokalquartett aus Minsk hat sich unter den Lauben formiert, vierstimmig und selig. Weit weg ist die übliche Strassenmusik, das Einerlei der Einfallslosigkeit. Und viel weiter noch: die lauten, verängstigten Männer aus dem Internetz, der blinde Hass in wutwülstigen Gesichtern. Draussen vor meiner Tür ist die Männlichkeit eine Viertelstunde lang schön und verletzlich, stolz und unaufdringlich. Und so sehr der Männerchor wohl aus der Mode geraten ist dieser Tage, so sehr trinke ich den nächsten Schnaps auf ihn, auf das weißruthenische Vokalquartett, das ganz zufällig ein Fenster der Anmut gestiftet hat gegen das kakophone Geläut out there. Eine Detox-Viertelstunde lang.

 

Privilegiert: Was tun?

Clemens Kuratle am Samstag den 25. August 2018

Ego muss weg! Wie verhalten als aufgeklärter Cis-Mann in der aufgeheizten Gender-Debatte? Ein Versuch eines Leitfadens.

Der Text den ich hier schreibe, ist stark von Alexander Rowland geprägt. Als schwuler, weisser Mann, im Süden der USA mit verschiedensten Ungleichheiten konfrontiert, führt er die Equality-Debatte auf eine Weise, welche die Fronten nicht verhärten will.

Ich spreche zu den Männern, welche die Ungleichheit in unserer Gesellschaft wahrnehmen, Veränderung anstreben und doch manchmal des Sexismus bezichtigt werden, weil sie die falschen Dinge sagen oder tun. Ich spreche auch aus der Sicht dieser Männer, aber nicht als Fürsprecher.

Es geht darum, dass wir uns eine dickere Haut zulegen müssen!

Im Gegensatz zum offenen Sexismus, welcher den Frauen Gleichberechtigung untersagt, in dem er ihnen Stimm- und Wahlrecht, Autofahren und vieles mehr verweigert, haben wir es beim modernen Sexismus mit der Negierung von Zuständen, welche Frauen benachteiligen, zu tun. Das geschieht häufig auch unbewusst.
Von dieser Definition ausgehend, kann wahrscheinlich kein Mann von sich behaupten, noch nie eine sexistische Aussage gemacht zu haben. Hier komme ich bereits zu einem wichtigen Punkt:
Das sollte eine Erleichterung für uns alle sein!
Beim Angehen von soziokulturellen Problemen geht es nämlich nicht in erster Linie darum, Schuldige zu finden, sondern veraltete Denkmuster und Strukturen zu erkennen und durch Bessere zu ersetzen. Erster Schritt dazu, ist die Erkenntnis, dass wir alle diese Muster in uns tragen und aktiv durchbrechen müssen, um als Gesellschaft voranzukommen.

Mit dem Vorwurf des Sexismus konfrontiert, findet Man(n) sich zu oft beim Halten eines unsinnigen Monologs wieder, welcher dem weiblichen Gegenüber aufzeigen soll, dass die Anschuldigung nicht zutrifft. Genau hier aber wird das gesellschaftliche zu einem individuellen Problem verkehrt.
Vorwürfe müssen ausgesprochen und Missstände sollen angeprangert werden. Unsere Reaktion hingegen entscheidet, ob wir Teil der Lösung oder Teil des Problems werden. Kritik ist wertvoll. Wir entscheiden, ob sie uns betrifft.  Wenn dem auch nur am Rande so ist, haben wir etwas gelernt. Der zuweilen harsche Ton und auch die Provokation als Stilmittel gehören bei einer echten Debatte dazu, aber nehmen wir doch bitte unser männliches Ego da raus. Denn, und hier komme ich zu der angestrebten dicken Haut:

Ob wir persönlich angegriffen werden oder nicht, ist unbedeutend!

Ich plädiere dafür, dass wir, die privilegierten Männer, in der Hitze der Debatte Nachsicht üben. Sexismus schafft Unzufriedenheit, welche sich manchmal an den Falschen entlädt. Wir aber können uns entscheiden, ob wir unsere Energien dafür verwenden, uns aufwändig ins scheinbar rechte Licht zu rücken, oder ob wir in solchen Situationen Introspektion üben, den Vorwurf richtig einordnen oder komplett verwerfen und danach weiter daran arbeiten, bessere Menschen zu werden.

Letzteres würde uns Privilegierten eigentlich besser stehen.

Die Jahre der Selbstreflexion, die Auseinandersetzung mit Rollenbildern, das Ausmerzen von Denkmustern, welche eine emanzipierte Frau zwingend hinter sich hat, dürfen auch von uns Männern verlangt werden. Das bedeutet, sich der Rolle des Privilegierten bewusst zu werden, mit all seinen Konsequenzen! Wer sich diesem Prozess nicht aussetzen will, bleibt Teil des Problems.

Wir sind nicht perfekt und das wissen auch die geschätzten Frauen. Es hat keinen Zweck, den Schein wahren zu wollen. Lieber langsam aber stetig, gemeinsam die verkrusteten, alten Denkmuster durchbrechen, oder nicht?

Für die <3.

Als Kuratle ein Teenager war, lebte Alex Rowland während einem einjährigen Studienaufenthalt im Elternhaus des Autors. Er war Anfang zwanzig, wollte Schriftsteller werden und hatte sich kurz zuvor geoutet. Seine Familie ist eher fromm. Rowland ist mittlerweile selbständiger Anwalt. Er lebt in Atlanta, Georgia; wo er Teil einer privilegierten, weissen Mehrheit ist. Seine Texte publiziert er auf Facebook.

Kulturbeutel 33/18

Mirko Schwab am Montag den 13. August 2018

Schwab empfiehlt:
Mama Afrika callin’ you back, Liebes – am Freitag machen sie Tropical Night auf dem Vorplatz. Chefdigger Samy Ben Redjeb von Analog Africa, Basels Uhuru Sound Resistance und den Heimbois Uede Suave und Beni Severo kann man also beim Tellerwaschen zuschauen, sich über Cultural Appropriation unterhalten und Toast Hawaii oder auch über typisch Luandische Gitarrensounds der späten Sechzigerjahre. Aber bitte tanzend, sonst macht das alles keinen Sinn.

JJ empfiehlt:
Bit-Tuner am Donnerstag im Rössli und LSD in einer der kommenden Sternschnuppennächte, aber bitte nicht LSD im Rössli während sich Bit-Tuner im Strobo-Licht on Stage eine Flasche Vodka rein ballert, das ist keine gute Idee, ich habe das mal gemacht und seither bisschen Angst vor dem Boy mit den Bässen. Und sonst so: einfach mal bei Radio Bollwerk reinhören, mit LSD am besten zuhause im Internet, ohne LSD besser gleich direkt bei der RBW Sommer Residenz auf der Schütz.

Fischer empfiehlt:
Neben Tanz und Substanz: Kunst, am besten als Marathon, dann kommen irgendwann die körpereigenen Drogen (neben dem Vernissagen-Weissen natürlich). Am Donnerstag eröffnen das Kunstmuseum, die Stadtgalerie, videokunst.ch, Reflector, Bernhard Bischoff (im Progr) sowie Duflon Racz (untere Altstadt) sämtlich neue Ausstellungen. Besonders gespannt ist man auf die République Géniale, für die das Kunstmuseum zusammen mit der Dampfzentrale den Hauptstadtkulturfonds geknackt hat.

Der Urs empfiehlt:
Eine letzte Goldene Stunde Sommer im Bogen 17 am Wohlensee – wenn das Licht kurz vor der Sonnenbiege maximal flach durch die Atmo strahlt und alles so heilandwarm leuchten lässt.
Weil tammi schön dort und weil die Boys und Girls am Kiosquetresen den Preis für die bis und mit stadtweit leidenschaftlichste Gastroarbeit der Badesaison mehr als verdient hätten. Und zwar locker –

big spirit down there!

Loveletter to a Festival: Ostfest

Clemens Kuratle am Freitag den 3. August 2018

Mischen morgen das Ostfest auf: 13 Years Cicada

Liebes, Wie schön bist du denn? Gestern schon eröffnet, heute aber erst so richtig!

Ein Hoch auf deinen Gastgeber, den Osten im Allgemeinen und die Programmkommission, welche hier erneut ein Süppchen zusammengebraut hat, das sich gewaschen hat. Heute bist du musikalisch noch recht leichtfüssig unterwegs (mit Klaus Johann Grobe, Muthoni Drummer Queen, Frutti di Mare und anderen) und morgen dann  mit etwas happigerer Post am Start(Pyrit, 13 Years Cicada, Heliocentrics …).

Generell, dein Programm, ufff?! Ernsthaft.. Die komplette Überforderung. Mit Sicherheit keine Mainstreamk***e und doch kommt niemand zu kurz.

Kuratle empfiehlt: Früh genug starten um sich ein Ticket zu ziehen (kommt erst noch günstiger, kennsch?)! Auf Empfehlungen pfeifen und mal schauen wie der Körper so reagiert. Das Ostfestkomitee hat mit Sicherheit genug am Programm rumgehirnt.

Und immer gnue trinke, gäu!

Wer den Weg nicht bis ins Alte Tramdepot schafft: Radio Bollwerk sendet live vom Ostfest, inklusive Konzertmitschnitte, Interviews und vielem mehr. Das komplette Programm auf ostfest.ch

 

Altenbergsteg

Urs Rihs am Mittwoch den 20. Juni 2018

Gravitationspunkt im Sommer. Schattenhalb der Kornhausbrücke. Von zierlichem Strich, knapp über dem Pegel verspannt, lädt zum Sprung durch den Wasserspiegel, heute daran hängen geblieben – an der heimlichsten Schönheit der Stadtberner Brücken.

Hölzern war er erst, der Steg, 1834 erbaut, als Ersatz der müden Fährmannen.
Zimmermeister Jussi erstellte ihn einst samt Zollhaus auf der rechten Flusseite.
1842 wird die Steuer abgeschafft, das Haus trotzte bis 1934.

Früher verschleisst der Ursteg, die Balken und Planken bereits nach 20 Jahren mürbe.
1856 legt Ingenieur Gränicher darum den Plan für eine Stahlkonstruktion dem Grossen Rat vor.
Keine zwölf Monate später steht die neue Kettenbrücke.

Länge 57.00 m / Breite 2.13 m / Höhe 4.8 m; Versteifungsträger 1.14 m

«Eine Besonderheit des Steges sind die Gusseisen-Pendelstützen, welche die Ketten an beiden Ufern tragen. Die vierfachen, von Hohlkehlen gebildeten Rippen, die Schwellung entsprechend dem Verlauf der Knickkräfte und die eleganten Kopfstücke mit den angeschraubten Verbindungsjochen legen Zeugnis für die sorgfältige gestalterische Durchbildung ab.»
Heisst es in der Fachliteratur und klingt dabei doch mehr nach Poesie.

Schwebend, die offene Brücke, leicht – schwingend immer, wenn wer darüber rennt, davon abspringt oder sich das Gummiseil der Aaresurfer entspannt.

Ein so reizbares Örtchen der Stadt
Am Tag untendurch treiben lassen im Zuge des Flusses.
Daneben lungern in der Abendsonne, wie wechselwarme Tiere.
darauf stehen bleiben und das Glitzern geniessen –
nachts.

Der Altenbergsteg
auch schön zum Rauchen da und um das Leben zu begiessen.
Geht hin dort ihr Lieben.

Der Altenbergsteg, noch ohne Kornhausbrücke darüber – deren Bau erst 1895 begann – dafür mit der “Roten Brücke” im Hintergund, welche 1941 abgebrochen und durch das Lorraineviadukt ersetz wurde. Und dem alten Zollhaus auf der rechten Seite. (Bildquelle: SWISS TIMBER BRIDGES)

Von Stadtgeldern und der Kunst davon zu profitieren

Urs Rihs am Samstag den 16. Juni 2018

Der KSB hatte letzte Woche darauf aufmerksam gemacht, dass im Netz über die Kulturgelderverteilung vernehmlasst wird – auch dein Senf könnte also Gewicht haben – aber der online auszufüllende Fragebogen birgt viel Obskurität und niederschwellig ist das mitnichten. Darum – Zeit, um etwas auszulichten.

Der nächsten Vierjahresplanung für die Kulturförderung, das betrifft die Jahre 2020 bis und mit 2023, sollen insgesamt Fr. 2’275’000.- mehr zufliessen. Sieben Prozent mehr als bis anhin. Das ist erster Dinge natürlich zu begrüssen, bestimmen doch gerade die Beträge, welche als sogenannt «freie Mittel» zur Verfügung gestellt werden, massgeblich über das Aktionspotential der nichtinstitutionellen Szene.

Bei etwas genauerer Betrachtung der vom Amt für Kultur vorgeschlagenen Verteilschlüssel, fallen aber schnell Asymmetrien auf. Zwischen den Spartenkommissionen: Theater (Fr. 1’000’000.- Fördergeld bis anhin, gleichbleibend), Musik (Fr. 615’000.- bis anhin, soll auf Fr. 690’000.- gestockt werden), Literaturkommission und Kunstkommission (jeweils Fr. 200’000.- bis anhin, sollen beide auf Fr. 225’000.- gestockt werden).
Die Spartenkommissionen setzen sich aus Delegierten aus der Szene zusammen. Die «freien Mittel» werden von diesen Kommissionen an Gesuchstellende verteilt.

In Szenegesprächen, zwischen Amt und geladenen Leuten aus den Szenen, wurden die Bedürfnisse im Vorfeld sondiert, um zu eruieren, wo das Geld hinfliessen soll. Klingt gut – birgt Probleme.

Von verschiedenen Seiten wurde ich auf das augenscheinliche Ungleichgewicht angehauen.
Gerade bei Köpfen aus der Ecke der bildenden Künste, welche also speziell von der stärkeren Berücksichtigung der Kunstkommission profitieren würden, ist ein gewisser Missmut über die Vorlage auszumachen, und verständlich. Warum?
Gesuche die der Kunstkommission zufallen, sind oft solche für prozessorientierte, flüchtige Projekte – ohne vermarktbares Produkt am Schluss. Im Gegensatz zu einem Theaterstück auf der Bühne etwa, welches Eintrittsgelder generiert. Oder ein Musikalbum, welches sich verkaufen lässt.
Heikel, denn solch sog. «ephemere» Kunst trägt die Selbstausbeutung quasi im Genmaterial – wer spricht schon Geld für Projekte, bei welchen am Ende nichts Handfestes vorzuweisen bleibt?
Wichtig wär’s, gerade in Zeiten eines durchökonomisierten internationalen Kunstmarkts – vermag doch genau diese Kunst gesellschaftlich gefurchte Vorstellungen ihrer selbst zu sprengen.

Solche Arbeiten realisieren sich darum nur quersubventioniert durch harte Loharbeit der KünstlerInnen.

Aus der Vernehmlassungsvorlage ist zu entnehmen, dass der Kunstkommission künftig Fr. 225’000.- zukommen soll, also Fr. 25’000.- mehr als bis anhin. Knapp 1,1% des gesamten Fördergeldzuschusses von Fr. 2’275’000.-.
Im Vergleich zur geplanten Blähung des Budgets für kostengünstigere Ateliers beispielsweise, von Fr. 119’000.- (Budget 2018) auf Fr. 340’000.- (9,7% des gesamten Zuschusses) – dem neu gebildeten Topf für «Distribution» und «Promotion», Fr. 150’000.- (6,6% des Zuschusses) –  oder dem ebenfalls neuen Finanzierungsgefäss «Infrastruktur Altstadt» Fr. 100’000.- (4,4%) – wirkt das tatsächlich spärlich.

Platz zum «Schaffen» ist ein wichtiges Bedürfnis und dass die Altstadtkeller nicht gänzlich privatisiert werden, gilt es zweifelsohne zu berücksichtigen. Aber das Kulturgeld fliesst in diesen beiden speziellen Punkten direkt in die Taschen von Immobilien InhaberInnen. Das gilt es sich bewusst zu machen.

Auch wenn der Quervergleich von Budgetpunkten einer Milchbuchrechnung gleichkommt und einer genauen Analyse der politischen Vorbedingungen bedürfte – sollte der Löwenanteil der Gelder nicht dahinfliessen, wo am meisten «Eigenleistung» bis anhin nicht oder nur sehr gering vergütet wurde, zur Gesundung der Aktiven?

Gerade wenn sich der Stadtpräsi im Vorwort der Vernehmlassungsvorlage wie folgt zitieren lässt: «Die Arbeit professionellen Kulturschaffenden soll besser anerkannt werden, es sollen faire Arbeitsbedingungen gelten und Förderbeiträge sollen branchenübliche Gagen ermöglichen.»

Warum das Amt für Kultur da lieber neue Finanzierungstöpfe generiert, als den Spartenkommissionen direkt mehr Geld zur Verfügung zu stellen, bleibt wunderlich.
Ein antidemokratisch anmutender Reflex und man fragt sich auch, ob hier wer Angst hat die Zügel aus der Hand zu geben.

Die direkten Fördergelder sind nicht gleichbedeutend mit den «freien Mittel» für die Szenen. Davon müssen die Beträge für fixe Budgetpunkte der Spartenkommissionen abgezogen werden. Von den anhin Fr. 200’000.- in der Kunst wurden Fr. 80’000.- effektiv als freie Mittel vergeben.

Wer entscheidet eigentlich über die Priorisierung der Bedürfnisse? Wer bestimmt deren Dringlichkeit?

Auf telefonische Rückfrage beim Amt für Kultur, erhalte ich eher schmallippige Antworten. Es ginge ja momentan genau darum, per Online-Fragebogen etwaige Unstimmigkeiten zu bereinigen.
Und auf die Asymmetrien zwischen den Sparten angesprochen, werde ich auf die Zahl der eingegangenen Gesuche aus den letzten Jahren verwiesen.
Ich hake nach, gerade der Haufen für Infrastruktur – Gesamthaft Fr. 321’00.- (14%) – interessiert mich. Ich werde auf eine Antwort per Mail vertröstet, am Dienstag war das – bis heute nichts gekriegt.
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Postkarte aus der Feuerwehrübung

Anna Papst am Freitag den 15. Juni 2018

Liebe Jessica, Liebe Gisela, Lieber Mirko, Lieber Urs, Lieber Roland, (Liebe verflossene Milena)

Ich sitze gerade in der Alten Reithalle Aarau zwischen Feuerwehrschläuchen und Rauchmaschinen. In wenigen Stunden wird hier der Ernstfall geprobt, frei nach dem Motto: “Wo andere rausrennen, rennen wir rein!”.
Und das erinnert mich doch ein bisschen an die KSB Crew und ihre Berichterstattung in der Hauptstadt. Die motzt, wo andere die Klappe halten, die nachbohrt, wo andere wegschauen und die hingeht, wo andere fernbleiben. Die mögliche Überreaktionen im Frauenraum genauso thematisiert, wie ein sexistisches Video vom allseits beliebten Trauffer und  überteuerte Vernetzungsanlässe. Die auch mal ein Feuer entfacht, anstatt immer nur Brände zu löschen. Die, wenn es nötig ist, den Stinkefinger zeigt anstatt das Peace Zeichen, das aber mit soviel aufrichtiger Liebe zu Stätte und Städtern, dass einem als Aargauzürcherin ganz warm ums Herz wird. So wünsche ich mir, dass ihr Bern erhalten bleibt, als Brandsatz und Rettungsdecke, als Alarmsirene und Sauerstofftank. C’était un plaisir!

Selbstloser Einsatz für die Allgemeinheit, wo gibt es das noch? Bei der KSB Crew.

Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitete für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzte sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Dies ist ihr letzter Beitrag.